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Die Franzosen in Hamburg.

Von Therese Devrient.

Es war um das Jahr 1807; Hamburg noch in seiner alten Gestalt, mit engen Straßen voll himmelhoher Häuser mit unzähligen Fenstern, die aus kleinen Scheiben zusammengesetzt und eng aneinandergerückt waren ... Auch wir hatten solch ein altes Haus bezogen mit vielen Stockwerken; oben, dicht unter dem Dache, lag die Rauchkammer, die keinem rechten Hamburger Haushalt fehlen durfte. Unsere lange, schmale Hausflur, der Boden von schwarz und weißen Fliesen, die schwere, eichene Haustür mit dem Messingring, das alles hatte ein behagliches Aussehen. Dazu gab die dicke Eisenkette an der Tür, die jeden Abend vorgehängt wurde, das beruhigende Gefühl der Sicherheit. Von allem das Hübscheste, wenigstens für uns Kinder, waren die vier steinernen Stufen mit den Steinbänken zu beiden Seiten, die von der Haustür auf die Straße hinunterführten. Hier saßen wir mit unserem Pudel Cäsar, unseren Puppen und Bilderbüchern. Von diesen Steinbänken aus beobachteten wir das Leben und Treiben in der Straße, in den Nachbarhäusern, und an dieses Plätzchen knüpften sich so mancherlei Erinnerungen ...

Wenn der Tag kaum graute, fing das geschäftige Treiben in den Straßen und nicht viel später in unserem Hause an. Dann waren auch wir nicht mehr in den Betten zu halten und liefen hinaus, um auf der Steintreppe die Ankunft der Milchfrau zu erwarten. Den bei weitem größten Milchbedarf erhielt die Stadt aus den Werdergegenden. Auf flachen, breiten Kähnen brachten die Werderfrauen ihren Vorrat. Sie saßen in ihrer hübschen, zierlichen Tracht, eine hinter der anderen dicht am Rande des Bootes. Kräftig rudernd flogen sie rasch über das Wasser, meist unter heiterem Singen und Lachen. Am Ufer wurde das Fahrzeug festgebunden. Nun legte jede ihre siegellackrote Holztrage über die Schulter, hing den schweren, ebenso roten Deckeleimer daran, und raschen Schrittes ging es dann in die Straßen zu den Kunden. Sobald wir nun den roten Eimer von ferne schwanken sahen, riefen wir die Köchin, die auch sogleich mit den Töpfen herauskam, denn alle derartigen Geschäfte wurden auf der Straße abgemacht. Die Milchfrau stellte ihre Last ab, hakte das blanke Messingmaß, das an der Seite hing, los, maß unsere Milch, hob mit einem geschickten Ruck die schwere Trage wieder auf die Schulter, stemmte die Arme in die Seite und ging weiter ...

Etwas später aber doch noch in der Morgenkühle, rumpelte der Wasserwagen daher, und schon ehe man ihn sehen konnte, hörte man: »Water, Water, frisch Water!« rufen. Aus allen Häusern kamen Frauen und Mädchen mit Eimern, Kübeln und Krügen, um den Bedarf an Trinkwasser für den Tag zu kaufen. Der Wasserträger hielt mit seinem zweiräderigen Karren, auf dem ein großes Faß lag, auch vor unserem Haus, ließ das klare Wasser in die Gefäße laufen und rief schon wieder, während er den Holzstöpsel niederdrückte: »Water, Water, frisch Water!«

Nach dem Wasserwagen kam gewöhnlich der Kotwagen die Straße langsam heraufgefahren, hielt vor jeder Tür, und der Fuhrmann schüttete den in Körben und Kisten angesammelten Kehricht auf, rief eintönig: »Dreckwag, Dreckwag!« und fuhr langsam weiter. Nur einmal habe ich ihn aus seiner Fassung kommen sehen, als unser kleiner Star oben am offenen Fenster auch »Dreckwag« nachrief. Der Mann glaubte sich von jemandem verhöhnt, drohte und rief: »Töv du man!« (Warte du nur!)

Je mehr der Tag vorrückte, desto lebhafter wurde das Rufen, Drängen und Rasseln in den Straßen. Die verschiedensten Gegenstände wurden zum Verkauf ausgeboten und in so wunderlichen Melodien ausgerufen, daß sich diese dem Gedächtnis tief einprägten ...

