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Der Krieg und die Kunst

(1915)

In früheren Zeiten hatten es die Künstler besser als heute. Man hatte sein Handwerk gelernt und machte seine Sache, wie man konnte. Heute hat sich eine große Klasse von Personen gebildet, welche über Kunst schreiben; diese Leute stehen zwischen dem Künstler und dem Publikum und sagen dem Künstler, was er machen soll, und dem Publikum, was es sich bei dem, was die Künstler machen, zu denken hat. Das Publikum scheint diese Leute ja für nötig zu halten, die Künstler denken anders über sie.

Aus den Kreisen der Schriftsteller, die sich in dieser Weise mit der Kunst beschäftigen, ist nun jetzt die Losung gekommen, daß der Krieg befruchtend auf die Künstler einwirken müsse, und mehr oder weniger deutlich wurde den Künstlern die Aufgabe gegeben, nun den Krieg darzustellen. Wir erleben auch bereits nicht nur von seiten solcher Leute, welche der Nachfrage zu genügen pflegen, Kriegsdarstellung; vielleicht ist da eine Untersuchung über die Gefahren eines solchen Betriebes jetzt nicht ganz überflüssig.

Man muß unterscheiden erstens: der Krieg soll im allgemeinen befruchtend wirken, also doch wohl entweder Empfindungen bei den Künstlern erzeugen, die sonst nicht vorhanden waren, oder ihnen Wirklichkeitsstücke geben, die sie sonst nicht hatten, und zweitens: der Krieg und das, was mit ihm zusammenhängt, soll dargestellt werden, indem gewissermaßen die gegenwärtige Zeit als eine allgemeine Auftraggeberin gedacht wird, welche Kunstwerke mit bestimmten Inhalten bestellt.

Wir wollen das Zweite zuerst betrachten, denn das Mißverständnis ist hier am klarsten.

Man erinnert sich wohl der allgemeinen Schlachtenbilder, wo im Vordergrund ein Offizier mit der rechten Hand den Säbel von sich streckt, den linken Fuß vorsetzt und den Kopf zurückwendet zu Soldaten, die ihm mit gefälltem Bajonett folgen, indessen im Hintergrund Pulverrauch und durch farbige Vierecke angedeutete Truppenkörper zu sehen sind. Je nachdem sieht man den Offizier von vorn oder vom Rücken, und die Unterschrift unter dem Bild lautet je nach dem Namen der Schlacht, welche durch diese gemalten Offiziere und Soldaten angeblich dargestellt wird. Der arme Mensch, der das Bild gemalt hat, stand ungefähr vor derselben Aufgabe, die in dem niedlichen Gedicht der reiche Bauer dem Maler stellt, daß er ihn und sein Weib in und außer dem Haus, beim Mähen, Melken, Essen, Heiraten und Kindtaufen abmalen soll. Eine Schlacht ist ein Vorgang, noch dazu ein sich aus vielen Tausenden von Einzelvorgängen zusammensetzender Vorgang; und man kann wohl einen einfachen Vorgang malen, wenn durch eine Bewegung ein Vorher und Nachher deutlich gemacht wird, aber natürlich nicht so einen verwickelten, daß zwei große Heere von vielen tausend Mann der verschiedensten Truppengattungen einen ganzen Tag hin und her marschieren, schießen, reiten, fallen, fliehen, verfolgen. Jener unglückliche Mann, der die Schlacht trotzdem malen muß, hilft sich, indem er in Wirklichkeit etwas anderes malt: vor einem Hintergrund, der eine Schlacht andeutet, wie der Nichtmaler sie sich vorstellt, malt er einige Gestalten in einer Bewegung, welche nach seiner Ansicht den Empfindungsgehalt einer Schlacht ausdrückt. Diese Ansicht ist natürlich grundfalsch; aber das schadet ihm nichts, denn merkwürdigerweise glauben sogar Leute, welche eine Schlacht mitgemacht haben, daß die Sache so stimmt.

Ein Freund zeigte mir einmal ein Lichtbild nach einem Gemälde von Delacroix, das ein in der Schlacht gefallenes Pferd darstellte, nichts weiter. Trotzdem ich nur das Lichtbild sah, hatte ich hier doch plötzlich in der eigenen Seele die Empfindungsmasse der Schlacht, nur durch das Lichtbild eines kleinen Gemäldes, das ein totes Pferd darstellte.

