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Das Dannevirke.

Von Friedrich Quehl.

Wohl das interessanteste Befestigungswerk und gleichzeitig das erhabenste Denkmal nordalbingischer Vergangenheit, das in seiner Eigenart dem limes romanus in nichts nachsteht und auf einen mehr als tausendjährigen Ursprung zurückblicken kann, ist das Dannevirke, die gewaltige Schutzwehr der Dänen nach Deutschland zu, die dem Vordringen der südlich der Schlei wohnhaften germanischen Völkerstämme geraume Zeit lang trotzigen Widerstand zu leisten vermochte. Die ganze bedeutungsvolle Anlage, nicht von gestern auf heute entstanden, ist noch in unseren Tagen eine imposante Schöpfung und das Ziel der kleinen Menschenflutwelle, die alljährlich auch über diese Gegend sich ergießt, deren Mittelpunkt die mythenhafte Handelsstadt Hithabu ist. Ein Sagenkranz von Immortellen umflicht diesen Erdwall, wuchernd und tausendfältige Blüten treibend, wo an grauen Herbstabenden verheißend, sinnend und spinnend am Totenkleide der Natur die Heidefee sitzt; und wir hören geheimer Stimmen Raunen, gleich als wollten sie den alten Glanz vergangener Tage noch einmal in seinem Zauber vor uns erstehen lassen, um ihn dann für immer dem Zeitenschoß anzuvertrauen. Alljährlich dasselbe Singen und Sagen von Ruhm und unverlöschbaren Heldentaten längst verblichener Geschlechter, die, wie die Fama sagt, »hier um Hithabu (Hedeby) saßen«. Uralte Mythen und der Historie ewige Wahrheit machen das stolze Dannevirke zu einem Anziehungspunkt für Einheimische und ungezählte Fremde und halten es dauernd der Beachtung wert, die es in den weitesten Kreisen der Bevölkerung von jeher gefunden hat.

Das von Osten nach Westen mit mehr oder weniger sichtbaren Spuren quer über die cimbrische Halbinsel sich ziehende Dannevirke umfaßt die im Volksmunde mit dem Namen Margaretenwall belegten Schutzanlagen, denen südlich das Kovirke vorgestreckt ist, und die in östlicher Richtung im Osterwall auslaufen. Unter verschiedenen Namen taucht diese Grenzwehr im Laufe der Jahrhunderte auf: Danwirke, Dinawerc, Vallum Danorum, Danawirk, Dannewerk, Dannewirke – alle besagen sie, daß ihre Erbauer Dänen gewesen. Nur ein einziger Weg durchkreuzte einst den Erdwall, der sog. Ochsenweg, der seinen Namen nach den Viehtransporten erhalten hat, die auf ihm in früheren Zeiten in endlosen Zügen von Dänemark nach den Elblanden geleitet wurden. Wo dieser Weg das Dannevirke quert, lag das berühmte Kalegat oder Wiglesdoor, dessen Thietmar, der Bischof von Merseburg, in seinen Annalen Erwähnung tut, und das auch Isarndoor genannt wurde.

Den Anlaß zur Aufführung dieses Riesenwerkes mögen die fortgesetzten Kämpfe um den Besitz des innersten Teiles der Schleibucht gegeben haben; doch schon lange vor seinem Ursprung waren derartige Wallanlagen in Cimbrien bekannt, darüber berichten u. a. das Beowulfepos, die Knytlinga- und die Jomsvikingasaga; auch setzten bereits die im 5. Jahrhundert unserer Zeitrechnung nach Britannien auswandernden Angeln dort ihrer Baukunst ein bleibendes Denkmal durch den zum Schutz gegen Pikten und Skoten errichteten Grenzwall.

