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Die Schlacht bei Hemmingstedt.

Von Cajus Moeller.

Anfang Februar des Jahres 1500 stand das Heer der Fürsten an der Grenze Dithmarschens; man harrte indes noch einige Tage, ob nicht die Furcht im Rate der Gegner das Wort führe. Und wohl ließen sich bei den Dithmarschern einzelne Stimmen vernehmen, man müsse der Notwendigkeit weichend sich der ungeheuren Übermacht unterwerfen. Aber die weit überwiegende Mehrzahl hielt unerschütterlich am Vaterlande fest. Man flehte zu Gott und seinen Heiligen und verließ sich im übrigen auf die besten Helfer tapferer Männer: das gute Recht und das gute Schwert!

Als nun kein Bote kam, die Kunde von der Unterwerfung zu überbringen, überschritten die Fürsten bei Hanerau die Grenze und zogen ein in das verödete Land. Wie ausgestorben waren die nächsten Ortschaften; die ganze Bevölkerung war mit aller ihrer Habe in die nördliche Marsch geflohen. Über Albersdorf ging man auf die Norderhamme los. Einige Dithmarscher, die, in den beständigen blutigen Geschlechtsfehden aus der Heimat vertrieben, jetzt im Gefolge des Feindes den heimatlichen Boden wieder betraten, widerrieten den Angriff an diesem Punkte, wo er auch eines heißen Empfanges sicher gewesen wäre. Überraschen müsse man die Bauern. Man ging daher auf einem Wiesenwege schräg auf die Meldorfer Straße zurück, so völlig unerwartet, daß zu Windbergen die vorangeschickten leichten Truppen auf einen Hochzeitszug stießen, der sich alsbald in bluttriefende Flucht warf. Dann ging es vor Meldorf, in das die Dithmarscher ihre wenigen geworbenen Truppen als Besatzung gelegt hatten. Bei den ersten Schüssen stoben sie auseinander, die Stadt fiel wehrlos in der Feinde Hand; wehrlos ward, was von Greisen, Kindern und Weibern nicht hatte entfliehen wollen oder können, ein Opfer der Kriegswut. So war fast die Hälfte des Landes und sein alter Hauptort ohne den geringsten Verlust dem fürstlichen Heere zugefallen. Hier rasteten die Fürsten; das Kloster ward zum Hauptquartier, die Stadt und die umliegenden Ortschaften lagen voll Kriegsvolk; drei brennende Dörfer leuchteten die Unglücksbotschaft in die Marsch hinein, hinüber in das nur elf Kilometer entfernte Heide, wo die ganze Mannschaft des Landes versammelt war.

In stürmischer Sitzung wogten die Meinungen hin und her. Auf billige Bedingungen Unterwerfung suchen, – nach der Insel Büsum fliehen und dort ruhig warten, bis sich der Schwarm des Kriegsvolks verlaufen hätte: in so verschiedene Mäntel kluger Vorsicht hüllte sich geschickt die Feigheit einzelner. Aber die bei weitem größere Mehrzahl wollte nicht ohne Schlacht von einem Boden weichen, der so viele beispiellose Siege gesehen hatte. Den Ausschlag gaben die Weiber, die zum erstenmale in diesem Lande an der Beratung teilnahmen. Nicht weiter dürfe man weichen, hier sei eine Schlacht zu bieten, sie selber wollten mitstreiten. »Noch ist nichts verloren, als was wir selbst freiwillig aufgegeben haben. Unser sind die Hammen, wo jede Mannslänge die Leiche eines Edelmanns getragen hat, unser die Schleusen, die, in der Flutzeit geöffnet, das ganze große Feindesheer im Wasserschwall verderben können.« Noch einmal überwog der Entschluß, alles an alles, das Leben an die Freiheit zu setzen, die, von den Heldenvätern überkommen, man den Söhnen unverkürzt vererben wollte, – wenn es sein müßte, mit dem eigenen Blute besiegelt. Den Todesmutigen half das Geschick. Späher an Späher hatten die Fürsten von Meldorf her entsandt; keiner kam zurück; bis auf einen büßten alle ihr schmähliches Handwerk mit dem Tode. Der eine, ein Nordfriese, erkaufte sein Leben mit den kurzen Worten: »Nächsten Montag bricht man über Hemmingstedt nach Heide auf!« Diese Worte brachten ihm und dem ganzen dithmarsischen Lande Rettung.