Zwischen all dem Schreien und Rasseln der schweren Packhofswagen und der schwerfälligen Kutschen stolzierten die Ratsdiener, auch reitende Diener genannt. Sie trugen vollständig spanische Tracht: Die gesteifte breite Krause um den Hals, Wams und Mäntelchen von schwarzem Tuch, dazu eine kurze, weiße Perücke und stets einen rotbaumwollenen Regenschirm unter dem Arme. Sie besorgten mancherlei Geschäfte, sowohl für den Magistrat als auch für Privatpersonen. Man benutzte sie zu feierlichen Einladungen als: Hochzeiten, Kindtaufen und Beerdigungen. Mir erschienen sie wie Menschen einer ganz eigenen Gattung, und ich weiß, daß mich stets ein leichter Schauer überfiel, wenn solch ein Ratsdiener die Steintreppe zu uns heraufstieg und mich wohl gar fragte: »Is de Herr to Hus?«

Je mehr der Tag abnahm, desto mehr verstummte das Schreien und Rufen; nur einmal, noch spät am Abend, wenn wir schon in den Betten lagen, schreckte uns gewöhnlich der Nachtwächter mit seiner Knarre aus dem Schlaf. Ein zweiter Wächter, der Slyker (Schleicher), folgte ihm auf zehn bis fünfzehn Schritte nach, bewaffnet mit Lanze und Säbel, um bei etwaiger Gefahr als Beistand zur Hand zu sein. Ich horchte gern auf des alten Mannes melancholischen Gesang, kroch aber doch tiefer unter die Decke; denn die beiden schleichenden Gestalten hatten etwas gar zu Unheimliches für mich.

Mit der Nacht trat nun keineswegs vollständige Ruhe ein. Wenn wir auch abgehärtet genug waren, nicht jede Stunde durch des Nachtwächters Knarre geweckt zu werden, so störten uns doch gar oft die Sturmglocken bei den allzu häufigen Feuersbrünsten. Aber viel schrecklicher noch als der Glockenruf bei den Bränden klang die Sturmglocke bei hohem Wasser. Jeder gute Hamburger verstand es, nach Art und Zahl der Glockenschläge die Grade des steigenden Wassers zu zählen. Ich erinnere mich ganz genau einer Nacht, in welcher mein Vater rasch aufspringend rief: »Das wird heut' sehr schlimm!« und alle im Hause weckte, um zur Hilfe bereit zu sein. Das Gesetz legte jedem Hausbewohner die Pflicht auf, den Kellerbewohnern beizustehen und sie bei sich aufzunehmen im Falle der Not. Es dauerte auch nicht lange, so hörten wir ein starkes Pochen an der Haustür und bald darauf Nachbar Quast sagen: »Min lewe Herr Nachbar, ick möt min Fru un Kinner tau Se bringen, se swimmen all in de Betten.« Darauf gab es viel Laufen, Schurren, Sprechen und Lärmen unten im Hause, auch auf den Straßen, dazwischen Glockengeläute – und das alles hörte ich zuletzt nur noch wie im Traum. Als wir am anderen Morgen hinunter ins Wohnzimmer kamen, fanden wir Frau Quast mit einem drei bis vier Tage alten Kindchen auf unserem Sofa liegen, mit Betten und hundert verschiedenartigen Sachen um sich herum. Mine war soeben beschäftigt, zwei größere Kinder anzukleiden, Herr Quast stand nahe der Tür bei einem großen Korbe, aus welchem er den hereinkommenden Dienstmädchen Weißbrot und Kringel verkaufte. Als das Wasser so weit gesunken war, daß man wieder in die Kellerwohnung gehen konnte, lief alles hin, um zu helfen. Auch wir waren beschäftigt, die leichteren Gegenstände hinunterzutragen. Am Kellereingang nahm sie einer unserer Kommis ab. Er stand auf Brettern, und ich blickte mit Schaudern hinunter in den nassen Raum, der nun in wenigen Augenblicken wieder von der schwachen Frau mit dem Kindchen bewohnt werden sollte. Noch waren die Wände und der ganze Fußboden triefend naß, ja in kleinen Vertiefungen standen Pfützen; in einer derselben schwamm ein Kinderschuh. Ich hätte fast geweint, doch die Familie Quast zog mit Späßen und Lachen wieder vergnügt in die Wohnung ein. –

