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Städtchen der Niederelbe.

Von Jean Paul d'Ardeschah.

Die mächtige Niederelbe, die Hamburg reich und groß gemacht hat, hat sonst keine andere Stadt annähernd so begünstigt. Es mögen Harburg und Altona eine schöne Zukunft haben, doch ist diese unmittelbar von Hamburg abhängig, sofern sie als Wasserstädte gelten wollen. Außer diesen hat die Niederelbe nur Städtchen aufzuweisen. Da gibt es Städtchen, die so stolz auf ihrer Geesthöhe liegen wie Lauenburg; der Strom zieht tief unten vorüber; jeglicher Zutritt ins Innere der Stadt ist ihm verwehrt. Schmal nur drückt sich ein Häuserstreifen zwischen das Wasser und die aufsteigenden steinumsäumten Terrassen der Anhöhen; keine stille Bucht breitet sich aus zum freundlichen Willkomm der nahenden Schiffe, kein Hafen mit ragenden Masten hinter grünen Deichen blinkt ihnen entgegen. Abweisend recken sich die dunkelbewachsenen Hügelflanken empor. Man muß oben auf dem Berge stehen, um das wahre Verhältnis zu erkennen. Es gibt ein melancholisches Bild: weithin die stets umflorten Wiesenflächen des entgegengesetzten Ufers, zerstreute Bäume und Gehöfte, die im Marschendunst geisterhaft schwimmen, näher die von kleinen qualmenden Dampfern geschleppten, achtlos vorüberziehenden Kahnzüge. Der gleißende Fluß scheint das spröde Städtchen vergessen zu haben, obgleich es so nahe an seinen Ufern sitzt; und so hockt es auf seinen schwarzen Hügeln wie ein trutziger sehnsuchtskranker Ritter, der nicht weiß, wie er seinen stachligen, alten Panzer lösen soll und doch so gern sich mit ausgebreiteten Armen dem Leben an die Brust werfen möchte und nicht mehr einsam träumen auf seinem Hügel bis in unabsehbare Zeiten. Man muß ein solches Städtchen an einem goldenen Nachmittag gesehen haben und dann beim Mondschein die Elbe abwärts bis nach Hamburg gefahren sein, um diesen Unterschied zu begreifen. Die in flutendes Silber getauchte Melodie des dahingehenden, sich unaufhörlich verbreiternden Stromes, verbrämt mit funkelnden Deichlaternen und sprühenden Blinkfeuern, von schaukelnden Schiffslichtern übersät, wird wie ein riesig anschwellender Lebenssang anmuten, dem die noch frische Erinnerung wie ein Seufzer nachschleicht. Übrigens haben auch Altona und Harburg ein ihrem Wesen nach ähnliches Verhältnis zur Elbe, wenn auch hier manches nicht mehr so offen liegt. Nur Blankenese, das zukünftige Elbluststädtchen, von dem einmal sehr treffend gesagt wurde, daß es ewig Sonntag feiert, hat sich diesem Fluch entzogen, wie eine verzauberte Prinzessin durch den Blick in einen magischen Spiegel. Als Fischerdorf hat es wenig Glück gehabt; es wäre auch anderweitig gescheitert, wenn es auf den vorüberziehenden Strom gebaut hätte. Nun hat es sich durch den Schein von seinem Verhängnis befreit, indem es vom Bilde der Elbe lebt – so zieht es alles an sich, was vom schönen Schein leben will. Viel hat es aber auch den beiden Elbsanden zu verdanken, dem großen und dem kleinen Schweinesand, die die Fahrrinne der Elbe näher ans Ufer gedrängt haben, so daß man alle vorüberziehenden Dampfer und Segler aus unmittelbarer Nähe betrachten kann – ein Bild voll ewig wechselnder Reize und wunderbar belebten Lebens, doch wohlgemerkt – nur ein Bild. Wer in dunkler Nacht auf der Blankeneser Landungsbrücke steht, zur Zeit der Ebbe besonders, wenn der Strom, von der Flut nicht aufgehalten, geheimnisvoll gurgelnd und seufzend an den Brückenpfosten vorüberfließt, der wird, wenn die meisten Lichter auf den Hügeln hinter ihm erloschen sind, sich schwerlich des Eindrucks der Gespenstigkeit seines augenblicklichen Daseins erwehren können. Lautlos wird das nächtliche Leben der Elbe an ihm vorübergleiten, er wird die Segelkutter mit grauen Fledermausflügeln und grünen Lichtaugen stromabwärts huschen sehen in einer stummen gespenstigen Reihe; dann wird vielleicht eins von ihnen auf ihn zusteuern mit schwarzen Segeln, die riesenhaft emporwachsen, mit zwei glühenden Augen, von denen eins rot, das andere grün starrt, und plötzlich wird der unheimliche Segler sich lautlos wenden und lautlos in die Nacht entschwinden. Und während der einsame Beobachter noch dasteht, von einem plötzlichen Gruseln überrieselt, wird vielleicht ein weißes Schiff vor seinen erstaunten Augen auftauchen mit langen, goldenen Reihen funkelnder Lichter, mit nahem Stimmengewirr und gut vernehmbarem Menschenlachen, das über das dunkle Wasser sprüht; er wird jäh die Hände ausstrecken und doch das Bild kaum einen Augenblick lang halten können. So pflegt sich der Schein an dem zu rächen, der vom Scheine lebt, doch die meisten wissen nichts davon. Sie verschlafen die Stunden solcher Offenbarungen.