Näher an Heide als an Meldorf liegt Hemmingstedt, gleich den beiden andern Ortschaften auf der Geest; aber der Weg von Meldorf her geht durch schweres Marschland. Wie alle Marschwege im Winter schlimm zu befahren, war er durch den Umstand, daß den Sommer vorher alle umwohnenden Bauern ihre Wassergräben hatten reinigen und die ausgegrabene schwere Kleie auf den Fahrdamm hatten werfen lassen, bei nassem Wetter vollends unergründlich geworden. Hier, wo ein alter Erdaufwurf, der durch mancherlei Spukgeschichten zu dem Namen »Dusenddüwelswarf« gelangt war, den Weg durchschnitt, ließ jetzt einer der Achtundvierziger, Wulf Isebrant, der im Auslande einige Kriegserfahrung gesammelt hatte, eine Schanze aufwerfen, zu der Geschütz aus der nahen Norderhamme herbeigeführt wurde. Angestrengt ward die ganze Nacht – vom 16. auf den 17. Februar – gearbeitet; die Mannschaft der drei Kirchspiele Hemmingstedt, Oldenwörden und Nienkarken vollbrachte das Werk und bezog dann im Morgengrauen die vollendete Erdfeste. Noch kamen einige Freiwillige hinzu, die ihr Leben wagen wollten; die ganze Besatzung mochte tausend Mann stark sein. Eine Jungfrau aus dem Kirchspiel Oldenwörden, durch das Gelübde ewiger Jungfräulichkeit für die Männerschlacht geheiligt, trug das Kruzifix als Banner voran. Die Losung war: »Hilf, Maria milde!« – Einer von den Achtundvierzigern, Karsten Holm von Heide, gedachte, sein Vaterland zu verraten. Er schlich nach Meldorf hinüber in das Fürstenlager, lud die beiden Fürsten in sein Haus zu Heide und schlich dann wieder zurück. Er wußte nichts von dem Anschlage Wulf Isebrants oder spielte ein doppeltes Spiel des Verrats. – Nichts von der Hemmingstedter Schanze verlautete im Fürstenlager.

Der Montag – es war der 17. Februar 1500 – kam langsam herauf; die Luft verdunkelten Sturm und Hagelwetter, in Tau war der starke Frost der letzten Tage umgeschlagen, Hagel und Schnee trieb der Nordwest den Söldnern ins Gesicht. Da riet Marschall Hans von Ahlefeldt zu warten; auch Junker Slentz, der von früheren Feldzügen her wußte, was ein Marschweg bei Tauwetter zu bedeuten hatte, stimmte bei; selbst Herzog Friedrich legte sein Ansehen in die Wagschale. Umsonst. Die andern Gardehauptleute sprachen für das Drauflosgehen: nach Heide werde man schon kommen, das Wetter werde sich schon aufklären. Den Ausschlag gab der König mit dem Bemerken, es seien ja doch nur Bauern. Eine kleine Besatzung schützte den Besitz von Meldorf, der übrige schwere Zug setzte sich in Bewegung. Voran war die Garde, Bürger und Bauern bildeten das zweite Treffen, dann kamen die Ritter, zuletzt der unermeßliche Wagentroß. Die Ritter trugen Festgewänder unter dem Harnisch, teilten schon die Beute und beklagten nur, daß sie wohl kaum mehr zum Schlagen kommen würden.