Die Erbauung des ältesten Teiles des Dannevirke führt in die Heroenzeit zurück. Bereits zur Zeit der angelsächsischen Auswanderung wurde das Kovirke angelegt, das im Osten an das Selker Noor, im Westen an das Schwemmland der Rheider Au grenzte. Bestimmte Nachrichten geben uns erst die altfränkischen Annalen aus Kaiser Karls des Großen Zeit, die nach Sachs »Geschichte der Stadt Schleswig« besagen: »Hier (in Sliesthorp) – d. i. Schleswig – blieb er (Godofried) mehrere Tage und beschloß, die Grenze seines Reiches nach Sachsen zu mit einem Wall zu schirmen, in der Weise, daß von dem östlichen Meerbusen, den jene Ostarsalt (Ostsee) nennen, bis zum westlichen Meer, an dem ganzen nördlichen Ufer des Flusses Aegidora (Eider) entlang ein Bollwerk reichte, nur von einem einzigen Tor unterbrochen, durch das Wagen und Reiter hinaus und wieder herein kommen könnten.« Der Umstand, daß diese Befestigung binnen zwei Jahren aufgeführt wurde, erhellt, daß sie nicht von besonderer Güte sein konnte. Deshalb war es erforderlich, wiederholt Verbesserungen und Verstärkungen vorzunehmen, so durch die Witwe König Gorms des Alten, Thyra, eine englische Prinzessin, der aus ihrer Heimat der Piktenwall bekannt gewesen sein mag, so durch die Könige Waldemar I. und Knut V. von Dänemark, König Christophers I. Witwe Margarethe Sambiria, »die schwarze Grete«, u. a. m. Erst in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ist die Gesamtanlage als vollendet anzusehen.

Der wichtigste Teil des Dannevirke ist in unbestrittener Übereinstimmung seiner Erforscher der Margaretenwall. Von Westen nach Osten verfolgt setzt er sich zusammen aus dem Krummwall, nordöstlich abbiegend der Waldemarsmauer, dem Burgwall mit der Thyraburg. Hier gabelt er sich. Der in gleicher Richtung sich hinziehende Teil heißt Alter Wall; direkt ostwärts abbiegend dagegen folgen der sog. Doppelwall, der Reesendamm (Riesendamm) und die Oldenburg. Der Osterwall, den man als Fortsetzung des sich in gerader Linie an den Krummwall schließenden Kovirke ansieht, und der in nur geringen Überresten zwischen der Schlei und der Eckernförder Bucht erhalten ist, ist neuerer Forschung zufolge jüngeren Datums als der Margaretenwall aber dennoch als Teil des Dannevirke anzusehen, da ohne ihn die Verteidigungslinie unvollständig sein würde.

Drei Burganlagen geben den Wällen besondere Stützpunkte: die Mildeburg südlich von Mildstedt, die Thyraburg bei Groß-Dannewerk, die Oldenburg mit der Hoburg bei Haddeby, dem alten Hithabu.

Die Mildeburg wurde vermutlich im Jahre 1151 durch König Knut V. von Dänemark mit Hilfe der Friesen erbaut. Als Mildesburg, Mildaenburgh, Mildeborgh und Mildeburg taucht ihr Name, bei den verschiedenen Chronisten verschieden geschrieben, in der Geschichte auf – wo sie gestanden, läßt sich genau nicht mehr sagen. Zuerst wird sie in dem Kriege Sven Grathes und Knuts um die dänische Krone erwähnt, in welchem Sven seinen Gegner bei Mildesburg schlug. Wahrscheinlich ist sie im Jahre 1300 bei der großen Sturmflut mit untergegangen; jedenfalls war sie ein für damalige Zeiten nicht zu unterschätzendes Befestigungswerk und insbesondere für das Dannevirke, bevor der Nordstrand und die Südermarsch vom Meer verschlungen wurden, von hervorragender Bedeutung. »Geregte Vestung Mildesborg ist noch gestanden zur Zeit König Abels (d. i. um 1250), und von dieser Stadt, oder aus der Mildstedter Marsch hinüber in Eyderstede ist ein Damm gegangen, dann Husum war etwa zu der Zeit noch ein geringes Dorff, und gieng die Heerstraße über Mildstede und Mildesborg durch die Mildstedter Marsch, und folgig über den Milderdamm in Eyderstede hinein. Wie wir dann lesen, daß König Abel sein Heer, damit er Eyderstede gedachte zu bezwingen, versammelt und gemustert habe, auff oder bey der Mildesburg und auff dem Milderdamm ist in der Flucht im Wiederkehren von den Eyderfriesen erschlagen worden ...« (so bei Dankwerth: Neue Landesbeschreibung der zwey Hertzogtümer Schleswich und Holstein – 1652 –).

