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Martje Floris.

Von Thusnelda Kühl.

Es war im Jahre 1700. Im Oktobersturm sausten die Wipfel der uralten Eschen, die wie trotzige Riesen Reimer Floris alten Bauernhof zu schützen schienen. Sie hatten ihn geschützt durch Jahrhunderte hin, so lange die stolze Werft, auf der er stand, den Namen »Flors Warf« geführt. Nun aber war ihre Macht dennoch gebrochen worden, und darum geschah es, daß sie nun im Sturm klagend und heulend ihre alten Häupter wiegten.

In der Küche schwelte eine Tranlampe und beleuchtete sorgenvolle Gesichter. Und so oft von dem großen Wohngemach ein Ton lauter Lustbarkeit herüberdrang, schlug Sievert Nickels, der alte Knecht, mit der Faust auf den Tisch und rief: »Und ich bleib' dabei, eine Sünde und Schande ist es und niemals im Lande Eiderstedt Sitte gewesen, so lange ich denken kann.«

»Und nicht einmal für den Nispuk Hausgeistchen. ein Schüsselchen übrig zu lassen« – klagte die Magd Telse. »Das geht nicht gut, ist mir bange, und mit Reimer Floris Glück ist's vorbei. Die arme kleine Deern, die Martje!«

Ein gellender Ton schnitt die Rede der beiden ab. Sievert Nickels stand auf, zündete aber erst die kurze Kalkpfeife wieder an, bevor er auf seinen Holzschuhen schwerfällig und langsam über den großen, dunklen Fliesenflur schritt.

Gerade wollte er die Haustür öffnen, da fiel noch einmal der Drücker auf die Messingplatte, lauter als das vorige Mal, wie in sichtlicher Ungeduld geschleudert.

»Lat ji man Tid,« brummte Sievert. Da stand die mittelhohe schlanke Gestalt eines Mannes vor ihm in der Uniform der Offiziere Karls XII. von Schweden.

»Ist das die gerühmte Eiderstedter Gastfreundschaft?« fragte General Steenbock schneidend.

»Ob Eiderstedter Gastfreundschaft je gerühmt worden ist, weiß ich nicht,« versetzte Sievert trocken, den Mann vor ihm entweder nicht erkennend oder nicht erkennen wollend – »vielleicht ist's ja aber mit der gerühmten Eiderstedter Gastfreundschaft besser bestellt als mit der gerühmten schwedischen Mannszucht.«

Der Zorn, der im Auge des Generals mit dem Spott gekämpft hatte, wich dem letzteren.

»Ich werde in den Annalen dieses Kriegs nicht zu bemerken verfehlen, daß die Eiderstedter Bauernknechte die Haare, die ihnen auf dem Kopfe fehlen, auf den Zähnen tragen.«

Sprach's und wandte sich lachend dem Wohngemache zu, aus dem Stimmengetöse und Gläserklang tönte.

»Und sorgt für meinen Reitknecht, daß ihm ein Imbiß nicht fehlt!« rief er herrisch über die Achsel zurück.

Im Zimmer war's blau von Tabakrauch. Erst allmählich stellten sich die dort versammelten Gestalten dem Auge des Eintretenden in ihren Umrissen dar.

»Hurra, der General!« johlte es ihm entgegen.

»Zur Ordnung, Kinder!« mahnte er, »damit ich euren Gastfreund begrüße.«

Über Reimer Floris' Gesicht zuckte es höhnisch für Sekundenlänge. Kalt blickte er auf des Generals Gestalt hinab und regungslos blieb seine derbe Faust bei dem Drucke der andern.

General Steenbock wollte das heute nicht merken.

»Hier ist es gut sein, dünkt mich, Kinder –«

»Jawohl,« lachten die Offiziere, »besser jedenfalls, als in dem Pfarrhofe zu Oldenswort – alle Wetter! wie saßen wir fest drin! Die Schlappe gilt's auszuwetzen vor Tönning, und Euer Degen, General –«

»Schweigt mir davon!« brauste Steenbock auf, und blutig glühten die Narben in seinem wilden, doch nicht unedlen Gesicht.

»Konnte ich mich wehren gegen die Hinterlist des verfluchten Dänen – konnte ich's?«

»Seid ruhig, Herr General,« erwiderte ein stiller junger Mann mit traurigen Augen. »Ihr konntet's nicht. Mag man doch ruhig Euren Degen im Pfarrhause zu Oldenswort aufheben für kommende Zeiten – schade ist's nur um seinen schönen Knauf! – man wird wohl auch jenen eisernen Türknopf aus der Studierstube des hochwürdigen Herrn verwahren, und spätere Geschlechter werden's einander erzählen: An diesem Türknopf Im Pfarrhause zu Oldenswort hängt tatsächlich heute noch der Degen des Schwedengenerals Steenbock, ebenso wird daselbst die genannte alte Tür mit dem eisernen Türknopf noch gezeigt. hielt sich General Steenbock, der Tapfere, fest, als hundert Dänenhunde ihm ans Leben wollten –«

»Mein guter Junge,« sprach der General mit einer ihm sonst fremden Weichheit zu dem blassen Offizier. Dann stand er auf und flüsterte jenem ein leises Wort ins Ohr. Es klang wie: »Mein Sohn!« und des Jünglings blasses Antlitz wurde rot vor Freude.

