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An Theodor Storm.

Von Detlev v. Liliencron.

Viel dunkelrote Rosen schütt' ich dir
um deines Marmorsarges weiße Wände
und senke meine Stirn dem kalten Stein:
Du warst ein Dichter, den ich sehr geliebt,
und den ich lieben werde bis ans Grab.
Du warst ein Dichter – denn was du erlebt,
vielleicht von einem Tropfen nur Erinnern,
trieb eine Knospe; welche Blume dann
aus ihr erwuchs, das gab dir Phantasie.
Die Phantasie, wie denn? ein bunter Vogel,
der aus der Morgenröte uns besucht?
Ein ungeschlachtes Ungetüm, das donnernd
die Flügel regt von Ozean hin zu Ozean
und sich in Höhen hebt, daß unser Nacken
sich staunend nachbiegt wie dem Erzengel,
wenn glänzend er den Flug durch Wolken nimmt?
Du hattest Phantasie, ein selten Ding
in unsern nüchternen Verstandeszeiten.
Du warst ein Dichter, und du warst ein Künstler.
Ein Dichter: wohl aus tausend Quellen rinnt es,
die unterirdisch laufen, rinnt's ihm zu.
Noch fand kein Mensch je, was den Dichter schuf.

Wie tief doch sahst du in ein Menschenherz,
und unser Heimatland, das ernste, treue,
mit ewiger Feuchte, seltnem Sonnenblick,
du kanntest seine Art. Kein andrer wohl
nahm so den Erdgeruch aus Wald und Feld
in seine Schrift wie du.

Schrieb einer je, den siebzig Winter drückten,
ein solches »Hochzeitfest«? War's nicht ein Jüngling,
der siebzehnjährig heiß die Laute schlug
vor seiner Liebsten Tür im sanften Mond,
im Sehnsuchtspuls der Nachtigallenlieder?

Wohl trifft es sich, daß laut und polternd wirft
ein herrlich Dichterherz mit rohem Gold
und kann es nimmer zwingen zum Gerät;
ihm fehlt die Künstlerhand, dir wurde sie.

Viel dunkelrote Rosen schütt' ich dir
um deines Marmorsarges weiße Wände
und senke meine Stirn dem großen Dichter,
den ich so sehr, so sehr geliebt.

Aus: Detlev v. Liliencron, Sämtliche Werke.
(Berlin, Schuster & Loeffler.)


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