Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Arbeit und der Krieg

(1917)

Die Arbeit, das heißt die auf einen noch fernliegenden, zunächst wirtschaftlichen, dann bei höherer Gesittung höheren Zweck gerichtete Tätigkeit ist dem Menschen nicht natürlich. Es hat offenbar lange Zeiträume

gebraucht, bis sie bei den gebildeten Völkern heute als eine Selbstverständlichkeit erscheint. Man erzählt, daß Menschen aus niedrig stehenden, wilden Völkerstämmen, welche alle Vorteile des gesitteten Lebens erfuhren, plötzlich von tiefer Schwermut ergriffen werden, die Kleider von sich reißen und wieder in ihre Wälder und Wüsten fliehen, wo sie gedankenlos in den Tag hineinleben können, ohne den beständigen geistigen Druck der Sorge für das Morgen, ohne die Zielsetzung für ihre Tätigkeit.

Die sogenannten Naturvölker sterben bekanntlich in rätselhafter Weise aus, wenn sie in nahe Berührung mit uns kommen; die Ursachen brauchen nicht in Krankheiten und Lastern zu liegen, welche sie von den Europäern erwerben; sondern es nimmt sie ein merkwürdiger Lebensüberdruß gefangen; die Frauen bekommen keine Kinder mehr, und es wird selbst erzählt, daß die Männer sich heimlich untereinander verpflichten, keine Kinder mehr zu haben. Der Lebensüberdruß wird vor allem erzeugt durch den Einfluß der europäischen Arbeit.

Wir können die Geschichte der gesitteten Völker von heute nicht weit genug zurückverfolgen, um zu wissen, wie die heutige Arbeitskraft bei uns entstanden ist. Aber man kann mit Sicherheit annehmen, daß in den Urzeiten in den Ländern der heutigen Gesittung ein Kampf ums Dasein zwischen Einzelnen, Völkern und Rassen stattgefunden hat, in welchem die arbeitstüchtigsten gesiegt haben.

Die dauernden Siege werden nicht mit dem Schwert erkämpft, sondern mit dem Pflug. Das kriegerischste Volk mag in kurzer Zeit ein weites Herrschaftsgebiet gewinnen; das arbeitstüchtigste wird sich in langer Zeit am weitesten verbreiten. Nach der heutigen Ansicht entstanden die arischen Völker in den Gegenden des heutigen Dänemark und Schleswig-Holstein. Sie haben sich mit dem Schwert neue Sitze erkämpft; daß aber in diesen neuen Sitzen nach Jahrtausenden nicht die Nachkommen der damals Besiegten leben, sondern ihre Nachkommen, das verdanken sie dem Umstand, daß sie auch tüchtigere und weiterblickende Arbeiter waren. Die Urvölker sind vor ihnen dahingeschmolzen, wie die Australier vor den eingewanderten Europäern dahinschmelzen.

Der westliche Zweig der gesitteten Völker von heute ist arischen Ursprungs,

und in ihnen ist die Arbeitstüchtigkeit der Vorfahren vererbt.

Das folgende will nicht mehr sein als ein Einfall. Ich möchte nicht etwa eine Behauptung aufstellen; ich möchte nur dazu einladen, für eine kurze Zeit einmal die Dinge von diesem Einfall aus zu betrachten.

Die Arbeit ist im Lauf der Jahrtausende triebmäßig geworden, und die Befriedigung des Arbeitstriebes gehört für uns zum menschlichen Glück. Man kann behaupten, daß Arbeitsscheue unter uns immer irgendwie krankhafte Persönlichkeiten sind.

Aber welche Art von Arbeit ist das?

Nur wenige von den Gebildeten kennen die einfache körperliche Arbeit, wie sie in den von uns heute als »natürlich« empfundenen Verhältnissen notwendig ist, als deren Hauptvertreterin die bäuerliche Arbeit gelten mag. In ihr findet ein eigentümlicher Ausgleich des Tierischen mit dem Sittlichen statt, der ein tiefes Glück erzeugt, das rein menschlich ist und doch ganz aus dem Tierischen kommt. Die Art der Arbeit, ihre Einteilung, ihr Zweck, ist altherkömmlich, und so ist Sicherheit und Ruhe; aber es muß doch immer im besondern Fall das Herkömmliche neu angewendet werden, es sind auch neue Entdeckungen und Fortschritte jeder Art anzuwenden; und so muß immer eine selbständige Gedankentätigkeit sie begleiten. Neben dieser eigentümlichen Mischung von Ruhe und Tätigkeit im Geistigen ist im Körperlichen eine gleichmäßige Anstrengung aller Kräfte und Glieder unter doch fast nur gesunden Bedingungen, oft bei Anregung der Sinne zu Empfindungen von Schönheit.

