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Ein Landsknecht im 19. Jahrhundert.

Von Christoph v. Tiedemann.

I.

Mein Vater las eines Abends – es war im Jahre 1844 oder 1845 – in einer der vielen Zeitungen, die er hielt, eine sonderbare Annonce. Ein alter Soldat, mehrerer Sprachen mächtig und gleichmäßig erfahren in der Jagd, im Zureiten von Pferden, im Dressieren von Hunden und im L'hombre-Spiel, suchte ein Unterkommen auf dem Lande. Gehalt beanspruchte er nicht; er erklärte sich aber auch außerstande, Kostgeld zu zahlen.

Diese Annonce erregte die Neugier meines Vaters, der eine große Vorliebe für Originale besaß. Er beschloß, mit dem seltsamen Kauz in Verbindung zu treten.

Etwa acht Tage später schritt ein kräftiger, breitschulteriger Mann über unseren Hof. Sein wettergebräuntes Gesicht mit großen, durchfurchten und verwitterten Zügen war von struppigem, ergrautem Haar und einem damals noch seltenen Vollbart umrahmt; unter buschigen Brauen leuchteten ein paar Falkenaugen hervor. Auf dem Rücken trug er einen kleinen Feldtornister, an der Seite eine Jagdtasche und in der Hand ein Doppelgewehr. Obwohl sein Anzug ungewöhnlich schäbig war, hatte seine ganze aufrechte Erscheinung doch etwas Imponierendes. Er fragte in eigentümlich singendem Ton nach meinem Vater, und ich geleitete ihn in dessen Arbeitszimmer, wo er geraume Zeit blieb. Als er wieder heraustrat und wuchtigen Ganges über den Flur und zur Haustür hinausschritt, blickte ich ihm mit gespanntem Interesse nach. So hatte ich mir Coopers Lederstrumpf gedacht.

Mein Vater erzählte bei Tisch, der Fremde sei ein geborener Norweger, habe als Offizier in dänischen, preußischen und französischen Diensten gestanden und offenbar ein sehr abenteuerliches Leben geführt. Er habe ihm einiges Geld zu seiner Equipierung gegeben und ihm das kleine Haus zur Wohnung angewiesen, das im Koog neben »Johann Piakels Hotel« stand.

Kapitän Helgesen, so hieß der Fremde, ließ sich in den nächsten Wochen nicht wieder sehen. Eine Einladung zu Tisch lehnte er ab. Er schien die Bewohner Johannisbergs absichtlich zu meiden. Dagegen verbreiteten sich bald sonderbare Gerüchte über sein Tun und Treiben. Unter den Dorfbewohnern wurde flüsternd erzählt, es sei ein Hexenmeister angelangt. Helgesen hatte dem einen das Fieber vertrieben, bei dem andern das Blut gestillt, und zwar lediglich durch leises Murmeln einiger Worte und durch den festen Blick seines Auges, dem niemand standzuhalten vermochte. Mit denselben einfachen Mitteln hatte er einem bösartigen Pferde das Schlagen und Beißen im Augenblick abgewöhnt. Selbst die bissigsten Hunde waren ihm schweifwedelnd entgegengekommen und – was seine nähere Verwandtschaft mit dem Höllenfürsten über allen Zweifel erhob – er hatte eine Fischotter gefangen und diese wie einen Jagdhund derartig abgerichtet, daß sie ihm die Fische aus dem Wasser apportierte.

Die Tatsache, daß häufig bis spät in die Nacht hinein Licht in seiner Wohnung brannte, und daß man durch eine Ritze im Fensterladen beobachtet hatte, wie Helgesen aus verschiedenen seltsam geformten Flaschen heiße und unheimliche Getränke zusammengegossen, diese Tatsache war ebensowenig geeignet, ihm ein christlicheres Renommee zu verschaffen wie die Erklärung, die er auf schüchternes Befragen über den angeblichen Zaubertrank gegeben. Er hatte nämlich behauptet, mit diesem Trank im Leibe könne man sich unsichtbar machen und folglich unbemerkt auch die geheimsten Handlungen seiner Mitmenschen beobachten. Kein Wunder, daß ihm Jung und Alt scheu aus dem Wege ging. Meine knabenhafte Phantasie wurde durch diese und ähnliche Erzählungen, die unter unfern Knechten und Mägden eifrig kolportiert wurden und alle graulich machten, natürlich mächtig angeregt.

