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Von Spielen und Vergnügungen aus der Großväter Zeit in Dithmarschen.

Von Klaus Harms.

Wie viel ich auch von Hembüttel mitbrachte, so fand ich auf dem Donn doch ein weit reicheres Aufnehmen. Die große Knabenzahl, das tägliche Leben unter ihnen, die öffentlichen Lustbarkeiten, die Schule daselbst, im Winter 80 Kinder darin, dann viel mehr Menschen im Umgang miteinander, und die Handwerker, die es da gab, die Kirche, die unausgesetzt besucht wurde – es versteht sich, daß dieses dem Knaben mehr zuführte als das einsame Hembüttel.

Was die alltäglichen Knabenspiele anbetrifft, so waren diese wohl mehrenteils dieselbigen, wie sie allerwärts sich finden, nur daß es in dem Orte mehr Ringen und mehr Schlagen gab, als wohl anderwärts sich weiset. Besonders wäre hervorzuziehen, was die Knaben anlangt, daß es daselbst keine Vornehme und keine Geringe gab; denn die Söhne der vier, fünf vornehmen Familien daselbst verloren sich gänzlich unter die Zahl derjenigen Knaben, deren Eltern in sehr beschränkten Umständen waren, und unter eine große Zahl wirklicher Bettelknaben; derer, die zu Weihnachten singend bettelten, nicht zu gedenken; denn das taten die kleineren Knaben alle. Hat dieser Umgang Nachteiliges bei mir gewirkt, wahrlich, so hat er auch Gutes bei mir gewirkt, und nicht wenig. Nein, es hat mich früh in das Leben der Armut hineinsehen lassen, dasselbe sei, wie beklagenswert auch, doch lange nicht in dem Maße, wie man es sich vorzustellen pflegt; es hat auch seine ihm eigentümlichen Freuden. O, der Genuß nach gefühlter Entbehrung! Die Freiheit, die an Unabhängigkeit von Menschen zu grenzen scheint! Der weitere Kreis, den ein Bettelnder um sich bildet, und die anziehenden Bekanntschaften und Beobachtungen, die er in diesem Kreise macht! Wenn so ein rechter bettelngehender Junge mir die Dörfer aufzählte, die an einem Tage von ihm begangen wurden, einen Tag diese, anderen Tag jene; wie freigebig die Gebenden wären, diese und jene namhafte, und wie unfreigebig; wie man diese zu jenen machte; wie die Hunds so bös wären auf junge Bettler aber auf alte noch viel mehr; wie man diese bald auf sanfte bald auf harte Weise zu behandeln hätte; welchen Ertrag sie von der einen und von der anderen Reise abends zurückbrächten, Geest und Marsch, versteht sich, unterscheidend: – das war anziehend von ihnen zu hören, stiftete Freundschaft, hob Ungleichheit des Standes und des Vermögens auf. –

Das Ringen: Es war wie ein tagtäglich Vorkommendes, daß ein Paar, oder zwei, drei Paare, vier, fünf bis sechs Paare miteinander rangen, sich faßten, in dortiger Sprache, oder plattdeutsch: »sick faten«, unbedingend oder bedingend das Schränkeln und Kniebeugen: schränkeln, hochdeutsch: ein Bein stellen; übers Kniebeugen heißt: des Gegners Schenkel durch eine geschickte Bewegung ans Knie bringen und dann schnell ihn seitwärts beugen. Das Schlagen – in der Regel allerdings ihrer zwei, zuweilen aber auch in größerer Zahl nach Distrikten, oder auch, was wohl vorkam, nach Gewählten und Herausgezogenen – hatte seine Regeln auch, sowohl wie der Krieg, der bei jetziger Führung freilich die alten Regeln nicht mehr beobachtet. Es war nicht erlaubt, einen Stein oder sonst etwas Hartes in seiner Hand zu haben, mit einem Stein zu werfen, ein scharfes Instrument zu brauchen, Holz zu brauchen, auch nicht, in die Halsbinde zu greifen und zu würgen, sonst war's kein ehrliches Schlagen. – Nun ferner dann die Wettübungen im Laufen, im Springen, wozu in der nahen Marsch die Gräben so viele Gelegenheit boten. Das Springen ist doppelter Art, mit und ohne Stange, Pulsstaken daselbst genannt, anderswo Kluvstaken. O, dieses Springen ist eine feine Kunst! Der springt nicht gut, der nicht weiter springt, als sein Staken lang ist von der Stelle an, wo er ihn in den Graben gesetzt hat, der ihn nicht schon los lässet, eh' er seinen Sprung und Schwung beendigt hat. Da ich den Ausdruck »Kunst« schon gebraucht habe von einem unserer Spiele, werde es hier angemerkt, daß wir in unseren Knabenspielen auf unsere Weise die »sieben freien Künste« übten, diese nämlich: Laufen, Springen, Werfen, Ringen, Heben, Tragen, Schlagen. – Vom Spiel genug: nur noch das Löpern und Kühlken, eins wie das andere mit Löpers, Pickers, kleinen, aus Ton gebackenen und glasurten Kugeln; jenes, da man einen Löper aus der Hand rollen ließ nach anderen, die in gewisser Entfernung voneinander, doch in Reihe aufgestellt waren; dieses, da man eine größere Zahl, zusammengebracht durch gleiche Einsetzung beider Spieler, aus der Hand, oder auch wohl aus beiden Händen in ein kleines, ausgehöhltes Loch, Kuhle, Kühlken, warf, und dann die in der Kuhle bleibenden zählte, ob gerade oder ungerade. Ein Hasardspiel. Der Werfer hatte die gerade Zahl für sich, und wurde die gefunden, hatt' er gewonnen. So übten die Knaben sich gleichfalls im Eisboßeln; davon nachher. Katerlücken, ein Spiel mit fünf kleinen Steinen. Kaakhor, ein Werfen nach aufgestapelten Steinen. Im Reep: Ein Reif, mehrere Faden lang, an den Enden zusammengebunden, von vielen Händen angefaßt zu einem Ringe, innerhalb dessen Einer steht, der die Hand eines der Anfassenden berühren muß. – Ballspiel und auf Stelzen gehen zu der Zeit daselbst nicht bekannt.