Wir Kinder führten ein recht glückliches Leben, wir brauchten noch nichts zu lernen als die hübschen Liedchen von der Mutter, konnten mit unseren Puppen spielen, für sie nähen und fröhlich umherspringen; denn an die Klagen der Eltern über den Druck, den die Franzosen auf unsere arme Stadt ausübten Am 19. November 1806 war Marschall Mortier in Hamburg eingezogen, von allem Besitz ergreifend »im Namen Sr. Majestät des Kaisers der Franzosen und Königs von Italien«., waren wir schon gewöhnt und stimmten nur herzhaft mit ein in die Verwünschungen gegen unsere Feinde.

Bei der Verteilung der Einquartierung ward uns ein junger französischer Offizier überwiesen, der nicht nur Mutter die schwere Sorge für die Beköstigung eines verwöhnteren Mannes für längere Zeit brachte sondern auch noch das Unangenehme hatte, daß er keine Silbe Deutsch verstand. Zum Glück hatte Mine, die ältere Schwester, vor kurzem die Schule verlassen, sprach hübsch Französisch und ward dadurch Dolmetscherin des ganzen Hauses. Daß das muntere, junge Mädchen dem hübschen Offizier bald ebensowohl gefiel als er ihr, bemerkte Mutter mit Schrecken, war aber nicht imstande, etwas dagegen zu tun. Wir alle hatten den angenehmen jungen Offizier liebgewonnen, trotzdem aber brachte die Nachricht von der plötzlichen Räumung der Stadt von den Franzosen die freudigste Aufregung bei allen Einwohnern hervor, und auch wir zählten die Stunden bis zu ihrem Abmarsch. Der wichtige Tag rückte heran; ganz früh am Morgen dröhnten Trommeln und Pfeifen; in geordneten Reihen, mit zerrissenen Fahnen zogen die Franzosen vorüber. Manch tränenfeuchtes Auge blickte ihnen nach. Auch der junge Offizier, der bei uns im Quartier gelegen, ging mit in den Reihen; er war bleich, blickte traurig zu uns herauf, dann salutierte er mit dem Degen. Mutter und Mine nickten und weinten, ich machte alles mit. Mines ganzes Wesen war verändert, und es dauerte lange, lange Zeit, bis sie Kraft genug fand, den Kummer zu verwinden.

Die Franzosen waren fort, aber dieses heiß ersehnten Glückes wurde so bald niemand froh. Die Geschäfte lagen alle danieder, und auch Vater wurde von schweren Sorgen bedrückt.

An meinem sechsten Geburtstage (1809), der mit der gewohnten Liebe und Zärtlichkeit gefeiert wurde, merkte ich an den allzu kleinen Geschenken, wie es im Hause stand, und freute mich um so mehr auf Franz (den ältesten Stiefbruder, der Kaufmann war), von dem ich stets überreich und glänzend beschenkt worden war. Wohl hundertmal guckte ich zum Fenster nach ihm aus. Endlich, es war schon gegen Abend, kam er. Ich schlich um ihn herum und musterte die Dicke seiner Rocktaschen. Er winkte mir ins Nebenzimmer, ich folgte ihm zögernd; warum war er denn heute so feierlich? Er zog ein Päckchen aus der Tasche; ich nahm es, sagte rot werdend: »Ich danke schön,« und wollte damit hinauslaufen. »Bleib noch, mein Kind, und wickle es hier auf,« sagte er, mich ernst ansehend. Ich tat es und blickte erstaunt bald ihn bald das Geschenk an. Es war meines Vaters goldene, dicke Uhr mit dem mit Brillanten eingefaßten Zifferblatt; ich kannte sie gut. Vater hatte sie vor einiger Zeit versetzen müssen, eine schnell an ihn herangetretene Geldforderung zu decken. »Was soll ich denn damit?« fragte ich weinerlich.

