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Der Mietling

(1918)

Wenn ein Brautpaar heute in ein Möbelgeschäft geht, so wird ihm ein zurückhaltend höflicher Herr, in schwarzem Gehrock mit tadellosem Selbstbinder entgegenkommen, der sich erkundigt, was das Brautpaar wünscht; er wird es führen und ihm Zimmer zeigen in jeder Preislage von vierhundert Mark aufwärts bis zu dreitausend Mark.

Das Zimmer für vierhundert Mark ist preiswert, und das Zimmer für dreitausend Mark ist preiswert, denn das Brautpaar ist in ein altes und angesehenes Geschäft gegangen; aber natürlich ist das Zimmer für vierhundert Mark nicht so gut, wie das für dreitausend Mark, und der Herr im Gehrock, der allmählich vertraulich geworden ist, kann auch nicht zu dem Zimmer für vierhundert Mark raten, das Geschäft führt das Zimmer nur, weil es die Kunden verlangen, und wenn er, der Herr im schwarzen Rock, sich eine Wohnung einrichten würde, so würde er nicht unter achtzehnhundert Mark heruntergehen. Das Brautpaar sieht sich an, der junge Mann wird etwas verlegen, der Herr im schwarzen Rock stimmt seinen Ton etwas weniger hochachtungsvoll, und schließlich ist das Zimmer für vierhundert Mark auch sehr gut, denn das Geschäft hat den Grundsatz, daß die Kunden es empfehlen sollen, denn auf die Anzeigen in der Zeitung gibt es nichts, und kurz und gut, der Herr im schwarzen Gehrock zieht einen Block heraus und schreibt auf, wohin er die Möbel schicken lassen darf.

In der Fabrik, in welcher die Möbel hergestellt werden, sind die Arbeiter beschäftigt. Die Arbeiter sind tüchtige Leute, die alle seit langen Jahren in dem Geschäft tätig sind; sie kommen des Morgens mit ihren Blechkännchen in der Hand und arbeiten an den Sägen, und an den Hobelmaschinen, und in der Fournierabteilung, und im Leimraum; sie arbeiten fleißig, umsichtig und schnell und verdienen hohe Löhne, und wenn Feierabend ist, dann ziehen sie ihren Straßenrock an, nehmen die Blechkännchen und gehen nach Hause. Sie verarbeiten

Hölzer aus Amerika und aus Ungarn, aus Schweden und aus Polen, und es ist nur guter Stoff, den sie verarbeiten; natürlich ist das Holz besser bei den Zimmern für dreitausend Mark, aber auch bei den Zimmern für vierhundert Mark wird nur ausgesuchtes Möbelholz verwendet und nicht etwa Kistenbretter, wie das in manchen Geschäften üblich ist, denn das Geschäft ist ein altes und angesehenes Geschäft, und das Geschäft hat den Grundsatz, daß die Kunden es weiter empfehlen sollen, denn auf die Anzeigen in den Zeitungen gibt es nichts.

Man muß doch sagen: alle Leute in diesem Geschäft tun ihre Pflicht, der Mann im schwarzen Gehrock so gut wie die Arbeiter an den Maschinen. Sie tun ihre Pflicht, und das ist ihr Stolz, wie sie nur ein Beamter tun kann; und wenn der Kastengeist nicht wäre, durch welchen der Beamte sich immer mehr dünkt, als der Bürger, so wäre es eigentlich doch das Angemessene, daß man diesen Leuten auch einen Titel gäbe, und sie etwa als Tischlereibeamte bezeichnete.

Ein neues Brautpaar kommt, der Herr im schwarzen Gehrock zeigt ihm die Zimmer in jeder Preislage von vierhundert Mark an aufwärts bis zu dreitausend Mark. Die jungen Leute sehen sich die Zimmer an und bekommen einen traurigen Gesichtsausdruck. Es ist etwas Besseres, das sie wünschen, und der Herr im schwarzen Gehrock macht sie in dem Zimmer für dreitausend Mark aufmerksam auf die saubere Arbeit, auf die Schranktüren, welche schließen, wie die Türen eines Geldschrankes, auf das Holz, das so gleichmäßig ist, wie wenn es gar nicht gewachsen wäre, sondern in einer Fabrik gegossen oder gewalzt; er bewegt seine Hände immer eifriger und spricht immer schneller, das Brautpaar wird immer trauriger, es stößt sich heimlich an, und der junge Mann sagt endlich stockend, daß seine Braut sich die Sache noch überlegen muß und daß sie beide wiederkommen werden. Dann geht das Brautpaar zu einem Antiquitätenhändler. Da stehen alte Möbel, die zum großen Teil niemals so gut geschlossen haben, wie die guten Möbel von heute, und die heute alle schlecht schließen; die zum Teil für andere Bedürfnisse bestimmt sind, als die heutigen Menschen haben; die trügerisch aufgeputzt sind; in denen der Wurm nagt und unter dem Glanz der Fourniere sich Morschheit verbirgt: die Gesichter der jungen Leute werden lebendig, sie freuen sich, sie eilen mit Ausrufen der Überraschung von einem Stück zum andern, und sie kaufen sich hier ihre Möbel zusammen in dem Bewußtsein, daß sie immer ein Vergnügen an ihnen haben werden, auch wenn sie sich als nicht praktisch herausstellen sollten und im Verfall begriffen sind.