So mochten mehrere Wochen vergangen sein, als an einem schönen Herbstabend meine Eltern und ich einen Spaziergang machten. Wir erblickten bald den vielbesprochenen Kapitän, der von seinen Hunden und seiner Fischotter begleitet uns langsam entgegenkam. Als er uns erreicht hatte, blieb er stehen, nahm in höflichster Weise seine Jagdmütze ab und entschuldigte sich mit der Sicherheit eines Weltmanns bei meiner Mutter, daß er ihr noch nicht seine Aufwartung gemacht habe. Er fügte hinzu, er sei bis vor wenigen Tagen noch nicht im Besitz eines salonfähigen Kostüms gewesen.

Wir kehrten nun mit ihm um, und er vertiefte sich bald mit meinem Vater in ein lebhaftes politisches Gespräch, namentlich über französische Verhältnisse. Er entwickelte dabei eine so genaue Kenntnis der Zustände Frankreichs und ein so treffendes Urteil über Personen und Sachen, daß mein Vater ihm immer aufmerksamer zuhörte und, nachdem Helgesen sich beim Hoftor verabschiedet hatte, voller Verwunderung ausrief: »Der Mann muß tief in die Karten aller Parteien gesehen haben.«

Von nun an besuchte uns Helgesen fast täglich. Er begann allmählich den Schleier zu lüften, der über seiner abenteuerlichen Vergangenheit lag, und wenn in seinen Erzählungen auch manche dunkle Stellen zurückblieben, die er sorgfältig schonte, so erfuhren wir doch immerhin genug, um ein anschauliches Bild von einer der seltsamsten Existenzen zu erhalten, die je die Sonne beschienen hat.

Helgesen Geboren 4. Oktober 1793, gestorben 28. Februar 1858. war, wie erwähnt, ein geborener Norweger. Er hatte an dem norwegischen Aufstande 1814 lebhaften Anteil genommen, war zeitweise Adjutant des damaligen Kronprinzen Christian (späteren Königs von Dänemark) gewesen und hatte diesen nebst zwei anderen norwegischen Offizieren, Rye und Schleppegrell, nach Dänemark begleitet, als der Aufstand hoffnungslos geworden war. (Rye fiel als dänischer General 1849 in der Schlacht bei Friedericia, Schleppegrell ebenfalls als General 1850 in der Schlacht bei Idstedt.)

Der Garnisondienst in dem friedlichen Kopenhagen war nicht nach dem Geschmack des unruhigen und ehrgeizigen Offiziers. 1815 trat er in preußische Dienste, focht bei Ligny und Waterloo und rückte mit seinem preußischen Regiment in Paris ein. Als Dänemark zu den Besatzungstruppen der Alliierten in Frankreich ein Hilfskorps stellen mußte, vertauschte er wieder den preußischen mit dem dänischen Dienst, und als 1818 dieses Hilfskorps in die Heimat zurückgerufen wurde, den dänischen Dienst mit dem französischen. 1830 machte er die Expedition nach Algier unter dem General Bourmont mit und erwarb bei der Erstürmung der Residenzstadt des Deys das Kreuz der Ehrenlegion. In Algier trat er in nähere freundschaftliche Beziehungen zu den damaligen Kapitänen Cavaignac und Lamoriciére, mit denen er noch zu der Zeit, wo er bei uns sich aufhielt, im Briefwechsel stand.

Bald nach der Julirevolution muß Helgesen seinen Abschied erhalten oder genommen haben. Er kehrte nach Paris zurück und ließ sich hier tief in die Umtriebe ein, die von der republikanischen Partei zum Sturze Louis Philipps angezettelt wurden. Er war bei allen Verschwörungen und Straßenputschen beteiligt, die mit ebenso großer Konsequenz wie geringem Erfolge von den Republikanern in Szene gesetzt wurden. Ja, es ist sogar wahrscheinlich, daß er zu den Mitwissern und Komplicen des Fieschischen Attentats gehörte. In seinen Erzählungen verriet er jedenfalls einmal, daß er mit Fieschi bekannt gewesen. Von der Polizei und den Gerichten eifrigst verfolgt, flüchtete er zu wiederholten Malen nach Holland, England und Deutschland, um dann nach einiger Zeit wieder verstohlen nach Paris zurückzukehren. Neben seinen politischen Intriguen betrieb er eifrigst den Pferdehandel und war wiederholt in Holstein und Schleswig, um hier Pferde aufzukaufen. Dabei lebte er gewissermaßen von der Hand in den Mund; denn das Geld, das er verdiente, wollte niemals in seiner Tasche bleiben; es verschwand immer sofort wieder am Spieltisch oder in der Schenke.

