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Die Stellung der Bildung

(1918)

Man sagt gewöhnlich, in der heutigen Gesellschaft bestimme die Geburt die Stellung eines Menschen, oder das Geld. Für das heutige Deutschland ist das falsch. Weder niedrige Geburt, noch Armut können heute einen Menschen in den untern Schichten halten. Wenn es ihm gelingt, sich Bildung zu erwerben, so kann er überall dahin gelangen, wohin er nach seinen Fähigkeiten und nach der durch diese bestimmten Stellung gehört; er hat sogar die Möglichkeit der Einheirat in die höchsten Schichten, die ja bekanntlich am schwersten zu erreichen ist. Nicht Geburt und Geld, sondern die Bildung trennt heute die Menschheit in zwei scharf geschiedene Klassen.

Wenn man oberflächlich zusieht, so ist das eine sehr erfreuliche Erscheinung. Man denkt an Zeiten und Völker, wo der Geist herrschte, wo etwa, wie im alten Indien, der König von seinem Thron stieg und demütig zu dem bettelnden Brahmanen pilgerte, um sich von ihm darüber belehren zu lassen, was er zu tun habe.

Aber man müßte sehr oberflächlich zusehen, um zu einer solchen Ansicht zu kommen. Was wir heute Bildung nennen, auch die nicht amtlich geforderte und nur auf Abschlußprüfungen gerichtete Bildung, welche jenen gesellschaftlichen Wert hat, das ist etwas ganz anderes als das, was das Wort in seiner höchsten Bedeutung meint, wie sie etwa noch in der Zeit unserer Romantiker herrschte: es ist ein irgendwie erfolgreiches Universitätsstudium und die Beherrschung der während desselben erworbenen Umgangsformen; beides muß an sich mit Bildung im höheren Sinn gar nichts zu tun haben. Neben dem Studium und stellenweise über ihm steht der militärische Dienst in Offiziersstellung, der ja in den niederen Rangstufen subaltern ist.

In den angelsächsischen Ländern spielen Geburt und Geld eine viel größere Rolle als bei uns, dafür aber ist die gesellschaftliche Bedeutung dessen, was wir Bildung nennen, weit geringer. Dieser Zustand soll durchaus nicht etwa verteidigt werden; er ist gewiß im ganzen schlechter wie der unsrige; aber wir können Schwächen und selbst Lächerlichkeiten unserer Zustände besser sehen, wenn wir die angelsächsische Gesellschaft vergleichen. Diese Schwächen und Lächerlichkeiten haben während dieses Krieges eine besondere Bedeutung gewonnen. Manches von dem, was unsere Feinde unsern »Militarismus« nennen, hängt mit ihnen zusammen. Fast alle neuzeitlichen Worte sind ja ungenau geprägt wegen der Ungenauigkeit im Denken der heutigen Völker. Besonders gilt das von den in den angelsächsischen Ländern geprägten Worten, zu denen der »teutonische Militarismus« gehört; wir werden manches von unseren Feinden verstehen, wenn wir uns klarmachen, was sie eigentlich mit diesem Wort meinen.

Wenn ein Bürger bei uns sich durch Tüchtigkeit, Verstand und Ehrenhaftigkeit aus kleinen Anfängen in die Höhe arbeitet, dann wird sicher eine Zeit kommen, wo er sich bitter beklagt über das, was er »Kastengeist« nennt. Nach seiner Stellung im tätigen Leben gehört er zu der höheren Gesellschaft, zu den Menschen, welche irgendwie leiten; gesellschaftlich aber wird er in seiner Stadt nicht vom Herrn Amtsrichter, geschweige vom Herrn Landrat als gleichberechtigt aufgenommen. Der Mann braucht noch nicht einmal die doch fast allgemeine menschliche Eitelkeit zu haben, um diesen Zustand als unangemessen zu empfinden. Sein Sohn, der vielleicht viel weniger wert ist wie er, der sich einige Jahre studierenshalber auf einer Universität aufgehalten hat, irgendeinen kleinen Doktor macht und Reserveoffizier ist, wird gesellschaftlich anerkannt. Deutsche, welche in Amerika zu Bedeutung gelangt sind, haben oft genug den schärfsten Blick für die schlechten Seiten des amerikanischen Lebens, und mancher sehnt sich nach Deutschland zurück; aber wenn er den Versuch machen würde, zurückzukommen, er würde nicht hier leben können; denn sein berechtigtes Selbstgefühl würde beständig verletzt werden; man kann schließlich von einem reichen Mann, der einen Betrieb von einigen tausend Mann leitet, nicht verlangen, daß er sich einem kleinen Leutnant unterordnet.