Plötzlich entstand in dem langsam aber doch beständig fortschreitenden Zuge eine Hemmung; von vornher erdröhnte Kanonendonner. Alles stockte; im Schlamm bis an die Knie steckend hielt der Zug. Noch getröstete man sich, die Garde werde schon aufräumen. Sie tat, was sie konnte; sie stritt ihres Ruhmes wert. – Die erste Überraschung war groß aber kurz. Das Geschütz ward aufgefahren. Spieße und Faschinen wurden über die Gräben gelegt; die Schlachtordnung wurde ausgedehnt, die Schanze zu umgehen versucht. Alles vereitelte die Natur des für seine Söhne mitstreitenden Bodens. Gräben reihten sich an Gräben, durchschnitten die Schlachtordnung immer bedrohlicher; der strömende Regen verdarb das Geschütz, das die Dithmarscher in einem kühnen Ausfalle vergebens zu nehmen oder umzuwerfen suchten. Furchtbar wüteten die Kugeln der nahen Schanze in dem dichtgedrängten Haufen der Garde. Noch einmal ward eine Umgehung der Schanze versucht: unerschrocken im Geschützfeuer drangen die Kriegsgewohnten von Graben zu Graben vor. Die Schlacht wankte.

Plötzlich stürzten dreihundert Männer, langbärtig nach Landesart, voran die Jungfrau mit dem Kruzifix und der Lanze, aus der Schanze hervor und fielen in ungestümem Angriff die Garde an. Zweimal von der Überzahl zurückgeschlagen, warfen sie, um durch größere Beweglichkeit den Nachteil ihrer Minderzahl auszugleichen, Brustharnisch, Helm, Schild und Schuhe fort; barfuß mit unbedeckter Brust sprangen sie mit ihren »Kluwerstaken« über die Gräben, hinein in die Reihen der Garde. Die kurze Bauernhellebarde klirrte gegen den langen Spieß der Landsknechte; die Kugeln der Schanze schmetterten in das Gewirr hinein. Noch hielt die Garde stand, selbst als nun durch die rechtzeitig geöffneten Nordseeschleusen der Nordweststurm die Flut weit landeinwärts trieb und Wogen an den Kämpfenden emporschlugen, mit Jubel von den Landeskindern, mit Grausen von den fremden Kriegsknechten begrüßt, die nun in fürchterlicher Enge ein Meer um sich, wachsende Feindesgewalt vor sich, unlösbare Verwirrung hinter sich sahen. Hoch zu Roß im Getümmel hielt Junker Slentz, feuerte an zum Streite, rief herab, es möge einer kommen und es mit ihm aufnehmen. Der lange Reimer von Wimerstedt aus dem Kirchspiel Nienkarken sprang heran, schlug den Ritterspieß mit der Hellebarde zu Boden, hieb den Junker vom Pferde, trat dem Überwundenen mit dem Fuße die im schweren Panzer steckengebliebene Waffe tief in die Brust hinein und stürzte den Röchelnden in den nächsten Graben. Erst als sie den Führer nicht mehr sahen, wankte der Garden Kriegszucht. Wie aus der Erde wuchsen die Dithmarscher hervor; furchtbar umdröhnte der Ruf: »Wahr di, Garr, de Bur de kummt!« die sicherem Tode Geweihten. Stehen bleiben hieß den Untergang unfehlbar machen; die Trümmer der Garde erkämpften sich die Flucht.

Die Schlacht war zu Ende, das Schlachten begann. Widerstandslos fiel das zweite Treffen der Bürger und Bauern der siegreichen Wut der Dithmarscher zum Opfer. Wenige entkamen; das kalte Eisen oder die noch kältere Flut räumten furchtbar unter den zwischen die Ritterpferde, die Wassergräben und die unbarmherzigen Sieger Eingeklemmten auf, die, bis über die Knie in dem eisigen Schlamme versunken, harren mußten, bis die Reihe des Verderbens an sie kam. Jetzt beklagten die Ritter nicht mehr, daß sie gar nicht einmal zum Schlagen kommen würden; über die mit Leichen gefüllten Gräben setzten sie in wilder, zumeist doch vergeblicher Flucht. Ringsumher wogten dichte Massen der erbitterten Feinde. »Slat de Per, schont de Riders!« scholl der verderbenbringende Ruf. Die getroffenen Pferde überschlugen mit ihren geharnischten Reitern; unberührt von Feindes Schwert wurden die Ritter zerschmettert, zertreten oder ertränkt. Über die Leichen der eigenen Brüder hinweg entkamen endlich einige. Den altberühmten Danebrog, das Banner des dänischen Reiches, noch im Tode in der starren Eisenfaust festhaltend, sank hier nach blutiger Gegenwehr Marschall Hans von Ahlefeldt, so im rühmlichen Tode ein langes Leben voll unmenschlicher Freveltaten sühnend.

