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d. Dunkle Tage.

Der Brand der Nikolaikirche in Hamburg am 5. Mai 1842.

Von Carl Reinhardt.

Ein wochenlang anhaltender Ostwind und Sonnenschein hatte die jahrhundertealten Bauwerke der Hansastadt bis zur äußersten Dürre ausgetrocknet.

Der immer stärker werdende Wind trieb einen glühenden Aschen- und Funkenregen über die Stadt und jagte das Flugfeuer vor sich her. Die brennbaren Sachen aus den Speichern stiegen turmhoch in die Luft, wobei sie ein furchtbar prachtvolles Schauspiel gewährten. Dann verteilten sie sich, garbenmäßig herabsinkend und wurden vom Wind in unbewachte Bodenluken oder zwischen die Holzgesimse getrieben, wo sie zündeten und Feuer, Schreck und Verwirrung weitertrugen.

Der alte Nikolaiturm ward manchmal von solchen glühenden Funkenschwärmen gänzlich eingehüllt. Brennender Schellack und dergl. legte sich auf sein Kupferdach, und durch die offene Kuppel flogen solche Massen Flugfeuer, daß die Leute darin oft von der Brandseite weichen mußten. Nur ein kleiner Schornsteinfegerjunge saß in halsbrecherischer Stellung vor dem Geländer und kehrte die Funken mit einem Besen von den schadhaften Stellen, wo das Kupfer vom Wetter zerfressen und das Holz darunter sichtbar war.

Es wurde dem alten Turme aber dennoch zu heiß. Das Kupfer begann an mehreren Stellen abzuplatzen, weil das Holz so zusammentrocknete, daß die Nägel nicht mehr hielten. Vom wochenlangen Ostwind schon fast zur Mumie ausgedörrt, schwand bei der furchtbaren Feuerhitze jeder Rest von Feuchtigkeit aus dem alten Gebälk. – Der ganze Holzaufsatz fing an zu knarren und zu knacken. Er reckte und dehnte sich förmlich wie in todesangstvoller Feuerqual, als ahne der Turm, daß seine letzte Stunde gekommen sei.

Der Türmer hörte entsetzt das spukhafte Leben, das sich im Holzwerke über ihm regte und zog verzweifelt fort und fort an der Feuerglocke.

Die Feuermasse verdünnte die Luft dermaßen, daß sich mehr und mehr Wind erzeugte, der fast zum Sturme wuchs.

Die Spritzen waren machtlos. Der Stolz der alten Hamburger Spritzenleute war gebrochen. – Man mußte auf andere ungewöhnliche Mittel denken, um dem furchtbaren Elemente einen Damm entgegenzusetzen.

Aller Augen hingen am Nikolaiturm, der jetzt aus dem Flammen- und Funkenmeer wie ein Leuchtturm hervorragte, den eine feurige See umspült.

Der Turm hatte den 5. Mai in zwei Hälften geteilt und die zwölfte Stunde geschlagen. Es war das letztemal, daß er dies tat.

Gegen 1 Uhr sahen tausend Augen eine leichte Röte zwischen den Kugeln, welche die oberste Spitze trugen. Schwache Dampfwolken schienen sich unter dem Kupfer hervorzuziehen. – Man hielt es für eine Täuschung, für den Widerschein des unten wütenden Feuers.

Die oben im Turme wußten es jedoch besser. Ihr Schreckensschrei ward unten im Tumulte nicht gehört, aber man sah ihre Bewegung. Der kleine Schornsteinfeger ließ seinen Besen herabfallen und kletterte eiligst zwischen die Säulen hinein. – Es zogen stärkere Rauchwolken von der Spitze hinweg.

» Der Turm brennt!« – – Dieses Schreckenswort ward von hunderttausend Menschen gleichzeitig im Umkreise der Stadt ausgesprochen. – Bisher waren es wachsende Gerüchte, die Stadt und Vorstadt alarmierten. Dann bestätigten sie die wachsenden Rauch- und Flammensäulen, und jetzt schrieb ein feuriger Finger hoch oben vom Turme die Kunde, daß das Unglück über die Stadt schreite. Der Eindruck war furchtbar, gleich dem, als die geheimnisvolle Hand die feurigen Worte mene, mene, tekel, upharsin an die Wand des Belsazerpalastes schrieb, in dem man bei frohem Mahle saß. Wer die Schrift lesen konnte, erbleichte und sah, daß ein Tag gekommen war, wie seit Davousts Scheiden keiner dagewesen. – Mit dem Brande des Turmes war das Unheil vollständig entfesselt und schritt riesengroß einher. Der Widerstand dagegen begann zu sinken. Die Bürger standen neben ihren brennenden Möbeln und hatten keinen Blick, keine Hand für sie. Die Augen hafteten am Turme und fragten: »Wird man ihn retten können?« – –

