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e. Im Kampf für Land und Volk.

Johann Wittenborg fordert auf zum Kampf.

Von Wilhelm Jensen.

Mit fieberhafter Tätigkeit wurden im Travehafen, auf den Werften und Helgen bei Sonnen- und Fackellicht Schiffe gezimmert, gebessert, gerüstet; der Handel zur See war völlig unterbrochen, alle sonst ihm zugewandte rege Geschäftigkeit des Friedens wetteiferte einzig zur Herstellung von Werken und Bedürfnissen des Krieges. Überall aber ruhten die Augen Johann Wittenborgs prüfend, ordnend, gebietend, selbst; er schien, zehnfach geteilt, zugleich hier und dort zu sein, über die doppelte Anzahl von Tagesstunden als andere zur Bewältigung aller seinen Rat und Entschluß begehrenden Anforderungen zu verfügen. Das Wort »Krieg« wurde noch von keiner Lippe laut gesprochen, doch jeglicher wußte, daß auf den Bänken des »großen Hansesaales« droben im obern Geschoß des Rathauses Abgesandte von Wismar, Rostock, Stralsund, Greifswald, Hamburg, Anklam, Stettin und Kolberg, ja sogar von Kulm und Danzig versammelt seien, zum erstenmal nicht als Vertreter der Kaufmannsgilden ihrer Heimatorte sondern als Vollmachtsboten der hanseatischen Städte selbst, über die dem Bunde der deutschen Hansa zu Wisby zugefügte Unbill zu tagen und ihre Bereitschaft zu sichern, der Bedrohung des gesamten Handels durch König Waldemar vereinigte Waffengewalt entgegenzusetzen. Viele laute Stimmen klangen vom Morgen bis zum Abend aus dem Rathaussaale auf den Markt und die Breitestraße der Stadt hinaus, wo eine gedrängte Volksmenge atemlos horchte. Droben jedoch schüttelte manch bedächtiger Kopf sein graues Haar, eindringlich vor dem Unerhörten warnend, daß man von den besonnenen Wegen der Väter abweiche und eine Gemeinschaft von Kaufleuten sich zu kriegerischem Unterfangen wider den mächtigsten Fürsten des Nordens vermesse. Wie könne ein Bündnis von Städten, die nicht frei seien sondern unter der Hand ihrer Landesherren, eine Gewalt aufbieten, zusammenhalten und schlachtentüchtig ins Feld führen, um König Waldemars Panzerrittern zu trotzen, da die Hansa doch bisher nicht einmal allerorten auf der Ostsee ihre Schiffe vor gemeinen Seeräubern zu sichern imstande gewesen? So ging die Ratschlagung manchen Tag, während in den Werkstätten draußen unablässig Hammer und Amboß erdröhnten, Schiffsbeil und Säge; wechselnden Meerwellen gleich schwankte der Ausfall des Entscheids hin und wieder. Es schien fast die Wagzunge sich auf die Seite der sorglich Bedachtsamen zu neigen; denn sie erhoben den Antrag, der Rat von Lübeck möge zuvörderst beschließen, um den Zorn des Dänenkönigs nicht zu reizen, die lauten Zurüstungen einzustellen, die der neue Bürgermeister eigenmächtig ins Werk gesetzt habe, und es ward ersichtlich, daß der letztere vielfältig von den Geschlechtern der Stadt nicht mit besonderer Gunst betrachtet wurde, vielmehr wider ihren Willen zu seinem hohen Amt nur durch den Ungestüm des Volkes nach der Botschaft von Wisby erzwungen worden. Da trat in bedrohlicher Stunde Herr Johann Wittenborg in den stimmenhallenden Hansesaal. Er kam eilig herbeigerufen von den Schiffswerften des Hafens, geleitet von dem jungen Ritter Wernerkin; und schwer vom Haupt zum Fuß im Eisenpanzer klirrend wie ein Feldherr, der siegesmutig zum Angriff vorstürmt, schritt er rasch die Stufen zur Rednerbühne hinan. Dort nahm er den Helm von der Stirn, daß ein Ton der Bewunderung alle Köpfe unter ihm überlief, wie sein unbedecktes Antlitz edelstolz, fest und mannesernst und doch jugendkühn, mit blitzenden Augen über der kriegerischen Rüstung vor sich hinaussah. Er begann, von dem hurtigen Lauf noch erschöpft, mit unberedtem, seiner gewaltigen Erscheinung nicht gleichgeartetem Stimmenklang, daß ringsum das Deutsche Reich zerfalle und verderbe und das Haupt keinen Schutz mehr ausbreite über seine Glieder. Darum wage der Sperber seine Fänge an den geduldigen Leib des Königsadlers und hohnlache über die stiebenden Goldfedern, die er von ihm herabstoße. Dessen hätte sich keiner getraut, als die staufischen Kaiser noch gewesen und der Löwenherzog an der Ostsee das Schwert des Sachsenreiches gehalten. Doch gefallen liege alles, Kaiser und Reich, in Armut, Ohnmacht und Entartung, daß in oberdeutschen Landen nirgendwo mehr Kraft, Recht, Sicherung, Wohlstand und Gesittung zu finden sei als in den ruhmvollen Städten stolzer und hochgesinnter Bürger zu Nürnberg und Augsburg, Ulm und Regensburg, Leipzig, Frankfurt, Mainz und Köln und wie sonst ihr weitgerühmter Name klinge. Ihrer aller Blüte und Ansehen aber habe die nämliche Mutter gehabt, die sie geboren und mit der nämlichen Milch zu unvergleichlichem Wachstum emporgenährt, mit der Freiheit, Sicherheit und Herrschaft des Handels, die heute als Lebensblut in ihren kraftstrotzenden Gliedern rolle. Und ingleichem sei auch die großmächtige Stadt Venedig durch den Handelsbetrieb des Kaufmanns allein zur Beherrscherin des Mittelmeeres, zur Herrin des Morgenlandes, Kaisern und Königen ebenbürtig geworden, wie dort der Ritter Wernerkin es vor kurzem mit Augen gesehen und Wunderberichte davon heimgebracht.