Weshalb sind jene Schlachtenbilder lächerlich und wirkt dieses Bild furchtbar? Weil Delacroix ein guter Maler war und die anderen Leute nicht.

Was die Leute wollen, ohne es zu wissen, wenn sie ein Schlachtenbild wünschen, das ist der Empfindungsgehalt der Schlacht, die furchtbare Erschütterung; aber nicht in der rohen und harten Wirklichkeit, sondern in der Verklärung der Kunst. Sie können es sich als Laien nicht anders vorstellen, als daß man diese Erschütterung erzeugt, indem man eine zweite Schlacht auf die Leinwand bringt, die der ersten gleicht, welche in der Wirklichkeit auf dem Felde geschah. Diese Vorstellung ist aber falsch; in Wahrheit ist die Erschütterung nur zu erzeugen, wenn ein Künstler mit einer großen Seele sie in sich erlebt, und für diese seine Empfindung einen Ausdruck künstlerisch gestaltet; das ist nur möglich mit den Mitteln der betreffenden Kunst überhaupt und mit den Mitteln, welche gerade diesem Mann zur Verfügung stehen, im besonderen. Mit anderen Worten: der Empfindungsgehalt eines Kunstwerkes ist nicht abhängig von dem Vorgang in der Wirklichkeit, bei dem er in der Wirklichkeit vorhanden war; sondern er kommt aus der Seele des Künstlers und wird durch jeden beliebigen Inhalt des Bildes ausgedrückt; diesen Inhalt sucht sich der Künstler aus den Gesetzen seiner Kunst und der Art seiner Begabung. So ist es zu verstehen, wenn man sagt, daß jedes Kunstwerk sinnbildlich ist.

Es ist hier ein Beispiel aus der Malerei genommen; man könnte aber ebensogut ein Beispiel aus irgendeiner anderen Kunst wählen. Äschylus hat in seinen »Persern« den gewaltigen Empfindungsgehalt ausgedrückt,

den die Perserkriege für die Griechen hatten; nichts ist dargestellt wie ein Weib, das seinen Mann erwartet, und ein Mann, der mit einem leeren Köcher heimkehrt. Dennoch erfüllte das Drama für die Griechen seine Aufgabe und würde noch heute auf uns, die wir mit den Perserkriegen doch gewiß nichts zu tun haben, eine starke Wirkung ausüben, wenn wir für die Art der Darstellung heute noch Verständnis hätten.

Aus den beiden Beispielen ersehen wir auch das, was man früher das »allgemein Menschliche« nannte. Große Kunst wächst aus völkischen Bedingungen, ist aber in ihrer Wirkung nicht mehr völkisch, sondern allgemein menschlich. Delacroix war ein Franzose und hat als solcher gemalt, Äschylus ein Grieche und hat als solcher gedichtet; bei beiden würde man aber nicht mehr an französische oder griechische Schlachten denken, sondern wer ein fühlendes Herz für die Kunst und eine Seele, groß genug für hohe Empfindungen, hat, der findet seine eigenen Empfindungen bei ihnen wieder, und so kann ganz gut der Deutsche als Deutscher von dem Franzosen Delacroix heute erschüttert werden. Wenn also die Künstler jetzt auf die Schriftsteller hören, so können sie nur in Gefahren kommen. Die Schriftsteller, welche eine Verherrlichung der deutschen Waffentaten verlangen, meinen es gewiß gut mit allen Teilen; aber ebenso, wie etwa ein General heute auf wohlgemeinte Ratschläge antworten wird, daß die Vaterlandsliebe im Krieg nicht genügt, sondern daß vor allem Begabung und Fachkenntnis nötig sind, ebenso sollte auch der Künstler antworten. Jene alten Schlachtenmaler hätten, wenn sie sich nicht hätten dreinreden lassen, vielleicht teilweise gute Stilleben oder Landschaften malen können, während sie so nur sich und auch die Nation geschädigt haben.

Und nun die erste Forderung: der Krieg soll allgemein befruchtend wirken.