Ein eigentümliches Gemisch von kaltblütiger und rauher Energie, Schlauheit und landsknechtartigem Leichtsinn lag in dem Charakter Helgesens. Wenn er im Zorn seine Augen blitzen ließ, hatte er einen gar grimmigen, geradezu bärbeißigen Ausdruck, der alles davonscheuchte. Wenn er dagegen Anekdoten und Schnurren aus seinem Leben mit dem den Norwegern eigenen melodischen Tonfall erzählte oder mit uns Kindern oder seinen Hunden in lustigster Weise herumtollte, lachte der Schalk aus seinen Augen. Sein Blick hatte eine dämonische Kraft, und es war nicht übertrieben, wenn er behauptete, daß er durch ihn Menschen und Tiere zu bannen vermöge. Es steckte überhaupt etwas vom Hamelner Rattenfänger in ihm. Er konnte es sich in seinem Übermut nicht versagen, den abergläubischen Dorfbewohnern allerlei Hokuspokus vorzumachen und sich dadurch den Ruf eines unheimlichen Gesellen zu erhalten.

Im Kartenspiel wie im Pferdehandel war er gleich gerissen, und jede, auch die kleinste Intrigue machte ihm Spaß. Seine Hauptpassion war und blieb aber die Jagd.

Als ich ihn eines Tages in seiner Wohnung besuchte, fand ich ihn mit der Dressur einer neu eingefangenen Fischotter beschäftigt. Wer diese scheuen und bösartigen Tiere kennt, wird ermessen können, wie unendlich schwierig es ist, eine Otter zum Apportieren abzurichten. Bei meinem Eintritt wollte Helgesen die Otter wegen Ungehorsams züchtigen. Das Tier schnappte nach seiner Hand und biß sich so fest, daß Helgesen trotz aller Anstrengung die Zähne nicht auseinanderbringen konnte. Ohne auch nur mit den Wimpern zu zucken, legte er seine von Blut überströmte Hand und die daranhängende Fischotter auf den Tisch und bat mich dann im ruhigsten Ton, etwa als ob er mich auffordern wollte, Platz zu nehmen, ich möge ihm die lederne Karbatsche, die an der Wand hing, reichen. Er wendete sich dann an die Otter und sagte freundlich: »Liebes Kind, ich werde es länger aushalten als du.« Und nun begann er, mit der. Karbatsche die Otter in einer Weise zu bearbeiten, daß dieser allmählich Hören und Sehen verging und sie Helgesens Hand losließ. Dann schob er sie vom Tisch herunter und ließ sie, als ob gar nichts vorgefallen, die Exerzitien wiederholen, die sie vorher verweigert hatte. Erst nachdem er sie in den Stall gesperrt, dachte er daran, seine ganz zerfleischte Hand mit einem Notverband zu versehen.

Je länger Helgesen in unserem Hause verkehrte, desto lebhafter wurde der Wunsch meines Vaters, ihm zur Erlangung einer gesicherten Existenz behilflich zu sein. Die beiden berieten häufig über diese Frage. Als mein Vater aus einer Zeitung ersah, daß die sehr gut dotierte Postmeisterstelle in Christiansfelde vakant geworden sei, schlug er Helgesen vor, sich um diese zu bewerben und riet ihm, sich direkt unter Berufung auf die alten norwegischen Beziehungen an König Christian VIII. zu wenden, Helgesen befolgte diesen Rat und legte nach einigen Tagen meinem Vater ein Schreiben vor, dessen Inhalt ich glaube, wörtlich wiedergeben zu können. Es lautete:

»Mein König! Du wirst Dich Deines Adjutanten von 1814 erinnern. Auch hast Du hoffentlich nicht vergessen, daß Du mir einst versprachst, mir zu helfen, wenn ich Deine Hilfe anriefe. Ich rufe Dich jetzt und bitte: Verleihe mir die Postmeisterstelle in Christiansfelde.

