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Gründonnerstag 1849.

Von Rudolf Schleiden.

Am 4. April 1849 erschien kurz vor Sonnenuntergang ein aus sechs Segel- und zwei Dampfschiffen bestehendes dänisches Geschwader vor der Hafenbucht von Eckernförde. Am Eingange dieser Bucht war zu ihrem Schutz auf einer vorspringenden Landzunge am Fuße des Luisenberges, ungefähr zwanzig Minuten von der Stadt, eine kleine Batterie, die sogenannte Nordbatterie, angelegt worden, die hinter starken Erdwällen zwei Vierundzwanzigpfünder, zwei Achtzehnpfünder und zwei vierundachtzigpfündige Bombengeschütze barg. Ein zweites Erdwerk war am Westende des Meerbusens, etwa acht Minuten südlich von Eckernförde, errichtet und bestrich mit vier Achtzehnpfündern die Förde in ihrer Hauptrichtung von Westen nach Osten. – Kanonendonner, der mich am Gründonnerstagmorgen, dem 5. April, in Schleswig weckte, ließ keinen Zweifel darüber, daß diese geringfügigen Befestigungen von feindlicher Übermacht angegriffen worden seien. Gern wäre ich gleich nach der nur etwa drei Meilen entfernten bedrohten Stadt aufgebrochen. Eilige Arbeiten, die ich in der trotz des Festtages schon vorher anberaumten Staatsratssitzung vorzutragen hatte, machten das unmöglich. Erst gegen 1 Uhr konnte ich mit meinem Freunde und Mitarbeiter Dr. Karl Lorentzen den bereitgehaltenen Wagen besteigen. Wir hatten in eiliger Fahrt noch nicht die Hälfte des Weges zurückgelegt, als der Kanonendonner plötzlich verstummte. Unsere Besorgnis, daß der feindliche Angriff gelungen sei, ward erst gehoben, als wir von der letzten Höhe die deutsche Flagge noch auf beiden Batterien lustig im frischen Nordostwinde flattern sahen, während auf den zwischen ihnen liegenden dänischen Orlogschiffen, dem Linienschiff Christian VIII. von 84 und der Fregatte Gefion von 48 Kanonen, die weiße Parlamentärflagge wehte. Zwei Kriegsdampfschiffe und die kleineren Segelschiffe lagen außerhalb der Förde und vervollständigten das Bild der in hellem Sonnenschein erglänzenden, malerischen Landschaft.