Über die Entstehung der Thyraburg ist ein abschließendes Urteil noch nicht abzugeben. Östlich, nach anderer Meinung westlich von ihr lag der ehemalige Dannewerker See in der Wiesenniederung, die heute im Volksmunde den Namen Lohsiek führt. Als ihre Erbauerin wird Königin Thyra Danebod (Dänentrost) genannt, die Gemahlin Gorms des Alten; es scheint aber, als ob sie einen weit älteren Ursprung hat und von der Genannten nur neu aufgeführt worden ist. Erst im sechzehnten Jahrhundert taucht der Name Thyraborg auf. Aber schon in der Lohheideschlacht (1261) bot sie einen starken Stützpunkt für das Dannewerk, und noch heutigen Tages ist die jetzt bewaldete Festungsanlage mit ihrem rechteckigen Burgplatz zu erkennen.

Weit wichtiger als die Mildeburg und die Thyraburg, weil sie die Schutzwehr des mächtigen Sliasvik (Schleswig) und seines Hafens war, ist die noch jetzt in ihrer Uranlage bestehende Oldenburg.

Diese Wallanlage ist älter als das Dannevirke, mag in der Heroenzeit ein Schlupfwinkel der Seefahrer gewesen sein oder auch den Weibern und Kindern der in den Kampf gezogenen Krieger als sichere Unterkunftsstätte gedient haben. Ihre ersten Anfänge mögen wohl auf eine Zeit zurückzuführen sein, die vor dem Zusammenprall der Dänen und Sachsen liegt. Damals bildete die Schlei die Südgrenze der gotisch-germanischen Nordlandsvölker, während die Südgermanen bis zum Isarnho vorgedrungen waren, einem unwegsamen Walde, der sich, ab und zu von Lichtungen unterbrochen, über die Halbinsel zog von der Trave bis in die Nähe der Schlei und westlich bis an den Mittelrücken Cimbriens. Der Landgürtel zwischen Isarnho und der Schleswiger Bucht dagegen war Moor- und Heideland, auf dem nur kärgliche Frucht gedieh, das eben deshalb jedoch ein passendes Hinterland für den schützenden Hafen war, den die Seefahrer gern anliefen – das heutige Haddebyer Noor. Nach und nach setzten sich auch hier Dänen fest, und es bildete sich ein zweites Schleswig gegenüber dem alten, das mit diesem durch eine Brücke verbunden ward, die über die Möweninsel führte. Feindliche Einfälle brachten blutige Fehden und bedingten eine Befestigungsanlage. Nun wurde ein hoher Ringwall aufgeworfen, der nordwärts von einer Anhöhe überragt wird, auf der noch heute geringe Spuren auf eine verfallene Schutzwehr deuten. Es sind dies die Reste der einstigen Hohburg, nach Münzfunden aus der Karolingerzeit zu schließen, von Kaiser Karl dem Großen errichtet und vermutlich mit Hohbuoki identisch, dessen Einhard Erwähnung tut, und das man bei Boberg an der Bille gefunden zu haben glaubte. Allerdings ist auch die Ansicht nicht ganz von der Hand zu weisen, daß die Hohburg erst von Kaiser Otto II. erbaut worden ist; denn nach dem bereits oben erwähnten Thietmar von Merseburg ließ jener hierorts eine Burg errichten, auf der lange Zeit ein sächsischer Markgraf residierte. Nachdem die Dänen ihren Stützpunkt am Südufer der Schlei verlassen, taucht zuerst der Name Haethun, später Heitabyr, Haithabu, Hithabu auf, was soviel als Heideort bedeutet, eine Bezeichnung, welche die Besiegten dem alten Stadtteil beilegten. Die Namen Schleswig und Haddeby in ihren verschiedenen Schreib- und Sprechweisen sind im Laufe der Jahrhunderte vielfach durcheinandergewürfelt, ein Umstand, der wohl darauf zurückzuführen ist, daß einmal deutscher, ein andermal dänischer Einfluß für den Geschichtsschreiber bestimmend war. Es ist unstreitig, daß die Hohburg mit ihren nach der Wasserseite steilen Abhängen die Zitadelle des zwar umwallten aber dennoch nicht genügend befestigten Hithabu gewesen. Da dieser Ort infolge des Hafens nach Osten nicht geschlossen werden konnte, bedurfte er eines weiteren Schutzes. Hierzu war die waldversteckte Hohburg wie geschaffen. Ein reges Leben entwickelte sich in und um diese Grenzstadt, zu deren Füßen der Mönch Ansgar 827 die erste christliche Kirche auf der cimbrischen Halbinsel erbaute.

