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Der Mut

(1915)

Man achtet den mutigen Mann und verachtet den Feigling. Wir machen uns aber selten klar, daß diese Bewertungen zwei verschiedene Wurzeln haben: wir achten den Mutigen, weil wir annehmen, daß er für einen außerpersönlichen Zweck seine Persönlichkeit ohne Zaudern einsetzen wird; und wir achten ihn, weil wir eine gewisse Kraft in ihm verspüren. Im einen Fall achten wir ihn als sittliche Person, im anderen als körperliche.

Jemand erzählte mir, wie er einmal mit einem Anderen reiste, einem Gelehrten, den er wegen seines sittlichen Mutes, den er in seiner Wissenschaft im Kampf gegen herrschende Meinungen bewies, auf das höchste achtete. Bei einem Gasthausbrand war für Beide die Möglichkeit, ihre Reisesachen zu retten; der Gelehrte aber wagte sich nicht in das Haus, obwohl gar keine wirkliche Gefahr für ihn gewesen wäre. Der Erzähler, selber ein geistig sehr hochstehender Mann, konnte sich einer gewissen Verachtung gegen den Anderen nicht enthalten, und als ich mir den Auftritt recht vergegenwärtigte, da fühlte ich, daß ich selber ihn auch verachtet hätte.

Umgekehrt erlebte ich einmal, wie ein höherer Beamter, der durchaus den Eindruck machte, daß er in einem solchen Fall ohne jedes Bedenken in das brennende Gasthaus zurückgegangen wäre, einem Vorgesetzten nachgab, dem gegenüber er hätte auf seiner Ansicht bestehen müssen. Ich stellte später bei einem gelegentlichen Nachdenken über solche Dinge mir die beiden Fälle lebhaft vor und kam zu dem Schluß, daß mir die Handlung des Beamten gefühlsmäßig nicht einen so verächtlichen Eindruck machte wie die des Anderen, obwohl sie doch wirklich verächtlich war, während man bei dem Anderen ganz richtig sagen konnte, daß sein Reisekoffer ihm eben die Überwindung einer Furcht nicht wert gewesen ist.

Zum Teil mag sich das Gefühl daraus erklären, daß das Sinnliche auf uns einen stärkeren Eindruck macht als das Geistige: der vor dem brennenden Haus unentschlossen stehende Mann fällt uns mehr auf, als der im Gespräch ruhig nachgebende. Zum großen Teil aber rührt es daher, daß unsere Gefühle den Vorstellungen einer urtümlicheren Kulturstufe entsprechen. Der körperliche Mut wirkt unmittelbar auf uns, und wir fragen uns eigentlich nie, wie es sich mit seiner geistigen und sittlichen Begründung verhalten mag; der geistige Mut wirkt oft nicht unmittelbar auf unser Gefühl, er muß von uns erst verstandesmäßig erschlossen werden. Etwa, wenn ein Denker oder Künstler ganz allein und im Gegensatz zu allen anderen Menschen schafft, so wird wohl nur wenigen Menschen klar, welchen merkwürdigen Mut dieser Mann zeigt.

Wenn wir den körperlichen Mut bewundern, so bewundern wir eine 337 Kraft, und an sich bewundern wir nur etwas, das der Schönheit, Gesundheit und Stärke gleichwertig ist, einen körperlichen Vorzug, zu dem der Betreffende nicht sehr viel kann. Da aber der körperliche Mut so oft mit dem sittlichen verbunden ist, so stellen wir ihn trotzdem höher, und es wird uns selten klar, daß wir hier geneigt sind, ungenau zu fühlen.

Es wurde bekannt, daß in einer Seeschlacht ein deutsches Schiff zur Übergabe aufgefordert wurde, daß der Kapitän die Übergabe verweigerte, und daß die Mannschaft mit dem Schiff unterging, indem sie sang: »Deutschland, Deutschland über alles.«

Diese Männer hatten körperlichen und sittlichen Mut. Jeder von ihnen hing am Leben; er hatte Eltern, Geschwister, Frau und Kinder; er freute sich seines Daseins und hatte viele Pläne für die Zukunft; aber er wußte, daß es seine Pflicht war, bis zuletzt auf dem Schiff auszuharren, und daß er für diese Pflicht sein Leben opfern mußte. Diese Männer waren Helden, und sie drückten in edler Weise das Selbstbewußtsein des Helden durch ihren Gesang aus. Ein englischer Geistlicher, der auf einem Schiff gefahren war, das von einem unserer Unterseeboote torpediert wurde, erzählte, als die Matrosen im Wasser gewesen seien und sich mühsam an schwimmenden Gegenständen festgehalten hätten, da habe ein großer Teil von ihnen gesungen: « 't is a long way to Tipperary

Sicher kann man diesen Männern den körperlichen Mut nicht absprechen. Aber sind wir sittlich im Recht, wenn wir diesen Mut achten, wenn wir diese Männer womöglich mit unseren Leuten vergleichen? Man hört verschiedentlich: »Die englischen Soldaten sind ja zum großen Teil Gesindel, aber sie haben Mut.« Ist es richtig, wenn man den Söldner, der sein Leben verkauft, weil es gerade neun Schilling die Woche wert ist, mit unserem Soldaten vergleicht, der seine Pflicht tut?

Es soll gewiß nicht behauptet werden, daß es nicht in einem Söldnerheer auch Männer geben kann, die ihren Beruf sittlich empfinden; der Soldatenberuf erzieht ja zur Ehre; aber das hindert nicht, daß das Söldnerheer als Ganzes eine unsittliche Einrichtung ist, denn ein Mann muß wohl sein Leben seinem Vaterland opfern, aber er darf es nicht verkaufen, auch nicht seinem Vaterland. Man wird nie finden, daß Söldner in ihrem eigenen Land geachtet werden, wie der Soldat geachtet werden muß.