Die fürstlichen Brüder entkamen. Sie hatten wohl gleich zu Anfang, als die Schlacht eine üble Wendung nahm, durch die Wagenburg hindurch, – die, zur Aufnahme der Siegesbeute bestimmt, jetzt das gehetzte adelige Wild vollends umschloß, – Rettung und Flucht gesucht und gefunden. Das anbrechende Dunkel traf sie in Meldorf. Noch gedachten sie, die Besatzung des Ortes zur Rettung derer aufzubieten, die für ihre Herrschsucht da draußen eines grausamen Todes sterben mußten. Als aber die Süderkirchspiele der Landschaft auch hier sie anzugreifen drohten, wichen sie mit dem ärmlichen Reste des stolzesten Heeres, das diese Lande seit Jahrhunderten gesehen hatten, in eiliger Flucht über die Grenze zurück. Sie hatten ihren Mut gekühlt.

Gegen 8000 Erschlagene deckten das Feld: 1426 allein von der Garde, Unzählige von dem Bürger- und Bauernaufgebot, fünfzig Rendsburger Bürger, das ganze fehmarnsche Aufgebot bis auf vierzehn. Schwerer als die Mietlinge und Bürger verschmerzte man die Blüte des Adels, die dort in jäher Ernte niedergemäht war. Beide Grasen von Oldenburg, 50 dänische, 50 märkische, über 200 schleswig-holsteinische Edelleute waren gefallen, allein 20 Poggwische, Hans von Ahlefeldt mit 10 Geschlechtsgenossen; keine adelige Familie, die nicht für die große Schlachtbank geschmückte Opfer gesandt hätte. Jetzt verwesten sie, all ihres Glanzes und Schmuckes beraubt, nackt auf dem Schlachtfelde. Als die Priors von Segeberg, Ahrensbök und Bordesholm um die Leichen der beiden Oldenburger Grafen, der Rantzaus und der Ahlefeldts baten, konnte sie niemand aus dem modernden Haufen mehr ausfindig machen. Die Leichen der Bürger und Bauern wurden beerdigt.

Unermeßlich war die gemachte Beute an Harnischen, goldenen und silbernen Kleinoden, auch barem Gelds, das viele der reichen Bürger mit sich geführt hatten, um bei der Versteigerung die Grundstücke der Unterworfenen gleich bar bezahlen zu können. Ein besonderer Schmuck war die Danebrogsfahne, erst 1497 von der Großen Garde aus Schweden wiedergewonnen, jetzt in der Oldenwördener Kirche zum Gedächtnis des herrlichen Tages von den Vätern, die selbst mitgestritten hatten, dem jüngeren Geschlechts mit männlicher Ermahnung oft gezeigt. Auch sonst wurden die Kirchen reich bedacht; die Sieger demütigten sich vor dem Herrn der Heerscharen. Nur mit einem Nonnenkloster, das man in der Stunde der Gefahr gelobt hatte, wollte es nicht gedeihen; die Töchter des Landes verspürten keinen Beruf zum Leben ausschließlicher Gottseligkeit. Man mußte sich begnügen, kirchliche Dankfeste anzustellen und Seelenmessen lesen zu lassen für die eigenen Erschlagenen, deren man an dem beispiellosen Tage nur 60 verloren hatte.


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