Ist sonach die Dannevirkelage bestimmt, so käme es nun darauf an, ihre geschichtliche Bedeutung zu beleuchten.

Im Kieler Altertumsmuseum befinden sich drei Runensteine, die mit einem vierten, auf dem Twieberge in unmittelbarer Nähe des Reesendammes bei Busdorf errichteten, Kunde aus uralter Zeit übermitteln. Die in den Schriftzügen des Futharkalphabets erhaltenen Worte erzählen von den Kämpfen um Haithabu, Hithabu und von den Recken, die ihr Blut fürs Vaterland ließen. Zwei dieser Steine heißen im Volksmunde die Sigtryggsteine, während der dritte der Erik- und der vierte der Skarthestein genannt werden. Ihre Inschriften sind:

a) Asfrid machte dies Grabdenkmal, die Tochter Odinkars nach Sigtrygg den König, ihren und Gnupas Sohn.

b) Asfrid machte dies Grabdenkmal nach Sigtrygg, ihrem auch Gnupas Sohn.

c) Thorulf, der Gefolgsmann Svens, setzte diesen Stein dem Erik, seinem Waffenbruder, der den Tod fand, als die Männer saßen um Haithabu, aber er war Schiffsführer, ein gar guter Mann.

d) König Sven setzte Stein nach Skarthe, seinem Heimdegen, welcher war gefahren westwärts (d. h. nach England) und nun ward tot bei Hithabu.

Von Mutterliebe, Freundestreue und Heldenmut reden diese lapidaren Runenschriften, die das Eine gemeinsam haben, daß sie Nachrufe für im Kampf gefallene Recken sind. Der Umstand, daß die Fundorte der Steine in der Nähe von Haddeby (aet Haethum) liegen, läßt untrüglich darauf schließen, daß die Männer im Kampfe um diese Grenzstadt untergingen. Was jene Kämpfe aber veranlaßt, davon zeugen die Funde, die sachkundige Forscher im Laufe des letzten Jahrhunderts zutage förderten, die die Angaben älterer Schriftsteller bestätigen, daß Hithabu nicht nur eine Königsstadt sondern vor allem auch eine weithin bekannte Handelsstadt gewesen.

Es ist erwiesene Tatsache, daß schon vor einem Jahrtausend in diesem innersten Winkel der Schleibucht ein schwunghafter Handel mit allerlei fremdländischen Waren betrieben wurde. Auf der Suche nach Bernstein kamen Araber und Phönizier bis Hedeby; Bulgaren brachten Silber, das sog. Hacksilber, aus dem die Münzen damaliger Zeit geprägt wurden. Auch mit England, Holland und der Normandie wurden einträgliche Handelsbeziehungen gepflogen; die Schiffe der Kaufleute jener Stadt, die nach Ethelwordi Historia Anglorum die Sachsen »Slesvic« und die Dänen »Heithaby« nannten, besuchten die Häfen Schwedens, Finnlands und Rußlands. Ebenso gingen landwärts Frachten aus Hedeby. Über Hollingstedt brachten die Händler die Erzeugnisse des Landes nach Hamburg und weiter. Funde von Urnen beim Bahnhofsneubau in Groß-Neuhausen, wie sie in gleicher Art nur in der Gegend von Schleswig – aus dem 10. Jahrhundert stammend – bekannt sind, lassen darauf schließen, daß trotz der Mühsale der Landreisen mit den Thüringern Handelsbeziehungen bestanden.

Inschrift des Skarthesteins.