Es ist ja durchaus richtig, wenn man darauf hinweist, welche lächerliche Verehrung die Engländer für ihre Aristokratie haben, welche widerwärtige Hochachtung die Amerikaner ihren Milliardären erweisen. Aber man vergißt, daß die englische Aristokratie auch eine wirkliche Aristokratie ist, nämlich Geburt, Reichtum und politische Macht vereinigt, daß der amerikanische Milliardär eben wirklich Milliardär ist und dazu die politische Macht in der Hand hat; die durchschnittlichen Menschen sind nun einmal nicht hochsinnig von Natur; vor solchen Verbindungen von Geld, Macht und Geburt beugen sie sich stets freiwillig.

Auch der gemeinste Mensch beugt sich eben so freiwillig vor dem Geist, wenigstens wenn er ihn versteht oder auch nur ahnt. Der Fehler der deutschen Gesellschaftsordnung ist aber, daß zwar idealistisch gemeint ist: die Menschen sollen sich vor dem Geist beugen. Aber gesellschaftlich kann man den Geist nie bestimmen. Wenn man gesellschaftliche Einrichtungen hat, dann muß man die Möglichkeit einer festen Bestimmung haben. Deshalb ist an die Stelle des Geistes von selber die Bildung getreten, die Bildung in dem eben behandelten Sinn. Vor dieser beugt sich aber niemand freiwillig, weder der Gemeine, noch der Edle; er beugt sich nur gezwungen und sagt in seinem Innern je nachdem: »Kastengeist« oder »Militarismus«.

Wir sehen hier die durchgehende Schwäche des deutschen Denkens: es geht zu weit im Verinnerlichen; es vergißt, daß für das tägliche Leben äußerliche, greifbare Dinge notwendig sind; es merkt nicht, daß die Veräußerlichung doch von selber kommt, wenn man zu weit mit der Verinnerlichung gegangen ist, und dann natürlich ganz unorganisch, zufällig und sinnlos wirkt.

Es liegt in der Natur der Dinge, daß herrschende Familien, Kreise, Gesellschaften, Kasten sich irgendeine Ordnung geben. Bei einer herrschenden Aristokratie wie in England ergibt sich diese Ordnung von selber, sie ist in sich vernünftig, weil sie sich aus einem vernünftigen Zustand ergibt – der, nochmals gesagt: durchaus nicht wünschenswert für uns ist. Die Familien kennen sich, man weiß, wo ein begabter junger Mann aufwächst, man bringt ihn in Stellungen, wo er sich bilden kann, und so kommt er allmählich hoch, unbehindert durch die Notwendigkeit einer bürokratischen Laufbahn, die ihm seine Fähigkeiten verderben würde. Die Schule der englischen Staatsmänner ist die denkbar beste der Welt: daß nicht noch mehr aus ihr herauskommt, liegt daran, daß die Rasse an sich überhaupt unbegabt ist. Auch bei den Amerikanern ergibt sich die Ordnung einfach: die Leute, welche die Kunst verstehen, die Menschen für politische Zwecke zusammenzubekommen, vereinbaren sich mit den Milliardären, wie ihrerzeit die Condottieri mit den herrschenden Gruppen der italienischen Städterepubliken sich vereinbarten, und sie haben unter sich einen Geschäftsbetrieb wie andere Geschäftsleute auch, indem sie ihre jungen Handlungsgehilfen sich zu Mitarbeitern heranziehen. In Deutschland haben wir an Stelle dieser, gewiß nicht schönen Einrichtung das Korpsstudentenwesen. Wer einmal zur herrschenden Klasse gehören will, muß durch ein Korps hindurchgehen. Nun sind aber die Studentenverbindungen von Hause aus für ganz andere Zwecke geschaffen, nämlich damit junge Leute nach ihrer Art das Leben genießen können, und diese Art ist natürlich das Mittelmaß der jungen Leute. Es wird auf diese Weise eine ganz unnatürliche Verbindung geschaffen zwischen der Erziehung der künftig herrschenden Klasse und mehr oder weniger kindlichen Betätigungen sich selbst überlassener Jünglinge.

Wenn in Amerika der Boß einer Parteiorganisation mit einer Kapitalistengruppe

seine Geschäfte macht, so ist das gewiß tief unsittlich. Aber man sieht doch den platt vernünftigen Zusammenhang und empfindet den Zustand nicht als jede Vernunft verhöhnend; als jede Vernunft verhöhnend muß der Außenstehende unseren Zustand empfinden, wonach jemand, der einmal auch nur Landrat werden will, mit anderen jungen Leuten eine bestimmte Zeit in einer rauchigen Kneipe sitzen und nach einem blöden Ritus mehr Bier trinken muß, als ihm gut sein kann.


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