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Die Leibeigenschaft.

Von A. Forchhammer.

Wie stand es um die Leibeigenen? Die Gegenwart, die es noch weiß, ist schuldig, es der Nachwelt zu sagen.

Mit dem sechsten Jahre des Leibeigenen fing seine Dienstbarkeit an. Zuerst wurde er als Gänsejunge aufgestellt, und wenn er ein wenig mehr herangewachsen war, als Schafjunge. Für solchen Dienst erhielt er seine tägliche Nahrung und einige Ellen grober Leinwand zur Kleidung. Etwa mit dem zwölften Jahre wurde er zur wirklichen Ackerarbeit verwandt; er erhielt dann den Titel Kleinjung und außerdem einen Lohn von 4-5 Mark. Mit dem fünfzehnten Jahre aber wurde er Troßjung mit einem Lohn von 8 Mark. Als Kleinknecht, welchen Rang er mit dem zwanzigsten Jahre erreichen konnte, erhielt er bei besonders liberalen Herrschaften 18 Mark Lohn. Endlich konnte er mit dem fünfundzwanzigsten Jahre Großknecht sein und seinen Lohn um ein paar Mark vermehren. Neben dem Lohn hatte der Knecht auch noch einige Naturallieferungen, die mit seinem Range stiegen, so daß sich im ganzen sein Lohn auf 30-40 Mark belaufen konnte. Übrigens gehörte viel Glück dazu, mit den angegebenen Jahren aufzurücken, und es war keineswegs selten, daß ein Dreißigjähriger noch als Großjung diente. Die Mädchen dienten in der Regel als Mägde, doch wurden sie auch zur Feldarbeit gebraucht, wenn auf dem Gute Mangel an Knechten war; sie erhielten 10-12 Mark Lohn. Die Knechte und Mägde dienten nicht alle auf dem Hofe, sondern die allermeisten wurden den Bauern zugeteilt. Die Knechte aber zogen den Dienst auf dem Hofe vor, weil er sie vom Soldatendienste befreite. Von jeden 3½ Pflügen des Gutes wurde nämlich ein Soldat oder, wie er genannt wurde, Landausschußmann gestellt. Wenn der Großknecht einige Jahre gedient hatte und kein Mangel an jungen Leuten im Gute war, so wurde er durch die Gnade seines Herrn Inste; er erhielt eine Hütte nebst Kohlhof und die Erlaubnis zu heiraten. Dafür mußten er und seine Frau wöchentlich mehrere Tage auf dem Hofe arbeiten; die andern Tage wurden angewandt, um durch Tagelohn den nötigen Unterhalt zu verdienen; oft auch arbeitete der Mann nur in der Erntezeit, die Frau dann aber so viele Tage wöchentlich mehr, oft nach Willkür des Herrn, der sich jedoch in der Aufladung der Last auf die Insten etwas mäßigen mußte, weil er selbst sie im Falle von Krankheit, Alter oder völliger Armut (worunter man wirkliche Hungersnot verstand) ernähren mußte. An Tagelöhnerarbeit für die Insten fehlte es in der Regel nicht, und wenn sie auf dem Gute, zu dem der Inste gehörte, nicht zu haben war, so erhielt er Erlaubnis, auf den benachbarten Höfen zu arbeiten. Die höchste Stufe irdischen Glücks, die der Leibeigene erreichen konnte, war, Besitzer einer halben oder ganzen Hufe zu sein. Hatte er dieses Glück, so wurde ihm eine Landstelle von 70-80 Tonnen übergeben. Mit dieser Landstelle erhielt der Hufner zugleich das Inventar, dessen Hauptbestandteile 4-5 Kühe und 14-16 Pferde waren. Das ganze Inventar würde mancher unserer jetzigen Hufner nicht gegen sein Sattelpferd eintauschen mögen; denn in Bausch und Bogen wurde in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts jedes Pferd zu fünf Talern angeschlagen, und es ist zu bezweifeln, daß sie späterhin mehr wert waren. Die Wohnungen waren oft vier Lehmwände, zur Notdurft abgekleidet, wie man sie – obwohl höchst selten – noch finden kann; dagegen würde man eine Instenwohnung, wie viele aus der Zeit, jetzt vergebens suchen, und wenn man sie fände, nicht begreifen, wie Menschen so hätten wohnen können. Oft genug bestanden sie aus vier Wänden mit einem Dache darüber, in welchem Raum sich Menschen und Vieh durcheinander herumtummelten. Der Hufner gab für seine Hufe keinen Pacht, wohl aber einige wenige Naturalien; oft aber hatte er neben der Hufe noch ein besonderes Stück Land, vorzüglich Wiesen, in wirklicher Pacht. Seine Gegenleistung für den Genuß der Hufe bestand in Diensten. Täglich mußte er mit wenigstens 8 Pferden und 5-6 Mann, mit dem nötigen Geräte versehen, auf dem Hofe erscheinen und nach Anweisung des Kornschreibers oder Vogtes die für die Bewirtschaftung des Hofes nötigen Arbeiten und Fuhren beschaffen. Bei der damaligen schlechten Landwirtschaft, die höchstens den fünften Teil des jetzigen Ertrages lieferte, mußten die vielen Pferde und Knechte den ganzen Ertrag der Hufe verschlingen, und jedes Unglück, das die Wirtschaft traf, namentlich aber Mißwachs, richtete den Hufner völlig zugrunde; denn nun trat die Gutsherrschaft herzu und machte Vorschüsse, wenn sie den Hufner nämlich auf dem Hofe ließ. Um diese Vorschüsse zurückzubezahlen, wurde der Hufner verpflichtet, alles Korn, so wie es abgedroschen war, an den Gutsherrn zu liefern, der dafür einen beliebigen Preis berechnete. Ja, es