Vom Seestrand bei Husum.

Ein anderer Typus ist das versandete Städtchen der Niederelbe. Hier ist nicht das Städtchen sondern umgekehrt die Elbe das abwehrende Element. Das Städtchen lugt auf bläulich hügeligem Geesthintergrund mit spitzen roten Dächern und ältlichen, meistens grünpatinierten Türmen über die wallartigen Deiche ins flache, von glitzernden Wasserstreifen durchzogene Land; es hat einen kleinen blanken Hafen mit vielverankerten Kaimauern und alten Speicherbauten, deren geborstene Wände von seltsamer Schönheit sind. Stille Grachten mit alten Bäumen, feierlichen Giebeln, steinernen Treppenstufen und rauschenden Schleusen schlummern, selten von bunten Kähnen belästigt, im Schoße der Stadt. Die Häuser tragen noch manche Erinnerung an eine vergangene hoffnungsvollere Zeit. Diese Städtchen, so klein, unbekannt und unbedeutend sie auch daliegen hinter ihren Deichen, verdienen liebevolle Beachtung. Sie sind von einer eigentümlich elegischen Romantik, die um so tiefer ergreift, weil sie nicht nur erträumt sein kann sondern auch in der Wirklichkeit immer noch tätig ist und von der umgebenden Natur zu einer greifbaren Deutlichkeit verstärkt wird, so daß man sich ihr unmöglich entziehen kann. Einst haben diese Städtchen fast unmittelbar an dem Elbstrom gelegen, sie schickten ihre Schiffe hinaus aufs Meer und träumten von einer stolzen Zukunft, manche von ihnen, wie Stade z. B., glaubten, es sogar besser wie Hamburg zu haben, weil sie näher dem Meere lagen. So getrauten sie sich, selbst zuweilen Hamburg entgegenzutreten. Heute muß man darüber ungläubig lächeln. Die Elbe hat vor die Mündung der Flüsse, an denen sie sich wie an natürlichen Kanälen gelagert hatten, graue Sande geworfen. Die Sande wuchsen, versperrten den Flüssen den Weg; die Flüsse mußten sich krümmen und wenden, um an den seewärts eilenden Strom zu gelangen. Ein neues Land tauchte empor, schlickig und unzugänglich, nur der Elbe untertan, halb Wasser, halb Erde, und wuchs hinaus, immer weiter hinaus in die flimmernde, schillernde Wasserweite. Die Menschen haben dieses Land dem Wasser abgerungen mit unendlicher Zähigkeit, stolzer Standhaftigkeit und bewährter Kunst. Wie eine Erfüllung von Fausts letztem Traum ist ihre mühsame Deicharbeit geworden; überall haben sie fruchtbarstes Bauernkunstland geschaffen, das durch seine Bauten und sein Kunstgewerbe, seine Bewirtschaftung und seine Eigenart auffällt. Die Städtchen aber sahen sich immer weiter zurückgedrängt. Sie haben daher alle etwas Elegisches. Mag diese Elegie einer versandeten Existenz, wie in Buxtehude an der Este, durch freundlichere Züge einer gewissen schläfrigen Behaglichkeit gemildert werden; mag der Widerschein der eigenartigen Bauernkunst, die hier die ganze Este mit phantastisch schönen oder farbenfrohen Giebeln, kunstvollen, schmiedeeisernen Wetterfahnen geschmückt hat – und in der Stadt als blühendes Möbel- und Goldschmiedegewerbe dem Besucher entgegentritt, wie ein versöhntes Lächeln dünken: etwas Trauriges wird er trotzdem nicht abschütteln können. In Stade an der Schwinge, wo die Elegie des Versandens sich mit einer gespenstigen Reiterballade verbindet, die aus den Zeiten der Schwedenherrschaft hinüberklingt, am Rathaus mit dem schwedischen Wappen, an alten Kirchen und Bürgerhäusern leibhafte Spuren zu einem romantischen Gespinst zusammenfügt und durch das Rosseelement des benachbarten Kehdinger Landes etwas Überzeugend-Körperhaftes gewinnt, kommt das Dunkle stärker zum Ausdruck.

