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Kultur

(1912)

Es ist nicht selten, daß einzelne Personen heute sehr große Einnahmen haben; meistens machen sie dann auch sehr große Ausgaben. Bedürfnisse sind bekanntlich persönlich sehr verschieden, und man kann es mit leichter Mühe dahin bringen, daß man bei einer Ausgabe von hunderttausend Mark jährlich doch immer noch nicht alle Ansprüche befriedigen kann, zu denen man sich berechtigt glaubt; durch nichts leichter gewinnt ja der kindliche Durchschnittsmensch die Ansicht, er sei ein höheres Wesen mit besonderen Rechten, als wenn er viel Geld ausgibt, denn neunundneunzig von hundert Menschen, mit denen ein solcher Mann zusammenkommt, kennen ja keine höhere Pflicht als die, eine solche Vorstellung in ihm zu erwecken. Wer viel Geld ausgibt, sieht mehr Sklaven um sich, als der mächtigste Fürst.

Wer viel Geld ausgibt, macht aber nicht nur andere zu Sklaven, sondern auch sich selber. Das köstlichste Gut, das ein vernünftiger Mensch besitzt, ist seine freie Zeit. Der Unglückliche, welcher sich für verpflichtet hält, jährlich hunderttausend Mark unterzubringen, opfert diese freie Zeit aber den Geschäftsleuten, Dienstboten, der Geselligkeit, den sogenannten Verpflichtungen, der Nachahmung anderer Leute, dem Sichwehren gegen die Personen, die ihm noch mehr abzapfen möchten. Man kann mit Recht klagen, daß alles höhere geistige Leben bei uns im Rückgang begriffen ist. Der Grund ist nicht, wie so oft gesagt wird, daß die Leute zu viel verdienen, sondern daß sie zu viel ausgeben; nicht daß sie zu viel arbeiten, sondern daß sie sich zu viel in dummer Weise vergnügen. Der arme Mann wird das ja nicht glauben, aber es ist doch so: es ist leichter, Verstand zu haben mit zu wenig Geld, als mit zu viel; am besten fährt man natürlich, wenn man ein mäßiges Auskommen hat bei einer nicht sklavischen Arbeit, die es immerhin auch heute noch gibt.

Die deutsche Kultur hat etwa von der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts bis in die zweite Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts hinein geblüht; ihr Träger war der wenig oder gar nicht begüterte Mittelstand;

nicht die eigentliche Aristokratie, auch nicht ein Großbürgertum, das es ja gar nicht gab, sondern die Gelehrten, Beamten und Offiziere, also das gebildete Kleinbürgertum und ein Teil des kleinen Adels, der ja doch nach seinen Lebensverhältnissen zu jenen gehörte. Noch die Männer, welche die großen Kriege geschlagen und Deutschland geeinigt haben, gehörten ihm an. Unter diesen Schöpfern und ersten Trägern der Kultur stand dann eine große Klasse der Handwerker und Gewerbsleute, welche in ihrer Art mit dieser Kultur einen Zusammenhang hatten, oft auch hervorragende Männer für sie geliefert haben. Diese Schicht des gebildeten Kleinbürgertums gab damals denn auch gesellschaftlich den Ton an. Noch ein Fürst wie der alte Kaiser Wilhelm lebte in ihren Anschauungen. Vieles, was wir heute als eigentümlich deutsch bezeichnen, von dem wir uns fälschlicherweise einbilden, daß wir es noch haben, war Eigenschaft dieser bestimmten Klasse: Weites und Enges, Großes und Kleines, Starkes und Schwächliches.