Soweit hatte Johann Wittenborgs Stimme, ob auch allgemach anwachsend, nur gleich derjenigen anderer Redner geklungen; nun aber schwoll sie machtvoller empor und lief wie der Widerhall eines tönenden Erzes an den Wänden um. So auch wie in oberdeutschen Landen liege das Reich im Niederland ohnmächtig am Boden, altersschwach und verspottet, und sei kein Schirm gegen Raub, Gewalt und Willkür als im Mut und in der Faust jedes Mannes, der nicht Schimpf und Unrecht zu dulden gewillt sei. Solcher Feigheit zwar schuldige er nur wenige an – flammend lief der Blick des Redenden über die Köpfe – doch der Einzelne fühle sich nicht an Kräften dem Raubritter gleich, der ihn im Felde bedrohe, und die einzelne Stadt fühle sich zu waffenlos wider die Gewalttat heeresmächtiger Fürsten. So aber auch wie im oberdeutschen Lande seien an der Ostsee reichblühende Städte aufgewachsen an den vollen Brüsten des Handels, bis heute indes jede ein Rohrhalm nur, im wechselnden Winde schwankend, gemeinsamen friedlichen Vorteil nachtrachtend, doch in der Gefahr des Einzelnen keinen gemeinsamen Feind erkennend. Nur Geldesfreundschaft zum Gewinn habe zwischen ihnen gewaltet, nicht Blutstreue zu Schutz und Trutz, auf Leben und Tod. Darum habe eine räuberische Faust frech sich nach Gut und Leben der Kaufleute auszustrecken gewagt.

Wie Schwertklang schnitten die Worte des neuen Bürgermeisters von Lübeck durch die laut- und atemlos unbewegte Luft des Saales:

»Wollt ihr Rohrhalme verbleiben, von jedem Wind gebrochen? Ein Wort von euch schnürt sie zum Pfeilbund, der unzerbrechlich ist! Wollt ihr das Lebensblut in euch verströmen lassen, wo gierige Hand ihm die Adern aufreißt? Seid ihr dazu gekommen, so geht nach Hause, reißt die Mauern eurer Städte nieder; denn ihr tragt kein Blut in euch, sie zu schützen – werft Feuer in eure Schiffe, denn ihr braucht sie nicht mehr! Bittet Waldemar Atterdag, daß er auch eure Kaufhöfe zu Bergen und Nowgorod seinen Töchtern zur Mitgift gibt und die Ostsee von euch zum Geschenk nimmt! Kniet hin vor ihn und bittet, daß er den ermordeten Bürgern der edlen Stadt Wisby vergibt, daß ihr Reichtum seine Gier gereizt, und leistet ihm Eidpflicht, Gold und Gut eurer Stadt ihm vor die Füße zu leeren. Denn wenn ihr ihm heute eure Habe, eure Rechte und Freiheit nicht bringt, wird er morgen zu euch kommen, sie zu holen.«

Ein lautes, wirres Stimmengetöse brach hinter den Worten des Redners drein. »Einen Hansebund zu Schutz und Trutz! – Krieg gegen Dänemark! – Sieg oder Untergang!« Nur da und dort regte noch einer der vorherigen Warner zu flüsternder Abmahnung die Lippen; Johann Wittenborg aber riß scharf klirrenden Tones sein langes Ritterschwert aus der Scheide und rief, daß es weit über die tausendfach gedrängten Köpfe drunten auf dem Markt hinaushallte:

»Was steht ihr noch, zu raten und zu raunen! Seid ihr Memmen oder Männer der Löwenstadt? Ihr habt bis heute mit Wage und Maß gehandelt, hier ist eine neue Eisenelle für Waldemar Atterdag, laßt ihn sein blutiges Königsschwert daran messen! Falle dieses auf meinen Kopf, wenn der Handel mißlingt! Ihr ruft: Krieg wider Dänemark! Ich rufe: Herab mit der Dänenherrschaft auf der deutschen See! Gebrochen sind Kaiser und Reich und zerrissen liegt die stolze Sachsenmacht des Löwenherzogs. Aber die Stadt, die seine Hand aufgerichtet, steht, und sie ruft auch aus meinem Munde: Eine Stadt der Hansa für alle, und alle für eine, oder gehet unter in Armut, Knechtschaft und Verderben! Zu dieser Stunde fällt eure Wahl – ich aber schaue in kommende Tage und sehe den Löwen wieder Wacht halten am deutschen Meer, doch nicht mit Fürstenschild und Streitaxt sondern mit dem Schwert freier Bürger der hundertköpfig für alle Zeit in Not und Tod verbündeten Dudeschen Hanse!«

Und mit Augen, als gewahrten sie leibhaftig eine stolzragende, glanzumleuchtete Zukunft vor sich gebreitet, hob der neue Bürgermeister Lübecks das funkelnde Schwert hoch über sich empor; von hundert Lippen im Saale aber brach donnernder Ruf: »Den Krieg! Den Krieg! Schutz und Trutz wider Waldemar Atterdag! Rache und Sühne für die edle Stadt Wisby! Gen Seeland aufs Meer mit den Schiffen der Dudeschen Hanse! Herr Johann Wittenborg sei ihr Führer und Feldherr!«

Und wie aufbrausender Sturm kam es tausendzungig vom Markt zurück: »Johann Wittenborg sei unser Feldherr!«

Die Treppen herauf drängte das Volk, jeden Widerstand brechend, jubelnd, tobend in den Ratssaal; scheu verstohlen raunte nur da und dort ein Mund: Er steigt auf den Schultern des Pöbels über die Geschlechter und setzt uns den Fuß auf den Nacken; verflucht sei Waldemar Atterdag! Ein Haufen war nach der nahen Marienkirche gestürzt, hatte die Läutstricke gefaßt, und plötzlich wogte der eherne Glockenmund einer Stimme vom Himmel gleich in das unermeßliche Getöse herab, das durch alle Gassen, in jedes Haus den Namen Johann Wittenborgs rief, des Erretters, des Rächers, des Kriegsoberhauptes der Dudeschen Hanse. Es war ein Tag, wie die Stadt Lübeck ihn noch nie gesehen, seit Herzog Heinrich der Löwe ihre ersten Steine zusammengefügt.

Aus: Wilhelm Jensen, Aus den Tagen der Hansa, Bd. 3.
(Leipzig, E. Avenarius.)


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