Durch den Bürgermeister Langheim und andere erfuhren wir, daß der seit dem Morgen mit Lebhaftigkeit geführte Kampf noch nicht beendigt sondern nur unterbrochen sei und bald wieder beginnen werde. – Die feindlichen Schiffe hatten, so erzählte man uns, schon bald nach dem Beginne des Gefechts die Einfahrt in die Bucht erzwungen, mehrere Geschütze in der Nordbatterie, von wo aus Hauptmann Eduard Jungmann als einziger Offizier die Verteidigung leitete, unbrauchbar gemacht und sich zwischen diese und die Südbatterie gelegt, in der der Unteroffizier Theodor von Preußer, der Sohn eines früheren dänischen Premierleutnants in Rendsburg, den Befehl führte. Eine kurze Zeit hatte sich auch die Korvette Galatea von 26 Kanonen und etwas länger die beiden Kriegsdampfschiffe Geyser und Hekla am Kampfe beteiligt; doch hatten sich alle drei, anscheinend stark beschädigt, demnächst aus Schußweite zurückgezogen. Als die beiden Dampfschiffe später von der Fregatte und dem Linienschiff nochmals zur Hilfe herbeigerufen waren, hatten sie sich, ohne diese leisten zu können, rasch wieder entfernen müssen. In der Mittagsstunde hatte dann der Befehlshaber des feindlichen Geschwaders, Kommandeur-Kapitän Paludan, einen Parlamentär ans Land gesandt, und durch ein an die »Oberste Zivil- und Militärbehörde in Eckernförde« gerichtetes Schreiben freien und unbehinderten Abzug der Schiffe unter der Androhung verlangt, im Weigerungsfalle die Stadt in Brand zu schießen. Der Magistrat hatte die Entscheidung dem Hauptmann Jungmann allein anheimgestellt, und dieser hatte darauf in Verbindung mit dem Kommandeur des dritten schleswig-holsteinischen Reservebataillons, Hauptmann von Irminger, und dem Etappenkommandeur Wigand das Schreiben Paludans mit den Worten beantwortet: »Wir sehen uns nicht veranlaßt, Ihre Schiffe zu schonen. Sollten Sie Ihre Drohung, eine offene Stadt zu beschießen, verwirklichen, so würde ein solcher Vandalismus der Fluch Dänemarks werden, dessen Vertreter Sie hier sind.« Diese Antwort war von der Bevölkerung mit Jubel aufgenommen worden. Man bezweifelte nicht, daß die Schiffe sich bei der nahe bevorstehenden Wiederaufnahme des Kampfes würden ergeben müssen. Sie befanden sich unverkennbar in mißlicher Lage, und die zeitweilige Waffenruhe war dazu benutzt worden, in beiden Batterien kampfunfähig gewordene Geschütze wieder aufzurichten, die Südbatterie mit neuer Munition zu versehen, die Mannschaften zu erfrischen und zu stärken.

Da die Parlamentärflagge noch auf den feindlichen Schiffen wehte, machten Dr. Lorentzen und ich uns ungefähr um 4½ Uhr auf den Weg, um die wackere Mannschaft der Südbatterie zu begrüßen. Wir wußten nicht, daß bereits die Anzeige an Bord gesandt worden war, die Feindseligkeiten würden von schleswig-holsteinischer Seite in zehn Minuten wieder beginnen. Das Linienschiff lag damals 5-600 Schritte vom Ufer entfernt, dem es die Breitseite zuwandte, die Fregatte in ungünstigster Lage, mit dem Spiegel der Südbatterie zugekehrt, mehrere hundert Schritte weiter hinaus. Etwa auf dem halben Wege zur Südbatterie fuhren, gerade als wir vorübergingen, dem Linienschiffe schräg gegenüber zwischen dem Strande und dem Christianspflegehause – einer militärischen Verpflegungs- und Erziehungsanstalt für Invaliden der Unterklassen, deren Witwen und Kinder – zwei nassauische sechspfündige Feldgeschütze und zwei Haubitzen unter dem Hauptmann Müller auf, spannten ihre Pferde aus und machten sich schußbereit. Unmittelbar darauf feuerte diese nassauische Feldbatterie den ersten Schuß ab. Eine glatte Lage des Linienschiffs war die Antwort. Die Geschosse prasselten um uns herum nieder. Zwei nassauische Pferde wurden dicht neben uns erschlagen. Wir kamen unverletzt davon und flüchteten hinter das Christianspflegehaus, wo in demselben Augenblicke eine feindliche Kugel durch das Dach und die Mauer schlug, so daß die Steine hinter uns niederpolterten und Kalkstaub unsere Kleider bedeckte.