Der außerordentlich schnell gewachsene Reichtum hat eine neue Klasse geschaffen, das Großbürgertum, zum größten Teil aus den Nachkommen jener eben erwähnten unteren Schicht des damaligen Bürgertums, und nicht immer aus ihren vorzüglichsten Bestandteilen. Große Einnahmen, welche aus Handel und Großgewerbe fließen, und aus ihnen sich bildende Vermögen prägen den Menschen immer einen bestimmten Charakter auf, treiben vor allen Dingen immer zu großen Ausgaben. Die Geschichte zeigt uns, daß diese in den meisten Fällen verrohend wirken. Das große Unglück in Deutschland war, daß die früher tonangebenden Klassen vor dem Reichtum ihr Selbstbewußtsein verloren haben; statt festzuhalten, daß allein auf Höheres gerichtete Gesinnung und ein geistiges Sein in Verbindung mit Tüchtigkeit im Beruf und Rechtschaffenheit in der äußeren Lebensführung einem Manne Ansehen verleihen, gab man den Anschauungen aus der andern Gesellschaft nach, bei denen nur solche Dinge maßgebend sind, welche man durch Geld haben kann. So nahm die Überschätzung des Geldes einerseits, anderseits die Sklaverei durch das Geld, im Einnehmen wie im Ausgeben, auch in dieser Gesellschaft überhand; mit dem natürlichen Ergebnis, daß die führende Stellung in der Gesellschaft denn doch auf die Reichen überging und nicht bei den Anderen blieb. Durch geistige Leistung ist nur in den seltensten Fällen nennenswert zu verdienen; das Ergebnis war, daß die geistigen Leistungen abnahmen, daß Künste und Wissenschaften dem gemeinsten Erwerb dienstbar gemacht wurden, und daß ein elendes Strebertum überall Platz griff.

Was haben die Menschen eigentlich davon?

Das Lesen der Alten hat in dieser Zeit ja auch aufgehört; so mag denn folgende Stelle aus einem sehr berühmten Schriftsteller vielen neu sein.

Der jüngere Plinius war gewiß nichts weniger als ein bedeutender oder auch nur selbständiger Mann. Aber er hatte Kultur. Dieser Mann, der einen fürstlichen Reichtum und Rang besaß, schreibt einmal in einem Briefe an einen Bekannten, dem er scherzhafte Vorwürfe macht, daß er nicht einer Einladung zu ihm gefolgt sei: »Auf den Mann warteten ein Kopf Salat, drei Schnecken, zwei Eier, Grütze mit Milch und Eis, Oliven, Mangoldwurzeln, Melonen, Trüffeln, tausend andere ebenso leckere Sachen. Du hättest einen Schauspieler oder Vorleser oder Leierspieler gehört oder – du kennst ja meine Freigebigkeit – alle zusammen. Aber da hast du, ich weiß nicht bei wem, Austern, Euter, Seeigel und Tänzerinnen aus Cadix vorgezogen.«

Wenn heute ein armer Geheimrat seine belächelte Gesellschaft gibt, so würde er ja erröten, wenn er als Hauptgerichte einen Kopf Salat, Schnecken, Eier und Grütze auf den Tisch setzen sollte; wenn er schon nach einem Vorbilde für seinen Speisezettel im Altertum suchte, so könnte der nur beim Petron stehen, etwa: ein bekränztes Schwein, das mit Bratwürsten, gestopften Vögeln, Mangold und Schwarzbrot gefüllt war; kalte Torte mit warmem Honig übergossen; Erbsen- und Bohnensalat; Bärenschinken; Käse; Weinsuppe; Schnecken; ein Gemenge von Leber, Eiern, Rüben und Senf; Austern (man greift in die Schüssel mit Fäusten); Schweineschinken ... der Schluß der Speisenfolge fehlt; sie wurde aber bei einem Freigelassenen gegessen als Totenmahl für einen gestorbenen Sklaven. Wir haben unserer Zeit in der Schule gelernt, daß die Römer durch ihre Üppigkeit zugrunde gegangen seien; das war ja wohl nur eine fromme Sage, die Dinge gingen anders vor sich; aber was hätten unsere alten tüchtigen Schulmeister wohl zu dem heutigen Aufwand gesagt? In Kaufmannskreisen geht das Wort, daß ein Vermögen selten in die dritte Hand kommt; die Nation hat sich die Kaufmannsgesinnung in der Lebensführung zu eigen gemacht, und sie wird ja einmal sehen, ob sich das Wort auch im großen bewahrheitet, ob den Enkeln nicht einmal die Zähne stumpf sein werden von den Herlingen, welche heute die Väter essen.