Interessant ist, was der arabische Kosmograph Qazwînî im 13. Jahrhundert über Schleswig, die damals mächtigste Stadt in der Nähe des Dannewerks schreibt: Nach ihm ist Schleswig eine große Stadt am äußersten Ende des Weltmeeres. In ihrem Innern gibt es Quellen süßen Wassers. Ihre Bewohner beten den Sirius an, außer einer kleinen Anzahl, die Christen sind und dort eine Kirche besitzen. Tartusi erzählt: »Sie feiern ein Fest, an dem sie alle zusammenkommen, um den Gott zu ehren und um zu essen und zu trinken. Wer ein Opfertier schlachtet, befestigt an der Tür seines Hauses ein Holz und tut das Opfertier daran, sei es ein Rind oder ein Widder, Ziegenbock oder Schwein, damit die Leute wissen, daß er es geopfert zur Ehre seines Gottes. Die Stadt ist arm an Gütern und Segen. Die Hauptnahrung ihrer Bewohner besteht aus Fischen, von denen sie eine Menge haben. Werden einem von ihnen Kinder geboren, so wirft er sie ins Meer, um sich die Ausgaben zu sparen. Das Recht der Scheidung liegt bei den Frauen. Das Weib scheidet sich selbst, wenn sie will. Auch gibt es dort eine künstlich hergestellte Augenschminke, bei deren Gebrauch die Schönheit niemals abnimmt sondern noch zunimmt bei Männern und Frauen. Nie hörte ich häßlicheren Gesang als den der Schleswiger, und er ist ein Gebrumm, das herauskommt aus ihren Kehlen gleich dem Gebell der Hunde, nur noch wilder als dies.« Wieviel hiervon ins Reich der Fabel gehört, mag jeder selbst entscheiden. Mancherlei Wahres enthält die Schilderung der beiden doch: die Süßwasserquellen finden sich noch heutigentags und waren viel wert für sich hinter dem Dannevirke postierende Kriegsheere; auch der Fischreichtum ist unbestritten. Das Recht der Kinderaussetzung bestätigen alte Schriften. Die Ansgarkirche zu Haddeby war weithin bekannt. Von hier aus nahm die Ausbreitung des Christentums auf der cimbrischen Halbinsel ihren Anfang.

Wichtige Funde in den letzten 150 Jahren haben uns den Beweis geliefert, daß neben dem Handel auch die Industrie im alten Hedeby in hoher Blüte stand. Töpfer formten Urnen, mehr als Haushaltungsgegenstände denn zu Begräbniszwecken. Gehobene Sargreste und silberne Sargbeschläge weisen darauf hin, daß mit der Einführung des Christentums auch die Leichenverbrennung aufhörte, wenngleich auch aus der nämlichen Zeit stammende Opfer- und Beisetzungsurnen zutage gefördert wurden. Die große Anzahl vorhandener tönerner Spinnwirtel, ein Stück Lodengewebe und gewebte Sargauslage sprechen dafür, daß Spinnstuben bestanden. Ungezählte Knochenreste von Haustieren und Hirschgeweihbruchstücke neben bearbeiteten Geweihsprossen bezeugen die Herstellung von Beingegenständen. Auch das Schmiedehandwerk war nicht unbekannt, davon reden eiserne Nieten, Nägel und Äxte. Silber wurde zu Münzen, Spangen und Fibeln geformt und verarbeitet; selbst Goldsachen hat man in dem Schoße der Erde gefunden, die von Haddebys Vergangenheit reden. Wandbewurf und ein steinerner Herd lassen erkennen, daß die Männer in Hithabu – absichtlich wechsele ich mit der Bezeichnung des Namens der Ansiedlung analog der Gepflogenheit der älteren Schriftsteller und Historiker – ein seßhaftes Heim hatten. Daß die Schiffbaukunst hoch obenan stand, lehrt uns die Geschichte. In der Gegend der Waldemarsmauer mögen sich Ziegelbrennereien befunden haben; denn das Mauerwerk enthält noch jetzt Spuren von roten Ziegeln, die mit festem Mörtel gebunden sind, wie sie vielfach mit viel Mühen aus der Mauer gebrochen wurden, um von späteren Geschlechtern zum Hausbau verwendet zu werden. Die Steinhaukunst bekunden die schon erwähnten Runensteine.