»Nun aber lustig – lustig!« kommandierte Steenbock, »habt ihr noch etwas zu essen und zu trinken?«

»Vollauf.«

Die Gläser klangen, und die Scherben klirrten.

Niemals tat Reimer Floris Bescheid. Wenig auch trank der blasse Offizier. Nach dem matt beleuchteten Teil der Stube, der der zechenden Runde am fernsten war, irrten seine Blicke. Und einen dieser Blicke fing der General auf.

»Hollah, Axel, wer ist das Mädchen?«

Aller Augen folgten den Worten des Anführers und kehrten gleichgültig zurück zum vollen Becher.

»Meine Tochter, Herr General,« antwortete statt des Gefragten der Wirt, den kühlen Blick unter finsteren Brauen emporrichtend.

»Warum kredenzt uns deine Tochter nicht den feurigen Muskatwein, wenn sie so schön ist, wie's mich dünkt,« fragte Steenbock, nach dem Fenster spähend, vor dem Martje saß, das junge schöne Haupt auf die Hand gestützt, den trauernden zürnenden Kinderblick auf die johlenden Zecher gerichtet.

»Weil sich's nicht ziemt,« antwortete der wortkarge Mann, »Martjes dreizehn Jahre haben nichts verloren im Kreise trinkender Soldaten.«

»Heda, Martje!« rief nun der General, »tritt vor und bringe ein Vivat aus, oder lieber noch« – lachte er – »ein Pereat dem Dänenkönig!«

Schweigen herrschte im Kreise der Trinkenden, alle Pokale waren gefüllt, so harrte man des Spruches, den das Kind, die schöne Martje Floris, ausbringen würde.

Ihre weiße Hand faßte den silbernen Becher, der vor dem Vater stand, ihr blaues Auge sah unerschrocken in des Alten finsteren, fragenden Blick hinein, streifte leise des blassen Offiziers Verzeihung bittendes Antlitz, dann hob sie stolz die junge Stirn und sprach mit hellklingender Stimme: »It gah uns wol up unse olen Dage!«

Getan war, was man begehrt hatte. Warum nun waren all die weingeröteten Gesichter so bleich geworden – bleich selbst die Narben des Generals?

Als hätte der unschuldige Mund des Kindes ein Mene Tekel gesprochen, so war's denen allen gewesen, die heute den roten Wein, morgen vielleicht das rote Blut aus ihrem eigenen Leibe strömen sahen.

»Du bist ein braves Mädchen, Martje, möge dein Wort dich und dein Haus segnen und auch an uns nicht ganz verloren sein.«

General Steenbock leerte sein Glas und schweigend folgten die anderen. Auch kehrte die zügellose Lust nicht wieder. Mit ernsten Gesprächen schloß man den Tag, in die auch ab und zu Reimer Floris' langsame, bedächtige Rede sich mischte. Und im Lichtkreis der flackernden Kerzen saß die schöne, blondhaarige Martje und lauschte mit ihren ernsthaften Kinderaugen.

Zu ihr trat der blasse Offizier und sprach: »Ich vergesse dich nimmer bis in meine alten Tage.«

»Noch ich Euch,« lächelte das Kind. –

Der Mond schien hell auf die hohe First der Häuser und auf die schweigenden Häupter der Riesen, als Steenbock und seine Schar nach Tönning zurückritt, das er belagerte.

Der blasse Offizier, Axel von Haldö, hielt Wort. Nimmer vergaß er Martje Floris bis in seine alten Tage. Im folgenden Jahr warb er um Reimer Floris' Kind, und abermals ein Jahr später holte er die Friesin als sein Weib nach Schweden.

In Eiderstedt aber ist ihr Andenken nicht verloren gegangen. Noch liegt in Katharinenherd auf »Flors' Warf« jener eschenumschattete Bauernhof, in dem des Mägdleins nachdenkliches Trinksprüchlein den zechenden Soldaten ein memento mori ward – noch trennt man sich hierzulande nach keinem fröhlichen Beisammensein, ohne zuvor Martje Floris' Gesundheit getrunken zu haben: »It gah uns wol up unse olen Dage!«

Aus: Thusnelda Kühl, Das Haus im Grunde. (Jena, Herm. Costenoble.)


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