Diese alten Möbel sind nicht von Leuten gemacht, welche man eigentlich als Tischlereibeamte bezeichnen müßte, sondern von Tischlern. So ein Tischler hatte sein Häuschen und arbeitete mit seinem Lehrling und Gesellen. Wenn jemand einen Schrank bei ihm bestellte, dann überlegte er sich, welche Bretter er nahm, und stellte die Masern des Fourniers zusammen, damit die Äste eine schöne Zeichnung ergaben. Er machte selber einen Entwurf, den er mit den Kunden besprach, oder er nahm ein Buch mit guten Entwürfen vor, und die Zeichnung der Masern mußte für den Entwurf passend sein. Das mußte er sich aber alles überlegen. Mittags am Eßtisch besprach er mit dem Gesellen, ob er metallne Schlüsselschilder nahm; abends, wenn er zu Bett ging, machte er sich noch einmal den Seitenriß einer Leiste klar. Der alte Meister arbeitete nicht pflichtgemäß, wie der Arbeiter, welcher in die Fabrik geht, sondern er sagte: »Ich will Ehre mit dem Stück einlegen.«

Wenn der Meister sagte: »Ich will Ehre einlegen«, dann tat er also etwas Anderes wie seine bloße Pflicht. Wenn wir das Wort genau betrachten, dann finden wir zwei Bestandteile in ihm.

Erstens: wenn der Kunde von dem Meister verlangt hätte, er solle ihm ein Zimmer für vierhundert Mark tischlern, dann hätte der Mann gesagt: »Das tue ich nicht, damit kann ich keine Ehre einlegen, denn für vierhundert Mark kann ich nichts Dauerhaftes und Ordentliches machen.« Hätte der Kunde auf seinem Wunsch bestanden, so hätte der Mann gesagt: »Wenn Sie Schund haben wollen, dann gehen Sie zu einem Pfuscher, ich bin ein Handwerker und meine Handwerkerehre verbietet mir, Schundware herzustellen.«

Der Herr im schwarzen Gehrock ist ein anständiger Mann. Er gibt seinem ersten Brautpaar zu verstehen, daß es für vierhundert Mark Schundware bekommt. Aber da die Schundware verlangt wird, so läßt er sie herstellen und verkauft sie. Er handelt pflichtgemäß. Man kann ihm keinen Vorwurf machen. Der Kunde will nun einmal so.

Zweitens: der Kunde des Meisters ist ein Mann von der Gesinnung des zweiten Brautpaares. Er will eine gute und ehrliche Ware und will bezahlen, was sie kostet. Der Mann im schwarzen Rock zeigt die von den Arbeitern pflichtgemäß hergestellte Ware. Der Meister aber tut mehr als seine Pflicht. Er wird bezahlt für seine Arbeitsstunden, er denkt aber an seinen Schrank auch in seinen Mußestunden, und dafür läßt er sich nicht bezahlen. Er tut mehr als seine Pflicht. Dieses Mehr bewirkt, daß das Stück selbst heute noch, wo es schon im Verfall ist, Freude macht, während das bloß pflichtgemäß hergestellte Zimmer langweilt.

Die Tischlerei ist nur ein Handwerk. Schon im Handwerk genügt es nicht, wenn die Menschen nur ihre Pflicht tun; ein guter Handwerker muß mehr tun: er muß tun, was ihm seine Ehre gebietet, und er muß seine ganze Persönlichkeit in seine Arbeit geben. Die Heilige Schrift hat einen Namen für den Mann, der nur seine Pflicht tut: er ist der Mietling. Die Mietlinge, das sind die Leute, von denen es Phil. 2, 21 heißt: »Sie suchen alle das Ihre, nicht das Jesu Christi ist«; der Mietling Joh. 10, 13: »fliehet, denn er ist ein Mietling, und achtet der Schafe nicht.«

Wenn der Mietling schon nicht genügt für ein einfaches Handwerk, wenn schon ein Schrank getischlert werden muß von einem Mann, der nicht an das Seine denkt, sondern das Jesu Christi ist: wie fürchterlich muß der Mietling da versagen, wo es sich um die großen Dinge der Menschheit handelt!

