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Luxus und Luxus

(1918)

Der Krieg hat uns gezwungen, unsere Lebensführung mit neuen Augen anzusehen. Es ist uns klar geworden, daß nach dem Kriege das Leben anders werden muß, als es vor dem Kriege war; der eine gelangte zu dieser Einsicht aus der Erwägung, daß ein Zustand, welcher etwas derart Ungeheures erzeugte, nicht wiederkehren dürfe; und der andere aus dem einfacheren Gedankengang, daß die Werte, welche der Krieg verschlungen hat, wieder ersetzt werden müssen durch Arbeit, Einteilung- und Sparsamkeit.

Bei solchen Erwägungen wird naturgemäß der Luxus heftig angegriffen. Man wirft ihm vor, daß er Ausdruck zugleich und Ursache eines sinnlich gerichteten Dranges der Seele ist, und man berechnet, daß bei ihm die Sparsamkeit am ersten beginnen kann und muß.

Aber Luxus ist ein sehr schwankender Begriff.

Es ist ja leicht, zu sagen, daß jeder Verbrauch, der nicht unbedingt notwendig ist, ein Luxusverbrauch ist. Aber nicht nur, daß man über das, was unbedingt notwendig ist, nie eine Einigung unter den Menschen wird herbeiführen können; das, was von allen anerkannt wird, als über das unbedingt Notwendige hinausgehend, ist derartig untereinander verschieden, daß man es nicht in eins zusammenfassen kann; wenn man genauer zusieht, so findet man, daß die Bestimmung des nicht unbedingt Notwendigen eben die einzige ist, welche den Begriff macht; und daß man es also mit einem Begriff zu tun hat, den man eigentlich noch nicht einmal in ermahnenden Reden verwenden sollte, geschweige denn bei gesetzgeberischen Vorschlägen.

Aber in jenem Gedanken, daß der Luxus eine große Schuld trägt, und daß man ihn nach Möglichkeit bekämpfen müsse, ist doch unzweifelhaft eine Wahrheit enthalten. Wir stehen hier also vor einem jener nicht seltenen Fälle, wo durch die Schuld der Sprache ein richtiges Gefühl falsche Vorstellungen erzeugt.

Daß Essen, Trinken, Kleidung und Wohnung unbedingt notwendig sind für uns Kulturmenschen, ist wohl keinem Zweifel unterworfen, denn die Einwände des Zynikers und Naturmenschen pflegen wir zu übergehen. Man kann Wissenschaft und Technik, sofern sie diesen Bedürfnissen dienen, mit zu ihnen rechnen. Aber sobald das höhere Leben der Menschheit in Frage steht, wird die Antwort schon bedenklich. Daß Religion unbedingt notwendig für den Menschen ist, kann man nur behaupten, wenn man gleichzeitig ein Urteil über den Manschen abgibt, das nicht jeder anzunehmen braucht und auch nicht jeder annimmt, nämlich, daß der Mensch nicht da sei, um zu essen und zu trinken, sondern um den Willen Gottes zu erfüllen; und wenn wir etwa sagen, daß dieses Urteil eben von den höheren Menschen abgegeben werde, nach denen sich doch die Auffassungen richten müssen, so wird immer eine große Menge vorhanden sein, welche die Bewertung der so gearteten Manschen als höhere und ihre damit geforderte Führerschaft ablehnt. Es hat genug sozialistische Lehrer gegeben, welche die Religion als bloßen Luxus, ja als verderblichen Irrwahn ausrotten wollten.

Die Sache ist nicht so lächerlich, wie sie erscheint, wenn wir gerade das äußerste Beispiel betrachten; wir werden auf sehr schwierige Fragen stoßen, wenn wir genauer forschen.