Man versuchte es. – Der Feuerbeamte Moltrecht stieg hinauf und befahl zugleich die Kirchenspritze und Wasser nach oben zu bringen. – Die Kirchenspritze war nicht in Ordnung. – Man brachte Schläuche und Wasser auf den Turm und versuchte, einen Wasserstrahl zwischen das brennende Gebälk zu leiten. Er langte jedoch nicht hinauf. Es brachte irgend jemand eine Leiter. Moltrecht lehnte sie an eine der Säulen und stieg mit dem Eimer hinauf, um das Feuer zwischen den Kugeln auszugießen. Es war ein schwindelnder Weg, eine waghalsig gefährliche Stellung. Die Leiter, nur einen schmalen Stützpunkt an der runden Säule findend, würde mit ihm, wenn sie ins Schwanken gekommen, durch die Kuppel hinaus in die furchtbare Tiefe gestürzt sein. Er sah neben sich die freie Luft mit Rauch und Funken erfüllt, unter sich den Hopfenmarkt voller Menschen in Pygmäengestalten, Däumlinge, die alle ihre Gesichter aufwärts gegen ihn gekehrt hatten. Seine Nerven waren aber eisenfest, wie sie bei einem Manne in der Gefahr sein müssen. Er rief den Leuten zu, die Leiter gut zu halten und goß den Eimer nach den leckenden Flammen hinauf. Er traf sie aber nicht. Sie züngelten hinter den Kugeln. Die Leiter war zu kurz.

»Ich möchte beim Teufel wissen, was dahinten steckt und Feuer gefangen hat!« rief er, die flackernden Flämmchen betrachtend. »Die Balken brennen noch nicht. – Herr Gott! Nur eine ordentliche Spritze herauf! – Ich glaube, die Zimmerleute haben Hobelspäne beim Bauen in den Ecken liegen lassen.«

»Nein, es sind Vogelnester zwischen den Kugeln!« schrie der kleine Schornsteinfeger. – »Dort, wo es brennt, ist ein großes Habichtsnest, und dort und da sind Dohlennester, die verlassen sind, seit der Habicht hier ist. – Ich habe schon mehrmals versucht, die Jungen auszunehmen, aber es ist nicht möglich, da hinauf zu kommen, ohne den Hals zu brechen.«

»Es ist unverzeihlich, daß keine Leiter hier oben ist, um nach solchen Stellen zu kommen und daß die Kirchenspritze in so jämmerlichem Zustande ist!« riefen die Männer. – Man versuchte nochmals, die Glut mit den Eimern zu löschen, allein vergeblich. Sie griff weiter, und es fing in der verdeckten Spitze an zu prasseln und zu knacken. Bald fielen einzelne glühende Kohlen herab. Die Flammen krochen unter dem Kupfer hervor und liefen nach dem Kreuze hinauf. Der Sturmwind pfiff zwar durch die Säulen und blies das Feuer auf Augenblicke aus, aber nur, um es dann wieder stärker anzublasen.

Die Männer oben standen in verzweifeltem Schweigen. Einige ergriffen die Flucht und eilten die Treppen hinab. Mehrere Zimmerleute, die mit einem Stadtbaumeister heraufgekommen waren, standen auf ihre Äxte gelehnt und blickten kummervoll auf das Meisterstück und den Stolz der Zimmerkunst, den Holzbau des Turmes, der jetzt der Vernichtung anheim fallen sollte.

Moltrecht sah ihre Mienen und ihre Äxte. Ein Gedanke fuhr durch seinen Kopf.

»Hierher, Leute!« rief er. »Haut diese Säulen durch! – Hier, auf der Luvseite, wo der Wind herkommt. – Dann stürzen wir die ganze Spitze hinunter und retten so vielleicht das, was unter uns ist.«

»Das geht nicht!« sprach der Baumeister, eine Prise nehmend. »Wir müßten wenigstens die Hälfte der Säulen abhauen und dann würde uns die ganze Geschichte über dem Kopfe zusammenfallen. – Wir haben auch keine Zeit mehr. – Da!« – – –