gab Gutsherren, die den Hufner, gleich nachdem er die Hufe angetreten hatte, in dieses Verhältnis zu bringen wußten, indem sie ihm nicht allein das bis zur Ernte nötige Korn vorschossen sondern ihn auch zwangen, das Inventar zu kaufen und für den Kaufpreis Schuldner zu bleiben; denn daß der Hufner beim Antritt der Hufe diese hätte bezahlen können, daran war nicht zu denken. – Außer der geringen mechanischen Fertigkeit, die zum Ackerbau gehört, blieb der Leibeigene völlig unwissend. Freilich gab es hin und wieder Schulen; allein woher sollten die Kinder, die neben dem frühen Dienst noch oft genug für sich und ihre Eltern Brot betteln mußten, die Zeit hernehmen, zur Schule zu gehen? Und wenn sie die hatten, woher sollte Lust und Eifer zum Lernen kommen? Mit dieser Unwissenheit war eine ganz unglaubliche geistige Trägheit und Gleichgültigkeit verbunden. Es gab Hunderte von Leibeigenen, die nie in die nächste Stadt gekommen waren. Dabei war es denn um so natürlicher, daß der Leibeigene nicht den geringsten Trieb zur Arbeit hatte, da nicht ihm sondern lediglich dem Gutsherrn die Früchte seiner Tätigkeit gehörten. Knechte und Insten suchten gemeinschaftlich durch Faulenzen ihren Tag hinzubringen, und allein die Peitsche, die der Vogt nicht aus der Hand legen durfte, konnte sie einigermaßen zur Arbeit anhalten. Der Hufner ging selten zu Hofe, seine Frau niemals, allein er war darum nicht minder Sklave; mit den Pferden und Knechten, die ihm blieben, mußte er seine Hufe bestellen. Hatte er Glück, so konnte er sich auf seiner Hufe ein kleines Vermögen erwerben, was jedoch sehr selten war. Kam er dagegen auf der Hufe nicht fort, wurde er dem Herrn zuviel schuldig oder mißfiel er diesem auf andere Weise, so wurde ihm ohne weiteres die Hufe genommen und er zum Tagelöhner gemacht. Ebenso hing es lediglich vom Willen des Gutsherrn ab, ob der Tagelöhner wieder Knecht werden oder eine Hufe übernehmen sollte. So wie die Peitsche den Knecht und Tagelöhner immer in Feindschaft mit dem Gutsherrn hielt, so war dies mit dem Hufner dann der Fall, wenn er sein Korn, so wie es gedroschen war, dem Gutsherrn abliefern mußte. Er suchte einen Teil davon zu verheimlichen, was der Herr dann stehlen nannte und, wenn er wollte, wie Diebstahl bestrafte. Der Gutsherr seinerseits mußte hart, wenigstens strenge sein, wenn er sein Gut ordentlich betreiben wollte; denn mit Güte allein war bei den so verwilderten Leibeigenen wenig auszurichten. Manchmal artete die bei diesem Verhältnis nötige Strenge in Grausamkeit aus; so marterte z. B. ein Gutsherr von Bürau im Jahre 1722 drei seiner Leibeigenen zum Teil eigenhändig zu Tode, während ein vierter kaum mit dem Leben davonkam. Diese Grausamkeit freilich ist mit fünfjähriger Verbannung und 20 000 Rbtlr. Reichsbanktaler. Brüche bestraft worden. In der Regel aber kümmerte sich kein Mensch darum, was der Gutsherr mit seinen Leibeigenen machte. Tat die Peitsche oder Gefängnis auf dem Hofe die davon erwartete Wirkung nicht mehr, so sandte der Gutsherr die Männer ohne weiteres in die Karre, die Weiber ins Zuchthaus, in der Regel freilich nur auf kurze Zeit; denn er konnte oder wollte ihre Arbeit auf dem Hofe nicht entbehren. Der Leibeigene suchte sich wohl durch die Flucht der Sklaverei zu entziehen; allein gewöhnlich mißlang sie, weil die Ämter und Städte und selbst Hamburg und Lübeck die Entwichenen zurücklieferten; nur in den Marschen fanden sie oft Schutz. Selten kam es zu einem tätlichen Widerstande mit vereinter Kraft, wie dieses 1731 auf Oehn geschah, wo die Leibeigenen den Vogt mit Sensen erschlugen. Nach kurzer Untersuchung wurden fünf der Täter enthauptet, vier auf Lebenszeit zur Karrenstrafe verurteilt und die übrigen mehr oder weniger hart bestraft. Verfeinerte Sitten, das größere Gewicht der öffentlichen Meinung und vermehrte Tätigkeit der Regierungsbehörden wirkten in der letzten Hälfte des 18. Jahrhunderts insofern zugunsten der Leibeigenen, daß sie weniger den körperlichen Mißhandlungen ausgesetzt waren als früher; allein in anderer Beziehung wurde ihr Los bedeutend verschlimmert. Viele Gutsbesitzer nämlich fanden es vorteilhaft, ihre Höfe selbst zu bewirtschaften; sie schafften sich Pferde und Ackergerät an und bedurften nur der Hände der Leibeigenen. Die Hufen wurden daher überflüssig und demzufolge eingezogen und zu eignen Gütern oder Meierhöfen gemacht. So wurden in allen diesen Gütern alle Hufner mit einem Male zu Tagelöhnern herabgesetzt und Tausenden von Menschen die einzige Hoffnung, jemals zu einem einigermaßen behaglichen Leben zu kommen, verscheucht.

Aufgehoben ist die Leibeigenschaft, möchte sie in keinerlei Maß und Weise je wieder eingeführt werden, auch in der ägyptischen Weise nicht!

1. Mose, 47, 25.


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