Dein getreuer
Helgesen«

Vergeblich machte mein Vater darauf aufmerksam, daß dieses Schreiben doch nicht in dem üblichen Kurialstil abgefaßt sei und daß es, wenn es so bliebe, schwerlich Erfolg haben würde. Helgesen beharrte eigensinnig darauf, es abzusenden und verschwor sich, auf jede Zivilanstellung zu verzichten, wenn er genötigt werden sollte, die schnörkelhaften Phrasen eines landesüblichen Bittgesuchs zu drechseln.

Wie mein Vater vorausgesehen, blieb das originelle Schreiben ohne jegliche Antwort. Helgesen war darüber sehr verstimmt. Er brummte manche halbunverständlichen aber jedenfalls für den König nicht sehr schmeichelhaften Flüche in den Bart. Seine Abneigung gegen Dänemark und die Dänen, aus der er nie ein Hehl gemacht hatte, wurde durch dieses Intermezzo noch gesteigert. Hatte er schon früher für die politischen Bestrebungen der Schleswig-Holsteiner lebhafte Sympathien gezeigt, und namentlich der unermüdlichen und energischen Tätigkeit meines Vaters bewundernde Anerkennung gezollt, so regte sich jetzt in ihm noch ein persönlicher Groll gegen den Dänenkönig, dem er Falschheit und Treulosigkeit vorwarf.

In der jetzigen Situation konnte er natürlich auf die Dauer nicht bleiben. Die Beschäftigung, die ihm die Jagd auf den Besitzungen meines Vaters gewährte, reichte für seinen Tätigkeitsdrang nicht aus. Mein Vater lieh ihm eine nicht unerhebliche Summe und setzte ihn dadurch in den Stand, ein kleines Haus in Kleinsee bei Bergenhusen zu mieten und die Pachtung weiter Jagdreviere in der Landschaft Stapelholm und der übrigen Umgebung Friedrichstadts zu übernehmen, Helgesen durchstreifte nun als Jäger das südwestliche Schleswig und wurde bald in der ganzen Gegend eine vielbesprochene und von jedem gekannte Persönlichkeit. Ein junges, edles Reitpferd, einen Fuchs, überließ ihm mein Vater zur Benutzung.

Auf besagtem Fuchs kam in der letzten Woche des Februar 1848 Helgesen auf unseren Hof gesprengt. Das Pferd dampfte. Helgesen war in Rendsburg gewesen und hatte hier die ersten Nachrichten von der Pariser Februarrevolution erfahren. Mit leuchtenden Augen trat er vor meinen Vater und forderte ihn auf, ihm eine größere Summe zu borgen, damit er sofort nach Paris abreisen könne. Er wollte sich bei seinem alten Freund, dem General Cavaignac, melden. Er wollte eine Kommandostelle in der französischen Nationalgarde beanspruchen und sah sich schon im Geiste als einer der Heerführer der Republik.

Mein Vater schlug ihm seine Bitte rundweg ab. Er erklärte ihm, so ins Ungewisse hinein ließe er ihn nicht fahren und überdies sprächen alle Anzeichen dafür, daß er (Helgesen) bald Gelegenheit haben werde, seine militärischen Erfahrungen und Kenntnisse im Dienste der Herzogtümer gegen Dänemark zu verwerten.

Die Voraussicht meines Vaters erwies sich sehr bald als zutreffend. Drei Wochen später starb Christian VIII., Frederik VII. bestieg den Thron, die revolutionäre Bewegung in Kopenhagen zwang ihn, in die Inkorporierung Schleswigs zu willigen, und am 24. März konstituierte sich in Kiel die provisorische Regierung. Am 25. überrumpelte der Prinz von Noer an der Spitze des Kieler Jägerbataillons und der Kieler Studenten die Festung Rendsburg. Ein Jubelsturm ging durch das Land. Von allen Seiten strömte die Jugend zu den Waffen. Freiwillige aus allen Teilen Deutschlands trafen ein, und während der Prinz von Noer die im Lande gebliebenen Truppen organisierte, bildeten sich verschiedene Freikorps, die unter Sang und Klang den Dänen entgegen nach Norden rückten.

Natürlich litt es Helgesen nicht länger in seinem Jagdhäuschen. Schon in den ersten Tagen nach der Einnahme Rendsburgs bat er meinen Vater um ein Empfehlungsschreiben an den Prinzen von Noer. Er brannte darauf, wieder in militärische Aktion zu treten und nahm zuversichtlich an, daß seine Bewerbung um ein Kommando bei dem großen Mangel an brauchbaren Offizieren sehr willkommen sein werde.