Da hinter dem Christianspflegehause, wo auch das Reservebataillon Reuß zur Verteidigung gegen einen etwaigen Landungsversuch lagerte, von dem Gefechte nichts zu sehen war, lief ich, sobald das Linienschiff eine zweite Breitseite abgefeuert hatte, zu der näher am Strande belegenen starken Mauer eines alten Kirchhofes hinab, um, wenn möglich, unter ihrem Schutze zu einem Punkte zu gelangen, der einen vollen Überblick gestatten würde. So oft die feindlichen Geschosse aufblitzten, bückte ich mich. Die Kugeln flogen dann über mich weg und schlugen, wundervolle springbrunnenartige Wirbel aufspritzend und vielfach auf dem Wasserspiegel tanzend, in das dahinterliegende weite Binnengewässer des Windebyer Noors ein. Mein Standpunkt befriedigte mich jedoch trotzdem nicht, weil ich zwar dieses Schauspiel und die Schiffe aber nicht unsere Batterien beobachten konnte. Ich benutze deshalb einen Augenblick, wo wieder einmal eine volle Breitseite abgegeben war, um die letzte, etwa 100 Schritte breite, völlig ungedeckte Strecke, die mich von der Stadt trennte und die fortwährend mit Kartätschen überschüttet ward, in raschem Lauf zu überschreiten, sammelte aber vorher noch fünf solcher Kartätschenkugeln auf, die mir noch heute, auf einem Stück Holz vom Linienschiff Christian VIII. befestigt, als Briefbeschwerer dienen. Nun fand ich zwar hinter den Mauern der ersten Häuser der Stadt notdürftige Deckung gegen die aus den Spiegelkanonen des Linienschiffs geschleuderten und an ein paar Stellen zündenden Kugeln, jedoch nirgends den ersehnten Aussichtspunkt. Ich ließ mich deshalb mit einigen Bekannten, die ich dort traf, über den inneren Hafen setzen, an dessen anderem Ufer wir auf der Höhe des Windmühlenberges von Borby zahlreiche Neugierige erblickten. Dort bot sich uns dann auch das großartigste Schauspiel. Wir sahen, wie fast jede Kugel der Batterien traf, während Gott über diese gnädig seine Hand hielt. Nach jeder abgefeuerten Breitseite waren sie in eine dichte Wolke von Dampf und Staub eingehüllt; aber sobald diese sich verzog, sah man von neuem die schwarz-rot-goldene Flagge, wenn auch vielfach durchlöchert, über ihnen wehen, und die Besatzung gab abermals mit Ruhe und Sicherheit ihre Schüsse ab. Die Fregatte Gefion, deren Mannschaft durch zahlreiche den Spiegel des Schiffes durchbohrende Kugeln der Südbatterie gelichtet war, hatte bereits ihr Feuer eingestellt. Dann strich das Schiff die Flagge. Daß es sich damit ergeben hatte, blieb längere Zeit unbemerkt, weil Jungmann und Preußer den Seemannsbrauch des Streichens der Flagge nicht kannten. Die Nordbatterie feuerte nur vereinzelte Schüsse ab. Sie hatte während der Waffenruhe nur drei ihrer Geschütze wieder kampffähig machen können; aber sie hielt die feindlichen Dampfschiffe in Schach. Um so heftiger tobte der Kampf zwischen dem Linienschiffe, der Südbatterie und der Feldbatterie weiter. Die Südbatterie hatte angefangen, mit glühenden Kugeln zu schießen, und das Linienschiff, auf dem schon am Vormittag eine Bombe der Nordbatterie gezündet hatte, brannte, wie man später erfuhr, an sechs Stellen. Um sich, wenn möglich, zu retten, lichtete Christian VIII. die Anker. Aber in demselben Augenblicke, wo der Koloß unter Segel ging, ward er von der nassauischen Feldbatterie und der Südbatterie mit einem solchen Kugelregen überschüttet, daß das Takelwerk und die Segel im Nu zerschossen waren, das Schiff die Steuerfähigkeit verlor. Von dem heftiger gewordenen Winde ward es gegen den Strand getrieben und geriet dort fest. Auch das Linienschiff war verloren. Als die Sonne unterging, senkte es den stolzen Danebrog. Ein tausendfaches Hurra der Zuschauer des Kampfes durchdrang die Luft. Das Feuer schwieg. Es war plötzlich stille.