Ein Regen von glühenden Kohlen und ein furchtbares Prasseln der Flammen von oben folgte den Worten und trieb alle hinab. Es war etwa gegen drei Uhr, als die Verteidiger des Turmes die Flucht ergreifen mußten. Die alte Wendeltreppe, die aus dem Holzbau herunterführte, knackte und schwankte sehr bedenklich unter der ungewohnten Menschenlast. Der Feuerregen von oben nahm zu und trieb zur höchsten Eile. Dennoch blieben die Hinabsteigenden einen Augenblick verwundert stehen, als sie die Töne des Glockenspieles in so wilder Verwirrung erklingen hörten, als ließen die Glocken ihren Todesschrei erschallen. – Ein Krachen von oben trieb jedoch alles in schleunigster Flucht hinab. Die Glocken verstummten. Das Feuer brach in den Turm hinein; und oben an der glühenden Treppe erschien der kleine Schonsteinfeger, der das Spiel noch einmal in Bewegung gesetzt hatte, um die oft gehörten und angestaunten Klänge zum letztenmale zu hören. Er sprang die brennenden Stufen herab, wobei ihn die Flammen und fallende Holzbrände wie böse Geister verfolgten und zu ungeheuren Sätzen zwangen, als wollten sie Rache für seinen Kampf gegen sie nehmen. Von Rauch und Funken geblendet, tat er einen Fehltritt und stürzte eine Strecke hinab, wo er besinnungslos, mit einem zerbrochenen Beine liegen blieb. Ein mitleidiger Spritzenmann trug ihn fort und legte ihn in einer Straße auf ein Sofa, das er dort fand.

Etwa eine Stunde, nachdem die Männer vom Turme weichen mußten, brach seine Spitze herab und zerschmetterte das Kirchendach sowie das der Predigerhäuser, aus denen sogleich die Flammen schlugen. Der Turm erschien jetzt wie ein riesiger Schmelzofen voll Glut erfüllt. Die Luft stürzte unten in alle Öffnungen und fuhr mit entsetzlichem Heulen und Krachen samt der Lohe oben hinaus. Eine Flamme von nie gesehener Größe entstieg dem Holzbau, von dem die Kupferdachung teils in grünen Flammen verbrannte teils schmelzend herablief, bis das ganze innere Balkenwerk des Aufsatzes rotglühend erschien, was den Anblick bot, als sei es von purem Golde. – Alle Blicke hingen staunend daran. Es war wie in einem furchtbaren Zaubermärchen; denn die vier kolossalen Rinnen mit den abenteuerlichen Drachenköpfen an der Galerie spien Kaskaden von glühendem, geschmolzenem Kupfer hinab, das alles, was lebte, unten verjagte. Die Glocken fielen in Tropfen hinunter; und gegen halb sechs Uhr brach das goldige Gerippe zusammen und trieb eine Glutsäule aus den Turmmauern gegen den Himmel, welche die Höhe des Turmes vierfach überstieg und dem Ausbruche eines Vulkans gleichkam. Dann erschien ein dicker, massiver Qualm, der alles verhüllte und sich wie Hagel zur Erde herabsenkte, bis er anfing, rötlich zu schimmern und ein unbeschreiblicher Kohlen- und Brandregen daraus hervorbrach, der die Stadt nach allen Richtungen überschüttete und an hundert Orten zugleich zündete.

Entmutigung, Flucht, Geschrei und Verzweiflung sowie unendliche Verwirrung war die Folge dieser Szene. Kein Mensch und keine Gegend der Stadt fühlte sich nun mehr sicher. Die Blicke der Fliehenden kehrten nochmals nach dem Turme zurück, der Fuß hielt an. – Der Qualm war gewichen, und die glühenden Mauern des Turmes und der Kirche standen klar in der Luft und zwar in hellen, goldigen Farben. Die alten Spitzbogenfenster waren von der innern Glut wie von geschmolzenem Gold erfüllt, während hoch aus dem obersten Turmstumpf eine gigantische, spitze, hellgrüngoldige Flamme ohne jeden Rauch flackerte. Eine Opferflamme auf dem Grabe eines stolzen Bauriesen der nordischen Hansastadt, die weit in das Land hinaus leuchtete und die Nachbarn zur Hilfe herbeirief.

So weit aber auch die Flamme ihr Licht hinauswarf, so weit trat alles andere in den Hintergrund. Neugier und Mitleid für die brennende Stadt erfüllte jedes Gemüt. Der Trieb zu helfen erwachte, und was im Umkreise vieler Stunden zum Löschen der Flammen dienen konnte, eilte dem Feuerzeichen des Turmes zu.

Aus: Carl Reinhardt, Der fünfte Mai. Lebensbild von der Unterelbe, IIlustr. Roman. (Hamburg Kramersche Sort.-Buchhandlg. [Steudel & Hartkopf].)


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