Ein unglücklicher Zufall jedoch vereitelte seine Wünsche. Mein Vater war von der Notwendigkeit einer allgemeinen Volksbewaffnung überzeugt, er wollte eine Levée en masse organisieren und bat den Prinzen von Noer, ihm zu diesem Zweck einige tausend Gewehre zu überlassen. Der Prinz, von launenhaftem und jähzornigem Charakter, als Grobian ersten Ranges bekannt, war mit den Plänen meines Vaters nicht einverstanden, und als dieser, der auch eine heftige und leicht erregbare Gemütsart besaß, dem Prinzen gegenüber seine Ansichten verteidigte, kam es zwischen ihnen zu einem stürmischen Auftritt. Sie schieden in feindseliger Erbitterung.

Etwa eine Viertelstunde später ließ sich Helgesen beim Prinzen melden. Er überreichte ihm das Empfehlungsschreiben meines Vaters und war nicht wenig erstaunt, als der Prinz mit wütender Gebärde das Papier zerriß, auf den Boden warf und Helgesen andonnerte: »Wagen Sie, mir mit Empfehlungen von dem alten Stänker zu kommen? Ich kann Sie nicht gebrauchen, scheren Sie sich zum Teufel!«

Helgesen sah den Prinzen durchbohrend an: »Zu Befehl, Durchlaucht!« Er schlug die Hacken zusammen, machte Kehrt, sattelte seinen Fuchs und – ritt direkt ins dänische Lager.

Meinem Vater schrieb er nach einigen Wochen, es sei ihm unmöglich gewesen, dem ausbrechenden Kampfe untätig zuzusehen. Da man ihn auf schleswig-holsteinischer Seite in gröblichster Manier zurückgewiesen, habe er seinen Degen dem Dänenkönig zur Verfügung gestellt. Den Fuchs wolle er als Andenken an meinen Vater behalten.

II.

Es vergingen Jahr und Tag, ehe wir wieder etwas von Helgesen hörten. In der blutigen Ausfallschlacht bei Friedericia im Juli 1849 waren mehrere Meggerkooger in dänische Gefangenschaft geraten. Sie kehrten nach stattgehabter Auswechslung in ihre Heimat zurück und erzählten unter anderen Merkwürdigkeiten, daß sie am Tage nach der Schlacht bei einem höheren Offizier, der hoch zu Roß am Wege gehalten, vorbeidefiliert und nicht wenig erstaunt gewesen seien, als der Offizier plötzlich ihre Namen gerufen, sie herangewinkt und ihnen Geld gegeben habe. Das sei Helgesen gewesen, der jetzt als Oberstleutnant in dänischen Diensten stehe. Er habe sich dann eingehend nach unserer Familie erkundigt und ihnen herzliche Grüße für uns alle aufgetragen.

Ein weiteres Jahr später sollten wir häufig Gelegenheit haben, uns Helgesens zu erinnern. Nach dem kopflosen Rückzuge, welcher der Schlacht bei Idstedt folgte, und der das ganze Land bis zur Eider dem Feinde preisgab, beeilten sich die Dänen, die beiden wichtigsten strategischen Punkte im südlichen Schleswig neben der Dannevirke, auf dem linken Flügel Missunde, auf dem rechten Friedrichstadt zu besetzen und in kleine Festungen umzuwandeln. Helgesen, inzwischen zum Obersten avanciert, erschien an der Spitze von zwei jütischen Bataillonen und mehreren Batterien in Friedrichstadt. Er nahm sofort seine alten Beziehungen zur Landbevölkerung auf und richtete mit deren Hilfe einen so ausgedehnten Spionierdienst ein, daß er von jedem Vorhaben der Schleswig-Holsteiner im voraus aufs genaueste unterrichtet war. Bei seiner genauen Terrainkenntnis wurde es ihm ein Leichtes, in unglaublich kurzer Zeit Friedrichstadt mit einem System leicht aufgeworfener Schanzen zu umgeben, Dämme zu durchstechen, Gräben zu ziehen usw. und dadurch die Stadt zu einem fast uneinnehmbaren Platz zu machen.