Ich eilte zur Stadt und zum Strande neben der Südbatterie zurück, wo uns Gewißheit ward, daß sich beide Schiffe auf Gnade und Ungnade ergeben hatten. Schon hatte sich der Unteroffizier v. Preußer ohne höheren Befehl auf eigene Hand an Bord des Linienschiffes begeben, um die Ausschiffung der Mannschaft zu beschleunigen. Noch fern vom Ufer sprangen die Leute ins Wasser, damit die Boote schneller zurückkehren könnten. Einen ergreifenden Anblick gewährte es, als der dreiundsiebzigjährige Kommandeur- Kapitän Paludan mit seinem Adjutanten ans Land kam und dem soeben mit seinem Stabe eingetroffenen und von der Bevölkerung mit Jubel begrüßten Herzog von Koburg seinen Säbel überreichte. Stille Tränen liefen dem greisen Seemann über die Wangen. Die zahlreichen Zuschauer ehrten sein Unglück durch schweigende Haltung, verliefen sich dann großenteils rasch, als sie hörten, daß der Christian VIII. brenne.

Dann suchten Lorentzen, mit dem ich am Strande wieder zusammengetroffen war, und ich, um die ersten Verkündiger der frohen Botschaft in Schleswig zu werden, unsern Wagen auf, der während des Bombardements außerhalb der Stadt Schutz gesucht hatte. Als wir in freudiger Erregung den Hügel hinaufstiegen, wurden wir durch drei sich rasch folgende Schüsse, die, wie sich später ergab, Signalschüsse für die Fregatte waren, veranlaßt, zurückzublicken. In demselben Augenblick erfolgte eine fürchterliche Explosion. Der Christian VIII. flog in die Luft. Die Dunkelheit wich plötzlich größester Tageshelle. Eine Feuergarbe, groß und breit wie das Linienschiff, stieg empor. Der Hafen glich einem Feuermeer. Eine ungeheure schwarze Rauchwolke schwebte über dem Ganzen. Brennende Balken und Masten bildeten riesige Sterne darin, und die in der Luft platzenden Bomben durchzuckten wie Blitze, denen der Donner unmittelbar folgte, diese Wolkenmasse. Es war ein unbeschreiblich großartiger, furchtbar schöner Anblick! Daß 92 Menschen, meistens Verwundete und Tote, aber auch der Held der Südbatterie, Preußer, mit der Feuersäule in die Luft gehoben worden waren, ergab sich erst in den nächsten Tagen. 573 Mann waren geborgen. Die Fregatte, um deren Bergung sich der Herzog von Koburg nicht weiter bekümmert hatte, ward noch in derselben Nacht in den inneren Hafen gebracht. Sie hatte 35 Tote, 27 Amputierte, 25 leichter Verwundete an Bord gehabt. Die Batterien hatten nur zwei Tote und fünf Verwundete. Die Reservebrigade des Herzogs verlor nur einen einzigen Mann des Bataillons Reuß, der sich neugierig am Ufer befunden hatte, als die Explosion erfolgte. Im Christianspflegehause war außerdem eine Frau durch eine Kugel in ihrem Bette getötet worden.

Gegen 10 Uhr abends hielt unser Wagen vor der Wohnung des Statthalters Beseler, wo wir nach einer uns am Morgen zugegangenen Einladung auch den Grafen Reventlou und die Departementschefs in größerer Gesellschaft zu Ehren des an demselben Tage eingetroffenen preußischen Generals von Hirschfeld versammelt finden mußten. Obwohl man den Ausgang des Kampfes nach der auch in Schleswig deutlich vernommenen Explosion und dem sogar dort beobachteten Widerschein des auffliegenden Linienschiffs geahnt hatte, erregte unser näherer Bericht begreiflicherweise große Freude. Statt laut zu jubeln, erkannte aber jedermann dankbar an, daß eine höhere Hand den Übermut des Feindes gedemütigt habe.

Aus: Rudolf Schleiden. Erinnerungen eines Schleswig-Holsteiners. Wiesbaden, I. F. Bergmann.)


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