»Die sollst du Vater bringen.« Ich konnte meine Tränen nicht zurückhalten, die Enttäuschung war zu schmerzlich. »Für das Geld, das ich heute gezahlt habe, um die Uhr einzulösen, hätte ich dir ein prächtiges Geschenk kaufen können, aber ich hatte dir zu deinem Geburtstag eine größere Freude zugedacht. Es ist edler, anderen Freude zu bereiten, als an sich selbst zu denken.« Er betrachtete mich prüfend: »Ich bringe dir heute gar nichts – aber nicht wahr, ich habe mich nicht geirrt, und du bringst Vater gern das Geschenk?«

Ich trocknete hastig meine Tränen, die mir noch in den Augen standen, und deren ich mich jetzt schämte. Mein Herz pochte wie vor einer großen Tat. »Wo ist Vater? – ich will ihm etwas bringen!« schrie ich durchs Haus, indem ich laufend ihn überall suchte. Vater trat erstaunt aus dem Kontor. »Da,« rief ich, »da, das schenke ich dir zu meinem Geburtstage!« legte die lang entbehrte alte Uhr in seine Hand und lief hinaus auf meine steinernen Stufen. Ein kleiner Rest von Schmerz über die getäuschte Hoffnung war noch wegzuweinen – aber lange flossen diese Tränen nicht; mein besseres Gefühl siegte. Franzens Worte, hatten mich tief ergriffen, und sie waren unauslöschlich in mein Herz geschrieben.

Kaum hatten Handel und Gewerbe wieder angefangen etwas aufzublühen, kaum hatte sich das frühere behagliche Leben wieder eingestellt, als aufs neue Franzosen einrückten mit größerer Macht als bisher und mit unerhörtem Übermut. Es war im Jahre 1811 (am 13. Februar). Sie setzten den ehrwürdigen Senat ab und dafür ein französisches Gouvernement ein, das über alle Angelegenheiten zu bestimmen hatte. Unter den vielen empörenden Verordnungen war eine, die selbst die ruhigsten Leute in Wut versetzte. Es wurden nämlich den Kaufleuten alle seewärts eingegangenen Kolonialwaren als von englischem Handel herstammend fortgenommen, um auf großen Plätzen öffentlich verbrannt zu werden. Alle Einwendungen und Vorstellungen, daß diese Waren redlich bezahlt und hoch besteuert worden, halfen nichts; sie wurden zu Haufen aufgetürmt und angezündet. O! ich erinnere mich, welch ein Grimm mich erfaßte, wenn Vater kleine Stückchen Mousselin mitbrachte, die der Wind von diesen Bränden ihm zugeweht hatte, und es wurde von unseren jungen Männern mancher ernste Racheschwur bei solch kleinen versengten Blümchen geschworen ...

Der allgemeine Haß und die Erbitterung gegen die Franzosen wuchs mit jedem Tage. Es bedurfte nur eines geringen Anlasses, um die besonnensten, ruhigsten Leute zu den unüberlegtesten Schritten hinzureißen. So mußte ich selbst einst Anlaß zu solch einem Auftritte geben.

Der Frühling war gekommen, die Luft wieder milde, und am stillen Feiertag, Karfreitag, schien die Sonne so verlockend, daß meine kleine Schwester Lore und ich seit langer Zeit zum erstenmal wieder auf der Steinbank vor der Tür sitzen konnten. Wir hatten unsere Puppen herausgebracht und nähten emsig für sie. Die Straßen waren recht festtäglich leer und still. Da jagte der Bediente eines französischen Offiziers, der im Nachbarhause einquartiert war, daher. Er sieht drüben einen Bekannten, ruft ihm etwas zu, schwingt sich vom Pferde, gibt dem Tier einen Schlag mit der Peitsche und läuft hinüber, mit dem Kameraden zu schwatzen. Das kluge Tier, das den Stall sonst allein zu finden wußte, ist darüber erschreckt und läuft gerade auf unsere Treppe zu. Dies alles war das Werk eines Augenblicks und kam so überraschend schnell, daß wir Kinder ruhig sitzen blieben und müßig zusahen. Ein greller Schrei weckte uns aus der Betäubung. Er kam von drüben her; die alte, reiche Frau hatte ihr Fenster aufgerissen und schrie uns zu. Lore stürmte ins Haus, ich wollte ihr folgen, sah aber meine Puppe auf der unteren Stufe liegen. Das Pferd war schon ganz nahe, da bückte ich mich, zog sie unter den Beinen des Tieres, das so über mir riesig groß erschien, hervor und lief, den dröhnenden Hufschlag dicht hinter mir, die Diele entlang zur Küche. Hier fand ich meine Schwester auf den Feuerherd geflüchtet. Der Lärm rief die Eltern, Ludwig (den zweitältesten der Brüder) und das ganze Haus zusammen. Auf der Straße hatten sich viele Leute versammelt, die unsere Gefahr mit angesehen hatten. Der Bediente kam, um sein Pferd zu holen, und statt sich zu entschuldigen, gab er grobe Reden und lachte. Das empörte die Umstehenden, und einer von ihnen gab ihm einen derben Faustschlag auf den Rücken. Er fluchte und tobte, bis sein Herr dazu kam, auf dessen Befehl Soldaten anrückten. In wenigen Augenblicken hatte sich eine fürchterliche Schlägerei zwischen Soldaten und Bürgern entsponnen. Wir standen zitternd am Fenster und sahen wie unser guter Bruder Ludwig mit noch einigen Herren nach der Wache abgeführt wurde. Ludwig war totenblaß, seine Kleider zerrissen, dennoch winkte er uns freundlich zu; wir weinten und jammerten ihm nach. Bald wurde es wieder leer und still auf der Straße; nur Fetzen von zerrissenen Kleidern und Blutstropfen auf dem Pflaster zeugten von der vorhergegangenen Szene. Abends waren mein Bruder und der erste Kommis, der mit ihm verhaftet worden, wieder frei. Der Fürsprache angesehener Männer war es gelungen, ihre Freilassung zu erlangen; aber in unserer Erinnerung blieb diese Begebenheit noch lange mit aller Schärfe haften, und uns Kindern waren die Steinbänke und Treppen ganz verleidet.

