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Der Chef

(1917)

Der Beamte ist Untergebener eines Vorgesetzten; der Handwerker ist Geselle eines Meisters; der Arbeiter ist Mann eines Herrn. Man könnte wahrscheinlich noch einige andere Arbeitsverhältnisse finden, bei denen die im Verhältnis stehenden Personen durch eigentümliche Wörter bezeichnet werden.

Diese eigentümlichen Wörter verschwinden heute allmählich, und es setzt sich ein neues allgemeines Wort für sie durch, welches aus dem Französischen genommen ist: das Wort Chef. Zuerst wurde es in kaufmännischen Betrieben gebraucht, dann ging es auf die Beamten über, und heute scheint es auch bei Handwerkern und Arbeitgebern sich einzubürgern.

Das französische Wort könnte man ganz genau mit dem Wort Haupt ins Deutsche übersetzen. Haupt hat auch bei uns eine sinnliche und eine übertragene Bedeutung: Haupt des Körpers, Haupt einer Verschwörung. Bei den Franzosen wurde in der älteren Sprache Chef auch noch sinnlich gebraucht statt des heute allgemein üblichen têtê; gegenwärtig verwendet man es nur in der übertragenen Bedeutung.

Wie soll man diese Wandlung der Sprache auffassen?

Man kann sagen, daß hier wieder einmal eine einfältige Fremdwörterei geschieht. Aber damit hat man nichts erklärt. Man kann beklagen, daß wieder einmal die besonderen, inhaltreichen Ausdrücke durch einen allgemeinen, scheinbar viel- und wirklich nichtssagenden Ausdruck ersetzt werden. Aber damit hat man auch nichts erklärt.

Wie ist der Vorgang?

Das Wort wird für Vorgesetzten, Geister, Herrn und ähnliche Wörter gebraucht. Es ist allgemeiner wie diese. Die Sprache wollte offenbar aus den vorhandenen besonderen Werten keins herausnehmen und ihm diesen allgemeinen Wert verleihen, wie sie es etwa mit dem Wort »Herr« hätte ganz gut tun können. Sie wählte ein Fremdwort.

Ein Fremdwort ist wie ein Reis, das von einem fremden Baum abgeschnitten und in unsern Garten gesteckt wird. Es hat bei uns keine Wurzeln. Sollte es nicht gerade erwünscht gewesen sein, ein solches wurzelloses Wort zu haben?

Der Vorgesetzte ist ein Mann, der von einem höhern Mann vorgesetzt ist; dieser höhere Mann ist wieder durch einen höhern vorgesetzt und so hinauf bis zum König, der seine Stelle vor den Andern von Gott erhalten hat. Das Wort »Meister« ist nicht deutschen Ursprungs, es ist aus dem lateinischen » magister« entstanden und nur eingedeutscht. Aber diese Eindeutschung ist so geglückt und hat vor so langer Zeit stattgefunden, daß wir es als deutsch empfinden, auch wenn wir keine deutsche Wurzel dafür haben; es hat in unserm Garten Wurzel geschlagen. Wir denken bei »Meister« an das Können, die Reife des Alters, den ansässigen, mit dem Ort verwachsenen Bürger, dem der jüngere Mann, welcher das Können und die Reife noch nicht hat, zugesellt ist. Wieder andersartig ist der Inhalt des Wortes »Herr«. Der Arbeiter ist ein Mann, der für einen andern, welcher Herr eines Besitzes ist, an diesem Besitz seine Arbeitskraft betätigt. Das Wort »Herr« geht nicht auf die Beziehung zum Arbeiter, sondern zum Gegenstand der Arbeit; der Herr ist nicht »mein Herr«, sondern »der Herr«. Die Beziehung ist also viel allgemeiner als in den beiden andern Fällen. Das Wort bedeutet vor allem, daß der Arbeiter an Fremdem schafft, nicht an Eignem. Es können auch Männer, die man sonst nicht als Arbeiter bezeichnet, in das Verhältnis zu einem Herrn treten; wenn der Maurermeister für jemand ein Haus baut, so ist dieser der Bauherr.

Das Wort »Chef« hat nichts von diesen Nebenbezügen und Nebenbedeutungen, denn es hat keine Geschichte, keinen Zusammenhang mit uns und unsern Zuständen, keine Wurzel. Es drückt nur das aus, was es heute, in diesem Augenblick unserer Zeit, nach dem Willen derer ausdrücken soll, welche es gebrauchen.