Zu spät sah General von Willisen ein, wie töricht er gehandelt, als er Friedrichstadt ohne Schwertstreich einem so energischen Feinde überlassen hatte. Er beschloß, das Verlorene um jeden Preis wiederzugewinnen. Unter dem Kommando des Obersten von der Tann wurde ein Angriffskorps aus sechs bis acht Bataillonen Infanterie und Jägern und der entsprechenden Artillerie gegen Friedrichstadt vorgeschickt. Nach kurzer Beschießung, welche die Hälfte der Stadt in Asche legte, befahl von der Tann in der Nacht vom 19. auf den 20. September 1850 den Sturm.

Ich will nicht versuchen, jene grauenvolle Nacht zu schildern. Mit Todesverachtung drangen die Schleswig-Holsteiner vor. Um die von Helgesen geschickt gezogenen Gräben zu passieren, mußten die Soldaten durch Wasser waten, das ihnen stellenweise bis an den Hals ging. Mit dem Bajonett warfen sie aus den ersten Schanzen die Dänen hinaus; sie stießen aber sogleich auf eine zweite Linie von Gräben und Schanzen, und während sie in der stockfinstern Nacht auf Händen und Füßen vorwärts krochen, explodierten über ihren Köpfen jene tückischen Geschosse, die damals zum erstenmal zur Anwendung kamen: Schrapnels. Die Jüten standen wie die Mauern, sie wehrten sich bis zum letzten Augenblick mit Kolben und Bajonett, und nachdem das blutige Handgemenge stundenlang gedauert hatte, gewahrten die Schleswig-Holsteiner mit Entsetzen, daß sie kaum einige hundert Schritt vorwärts gedrungen waren.

Nur dem ersten Jägerkorps gelang es, auf der Chaussee über die vielfachen Verhaue hinweg in die Stadt zu dringen, freilich nur für einige Augenblicke.

Während des Sturmes befand sich Helgesen in einem Blockhause, das in der Borkmühlenschanze errichtet war. Die kurze Pfeife im Munde saß er an einem Tisch, auf dem sich eine Schnapsflasche und einige Gläser befanden und erteilte mit größter Kaltblütigkeit seine Befehle. Als die ersten Jäger in die Stadt eindrangen, stürzte einer seiner Adjutanten atemlos zu ihm herein: »Herr Oberst, wir sind verloren, die Stadt ist genommen.« Helgesen schenkte ein Glas ein: »Darf ich Ihnen einen Bittern anbieten, Herr Kapitän?« Dann stand er auf, stopfte sich eine frische Pfeife, zog den Säbel und stellte sich an die Spitze zweier inzwischen rasch zusammengezogener Kompagnien, mit denen er nach wütendem Handgemenge die Schleswig-Holsteiner wieder zur Stadt hinauswarf.

Die Sonne des nächsten Morgens beleuchtete ein mit Leichen und Sterbenden übersätes Schlachtfeld. Auf allen Schanzen wehte, der Danebrog. Die Schleswig-Holsteiner hatten sich auf Süderstapel, Wohlde, Erfde zurückgezogen.

Helgesen war nach der Friedrichstadter Affäre der populärste Mann im skandinavischen Norden. Die dänischen, schwedischen und norwegischen illustrierten Zeitungen brachten sein Bild. Sein Name wurde in einem Liede verewigt, das noch heute die dänischen Soldaten singen. Er erhielt dänische, schwedische, russische Orden und Kriegsdekorationen.

Mit dem abgeschlagenen Sturm auf Friedrichstadt war der traurige Feldzug von 1850 beendet. Vier Monate später besetzten die Preußen und Österreicher Holstein und entwaffneten die schleswig-holsteinische Armee. Die Pazifizierung begann. Helgesen wurde zum Kommandanten der Stadt Schleswig und zum Oberbefehlshaber aller im südlichen Herzogtum stationierten Truppen ernannt.

Die dänische Verwaltung begann ihre Tätigkeit damit, daß sie nicht nur alle Steuern einforderte, die in den Jahren 1848-51 hätten gezahlt werden müssen, wenn Friede im Lande geblieben wäre, sondern daß sie als eine außerordentliche Kontribution auch noch die Summe derjenigen Steuern beitrieb, die während der Kriegsjahre an die schleswig-holsteinischen Kassen faktisch gezahlt worden waren.