Wenn eine Klasse das Bedürfnis hat, sich zugrunde zu richten, so kann kein Mensch sie zurückhalten. Der französische Adel vor der Revolution in seinem wahnsinnigen Taumel wurde genug gewarnt, und es hat nichts genutzt. Aber das Furchtbare ist, daß mit dem Untergang einer solchen Klasse doch nicht bloß Menschen zugrunde gehen, sondern eine ganze Kultur, die ja von diesen Menschen doch nicht geschaffen ist, die nach Pflicht und Gewissen von ihnen verwaltet werden soll. Und ein solcher Untergang ist nicht ein plötzlicher Zusammenbruch: der französische Adel war schon tot, ehe er die Blutgerüste bestieg, und das deutsche Bürgertum, das so stolz ist auf den neuen Reichtum, auf die noch vorhandene Tüchtigkeit, hat längst schon die ersten Schritte zum Untergang getan, als es dem Geld die Rolle anwies, die der Kultur zukommt. Noch immer fürchtet man sich ja vor dem roten Gespenst, trotzdem die Sozialdemokratie längst verspießert ist und ein genau so materialistisches Bürgertum vorstellt, wie die Menschen über ihr; noch immer klagen weiche Gemüter über Not und Elend der unteren Klassen, und regt sich dann bei den Reichen das schlechte Gewissen. Aber in unserer Gesellschaft – wer weiß, wann sich eine neue Gesellschaft formt, wie die aussieht – muß es oben und unten geben, und wenn einer das Bewußtsein hat, daß er die Freiheit seiner höheren Stellung anwendet, um am geistigen Leben der Nation mitzuarbeiten, sei es auch nur als Aufnehmender, so braucht er kein schlechtes Gewissen zu haben und keine Unzufriedenheit zu fürchten.

Natürlich nützen solche Predigten ja nichts. Im besten Fall bei dem älteren Geschlecht sagt der Eine oder Andere: der Mann hat recht, das habe ich auch immer gesagt; und wenn nicht meine Stellung wäre, der ich dies und das schuldig bin, so würde ich auch ganz anders leben. Im schlimmeren Fall, der heute bei dem jüngeren Geschlecht wohl schon häufiger ist, ist ein Lächeln der Überlegenheit die einzige Antwort, und das Bewußtsein, daß ein guter Schneider, ein erster Schuhmacher und ein Auto unwiderlegliche Beweismittel sind: es fehlt bereits die Fähigkeit, über Anzug und Auto hinaus zu denken. Das alte Wort » après nous le déluge« ist ja nicht so zu verstehen, daß man sich déluge vorgestellt hat: man hat sich eben gar nichts gedacht. Deshalb möge denn nun, da doch einmal ein Ausspruch des Plinius gegeben ist, noch ein anderer Ausspruch aus ihm folgen, welcher die Nichtigkeit des gemeinen Lebens hübsch schildert: »Es ist seltsam, wie man in der Stadt bei jedem einzelnen Tage die Rechnung seiner Zeit richtig findet oder zu finden glaubt, und wie dies doch nie der Fall ist, wenn man Alles oder das Meiste zusammenrechnet. Denn fragt man: Was hast du getan?, so wird die Antwort sein: Ich wohnte einer Bekleidung mit der männlichen Toga bei, ich war bei einer Verlobung oder Hochzeit; dieser bat mich als Zeugen zu seinem Testament, dieser nahm mich zum Rechtsbeistand an, jener fragte mich um Rat. Alles das ist notwendig, wenn man es tut; wenn man aber bedenkt, daß man es alle Tage tut, so erscheint es als gehaltlos, besonders wenn man sich aus der Stadt zurückgezogen hat. Dann erst fällt einem ein: an welche Nichtigkeiten habe ich so manchen Tag verschwendet! So geht es mir, wenn ich auf meinem Laurentinum etwas lese oder schreibe oder des Körpers pflege, dessen der Geist zu seiner Unterstützung bedarf. Dort höre ich nichts, was mich reut gehört zu haben, rede nichts, was mich reut geredet zu haben; dort wird niemand herabgesetzt, ich selbst tadle niemand als mich selbst, wenn ich ungeschickt schreibe. Mich plagt weder Furcht noch Hoffnung, mich kümmert kein Geschwätz. Ich rede bloß mit mir und meinen Büchern. O süße und achtungswerte Muße, fast schöner als jedes Geschäft! O Meer! O Gestade! Du wahrhafter und heimlicher Musensitz! Wie vieles dichtet und schafft in mir! Darum verlasse auch du bei der ersten Gelegenheit jenes Getöse, jenes nutzlose Hin- und Herrennen, jene abgeschmackte Geschäftigkeit, und ergib dich der Wissenschaft oder der Muße. Denn wie unser Acilius so gelehrt als witzig sagt: »Besser müßig sein als nichts tun.«


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