Die katholische Kirche treibt einen sehr großen Luxus – wir wollen das Wort gebrauchen – mit kostbaren Meßgewändern, Kleinodien aller Art, Silber- und Goldarbeiten. Wir sind gewohnt, einen Teil dieser wertvollen Dinge als Kunstwerke zu bezeichnen, und da unsere Zeit vor der Kunst eine – unbegreifliche, weil sie sie durch nichts beweist – Achtung hat, so könnte man sich denken, daß man diesen Teil laufen ließe. Aber auch was Kunst ist, das ist schwer zu bestimmen. Es gibt gewiß Leute, welche das herrlichste Meßgewand nicht anders betrachten können als mit dem Gedanken an die Arbeitstage,

welche es gekostet hat; und diese Leute sind gegenwärtig in der Mehrzahl. Man vergesse nicht, daß die künstlerische Verarmung der Protestanten aus einer solchen Gesinnung kommt. Aber wer unbefangen urteilt, der wird gewiß zugeben: die katholische Kirche hat recht mit ihrem Luxus; recht nicht bloß im gewöhnlichsten Sinne, daß durch ihn eine Wirkung auf die fromme Menge erzielt wird, sondern in dem höheren Sinn, ja in dem höchsten; denn das Sinnliche ist nun einmal untrennbar mit dem wirklich Geistigen (nicht: dem Intellektuellen, das wir heute oft mit ihm verwechseln) verbunden; harmonisch verbunden im Kunstwerk; und eine geformte und lebendige Religion wird mit jeder Kunst eng verknüpft sein, auch mit dem, was wir heute als Kunstgewerbe abspalten von der literatenhaft aufgefaßten höheren Kunst.

Sie ist so nicht nur mit der Kunst verbunden, sondern auch mit dem Naturschönen.

Zu dem Naturschönen gehören nun eine Menge Dinge, welche man unzweifelhaft als Luxusgegenstände immer betrachten wird, so Edelsteine und Perlen.

Vielleicht wird man einmal das Kunstschöne irgendwie begrifflich fassen können; bei dem Naturschönen wird das nie gelingen; und die Folge davon wird immer sein, daß Menschen, welche nicht die Sinne und den Geist haben, um es auf sich wirken zu lassen, niemals seinen höheren Sinn verstehen können. Das ist ja kein Vorwurf. Verständnis für diese Dinge haben oft recht minderwertige Menschen, und hochstehende haben es nicht; aber zum vollkommenen Menschen wird es doch gehören, daß er auch den tausendfach verschiedenen Zauber aller der verschiedenartigen Edelsteine fühlen kann: ich habe mir immer gedacht, ein solcher Mensch müßte im höchsten Sinn fromm sein. Vielleicht gäbe man alles zu, das bis jetzt gesagt ist; man erkennte die Macht der Religion an, man gestattete ihr, sich mit allem Schönen zu schmücken; aber man gestattete diesen Schmuck nur in Verbindung mit dem Höchsten. Es wäre ein solcher Gedankengang möglich, und manche Völker der Vergangenheit sind ihm ja gefolgt.

Hier kommen wir nun an die Grundfrage, bei der sich alles entscheidet.

Von Kaiser Heinrich dem Heiligen und seiner Gattin Kunigunde sind herrliche Mäntel aufbewahrt. Ihre Schönheit liegt rein im Sinnlichen; man muß sie, obwohl sie von Menschen gemacht sind, doch zum Naturschönen rechnen. Derartige Stücke, heute gearbeitet, könnte man sich gar nicht vorstellen, sie sind jedes eine Lebensarbeit. Heinrich und seine Gattin waren wirkliche Heilige; dennoch hielten sie es für richtig, an hohen Tagen, etwa zum Osterfest, wenn sie in die Kirche gingen, sich dem Volk in diesen wunderschönen Gewändern zu zeigen. Gute Künstler pflegen für ihre Person gänzlich bedürfnislos zu sein; aber man wird immer hören, daß sie schöne Steine, Perlen und ähnliches sehr geliebt haben. Das Schöne jeder Art, nicht nur das Kunstschöne, hat irgend etwas Befriedigendes an sich, und so wirkt auch das Naturschöne geistig, ja seelisch.

Daß das Schöne dieser Art kostbar ist, das ist eine sehr tiefe, fast möchte man sagen, überwirkliche Verbindung. Das alltägliche Schöne: einfaches Gerät von guten Verhältnissen, eine einfache Landschaft und ähnliches hat einen andern – nicht geringeren –- Wert; aber es ist eben etwas anderes. In einem sehr klugen, neuen Buch über die Erfordernisse der Zeiten nach dem Krieg las ich, daß eine Perlenkette den Wert des Lebenswerkes von zehn Arbeitern habe und daß man einen derartigen Luxus unterdrücken müsse, da mancher Hunger körperlicher oder geistiger Art mit dieser Arbeit gestillt werden könne.