Die Leute klagen ja fast immer, und sie sehen meistens mit einem gewissen Neid auf die höheren Berufe, indem sie geneigt sind, die starke körperliche Anstrengung für ein Übel zu halten. Man läßt sich durch diese Klagen leicht irreführen. Aber wir wissen ja selber fast nie, was uns gut ist; unser Bewußtsein täuscht uns da beständig. Man kann schon glauben: wenn überhaupt bei Menschen Glück vorhanden ist, so ist es außer bei Frauen, welche in einer gesunden Häuslichkeit leben, bei den körperlich schwer arbeitenden Männern zu finden, in der wundervollen Müdigkeit des Feierabends, in der Ruhe der Seele, welche keine weiten Ziele sieht und durch die naturgegebenen Zustände befriedigt ist, in der frischen Tätigkeit des Geistes, welcher sich nur lösbare und einfache Aufgaben stellt. Würde man dem Mann die schwere körperliche Arbeit nehmen, so entstände das menschliche Zerrbild des Philisters, der doch nie ohne geheime Unruhe und Unbefriedigtheit ist.

Gewiß ist ja das Glück nicht der Zweck des Menschen; aber es gehört schon sehr viel dazu, um das einzusehen, und noch mehr, um die Folgen aus dieser Einsicht für einen selber zu ziehen. Wenn von irgendwoher das tiefe Glück der großen Menge der Menschen, welches in der früheren Art der Arbeit liegt, gestört werden sollte, dann müßte der Störer gewiß des allgemeinen Hasses sicher sein. Dieser Haß wäre nur so weit bewußt, als den Menschen die Störung selber zum Bewußtsein käme.

Die Summe von Erscheinungen, die man mit dem Wort »Kapitalismus« zusammenfaßt, hat nun eine ganz veränderte Wirkung der Arbeit auf den Arbeiter zur Folge. Es ist, als ob auf jeder Arbeit ein Fluch ruhte, die irgendwie kapitalistisch bestimmt ist: sie macht nicht mehr glücklich, sondern unfroh; sie befriedigt nicht mehr, sondern reizt. Und zwar gilt das von der Arbeit der höheren Stände nun ebenso wie von der des einfachen Arbeiters; sie sind beide betrogen, vielleicht die höheren Stände noch mehr als die Arbeiter: wenn wir wenigstens die Dinge aus dem Gesichtswinkel der Gegenwart ansehen und nicht denken, daß irgendwelche Zukunftspläne, welche wir nicht ahnen können, für die Menschheit ausgedacht sind.

Die Ursachen müssen sehr tief liegen und werden wohl erst zu erkennen sein, wenn der gegenwärtige Zeitabschnitt zu Ende ist. Äußerlich zeigen sich verschiedene Erscheinungen: daß der Arbeiter nicht mehr Herr seiner Arbeitsmittel und seiner Arbeitsleistung ist; daß er nur noch Teilarbeit leistet; daß das Zeitmaß und die Gangart der Arbeit von der Maschine vorgeschrieben wird, und ähnliches. Wir haben heute noch nicht die letzten Folgerungen gezogen; in Amerika ist man damit beschäftigt; und wenn der Krieg zu Ende ist, dann wird man die neuen arbeitsparenden Verfahren auch in Deutschland einführen müssen, die eine selbst heute unerhörte Hast der Arbeit erzeugen. Wenn diese Entwicklung ganz zu Ende gekommen ist, dann wird man sagen können, daß die körperliche Arbeit wenigstens zunächst eine Qual geworden ist, und ähnlich wie der Naturmensch sich gegen die frühere Arbeit der gebildeten Völker wehrte, werden sich diese nun gegen die ganz kapitalistisch gewordene Arbeit wehren.

Ob nun hier nicht eine Ursache der Feindschaft der andern Völker gegen uns liegt?