Für Johannisberg sollten hiernach 10 800 Mark entrichtet werden. Mein Vater war inzwischen gestorben; in der Verwaltung unseres Gutes herrschte die heilloseste Unordnung, eine Einnahme war während des letzten Jahres, wo Johannisberg in der Vorpostenkette lag, überhaupt nicht erzielt worden. Meine Mutter sah sich deshalb vollständig außerstande, die geforderte Summe zu entrichten; die Exekution wurde angedroht, und jeden Tag erwarteten wir die Pfändung unseres Viehes und Mobiliars. Da erhielt eines Tages der Rittmeister Fibiger, der mit seinen Dragonern auf Johannisberg und im Meggerkoog einquartiert war, vom Obersten Helgesen den gemessenen Befehl, jeden Exekutor, möge er in Uniform oder in Zivil erscheinen, beim Kragen zu nehmen und nach Schleswig abzuliefern. Fibiger wurde dafür verantwortlich gemacht, daß keine Pfändung auf Johannisberg zur Ausführung komme.

Er wolle hiermit, so schrieb Helgesen, den Fuchs bezahlen, den er 1848 mitgenommen, und den er nicht zurückgeben könne, da er bei Idstedt unter ihm erschossen sei.

III.

Nachdem auch Holstein den Dänen überliefert worden, wurde Helgesen unter Ernennung zum General Gouverneur der Festung Rendsburg. Da der Belagerungszustand fortdauerte, vereinigte er in sich die höchste Militär- und Zivilgewalt. Kein Pascha kann despotischer herrschen, wie er es tat, und dennoch gelang es ihm auch hier, namentlich bei den unteren Volksklassen, populär zu werden. Der derbe Humor, der seine Gewalttaten würzte, verlieh ihnen einen volkstümlichen Schimmer. Von den vielen Anekdoten, die heute noch leben, mögen nur einige wenige mitgeteilt werden.

Die Rendsburger Schützengilde feierte zum erstenmal wieder ihr Vogelschießen. Es hatte in der Bürgerschaft Kämpfe gekostet, dies durchzusetzen; denn ein großer Teil der Gildemitglieder hielt es für unvereinbar mit der politischen Erbitterung, die noch das ganze Land beherrschte, öffentliche Feste zu veranstalten. Soviel setzten die Patrioten wenigstens durch, daß kein dänischer Beamter oder Offizier, natürlich auch nicht der Gouverneur, wie sonst üblich, eingeladen wurde.

Mit Trommeln und Pfeifen marschierten des Morgens die Schützen zum Tor hinaus nach dem sogenannten Klosterkrug, wo die Vogelstange errichtet war. Nachmittags folgten die Frauen und Kinder, und draußen entwickelte sich ein lustiges Volksfest. Gegen Abend jedoch wurde die Freude gestört. Ein drohendes Gewitter zog auf und entlud sich mit einem Wolkenbruch über der erschreckten Menge, die nun eiligst nach Hause stürmte. Im Laufschritt erreichte man das Festungstor, aber, o Schrecken! Es war verschlossen. Alles Rütteln und Klopfen und demnächst Parlamentieren mit dem Wachthabenden war vergeblich; dieser hatte von dem Gouverneur die Order erhalten, niemand während der Nacht aus- und einzulassen. Ein Versuch, der bei einem zweiten Tor gemacht wurde, blieb ebenso erfolglos. Die Rendsburger Schützenbrüder mußten mit Weib und Kind die Nacht über im Sturm und Regen draußen biwakieren.

Eine andere kleine Geschichte ist harmloser. Um sie zu verstehen, muß man sich erinnern, daß die schleswig-holsteinischen Landesfarben blau-weiß-rot, die dänischen rot-weiß sind. Die ersteren waren damals aufs strengste verpönt. Drei junge Damen nun, den besten Familien Rendsburgs angehörig, kamen auf die Idee, den alten Werwolf einmal gründlich ärgern zu wollen. Die eine kleidete sich ganz in blau, die zweite in weiß, die dritte in rot, und so spazierten sie, wenn auch mit etwas klopfendem Herzen, vor dem Gouvernementsgebäude auf und ab. Helgesen stand schmunzelnd am Fenster und betrachtete sie eine Zeitlang mit Wohlbehagen, dann ließ er sie durch einen Adjutanten auffordern, vor ihm zu erscheinen. Zum Tode erschrocken folgten die jungen Damen, im Geiste schon ein finsteres Gefängnis vor sich sehend. Es kam jedoch anders. Helgesen empfing sie mit ausgesuchter Höflichkeit, ließ ihnen Schokolade und Kuchen servieren und unterhielt sie mit Scherzen und Neckereien. Nachdem sie etwa eine halbe Stunde bei ihm gewesen und endlich aufatmend Abschied nehmen wollten, geleitete er sie galant bis zur Tür und sagte dann plötzlich: »Ich bedauere, die Blaue noch einen Augenblick zurückbehalten zu müssen, es wird mir ein besonderes Vergnügen machen, die beiden andern in den dänischen Farben durch die Straßen promenieren zu sehen.«