Der »Vorgesetzte«, der »Meister« drücken allgemeine menschliche Beziehungen aus. Der Vorgesetzte ist deshalb der Vorgesetzte, weil sein Recht bis zu Gott hinaufgeht. Der Meister ist deshalb der Meister, weil er die Reife, Festigkeit und Mülle des Lebens darstellt gegenüber dem Gesellen. Die Beziehung des Untergebenen und Gesellen kann sich nie im Arbeitsverhältnis erschöpfen, sie muß immer menschlich werden. Bei den Beamten drückt sich das noch heute im Dienstverhältnis aus, das auch über die Arbeit hinausgeht; bei den Handwerkern äußerte es sich darin, daß die Gesellen im Haushalt des Meisters lebten wie erwachsene Söhne. Der »Herr« drückt eine solche allgemein menschliche Beziehung nicht aus; aber durch eine Zweideutigkeit wurde ste doch in dem Wort gefunden. Man verwechselte gefühlsmäßig den Herrn der Sache – Bauherrn, Fabrikherrn – mit dem alten Grundherrn, welcher Herr der Menschen war, weil die Arbeiter seine Leibeignen waren. Die Lage gab ja oft genug Gelegenheit dazu, daß der Fabrikherr sich als Feudalherr fühlte und den Arbeitern als solcher erschien; und so erhält denn auch dieses Wort, wenn auch unrechtmäßigerweise, eine menschliche Beziehung.

Diese menschliche Beziehung des Wortes »Herr« ist ja nun sicherlich den Menschen von heute unerwünscht; sie ist es ja überhaupt, seitdem sie mit dem Sturz des Feudalismus ihren Sinn verloren hat: daß der Leibeigene den Acker des Herrn bebaut, der dafür seine Kriegslasten und gewisse Verwaltungspflichten übernimmt. Aber auch die andern menschlichen Beziehungen werden heute nicht mehr gewünscht. Die allgemeine Richtung geht ja auf einen Zustand der Gesellschaft, in welchem die menschlichen Beziehungen aufgehoben sind und nur sachliche noch bestehen.

Der Mensch von heute will nicht mehr in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen, das bis auf Gott zurückgeht, oder das nach der Ähnlichkeit des Vater-Sohn-Verhältnisses geschaffen ist, oder das mit dem Feudalherrn-Verhältnis verwechselt werden kann. Er will nur noch die von ihm geforderte Arbeit leisten und den Mann, welcher die Arbeit ihm aufträgt, als nichts anderes betrachten wollen als eben den Mann, der ihm die Arbeit aufträgt. Es hat also durchaus seinen Sinn, daß er sich gegen die alten Wörter sträubt. Er hat für den neuen Begriff lein altes Wort gefunden, das er ihm anpassen konnte, und so hat er denn das gänzlich leere Fremdwort gewählt. Der Vorgang ist genau so in der Philosophie.

Die Philosophie bildet in ihrer Entwicklung Begriffe, welche früher noch nicht da waren, für welche es also noch keine Worte gab. Sie kann nun entweder den vorhandenen Worten der Sprache ihren neuen Sinn zuerteilen, so daß das Wort in herkömmlicher Verwendung das bedeutet, was es immer bedeutete, bei den Philosophen aber den neuen Begriff bezeichnet. So gingen die Inder vor, die Griechen und die Deutschen, als Eckehart und noch als Jakob Böhme dachten. Man denke an das Wort Brahma. Oder sie kann neue Wörter bilden. Sie kann das so machen, wie es Krause machte, ein weniger bekannter Philosoph aus unserer klassischen Zeit, in einigen Fällen auch schon Jakob Böhme, indem sie diese Wörter aus deutschen Wurzeln neu bildet. Man denke an das Ichts bei Böhme. Oder sie kann die Neubildung aus fremden Wurzeln vornehmen, wie es im wesentlichen unsere klassische Philosophie getan hat in Erbschaft der mittelalterlichen Scholastik, welche lateinisch schrieb und die Neubildungen denn auch natürlich aus lateinischen Wurzeln vornahm. Man denke an das Wort Entität. Es kommt noch dazu, daß sie auch aus Philosophen in andern Sprachen, welche früher diese Begriffe geschaffen haben, die von diesen angewendeten Worte übernehmen kann; so hat es die gesamte neuere Philosophie getan. Man denke an das Wort Idee.

Ob ein Wort aus einer fremden Wurzel neu gebildet wird, wie Entität, oder einfach übernommen, wie Idee; es ist auf jeden Fall ein fremdes Reis in unserm Garten, es drückt immer nur den gewollten Begriff aus, wie das Wort Chef nur den heute gewollten Begriff ausdrückt. Das hat nun den ungemeinen Vorteil, daß es das Denken sehr erleichtert. Man erinnere sich an die Mathematik. Man setzt hier willkürliche Zeichen ein, welche nichts weiter aussagen, als sie aussagen sollen, und mit diesen arbeitet man nun. Dabei kann man sehr bald zu Begriffen kommen, welche unvernünftig sind, die imaginären Zahlen. Diese kann man überhaupt nicht denken; etwa √-1 ist unvorstellbar. Trotzdem aber kann man, weil man die willkürlichen Zeichen hat, mit ihnen arbeiten und kommt durch ihre Hilfe zu richtigen Ergebnissen. Man kann soweit kommen in den nichteuklidischen Geometrien, daß man mit einem Raum arbeitet, den wir uns nicht vorstellen können, daß man also Geometrien schafft, welche neben der euklidischen unseres dreifach ausgedehnten Raumes stehen, welchen wir allein uns vorstellen können.