Inzwischen waren die Berichte, die Vater von der Börse und aus den Zeitungen nach Hause brachte, wohl geeignet, selbst die nicht persönlich Beteiligten aufs tiefste zu erschüttern. Der Krieg in Rußland, zu dem gerade auch die in Hamburg einst verweilenden französischen Regimenter beordert waren, überbot an Furchtbarkeit fast alles Dagewesene. Der Brand von Moskau, die Schilderung der Tausende von jungen Leuten, die in Eis und Schnee, in der Beresina, an ihren Wunden umgekommen waren, ließ keine andere Stimmung als die des größten Jammers aufkommen.

Da brachte Vater eines Tages die Nachricht mit, die Franzosen verließen, von den Russen bedrängt, unsere Stadt. Doch machte die oft gehörte und oft widerrufene Kunde anfangs wenig Eindruck. Aber wie soll ich unseren Jubel beschreiben, als wir wirklich am nächsten Morgen (12. März 1813) als Bestätigung dieser Freudenpost hörten, in der Nacht seien alle Franzosen in größter Stille und Eile abgezogen, und noch am selben Tage würden die Russen einziehen. Das war eine Aufregung! Alle Geschäfte ruhten, und fast überall sah man Vorbereitungen zur Aufnahme der längst ersehnten Retter ...

Gegen Abend wurde unten die Kontortür rasch aufgerissen. Wir hörten Ludwig mit lauter Stimme rufen: »Sie kommen, die Russen kommen! Tettenborn führt sie an!« Bald darauf liefen wir und alle Herren aus dem Kontor hinaus auf die Straße. In Eile wurden die hanseatischen Farben hervorgesucht, wir Kinder bekamen rot und weiße Kokarden an unsere Pelerinen geheftet und standen dann mit den Eltern erwartungsvoll vor der Tür auf den steinernen Stufen. Da erscholl endloser Jubel; vier Kosaken mit eingelegter Lanze, die vorangeschickt waren, sausten wie Geister an uns vorüber. Sie machten mir auf ihren kleinen Pferdchen, mit weit ausgestreckten Beinen, so dicht über der Erde, den Eindruck von Schaukelpferden, was mir Mutter in ihrer enthusiastischen Stimmung sehr übelnahm.

Am Abend (des 17. März 1813) war die ganze Stadt erleuchtet, und seit langer Zeit wogten wieder einmal singende, frohe Menschen durch die Straßen. Wir gingen auch alle nach dem großen Marktplatz, unsere Rettungsengel – denn so standen sie vor unseren Seelen – zu sehen und zu begrüßen. Da lagen sie neben ihren Pferden auf Stroh, bärtig, schmutzig, in den seltsamsten Trachten, drei bis vier Uniformröcke aller Nationen übereinander gehängt. Vor sich hatten sie Fässer mit Heringen, Körbe voll Zwiebeln und mächtige Flaschen mit Schnaps, lauter Delikatessen, denen diese schmierigen Helden mit dem größten Appetit zusprachen. Es störte sie weiter nicht, wenn von den Heringen, denen sie ohne weiteres den Kopf abbissen, die salzige braune Lacke über ihre Kleider tropfte.