Ich habe Helgesen einmal als Student in Rendsburg besucht. Schon im Vorzimmer wehte mir ein Geruch entgegen, als ob ich in eine Menagerie einträte, und der Anblick, der sich mir darbot, als ich in ein großes, salonartiges Zimmer geführt wurde, rechtfertigte in der Tat diesen Eindruck. In der Mitte des Zimmers stand ein länglicher Trog, der mit dem verschiedensten Futter gefüllt war, und aus diesem Troge fraßen in brüderlicher Eintracht nebeneinander mehrere Hunde, mehrere Katzen, ein paar Ziegen, ein Fuchs, zwei Fischottern und drei oder vier Kaninchen. Helgesen stand in dem seltsamsten Kostüm, das je mein Auge gesehen, daneben. Die goldgestickte Generalsuniform war weit geöffnet, um den Hals hatte er ein buntseidenes Tuch geschlungen, die Uniformhosen steckten in weichen Reiterstiefeln à la Wallenstein und auf dem Kopf trug er einen breitrandigen gelben Strohhut. In der Hand eine lange, schlanke Reitgerte überwachte er das Mittagsmahl seiner vierbeinigen Zöglinge. Sobald sich bei einem der Futterneid regte und er nach seinem Nachbar rechts oder links schnappte, bekam er einen leichten Jagdhieb auf die Nase. Wieweit er es übrigens in der Dressur der Tiere getrieben, ersah ich später, nachdem mir Helgesen einen kleinen Hundestall gezeigt hatte, in welchem der Fuchs kaum Platz finden konnte. Hier mußten neben dem Fuchs zwei unglückliche Kaninchen schlafen, und zwar waren sie genötigt, des schmalen Raumes wegen, oben auf dem Fuchs zu liegen. Trotzdem wagte der nicht, die Kaninchen, sonst Leckerbissen für ihn, anzutasten.

Helgesen begrüßte mich in herzlichster Weise, und wir frischten alte Erinnerungen auf. Als ich einen etwas verwunderten Blick auf die dürftige Ausstattung seiner Zimmer warf, blitzte es schalkhaft auf in seinen Augen. »Seitdem ich jetzt Pascha bin« sagte er, »müßte ich eigentlich auf Sammet und Seide liegen, und der König hat mir denn auch ein prachtvolles Mobiliar zu meiner Einrichtung geschenkt. Es war aber zu nobel für mein Getier. Damit es nicht eingesaut würde, habe ich es lieber gleich an einen Trödler verkauft. Das Geld ist leider bei »meiner Tante, deiner Tante« geblieben, aber ich fühle mich viel behaglicher bei meinen hölzernen Tischen und Stühlen. Nur darf der Teufel nicht sein Spiel haben und den König hierherführen, denn was soll ich ihm vormachen, wenn er sich nach seinem glänzenden Geschenk umsieht?«

Im weiteren Laufe des Gesprächs erfuhr ich, daß auch noch aus einem anderen Grund ein Besuch des Königs ihm unerwünscht gewesen wäre. Seine sämtlichen Orden waren nämlich gleichfalls zum Trödler gewandert. Glücklicherweise hatte er sie nur versetzt.

Ende der fünfziger Jahre starb der alte Helgesen, schmerzlos, ohne Krankenlager. Noch in den letzten Tagen war er beim Morgengrauen zum Festungstor hinausgeritten, um draußen auf den von ihm gepachteten Jagdgründen mit seinen Hunden und Ottern bis zum letzten Strahle der Sonne zu jagen. Mit glänzendem, militärischen Gepränge wurde seine Leiche nach Kopenhagen überführt. Dort auf dem Soldatenkirchhof ist der alte Landsknecht neben seinen norwegischen Waffenbrüdern Rye und Schleppegrell zur ewigen Ruhe gebettet.

Aus. Chr. v. Tiedemann, Aus sieben Jahrzehnten. I. (Leipzig, S. Hirzel.)


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