Auch werdende Städtchen an der Niederelbe bilden einen besonderen Typus. Ihre Zahl ist nicht groß. Eher modernen Hilfsmitteln als einer Naturnotwendigkeit verdanken sie ihr Wachstum, und es bleibt abzuwarten, wie sich die Elbe mit ihnen auseinandersetzen wird. Für Cuxhaven scheinen die Aussichten günstig zu sein, besonders seitdem man es unternommen hat, den Cuxhavener Hafen großzügig auszubauen und die Zentrale für den Seefischhandel hier zu errichten; so werden wohl die umliegenden Bauernhöfe mit den rauschenden Schutzwänden aus beschnittenen Bäumen allmählich weichen müssen. Vielleicht bleibt aber das stille Idyll des Ritzebütteler Schlosses mit den prächtigen, lindenbewachsenen Wällen als Wahrzeichen einer einst stillen, in sich versponnenen Vergangenheit in die bewegtere Gegenwart und Zukunft hineinragend. Recht eigenartig scheint sich die Zukunft des neugebildeten Städtchens Wedel-Schulau gestalten zu wollen. Ob aber das kleine Marktstädtchen Wedel mit seinem grotesk bunten Roland auf dem Marktplatz, der besonders gut zur Zeit der Märkte aussieht, die Kraft haben wird, das geehelichte Dorf Schulau umzubilden und sich an der Elbe häuslich niederzulassen, dort, wo der kleine Schulauer Segelschiffhafen und die grüne, flache Landzunge sich dehnen, bleibt eine Frage der Zukunft.

Eine ganz besondere Geschichte unter allen Städten der Niederelbe und ein von seinen Geschwistern gänzlich verschiedenes Äußere hat Glückstadt, diese gegen den Willen der Natur auf gut Glück und königlichen Wunsch erbaute Stadt, in der sogenannten Wildnis, dem fruchtbarsten Stück der Elbmarschen, das zweimal zu ernten pflegt. Dänische Kriegsschiffe haben einst den Aufbau Glückstadts bewacht. Wenn man oben auf dem eleganten Aussichtsturm steht, den ein vom Glück in Amerika begünstigter Glückstädter seiner Vaterstadt geschenkt hat, kann man die regelmäßige Anlage der Stadt bewundern, die vom Mittelpunkt aus durch strahlenförmig nach allen Seiten hin laufende Straßen einen zierlichen Stern bildet. Mit einer Spitze, die zugleich ihre Achse ist, berührt die Stadt den kleinen schlickigen Hafen, der wie eine schmale, sich zu einem Rachen verbreiternde Kehle aussieht. Die Bauten, die am Hafenkanal stehen, haben das Aussehen von alten Kriegsmagazinen und Zeughäusern. Dahinter schillert die Elbe; die vorüberziehenden Schiffe sieht man aber nur in der Ferne hinter »der Rhinplatte«, einem schmalen, nadelförmigen Sand, der Glückstadt von der eigentlichen Fahrrinne trennt, so daß man nur selten und mit vielen Umständen von Hamburg auf dem Wasserwege nach dieser »Stadt des Glücks«, wie sie einst die Hofdichter der dänischen Könige nannten, gelangen kann. Hamburg, die von zahllosen Wasseradern durchrieselte Wasserstadt, in der das nasse Element bis an die Wohnhäuser und belebtesten Straßen klatscht, an den Fundamenten entlangsickert, die Häuserzeilen spiegelt, die Kirchturmspitzen grün malt und die Straßen und Fleete mit bläulichem Dunst füllt – und Glückstadt, wo der letzte verschlickte Kanal am Marktplatz im Mittelpunkte der Stadt zugeschüttet wurde, angeblich wegen seines Gestankes, wo der Schlickfall im Hafen täglich fast 1½ Zoll erreicht, – das sind zwei recht verschiedene Welten. Nur noch nachts bei spärlichem Laternenscheine erwacht in den schnurgeraden Straßen Glückstadts ein seltsam gespenstiges Leben. Dann sehen die langen Häuserreihen, aus denen die Dunkelheit den Zug des kleinstädtischen Lebens getilgt hat, residenzmäßig vornehm aus; der Blick gleitet erstaunt an den spalierbildenden stillen Bauten entlang und erhebt sich zögernd zu den spitzen, altertümlichen Dächern, die in einer Avenueperspektive wie schwarze Wächterhelme gleißen. Dann fühlt man wieder und wieder den Königstraum der dänischen Könige durch die menschenleeren Straßen Glückstadts schleichen, vom Leuchtturm an der festumdeichten feindlichen Elbe bis zum Friedhof der spanischen und portugiesischen Juden, die einst Glückstadts Reichtum vermehren helfen sollten.


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