Wir waren sehr enttäuscht; aber alle, auch die hübschesten, elegantesten Mädchen ließen sich ohne Sträuben von den Kosaken küssen, so groß war der Patriotismus. Die jungen Männer bewiesen einen noch größeren, besseren: zweitausend von ihnen ließen sich sogleich zum Felddienst einkleiden, und sechstausend gingen zur Bürgergarde, um ihre Vaterstadt zu verteidigen.

Das alte gewohnte Leben wurde nun allgemach wieder eingeführt. Dem allgemeinen Fleiß und verdoppelten Eifer gelang es nach und nach, die zerrütteten Verhältnisse zu bessern und das alte Wohlbehagen herzustellen, und auch in unserem Hause gab es wieder sorgenlose, heitere Gesichter. Meine Schwester Lore und ich waren indessen in eine Schule geschickt worden, die nur von wenigen Kindern aus gebildeten Familien besucht wurde. Eines Morgens (am 19. Mai 1813) saßen wir dort mit Handarbeit beschäftigt, als Fräulein Detroit, unsere Lehrerin, hastig und bleich ins Zimmer trat. »Kinder,« rief sie atemlos, »macht euch schnell fertig, nehmt Hüte und Tücher, ich muß euch zu euern Eltern bringen, die Franzosen sind wieder da

Zähneklappernd vor Schrecken und Aufregung folgten wir ihr. Die größten Mädchen schickte sie allein nach Hause, die kleineren, worunter wir waren, führte sie selbst fort. Eilig lief sie mit uns durch die gedrängt vollen Straßen. Bleiche, verstörte Gesichter eilten an uns vorüber; unsere Eltern fanden wir vor der Tür. Alles kam heraus auf die Straße und sammelte sich in dichten Gruppen, um zu überlegen, was zu tun, was anzufangen sei. Mein Bruder Ludwig ging zur Bürgerversammlung. Nicht lange, so kehrte er zurück, holte seine Hanseatenuniform und seine Waffen, nahm rasch Abschied von uns und ging mit vielen anderen jungen Leuten hinaus zur Verteidigung der Stadt. Keinem fiel es ein, sie zurückzuhalten. Wir waren in banger Erwartung. Da fiel ein Schuß – dann wieder einer. »Gott im Himmel, rettet die Kinder, bringt die Kinder in Sicherheit!« schrien die Frauen. Wir wurden ins Haus gebracht. Nun saßen wir in einer Hinterstube und hörten die furchtbaren Klänge der Sturmglocken, von gewaltigen Kanonenschüssen unterbrochen. Wagen rasselten schnell vorüber, im Hause hörten wir treppauf, treppab laufen. Gegend Abend kam Ludwig mit den Kameraden zurück. Wir liefen hinaus, ihm entgegen. »Endlich kommst du!« rief Mutter, »nun, wie steht's?« »Verloren, alles verloren,« sagte er, vor Zorn und Schmerz weinend. »Die Franzosen sind schon in den Vorstädten Hamm und Horn, die Dänen haben sie hereingebracht.« »Die Hunde,« schrien einige Nachbarn, »die hinterlistigen Hunde, sie hatten uns Hilfe zugesagt!« Ludwig schlug sein Gewehr gegen den Eckstein: »Das soll ihnen wenigstens nichts nützen können!« rief er grimmig. Viele junge Leute folgten seinem Beispiel.

Es dunkelte, und wir gingen ins Haus. Nach langem Hin- und Herraten fanden es die Eltern am besten, daß mein Vater uns Kinder nach Altona zu einem seiner Geschäftsfreunde bringe und ihn bitte, uns auf kurze Zeit bei sich aufzunehmen. Wir zogen uns warm an, denn es war noch früh im Jahre. Mutter gab uns das Unentbehrlichste mit, begleitete uns bis an die Tür und nahm weinend von uns Abschied. Vater faßte uns an der Hand, und wir gingen schluchzend zum letztenmal unsere steinernen Stufen hinab.