Der Runenstein bei Busdorf (Skarthestein). [phot. von Augustiny-Kassel.]

Diesseits und jenseits der Schlei, von Eckernförde am Windebyer Noor vorbei nach Haddeby, besonders von hier über Klein-Dannewerk, Schuby, hinter Schleswig entlang nach Triangel zu sieht man noch heutigentags eine stattliche Anzahl von Hünengräbern, in denen die sterblichen Überreste der in vorchristlicher Zeit verstorbenen Großen des Volkes ruhen. Außer dem neuerdings abgetragenen Dronninghoi (Königinhügel) bei Schuby ist wohl der sog. Königshügel das bekannteste. »Köng Sie' Höh« heißt dies Grabmal im Volksmund, und nach alter Tradition soll König Sigurd hier begraben liegen. Heute schmückt die Stätte, an der vermutlich einst einer der Sigtrygg- (Sigurd) Steine stand, zur Erinnerung an die Schlacht zwischen Oberselk, Wedelspang und Jagel am 3. Feb. 1864 ein Stein mit der Inschrift auf die gefallenen Österreicher:

»Den tapferen Gefährten
sei dieser Kranz gewunden,
die hier in fremder Erde
ihr kaltes Grab gefunden. –

Den braven Kameraden
voll hohem Heldenmut,
die unsern Sieg erkauften
mit ihrem Herzensblut. –

Heimwärts nach Östreichs Auen
schwebt auf des Ruhmes Flügel
der Name aller Helden
vom Grab am Königshügel.«

Ein Denkmal, das wie die alten Runensteine noch nach einem Jahrtausend der Nachwelt die deutsche Waffenbrüderschaft verkünden möge!

Noch andere Namen stehen mit dem Dannevirke in enger Verbindung.

Da ist die Lohheide, berühmt durch die am 28. Juli 1261 daselbst geschlagene Schlacht, in der die Dänen unterlagen. Schleswig, von Dänemark losgerissen, ward fortan ein Bollwerk Holsteins gegen jütischen Einfluß, und die Doppeleiche, der Verbrüderung Symbol, schlug feste Wurzeln in dem vielumstrittenen Boden der cimbrischen Halbinsel.

Hollingstedt, ein wichtiger Handelsort und Stapelplatz im Schutze der Wallanlagen, wird schon im 11. Jahrhundert erwähnt. Damals erbauten dort die Engländer ein großes Kauf- und Packhaus, das später in eine Kirche umgewandelt wurde. Nach der Knytlinga- Saga brachte König Sven zu Lande seine Schiffe nach hier. Lange Jahre führte der einzige Weg von Schleswig nach Husum am Dannevirke entlang über Hollingstedt (Hölingstada). Hier oder bei Klein-Rheide befand sich eine Zollstätte, deren das Schleswiger Stadtrecht mehrere erwähnt. Eine andere war z. B. die Juriansburg auf der Möweninsel bei Schleswig in der Schlei.

Rheide heißt Reede und soll sagen, daß in der Zeit, als noch die Nordsee tiefer in das Land eingriff, daselbst eine Schiffsreede vorhanden war.

Große Sümpfe lagerten auch früher schon vor einem Teil des Dannevirke; eine Stelle am Kohgraben heißt Grundlos.

Das schon früher erwähnte Wiglesdoor (auch Fifeldoor = Meerestor) erhielt später den Namen Kalegat. Von hier aus zog Kaiser Otto II. in Jütland ein; Kaiser Lothar dagegen mußte dem sich ihm an dieser Stelle bietenden Widerstande weichen. Noch Ende des 16. Jahrhunderts soll das Kalegat die einzige Öffnung des Dannevirke und in seiner Nähe eine Viehzollstätte belegen gewesen sein.

Südwestlich der Hohburg, sagt man, habe einst ein mächtiger Opferstein gestanden; die Gegend wird noch heutigentags Bredensteen genannt.

Und so ließe sich gar mancherlei anführen, was zur Erläuterung von Namen dient, die im Volksmunde fortleben, deren Bedeutung indes den meisten unbekannt ist.