Wir führen einen Krieg um unser Leben. Die Lage ist sehr ernst für uns geworden. Wir wollen uns nichts vorlügen: die ganze Welt ist unser Feind, aber einem Volk, bei dem alles in Ordnung ist, kann auch die ganze Welt nichts schaden. Wenn dieser Krieg unglücklich für uns ausgeht, dann ist nicht die Übermacht schuld, sondern unsere eigene Unzulänglichkeit. Wir haben die Pflicht zum Maßstab unserer Ansprüche an das Höchste gemacht; wir dürfen uns nicht wundern, wenn es nicht auslangt für das Höchste bei uns, denn der Maßstab ist zu klein.

Während in Bulgarien sich vielleicht der Krieg entschied, durch welchen bestimmt wird, ob das deutsche Volk vernichtet wird oder leben bleiben kann, hatte der deutsche Gesandte in Bulgarien Urlaub. Der Fürst Bülow hat einmal von den deutschen Diplomaten gesagt, daß sie nach Bildung, Verstand und Charakter wahrscheinlich höher stehen als die Diplomaten der anderen Staaten. Das ist sehr möglich. Aber wahrscheinlich wäre der Gesandte irgendeines anderen Staates nicht in Urlaub gewesen während der bulgarischen Vorgänge.

Von Herrn von Kühlmann, der immerhin doch noch zu den Vorzüglichsten unter unseren Staatsmännern gehörte, wird erzählt – ob es wahr ist, das ist gleich, es könnte jedenfalls wahr sein – daß er nach seinem Abschied gesagt habe, er sei froh, daß er die Last los sei und nun die Gedichte des Herrn Werfel und das bayrische Barock studieren könne, welches beides die wichtigsten Erscheinungen des Tages sind. Vielleicht ist Herr von Kühlmann gebildeter und klüger und hat einen besseren Charakter als Lloyd George und Clemenceau. Er hat auch ganz bestimmt stets seine Pflicht getan in seinen Amtsstunden. Aber Lloyd George und Clemenceau würden ganz gewiß nicht sagen, daß sie froh seien, wenn sie zurücktreten müssen.

Der Gesandte ist ja nicht geflohen, er brauchte nur notwendig eine Erholung. Herr von Kühlmann ist ja nicht geflohen, er war nur froh, als er die Last los war. Es wird kein Mensch auftreten können, der behauptet, daß beide Beamte nicht ihre Pflicht getan hätten. Der Mietling, welcher flicht, tut auch seine Pflicht. Er hütet seine Schafe pflichtgemäß, aber wenn ein wildes Tier kommt, so kann man von ihm doch nicht verlangen, daß er sich für seine Schafe töten laßt; dazu ist sein Lohn nicht hoch genug, und er hat ja auch Weib und Kind zu Haus, gegen die er Pflichten hat. Nein, auch der Mietling erfüllt seine Pflicht.

Wir müssen uns gewöhnen, vom Staatsmann mehr zu verlangen, als daß er seine Pflicht tut. Wir müssen begreifen, daß ein Beamter nie ein Staatsmann werden kann.

Anmerkung 1920: Diesen Aufsatz wollte eine Zeitung nicht abdrucken, weil bei aller Gegnerschaft gegen Kühlmann doch das Urteil über ihn als einen Mietling zu hart sei.

Unsere Ansichten heute sind so falsch, daß auch die einfachsten Dinge nicht verstanden werden. Gerade Kühlmann ist als Beispiel gewählt, weil er einer der Besseren ist.

Kühlmann wußte, daß wir Frieden schließen mußten und daß jeder Kriegstag das Unglück größer macht. Er hatte in seiner Reichstagsrede das mit verschleierten Worten gesagt. Der Graf Westarp trat ihm entgegen, Ludendorff empfing ihn kalt, und da nahm er seinen Abschied.

Die Zeitung, welche ihn von mir zu hart beurteilt fand, ist ein führendes Blatt der Mehrheitsparteien.

Ein Staatsmann muß ein Mann sein, und nicht ein Beamter. Ich glaube, daß Bismarck ein Unglück für Deutschland gewesen ist; aber er war ein Staatsmann, und was ein Staatsmann sittlich sein soll, das kann man an ihm sehen. Bei einer Gelegenheit sagte er zu König Wilhelm: »Ich bin auf das Schicksal Straffords gefaßt; ich habe den Mann stets als anständig empfunden.« Weder Kühlmann, noch die Zeitung, welche ihn zu hart beurteilt fand, haben je daran gedacht, daß ein Staatsmann nicht den Abschied nimmt und sich mit dem beschäftigt, was gerade im Tagesgeschwätz als Kultur bezeichnet wird; sondern daß er so handelt, daß er sich auf das Schicksal Straffords gefaßt machen muß.


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