Wenn die Perlen nicht so kostbar wären, dann wären sie nicht so schön. Es gehört zu dieser Art von Schönheit das Bewußtsein, daß sie Opfer kostet.

Aber indem hier das Schöne mit dem Sittlichen verbunden ist, sehen wir auch sofort die schmale Grenzscheide zwischen dem Edlen und dem Unedlen. Die Kaisermäntel haben wahrscheinlich Nonnen gefertigt, welche ihre Liebe, Verehrung, Hingabe und Gläubigkeit ihrem kaiserlichen Herrn darboten; eine Nonne gab ihr ganzes Leben hin, um einen Mantel zu sticken; aber sie tat es freiwillig, und irgendwie fühlt man in dem Mantel, daß nicht ein mühseliger Proletarier eine verfluchte Arbeit für sinnlosen Prunk machte, sondern daß ein Mensch, der tief und sittlich fühlte, etwas Schönes schuf zum Schmuck für Hohes. Die Perlen werden von armen Fischern gesucht.

Aber diese Perlenfischer waren – vielleicht ist es heute anders – freie Leute, welche ihren Beruf selbständig ausübten, wie ein Bauer sein Land pflügt, und welche wohl nicht mehr mit ihrer Arbeit verdienten wie der arme Bauer, aber auch nicht mehr bedurften. Ein Liebender, welcher der Geliebten eine Kette so gefundener Perlen schenkte, brauchte kein übles Gefühl zu haben. Gewiß, er hätte das Geld armen Leuten geben können; aber das kann man ja bei sehr vielen Ausgaben sagen. Eine schöne Frau, welche wert ist, die Kette zu tragen, trägt sie nicht für sich, sondern um Andere zu erfreuen, sie stellt ihr Bild mit dem Schmuck in eine Reihe mit dem Naturschönen. Ganz anders wird die Sache, wenn ein Unternehmer die Seeküste pachtet und Arbeiter um Lohn fischen läßt. Vielleicht verdienen seine Leute sogar mehr, wie die früheren selbständigen Fischer; aber sie sind Proletarier, und an dem Halsband hängen nicht mehr Arbeit, Zufall, Freude und Bescheidenheit, sondern Haß und Neid.

Wenn man von den Beispielen des Mantels und der Perlen weiter sucht, so wird man finden, daß der weitaus größte Teil dessen, was im edlern Sinn Luxus ist, durch die industriell-kapitalistische Gegenwart im höheren Sinn entwertet ist; hier liegt ja auch der letzte Grund, weshalb ein »Kunstgewerbe« heute nicht mehr möglich ist, trotzdem die Menschen es auf jede Weise künstlich zu schaffen suchen; ist doch die hohe Kunst nur möglich, wenn sie bewußt darauf verzichtet, in das Wirtschaftsgetriebe einzugehen.

Es soll ja nicht gesagt werden, daß frühere Zeiten sittlicher waren in allen wesentlichen Beziehungen; aber sie waren sittlicher außer in andern auch in Beziehung zur Kunst und zum Naturschönen; und deshalb, so bedenklich die Gegnerschaft gegen den sogenannten Luxus an sich ist; in der heutigen Zeit ist sie mindestens verständlich.

Aber man darf, wenn man das zugibt, auch ein Anderes nicht übersehen, das mit diesem Überhandnehmen des Großgewerbes zugleich entstanden ist, nämlich den Talmiluxus.

Man hat bekanntlich jetzt viele Fundstätten edler Steine entdeckt, welche früher sehr selten waren, so daß bei den meisten Edel- und Halbedelsteinen der Wert gesunken ist. In sehr vielen Fällen sind diese Steine aber auch weniger schön. Noch mehr, man färbt jetzt Edelsteine, stellt sie künstlich her, ja verfertigt sie aus Glas. Abgestuft nach den Geldverhältnissen ist heute Schmuck käuflich für jeden bis zur Frau des Straßenkehrers hinunter.

Was an Luxus verwerflich sein kann, das ist hier vorhanden: hergestellt werden diese Dinge in Fronarbeit, und sie können nicht der Schönheit dienen, da sie ja häßlich sind, sondern sie dienen der Eitelkeit, und noch dazu einer ganz dummen Eitelkeit. Niemand von Urteil würde sich beklagen, wenn der sparsam werdende Staat diesen abscheulichen Luxus vernichtete.


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