An der Kirche zu Norder-Fahrenstedt im Lande Angeln befindet sich ein Steinbild, das einen Lindwurm, einen Eichbaum, einen Vogel und einen Reiter zu Pferde darstellt. Da dieses Mal ein sehr hohes Alter hat, läßt es vermuten, daß den Hithabubewohnern die Sage von Siegfried dem Drachentöter nicht unbekannt gewesen sein kann. Das bestätigt auch Nornagest, des Dänen Thord Tingbit Sohn, der dem König Olaf Trygvason von dem Kampfe Sigurds (als des Begleiters König Gunnars) mit den Gandulfsöhnen erzählt. Olaf Trygvason aber war der treue Waffenbruder Svens, der bei Hithabu kämpfte.

Daß ein soviel umstrittenes Stück Erde wie das Dannevirke, das ein Jahrtausend lang Zeuge großer Taten gewesen, der Sage willkommene Stätte sein mußte, ist selbstverständlich. Bei der geachteten Stellung des Weibes unter den germanischen Völkerstämmen nimmt es auch nicht wunder, daß gerade die Heldinnen des Volkes der Mittelpunkt von Märchen und Dichtungen sind, die noch heute im Volksmunde fortleben. Und so begegnen wir allerorten am Dannewerk den Sagen von zwei Frauengestalten, die viel für ihr Vaterland getan und sich um den Grenzwall große Verdienste erworben haben; es sind dies die Königinnen Thyra Danebod und Margareta Sambiria.

Von der ersteren heißt es: Auf der Thyraburg bzw. auf dem Margaretenwall wandelt oft beim Mondschein, immer in der Mittsommernacht, eine Königin. Es ist die Tochter Harald Klacks, als deren Vater auch König Ethelred von England bezeichnet wird. Während sie ihr Kind im Arme trägt und über die Wallkrümmung schreitet, machen sich im Schatten des Dannevirke Schwarzelfen zu schaffen, goldene Platten herbeizuholen, aus denen sie einen Stuhl und eine Wiege errichten. Zur selbigen Zeit sprengte einst ein Reiter durchs Wiglesdoor. Er gewahrt die herrliche Frau, und geheime Regungen steigen in seiner Seele auf. Während Thyra das Kind in die Wiege legt und auf dem Stuhl Platz nimmt, versucht der Reiter, den Wall zu erreichen. Aber überall Moor und unwegbare Flächen. So sehr auch sein Rappe schäumt und schnauft, so sehr er sich auch dagegen sträubt, über den Sumpf zu jagen, des Helden Wille ist fest, und er unternimmt das Wagnis. Drüben singt Thyra ein Wiegenlied, um den Kleinen zur Ruhe zu lullen, dazu kämmt sie ihr goldenes Haar, das ihre Schultern umwallt. Im Wiesengrunde tanzen die Elfen. Leise wehen die Winde, und die Sterne blinken am Himmelszelt. Immer tiefer begibt sich der Reiter ins Moor, unerschütterlich in seinem Vorhaben. Nebel lagern im Tal und überziehen die braune Fläche. Nun gibt es kein Zurück mehr. Als die Nacht weicht, ist die Königin verschwunden; Roß und Reiter hat niemand wieder gesehen. Hellsehende Menschen können dagegen noch heutigentags Thyra Danebod und das Königskind schauen.

Während diese Frauengestalt an die lichte Göttin der Liebe, Frigga oder Freia, erinnert, finden wir in Margareta Sambiria, der »schwarzen Grete«, ein Abbild der todbringenden Hel.