Wir sind nicht die Herren unseres Lebens, wie wir nicht die Herren des Lebens anderer Menschen sind. Jeder Mensch, mag er kirchlich gläubig sein oder nicht, muß wissen, daß ihm das Leben geschenkt ist, damit er irgendeinen Zweck erfüllt, der über ihm steht, der ihm selber oft genug nicht zum Bewußtsein kommt. Deshalb ist ein jeder Selbstmörder ein Verbrecher, und ein Mensch, der nicht alles tut, was er ehrenhafterweise tun kann, um sein Leben zu erhalten, handelt schlecht. Jene Matrosen, welche einen Gassenhauer sangen, als sie mit dem Tode kämpften, zeigten den körperlichen Mut roher Seelen, denn in der Lebensgefahr dachten sie nicht an das, was für sie das Göttliche sein mußte, sondern sie prahlten mit Unempfindlichkeit. Der sittliche Mensch, mag er nun von Natur mehr oder weniger unempfindlich gegen Gefahr und Tod sein, wird für einen sittlichen Zweck so handeln wie die deutschen Seeleute: nicht, weil er sein Leben gering achtet, denn der sittliche Mansch achtet es hoch; sondern weil er seine Pflicht noch höher achtet.

Es kommt aber noch Eines dazu.

Der körperliche Mut ist ein Ergebnis, welches entsteht aus dem Kampf zwischen dem Wunsch, am Leben zu bleiben, und der Furcht vor dem Tode. Es kann Einer nun mutig sein, weil seine Todesfurcht gering ist; er kann es aber auch sein, weil er so roh ist, daß seine Einbildungskraft keine Vorstellung schaffen kann von Tod und Nachtleben, daß er an nichts denkt, wie an den Augenblick. Das ist der Fall bei diesen englischen Matrosen. Soll man eine solche unempfindliche Roheit hochachten? Man müßte dann auch den Mut eines Verbrechers achten, der doch vernünftigerweise sich sagen müßte, daß er mit der größten Wahrscheinlichkeit ergriffen wird, und der doch sein Leben in die Schanze schlägt für einen geringen Geldbetrag, den er erbeuten kann. Dieser Verbrecher handelt nicht so, weil er höher steht als die anderen Menschen, sondern weil er niedriger steht, weil ihm Eigenschaften fehlen, welche die anderen Menschen haben.

Jener Gelehrte, der seine Angst nicht bezwingen konnte vor dem brennenden Gasthaus, wäre vielleicht in eine wirkliche Gefahr gegangen, etwa, indem der Brand schon weiter um sich gegriffen hatte, wenn in seinem Koffer eine Handschrift gelegen hätte, die ihm wichtig war; wenn ein bedeutender Zweck gewesen wäre, dann hätte er vielleicht auch körperlichen Mut gezeigt. Hat er nicht recht? Haben wir nicht unrecht, die seine Zaghaftigkeit belächeln, wo es nur etwa Wäsche und eine Zahnbürste gilt? Stellen wir uns nicht auf den Standpunkt der rohen englischen Matrosen, die im Tode mit Unempfindlichkeit prahlten? Ja, muß denn nicht bei dem höheren Menschen mit der Empfindlichkeit auch die Furcht vor dem Tode wachsen, muß nicht der Mut eine um so sittlichere Eigenschaft sein, je größer die Angst ist, die der Mensch zu besiegen hat?

Das gilt doch wohl nur bis zu einem gewissen Punkt. Wir können doch wohl nicht Sittliches und Körperliches so schroff gegenüberstellen und müssen doch wohl zugeben, daß oft genug das Sittliche auf dem Körperlichen ruht.

Jede Gewaltsamkeit wirkt unrein auf uns. Stellen wir uns den zaghaften Gelehrten vor, der sich in eine wirkliche Gefahr wegen seiner Handschrift begibt, so würden wir gewiß kein reines Gefühl haben: wir werden mit dem Verstand ihn sehr hoch achten; aber wir werden uns nicht bezwingen können, daß wir nicht wenigstens leicht lächeln über ihn. Er wirkt, mögen wir uns noch so sehr zusammennehmen, komisch auf uns.

Die Zaghaftigkeit oder Feigheit, die er in dem erzählten wirklichen Fall bewies, rührte von einer Nervenschwäche, Entschlußunfähigkeit, einer übertriebenen Tätigkeit der Einbildungskraft in Ausmalung der Gefahren her, kurz von irgend etwas Krankhaftem oder Unausgeglichenem. Wir achten ihn rein verstandesmäßig wegen seines sittlichen Mutes in seiner Arbeit, wir lächeln über ihn mit einer gewissen Achtung, wenn er etwa seine Handschrift rettet; aber jenes reine Gefühl haben wir nie bei ihm, wie bei den deutschen Seeleuten, jenes Gefühl, das ohne weiteres uns zur Nachahmung mitreißen würde. Der Gelehrte ist doch eigentlich kein rechter Mann.

Bei den deutschen Seeleuten hat man den Eindruck eines Handelns, das harmonisch ist, oder schön, oder das Natur geworden ist, die höhere Natur, die der Mensch nicht von Hause aus hat, sondern die ihm als Leitbild vorsteht, und die er erwerben muß.

Man erinnert sich vielleicht an Erwägungen ähnlicher Art in Schillers reizender Schrift über Anmut und Würde. Solche Erwägungen leiten aus dem Ethischen in das Ästhetische über; sie zeigen, wie die letzten Urteile über die menschlichen Handlungen immer von der Kunst gefällt werden.


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