Die belebten Straßen, die vielen hellerleuchteten Läden verscheuchten auf eine Weile unseren Kummer; als wir aber zum Tor hinausgingen und die Nachtluft uns von dem dunkeln, weiten Felde so kalt anwehte, drängten wir uns dichter an Vater und wagten keinen Laut mehr. »Seht ihr dort drüben, das sind die Wachtfeuer der Franzosen!« sagte er unwillkürlich leise. Wir schauderten, und die erregte Phantasie belebte das dunkle Feld mit Gestalten, die uns erschreckten und zittern machten.

Endlich das Altonaer Tor! Wir gingen in die von Laternen erleuchteten Straßen, bogen in die zweitnächste ein und hatten schon im voraus die Leute so lieb, die uns nach der überstandenen Angst gastlich bei sich aufnehmen würden. Wir waren am Ziel. Vater hieß uns warten, ging ein paar Stufen hinauf und klingelte. Es kam niemand, er klingelte wieder – nach langer Zeit schloß endlich eine Magd verdrießlich die Tür auf, gab kurz Bescheid, ihre Herrschaft sei eingeladen, käme erst spät nach Mitternacht nach Hause, und schloß ohne weiteres die Tür wieder zu.

»Hier ist es also nichts,« sagte Vater herabgestimmt, aber als wollte er uns ermutigen, setzte er gleich hinzu: »Ich habe noch mehr Freunde hier in Altona.«

Wir gingen weiter und traten bald in ein Haus, dessen erleuchtete Fenster uns schon aufgefallen waren. Die Tür war nur angelehnt, und Vater nahm uns mit in ein elegantes Vorzimmer. »So Kinderchen,« sagte er sehr freundlich, »hier wartet nur ein bißchen.«

Er öffnete, nachdem er vergeblich einige Male angeklopft hatte, selbst die Tür. Heller Lichterschein, starker Punschgeruch und lautes, lustiges Sprechen drang zu uns herein. Der Lärm ward für einen Augenblick unterbrochen; wir hörten leise sprechen, konnten aber nichts verstehen; dann kam Vater zu uns zurück. Er nahm uns still bei der Hand und sagte tief bekümmert: »Jetzt weiß ich nicht wohin, die reichen Leute hier haben in solcher Zeit in ihrem großen Hause kein Winkelchen, um ein paar geflüchtete Kinder zu beherbergen.«

Er stand lange unschlüssig und ratlos, wir wischten uns heimlich die Augen, da rief er plötzlich: »Vorwärts, Kinder, jetzt weiß ich, wer euch aufnimmt! Wie konnte der mir auch nicht gleich einfallen?« Wir mußten noch weit über viele Plätze, durch viele Straßen und Gäßchen, waren recht müde und wurden immer mutloser. Da, endlich bogen wir in ein enges, dunkles Gäßchen ein. Das Pflaster war so schlecht, daß wir alle Augenblicke zu fallen fürchteten. »So, nun sind wir da,« sagte Vater, vor dem letzten Häuschen stehen bleibend, »hier wohnt mein alter Holzschneider.«

Er klopfte stark an die Tür. »Wer da?« rief es von innen. Vater nannte seinen Namen. Ein schwerer Riegel wurde hastig zurückgeschoben, und ein altes, freundliches Männchen, die weiße Nachtmütze auf dem Kopfe, ein Licht in der Hand, ließ uns ein. »Wat is denn?« fragte er erschrocken, »bi de finstre Nacht mit de Kinner, wat is denn Se passeert?« So fragte er in einem fort, schob dabei wieder vorsichtig den Riegel vor und führte uns ins Zimmer. »Fru, kik mol, unse Herr mit sin Kinner!« rief er einer alten Frau zu, die ganz verdutzt und erstaunt dasaß.

Während nun Vater erzählte, daß die Franzosen vor den Toren seien, daß schon große Kugeln durch die Stadt geflogen wären, daß Mutter in ihrer Angst um uns mit ihm hoffte, wir würden hier Schutz und Unterkunft finden – ward er beständig durch Ausrufungen der beiden Alten unterbrochen. Sie schimpften auf die schrecklichen Franzosen, bedauerten die arme Mutter und versicherten, eine größere Ehre hätte ihnen nie widerfahren können als Vaters Vertrauen zu ihnen. Die Frau erzählte uns mit Tränen in den Augen, wie ihr Mann einst lebensgefährlich krank gewesen, habe Vater, der einzige von all den Herren, für die er arbeitete, ihn unterstützt und ihm in seiner Not beigestanden; sie könne das nie vergessen und wolle es jetzt an uns gutmachen. »Ja, dat wölln wi!« fiel der Mann ein.