Von letzterer plaudert die Sage: Sie sei eine sehr kriegerische Frau gewesen. Einst habe sie Krieg für ihren unmündigen Sohn mit einem sächsischen Prinzen geführt. Als sie jedoch die Wahrnehmung machte, daß die Schlacht zu ihren ungunsten auslaufen möchte, bot sie dem Fürsten einen Zweikampf an. Der Arglose ging darauf ein, und es wurde ein Walplatz in der Nähe des Dannevirke abgesteckt mit großen Feldsteinen; andere verlegen die Stätte auf die Südseite des Kohgrabens. Auf feurigen Rossen, wohlbewaffnet, rückten der Prinz und Margareta gegen einander vor. Sie warf zuerst den Speer, den der Schild des anderen geschickt auffing, so daß er den seinen schnell auf die Angreiferin richten konnte. Beim nächsten Anprall zerbrachen die eschenen Lanzenschäfte; bluttriefend sanken die schäumenden Rosse zu Boden. Nun begann ein heftiger Schwertkampf. Da lockerte sich Margaretas Sturmhaube, und sie bat um Waffenruhe. Der Prinz willigte ritterlich ein und wollte auf der Hinterlistigen Wunsch sogar sein Schwert bis zum Knauf in die Erde stecken. Doch kaum hatte er sich gebückt, als ihm Margareta das Haupt abschlug. – Im Dronninghoi beim Deckerkrug in der Gemarkung Schuby, westlich von Schleswig hat man vor wenig Jahren neben einem Skelett, das das der von Gewissensbissen gepeinigten »falschen Fraue« sein soll, die auf ihren ausdrücklichen Wunsch der Sage nach hier bestattet wurde, weitere menschliche Überreste gefunden. Auffallend ist, daß der einen Leiche der Kopf vor der Beerdigung vom Rumpf getrennt sein muß; denn er lag zu Füßen der noch verhältnismäßig gut erhaltenen Skelettreste. Auch sagt man, daß hier ein Prinz begraben liege, der noch manchmal an silberner Tafel beim silbernen Teetopf gesehen würde.

Bemerkenswert ist in diesen beiden Sagen der dänischen Königinnen, daß beide als sorgende Mütter auftreten. Beide sind in Gefahr: Thyra wird von einem Reiter bedroht, der sie für sich gewinnen will; Margareta kämpft für das Erbe ihres Sohnes. Jedesmal siegt die Frau; aber Thyras Sieg ist der über die Macht der Finsternis, während Margareta, die schwarze Grete, über das Gute siegt, den edlen Prinzen von Sachsen. Thyra, die Lichthelle, erscheint mit goldenem Haar; Stuhl, Wiege, sogar der Kamm sind golden. Margareta trägt der Erzählung nach eine silberne Brünne und silberne Sturmhaube. Auch das Teegerät des Prinzen besteht aus Silber. Das Helle, der Tag mit der Sonne, golden – das Dunkle, die Nacht mit dem Monde, silbern. Gut und Böse in schroffem Gegensatz!

So sehen wir, wie das Dannevirke in jeder Beziehung ein hervorragendes Völkermal geworden, eine unerschöpfliche Quelle des Forschens auf allen Gebieten. Solche Stätten müssen weiter in bestem Zustande erhalten werden. Hierauf zielt eine Reihe Verfügungen und Verordnungen der Staatsbehörden. Auf die Erhaltung der Denkmäler und Erdwerke aus der Vorzeit bezieht sich für das Geltungsbereich des Dannewerks insbesondere die Bekanntmachung der Königl. Regierung in Schleswig vom 5. März 1887 (Amtsblatt Stück 62, Seite 783), nach welcher die unbefugten Ausgrabungen der Überreste der Vorzeit – Stein- und Erdmonumente, Gräberfelder, Reihengräber, Urnenfriedhöfe, Wendenkirchhöfe, Steinhäuser, Hünengräber, Hünen- oder Riesenbetten, Ansiedlungsplätze, Ringwälle, Landwehren, Schanzen, Mauerreste, Pfahlbauten, Bohlbrücken usw. aus römischer, heidnisch-germanischer oder unbestimmbar vorgeschichtlicher Zeit – sowie die Verschleppung der dabei gewonnenen Fundstücke einen derartigen Umfang angenommen hatten, daß ihnen im allgemeinen Interesse entgegengetreten werden mußte. Wenn die in vorstehend erwähnter Bekanntmachung gegebenen Bestimmungen beachtet werden, insbesondere auch die Grundbesitzer in ihrem Teil dazu mitwirken, daß das Dannevirke vor weiterer Zerstörung geschützt bleibt, dann werden diese Worte Wahrheit werden: »Feilscht auch die Welt oft um fremde Gunst, reißt auch das Schicksal gar manchen von der Scholle hinweg in die Ferne – eins bindet doch alle: die Heimatliebe, die der Urväter Art und germanische Treue am besten im Beharren am guten Alten kennzeichnet.«


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