Die öffentlichen Lustbarkeiten: Ringreiten für Knaben wie für Jünglinge, Rolandreiten für Jünglinge und junge Männer, das Eisboßeln besonders unter jungen Leuten. Die beiden letzteren wollen eine Erklärung haben. Roland, ein hölzerner Kerl, ich habe ihn immer nur von roter Farbe gesehen, auf einer Scheibe stehend, durch diese auf einer Stange aus einem Pfahl sich drehend, in seiner rechten Hand einen viereckigen, mit Bolzen befestigten Klotz haltend, an den der galoppierende Reiter mit einer Stange stieß; in der anderen Hand führte der Roland eine von seinem Fuß durch die Hand gehende Stange, an der ein Aschenbeutel hing, und mit diesem schlug er den langsam Reitenden (und schwach Stoßenden) in den Nacken. Der den letzten Span von dem Klotze, Schild genannt, herunterstieß, war Sieger (König). – Das Eisboßeln – hat seine Beschreibung im achtzehnten Jahrhundert, ich meine, in Prof. Ehlers Schrift »Über die Sittlichkeit der Vergnügungen« gefunden. Stehe jedoch einiges über dasselbe hier. Der Boßel ist eine hölzerne Kugel, zwei-, dreimal durchbohrt, und in diese Löcher Blei gegossen, davon sie eine Schwere bekommt von acht Lot, drunter und drüber. »Eisboßeln«: »Eis« kommt daher, weil es in der Marsch nur geschehen kann, wenn die Gräben zugefroren sind, auch der sonst weiche Boden hart ist. Nun vereinbart sich eine Anzahl junger Leute zu zwei Parteien gegeneinander; das Gewicht der beiden Boßel muß gleich sein; das Ziel wird bestimmt, eine viertel, eine halbe Meile entfernt und drüber; die Zahl der Werfer wird bestimmt, entweder eine gleiche Zahl oder auch eine ungleiche, die gleiche fast immer. Jeder Einzelne bekommt seine Nummer, in welcher Ordnung er werfen soll; Wurf gegen Wurf; so vorwärts; welche Partei das gesetzte Ziel am ersten erreicht, hat gewonnen. Es kommt nicht allein auf das Weitwerfen an sondern besonders auch auf das Geradewerfen. – Auf dieses Eisboßeln sowie auf jenes Reiten folgte abends und nachts ein Tanz. Indessen fand Ringreiten, Rolandsreiten, Eisboßeln nicht etwa alle Monat statt sondern alle Jahr Winters einmal, letzteres konnte wohl zwei- bis dreimal geschehen. Der Leser wird dazu sagen: Du bist wohl immer dabei gewesen? – Ja, das bin ich, mag selten dabei gefehlt haben. Außerdem gab es sogenannte Fensterbiere: wenn jemand sich ein neues Haus gebaut oder auch nur sein altes Haus mit neuen Fenstern versehen hatte, ein nicht wohlhabender Mann, dann wurden Gönner zu einem Tanz geladen, d. h. zu einer Gelegenheit, etwas zu den Kosten beizutragen. In der Einladung, die jemand, der Bitter, von Haus zu Haus in einer längeren Anrede brachte, hieß es unter anderem: »op en kolen Drunk (Bier), lustigen Sprunk, en Piip Tabak un en Mund voll Snack«. Ferner sogenannte lustige Hochzeiten, diese auch in einiger Öffentlichkeit, die denn auch meine Gegenwart zu erfordern schienen. Kleinere Zusammenkünfte zum Tanze gab es in Häusern, wo die Eltern es einer Tochter verstatteten, einige ihresgleichen Sonntags abends bei sich zu haben, dabei sich denn ungeladen, aber bald erforscht habend, wo es wäre, Knaben auch einfanden. –

Aus: Klaus Harms, Lebensbeschreibung.
»Bibliothek theologischer Klassiker«. Bd. 7. (Gotha, F. A. Perthes.)


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