Aber das hat auch eine ungemein große Gefahr. Ich will sie an einem Beispiel erläutern.

Das platonische Wort Idee könnte man ganz gut durch Gesicht übersetzen (natürlich nicht visus, sondern visio, nicht der Sinn des Anschauens, sondern eine bestimmte Gattung Anschauung). Wenn ich nun etwa dem Gesicht Gott das Sein zuspreche, so ist das etwas ganz anderes, als wenn ich eine solche Aussage von der Idee Gott mache. Im ersten Fall weiß ich sofort, daß ich etwas ganz anderes meine, als wenn ich etwa sage: dieser Tisch oder Stuhl ist. Im zweiten Fall weiß ich das nicht sofort, ich muß es mir erst jedesmal klarmachen. Ich mache mir das aber nicht jedesmal klar.

Der Unterschied zwischen Mathematik und Philosophie ist, daß die Mathematik nur mit willkürlichen Zeichen rechnet, daß bei ihr also jedes Zeichen für einen Begriff eindeutig ist; die Philosophie aber wendet außer jenen toten Wörtern auch noch lebendige Wörter an. Das Wort »Idee« ist für uns tot, das Wort »Sein« aber ist lebendig. Wenn ich nur lebendige Wörter zusammenstelle, dann kann ich nie mißverstanden werden, dann kann ich mich selber auch nie mißverstehen.

Schon Kant scheint die Gefahr gefühlt zu haben, welche für unser deutsches Denken hier liegt. Fichte muß sie in seiner letzten Zeit ganz bewußt gewesen sein.

Wir schicken uns heute an, nach einer langen und öden Pause wieder da anzuknüpfen, wo unsere klassische Philosophie aufgehört hat. Wir wissen, daß ihre Gegner unrecht hatten, und daß sie mit ihrem aus Kants Kritik entwickelten Idealismus recht hatte.

Aber sie hatte nur recht in dem, was sie meinte, und nicht in dem, was sie sagte. Sie hielt sich für Wissenschaft. Das ist sie nicht. Sie mußte sich dafür halten, weil sie durch die Verbindung der toten Wörter mit den lebendigen einen falschen Begriff von Sein, wie sie es meinte, selber bekam und verbreitete. Sie glaubte, man könne durch den Begriff das Sein erfassen. Sie hatte recht damit nur, wenn sie sich immer an das Sein der Gesichte gehalten hätte.

Einer der Gegner unserer klassischen Philosophie, Benecke, meinte, daß die Engländer, Franzosen und Italiener in der Philosophie weiter gekommen seien als wir, weil wir spekulativ seien.

Das ist ein Mißverständnis. Die neueren Engländer, Franzosen und Italiener können nicht »spekulieren«, weil ihre Sprache nicht lebendig ist. Was bei uns als ein Unglück geschieht, welches zu vermeiden wäre, das ist bei ihnen Notwendigkeit. Sie können mit ihrer Sprache nur die Erfahrung ausdrücken. Die Erfahrung ist aber im Bereich des Denkens begrenzt, und deshalb können sie schnell zu einem Ende kommen. Man kann sich nicht denken, daß das englische Denken etwa über Hume hinauskäme; es ist mit ihm abgeschlossen. Das kann nun freilich Eindruck machen auf die Menschen: es entstehen scheinbar unbedingt sichere Ergebnisse.

Es geht ja auf allen geistigen Gebieten so. Engländer und Franzosen glauben etwa doch heute in diesem Krieg, daß sie die unbedingt richtige Staatsform gefunden haben; und bei uns gibt es viele Leute, welche uns für politisch unbegabt halten, weil wir das von uns nie glauben können, weil wir an solche endgültigen Wahrheiten überhaupt nicht zu glauben vermögen.

Aber deshalb haben wir auch eine Zukunft, und unsere Feinde, mit Ausnahme vielleicht der Russen, haben keine. Wenn wir glauben, Endgültiges gefunden zu haben, dann haben wir uns sicher geirrt, wie wir uns in unserer klassischen Philosophie geirrt haben, als wir sie für Wissenschaft hielten. Franzosen und Engländer haben das Endgültige gefunden.

Wenn man so die Dinge betrachtet, so wird man den Kampf gegen die Fremdwörter, der ja oft kleinlich scheint, verstehen als aus dem tiefsten Lebensgefühl des Volkes entstanden. Man wird verstehen, weshalb er immer in Zeiten völkischen Selbstbewußtseins aufflammen muß; man wird vielleicht sich auch sagen, daß man Begriffen, welche durch ein Fremdwort ausgedrückt werden müssen, stets mißtrauen sollte. Daß das Wort »Chef« sich verbreitet, das ist kein gutes Zeichen.


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