Der volkstümlichen Vorstellung vom Künstler am Nächstliegenden ist der Gedanke, daß der Krieg in den Künstlern Empfindungen erzeugen soll, die sie sonst nicht gehabt hätten. Es wäre das eine höhere Stufe gegenüber dem vorigen Verlangen, daß sie nun glatt und einfach den Krieg malen sollen; aber auch hier muß man doch sehr vor Gefahren warnen.

Was für jeden Künstler das Wichtigste ist, das ist die »Natur«, seine Natur nämlich, die Reinheit und Ausgeglichenheit seines Innern. Ein Kunstwerk muß entstehen im Künstler wie das Kind in der Mutter; es muß sich nähren und sich bilden aus den Lebenskräften des Künstlers, und dieser Vorgang darf nicht von außen gestört werden.

Nun wird gewiß der Durchschnitt der Menschen durch ein so großes Ereignis, wie der Krieg ist, wenigstens für einige Zeit auf eine höhere Stufe gehoben, obwohl man sich da auch vor Überschätzungen hüten muß; aber das bedeutet doch nichts weiter, als daß der Durchschnitt eben gewöhnlich unter dem Höchststande steht, den er einnehmen könnte; er steht unter ihm, weil der durchschnittliche Mensch eben der durchschnittliche Mensch ist, dessen Geist vielleicht willig sein mag, aber sein Fleisch bleibt immer schwach. Der Künstler, der wirkliche Künstler, muß aber schon von selber beständig die Kraft haben, sich auf der höchsten Höhe zu erhalten, die ihm nach seiner ganzen Art zugänglich ist; jede Art von Trägheit oder Feigheit ist für ihn die Sünde gegen den heiligen Geist, die Sünde überhaupt. Er wird also kaum durch Erleben, auch des Stärksten und Höchsten, noch gesteigert werden können; dafür aber besteht die Gefahr, wenn er die vielen gegen früher gesteigerten Menschen um sich sieht, daß er nun sich bewußt selber steigern will, seiner »Natur« Gewalt antut, und nun, mit dem besten Willen von der Welt, unwahre und gespreizte Werke schafft.

Goethe wird immer das schönste Beispiel für einen Künstler bleiben, der seiner »Natur« nie Gewalt antat. Von den Freiheitskriegen ist er vermutlich tiefer erschüttert gewesen als mancher Philister, der damals begeisterte Gedichte machte; aber er wußte, seine Natur war nicht so beschaffen, daß in ihr ein Werk wachsen konnte, welches den Empfindungsgehalt dieser Zeit ausdrückte, und so schwieg er. Noch heute werden ihm von Unverständigen Vorwürfe darüber gemacht. Hätte Schiller noch gelebt, so hätte der eine Dichtung geschrieben, welche den damals in der Nation lebenden Geist ausgedrückt hätte.

Was endlich die Möglichkeit betrifft, daß der Künstler durch den Krieg Wirklichkeitsstücke bekommt, die er sonst noch nicht hatte, so ist dagegen wohl nichts zu sagen; jede Wirklichkeit ist wichtig für den Künstler – freilich immerhin nie so wichtig wie seine Fähigkeit, mit ihr etwas zu machen. Hier aber ist der Krieg ja offenbar nicht grundsätzlich verschieden von allem äußeren Geschehen und Sein.

Vielleicht ist aber mit dem ganzen Wunsch, daß der Krieg unsere Kunst befruchten möge, ganz etwas anderes gemeint, und drücken sich die Menschen nur falsch aus.

Dem Volk ist zum Bewußtsein gekommen, daß es im Begriff war, in Materialismus zu versinken; nun erlebt es eine große sittliche Bewegung in sich; und so hat es den Wunsch, daß die Gemeinheit und Albernheit, die während jener materialistischen Zeit in der naturgemäß auch materialistischen Kunst herrschten, nun verschwinden mögen, und daß wieder eine ernste nnd wertvolle Kunst erstehe. Der Wunsch ist gewiß berechtigt; aber wer ihn ausspricht, der möge sich klar machen: zu seiner Erfüllung wäre vor allen Dingen nötig, daß die Nation nicht nur während des Krieges, sondern auch dauernd nachher sich auf der ihr zukommenden sittlichen Höhe hält. In der Wüste ist kein Prophet möglich; nur in einem Volke, das, mag es sonst sein wie es will, wenigstens ihm zuhört, wenn er spricht.


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