Der Kapitalismus hat ja seine Weltbedeutung in England gewonnen. Als er sich entwickelte, mußte das englische Volk mit den niederträchtigsten Mitteln in die Fabriken getrieben werden; man kann diese in Marxens »Kapital« nachlesen, dessen Darstellung der dort sogenannten »ursprünglichen Akkumulation« noch immer unübertroffen ist.

Der englische Kapitalismus hat aber die andern Völker nicht unmittelbar mit in den kapitalistischen Kreis gezogen, sondern im Gegenteil, er dachte sich ja die Sache so, daß der Kapitalismus auf England beschränkt bliebe, und die andern Länder durch Lieferung der Rohstoffe und Kauf der fertigen Waren von ihm ausgebeutet würden.

Dazu kam, daß die englische Ausfuhr sich auf einige besondere Warenarten beschränkte, nämlich hauptsächlich Stahl- und Baumwollwaren.

Die Stimmung der übrigen Welt war also England gegenüber: man erhält billig Waren, die teilweise besser sind als die, welche man früher hatte, man verkauft Korn und Vieh, und man bedauert die armen englischen Fabrikarbeiter, welche bei diesem Geschäft die Benachteiligten sind.

Als Deutschland sich in die kapitalistische Bewegung begab, war das alles ganz anders.

Zunächst hat man bei uns nie den schroffen Gegensatz der Proletarier gegen die übrige Gesellschaft gehabt, wie ja überhaupt unsere Gesellschaft sehr ausgeglichen ist. So war bei uns auch nie die Rede von den Schändlichkeitn, welche die ersten Zeiten des Kapitalismus in England begleiteten: die Vertreibung der Bauern, die Armengesetzgebung und ähnliches. Aber dafür teilte sich denn die Hetze der kapitalistischen Arbeitsart auch gleich den übrigen Berufen und Ständen mit. Die Deutschen dehnten sofort den Kreis der Waren aus, welche kapitalistisch

hergestellt wurden. Und durch die ungemein schnelle Entwicklung ihrer Volkswirtschaft erschreckten sie die andern Völker und zeigten ihnen, daß sie überflügelt würden und keine Bedeutung mehr haben würden, wenn sie nicht dem Beispiel Deutschlands folgten. Es ging im Großgewerbe wie mit dem Heer. Wie jede Heeresverstärkung, so bewirkte auch jede Steigerung unseres Großgewerbes selbsttätig eine neue Tätigkeit der andern Völker.

Dadurch wurden diese nun auch in die Hetze hineingetrieben.

Aber der sind die Franzosen und die Südeuropäer körperlich nicht gewachsen; noch nicht einmal die Engländer können es hier mit uns aufnehmen, weil ihnen die Unrast unseres Temperaments fehlt; nur die Amerikaner sind uns gewachsen; aber bei ihnen liegen wieder sonst ganz andere Umstände vor.

Denken wir uns, daß die Naturvölker einen erfolgreichen Widerstand gegen die Europäer leisten könnten: sie würden das doch gewiß tun. In dem Haß der andern Völker gegen uns liegt sehr viel von dem Haß, der durch die Unmöglichkeit entsteht, sich härteren Arbeitsbedingungen anzupassen. Man glaube doch nicht, daß solche Gesinnungen wie der allgemeine Haß der Welt gegen uns sich nur durch die Zeitungshetze bilden. Und auch der Vorwurf des Barbarentums stammt wohl dorther. Denn natürlich muß die gehetzte Arbeit die Menschen barbarisieren, diejenigen Völker, welche ihr nicht gewachsen sind, natürlich am meisten.

Wenn der hier dargestellte Einfall richtig sein sollte, dann ist mit ihm natürlich noch nicht eine Kritik am Kapitalismus geübt: die müßte auf einem andern Blatt stehen. Man könnte sich vorstellen, daß heute mit furchtbaren Mitteln eine Menschenart von höherer Spannkraft gezüchtet wird, die zu den zurückbleibenden Völkern in demselben Verhältnis stände wie der Arier zu den Ureinwohnern Europas; sie entstände auch nicht weit entfernt von den alten Sitzen der ersten Arier. Die Entente wäre dann der Versuch einer Auflehnung gegen diese Züchtung und gegen die Herrschaft der neu gezüchteten Art.

 


 << zurück weiter >>