Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

I. Blick in das Land.

Anblick des Landes.

Geschrieben vor 50 Jahren.

Von Dr. Ludwig Meyn.

 

»Sollte man es denken, daß diese Seen, diese herrlichen Buchen, diese Hügel und Büsche Schweizer Täler zurückrufen!«

Leop. v. Bach.

 

Für Fremde und Einheimische hat ein Blick über die Naturbeschaffenheit und namentlich über die Naturschönheiten und Eigentümlichkeiten eines Landes hohe Bedeutung. Der Heimische fühlt sich wohler in dem Lande, dessen Vorzüge ihm unverborgen sind; der Fremde orientiert sich, trägt das Gesamtbild des Landes seiner äußern Erscheinung nach mit heim, und bewahrt für das, was seiner Liebe würdig war, diese um so inniger, je eindringender die Tätigkeit war, mit der eine solche Anschauung erworben wurde.

Nördlich von der Elbe hat eine andere Sitte Geltung gewonnen als südlich von ihr, eine andere Stellung der verschiedenen Stände zu Kunst, Wissenschaft, Erwerbsverkehr und Politik, eine andere Seite des deutschen Geistes ist hier wesentlich entwickelt; auch die Natur ist eine andere geworden, dem Forscher und Künstler gegenüber, mehr aber noch für den Freund der nährenden Mutter Natur.

Zwar nicht die schroffen Gegensätze zeigt unser Land, die das Gebirgsland bezeichnen; nicht sind die Klimate eines halben Erdballes übereinander geschichtet, einfach wie der Charakter des Bewohners ist die klimatische Natur; aber die Größe der Gletscher brauchen wir nicht anzustaunen, wenn die halbe Ostsee mit Eis bedeckt ist, oder wenn der Elbstrom die ungeheuren Schollen rauschend aneinander reibt, die das Pfahlwerk in Hamburgs Hafen zerknicken; auch das Tosen der Wasserfälle ist verschwindend vor der Wut der Wellen, wenn eine Sturmflut in der Westsee entsteht.

Hier ist das Meer finster, grau und undurchsichtig; zweimal täglich weicht es zurück und breitet die unendliche Fläche seines geheimnisvollen Grundes aus; immer aber kehrt es wieder und wirft, wenn Stürme es peitschen, seinen ganzen Wogenschwall gegen menschliche Befestigungen eines oft schon eroberten Landes. Wenige Stunden Entfernung und man erreicht ein anderes Meer, die Ostsee, dunkelblau, durchsichtig bis auf den Grund, ohne die ewig gleichmäßige Bewegung, immer ruhig, wenn nicht Stürme sie aufregen. Auf der einen Seite die breite Strommündung, die mit Ebbe und Flut Schiffe aller Nationen durchziehen; auf der andern tief in das Land eindringende Meeresbuchten, Föhrden genannt, die nordischen Fjorde wiederholend, aber mit dem milderen Reiz des Südens verschönt, zugänglich den größten Schiffen, oft gesucht von russischen Fahrzeugen, deren Mannschaft asiatische Züge trägt.

Hier an der Westseite siehst du ja das Land des Außendeichs, eine unübersehbare Ebene, ohne Wald, ja ohne Baum, ohne Busch, ohne Berg und Tal und ohne Hügel, ohne See und ohne Bach und weder Haus noch Hütte, aber umschwärmt von einer Schar kreischender Seevögel, und durchschweift von Herden Rindviehs – man glaubt, in den Savannen und Pampas von Amerika Büffelherden wiederzusehen.

Aber man übersteige den Deich; die menschenleere Öde ist in ein Eden der schönsten Kultur verwandelt, das weite Land von schnurgeraden Gräben durchschnitten, wie ein Garten in Beete geteilt, eingefaßt von Wasser und Schilf, und auf den Beeten der dichte, gleichährige Weizen neben den hohen Bohnen, die, ein eigentümliches Erzeugnis der Marsch, mit dem würzreichsten Dufte die ganze Gegend erfüllen; Hafer, Sommer- und Wintergerste, alle so geschlossen, daß kaum ein Sonnenstrahl bis auf den Boden dringen mag, und dazwischen die Stoppel der letzten Rapsaat und die frisch gewendete Scholle für die nächste, oder zu andern Zeiten unter dem Grün der Felder das prangende Gelb der Rapsaatblüte, auf den Weiden das größeste und fetteste Vieh. Durch dies Land rollt man bei gutem Sommerwetter im Zickzack auf Wegen dahin, so hart und glatt wie eine Dreschdiele, zwischen schnurgeraden Kanälen von der Breite eines Flüßchens. Hinter ihnen stehen die blinkenden Häuser einzeln oder zu Dörfern gesammelt oder eins an das andere gereiht, die ganzen langen Wege durch das ganze weite Land, das nächste immer noch einladender als das letzte; auf den Dächern aber Haus bei Haus der große, menschenfreundliche Vogel, der Storch, und wo die Häuser stattlicher sich drängen, die stattlichen Kirchen. Hier wird der Fruchtwachs unterbrochen von Gärten und Alleen, dort sieht man ein halbes Hundert Windmühlen ihre Flügel schwenken, ein Bild voll der fröhlichsten Beweglichkeit.

In dieses Meer von Fruchtbarkeit ragen, zum Teil mit Moorgehängen an ihrem seitlichen Fuß, weitläufige Vorgebirge hohen Landes hinaus, auf deren Vorsprüngen freundliche Örter mit roten Ziegeldächern stehen. Man ersteigt das Plateau und ist wieder in eine neue Welt versetzt: ein Eichenwald und bald darauf eine unabsehbare Heide, nur in weiter Ferne ein einsames Hüttchen, mit Heide gedeckt, einige wenige scheue Schafe mit zerrissenem Vließe, ein paar einzeln stehende Halme in der Nähe der traurigen Wohnung, auf der nächsten Erhebung des Bodens ein kuppelförmiges Hünengrab, in der nächsten Senkung zwergartiger Eichenkratt und krüppelhaft gewachsene Büsche; oder weiterhin die rotbraune, halbentblößte, bald stäubige, bald sumpfige Gegend eines blasenförmig aufgequollenen Hochmoors mit windzerzausten Schuppen oder hoch aufgemauerten Torfhaufen, die sich kuppelförmig wölben wie die düstersten Grabmale von schwarzem Stein, die eine traurige Phantasie ersinnen könnte, – man glaubt in die Moore des bremischen Landes, in die ungeheuren Einöden an der Ems versetzt zu sein. Daneben sieht man eine weiße oder rostfarbene, pflanzenleere Sandwüste, in welcher der Wind mit dem Boden spielt, heute hier, morgen dort einen langen Hügel aufschüttend, wenn nicht die harten Halme des Sandhafers ihn binden oder das duftende Nadelholz, das wie zerrissen dasteht. Aber in diese dreierlei Einöden der Mitte des Landes, die miteinander abwechseln, bringt doch ein Bach, der aus schöneren Gegenden kommt, ein freundlicheres Leben. Große Erlenbrüche und sumpfiges Bultenland bezeichnen die Niederung, Wiesen begleiten den Lauf, und beackerte Felder sind im Gefolge der Wiesen und irgendein stattliches Gehöfte. Wo aber mehrere Bäche zusammentreffend ein größeres Land bezwungen haben, da steht ein geschlossenes Dorf von strengem Charakter, dicht geschart um die Kirche, oder in der vorhin nicht sichtbaren Tiefe des Bachrandes vielleicht gar ein freundlicher Flecken, wo rauschende Mühlräder sich drehen.

Woher kam dieser Bach? Dort ist das Paradies von Holstein, sein kleines, gesegnetes Bergland, dem in seinen freundlichen Formen selbst der größeste Gebirgskenner, der da lebt und je gelebt hat, Leopold von Bach, alpinische Reize zuschreibt. Schroff in den See abstürzende Felswände fehlen, aber natürlicher Wellengang des Hügels und die ihm folgende Linie der Krone eines Waldes, der in runden Wölbungen mit seinem schönsten Laube sich bis in das Wasser senkt, umschließt die unbewegliche Flut ebenso geheimnisvoll als der Fels. Über den niedrigen Bäumen des Waldes erheben sich in hohen Säulenhallen die Buchen, deren Stämme senkrecht, glatt, astlos emporsteigen und erst im Gipfel die gemeinsame Krone wölben, »ein Wald über dem Walde« so gut wie Amerikas Palmen.

Neben den Wäldern ist das bunteste Land Hügel an Hügel gereiht, einzeln halbkugelförmig herauftauchend oder in lange Rücken gezogen, die sich wunderbar verschlingen, in jedem geschlossenen Tal ein stiller See, in jedem offenen ein rieselnder Bach, hie und da die Hügel durchbrechend mit tiefen Schluchten, über deren Enge sich die Bäume zusammenbeugen. An den Bächen klappern die Mühlen, auf den Höhen liegen stattliche Dörfer, an dem Rande der Seen prächtige Schlösser und freundliche Höfe mit gewaltigen Vorratshäusern, und in der Nähe werden die Hunderte von Kühen, die zum Hofe gehören. Von lebendigen Hecken ist dieses Hügelland durchzogen; wie ein natürliches Netz überspannen sie die Bodenfläche, tauchen hinab und erheben sich mit ihr, beschatten den Weg, verbergen und öffnen immer neu die Aussicht und bringen bei jeglicher Fernsicht zugleich mit dem Gemälde der Landschaft deren ganze plastische Bildung durch unmittelbare Anschauung zum Bewußtsein, als ob ein längst vorbereitetes Auge in die Gegend schaue. Ranken und Blumen durchflechten diese dichten Hecken; Insekten und Vögel führen darin ein üppiges Leben; Summen und Brummen, Gesang und Geschrei ohne Ende erfüllt sie zur Sommerzeit. All dieser Schmuck aber tritt bis an den Spiegel der Ostsee; dort kommt hinzu die unendliche Fläche des Meeres, dort die leuchtenden Segel der Schiffe, dort die von Masten umgebenen blühenden Handelsstädte.


 << zurück weiter >>