Vater schüttelte den beiden gerührt die Hände, wies alle Erfrischungen, die sie ihm boten, zurück, da er eilen mußte, nach Hause zu kommen, küßte uns, reichte noch einmal den alten Leuten die Hand und ging dann rasch fort. Der Alte verschloß hinter ihm die Tür und kam mit dem Lichte zurück. Wir weinten und horchten auf Vaters immer schwächer werdende Schritte in dem stillen Gäßchen. Die Alte streichelte uns und sagte freundlich: »Nu setten Se sick,« und rückte Schemel an den Tisch. Wir setzten uns ein wenig beklommen, zum erstenmal ganz allein unter fremden Menschen. Die Frau lief hinaus, kam aber bald mit einem sauberen Tischtuch und mit allem, was sie nur Eßbares im Hause finden konnte, zurück. Sie stellte Brot, Butter, Käse und ein paar Äpfel dicht vor uns hin und bat so freundlich, zuzugreifen, daß wir ihr gern folgten, um so lieber, als wir tüchtigen Hunger hatten.

Die herzliche Aufnahme der beiden alten Leute machte uns bald ganz heimisch; mir kam es vor, als hätte ich noch nie so gutes Brot, so vortreffliche Äpfel gegessen. Die Alten waren ganz glücklich darüber, und wir vergaßen alle Sorgen, Franzosen, Hamburg, ja, ich glaube – wenigstens für den Augenblick – selbst das Elternhaus. Nach all der Aufregung überfiel uns aber plötzlich eine Schläfrigkeit, daß wir fast vom Stuhle fielen. Die Frau merkte es, zog ihren Mann in die Stubenecke, wo sie leise miteinander sprachen, dann ging er hinaus. Sie holte aus einem großen Schrank reines Bettzeug und richtete ihr eigenes breites Himmelbett für uns her; dann half sie uns beim Auskleiden und Hinaufklettern, deckte uns mit einem wahren Felsendeckbett zu, wünschte »Gute Nacht!« und ging auch.

Die Sonne schien hell durch die Scheiben, der Kanarienvogel schmetterte aus vollem Halse, als wir erwachten. Ich schob rasch die weiß und blau karrierten Vorhänge des Bettes auseinander, und nun erst sahen wir das behagliche, reinliche Stübchen: die kleinen weißen Vorhänge an den blanken Fenstern, die große, tickende Wanduhr, den Boden mit Sand bestreut, alles sauber, alles nett.

Da ging leise die Tür auf, die Alte kam auf den Strümpfen hereingeschlichen und richtete das Frühstück für uns auf dem alten vierbeinigen Tisch, der mit einer grün und gelb gestreiften Tirolerdecke überhangen war und mitten im Zimmer stand.

Wir riefen ihr munter »Guten Morgen!« zu, kleideten uns an und ließen uns das Frühstück so gut wie gestern das Nachtessen schmecken, alles zur Freude der lieben alten Frau. Der Mann war längst an die Arbeit gegangen; er schnitt aus ausländischen Hölzern Fourniere; sie wollte auch fortgehen, einige Einkäufe für den Mittag zu machen, und bot uns an, sie zu begleiten. Im Vorübergehen grüßte sie ihre Nachbarn, lauter Fischfrauen, die eilig zum Markt in die Stadt liefen. Eine der Frauen rief sie an, sie kaufte Schollen (einen wohlfeilen Seefisch) von ihr und fragte uns dann, ob wir die Fische mittags lieber gebacken oder mit einer Sauce essen wollten. Wir durften wählen und bestimmen. Das war wieder ein neuer Reiz dieses entzückenden Aufenthaltes ...

Wir hatten noch immer keine Nachricht von den Eltern und wurden immer banger und trauriger. Als wir aber gegen Abend eines der nächsten Tage vor der Tür standen und sehnsuchtsvoll hinausschauten, bog Mutter um die Straßenecke, von unserem Pudel Cäsar begleitet. Wir liefen ihr jubelnd entgegen; aber Cäsar hatte uns auch schon von ferne erkannt, raste voraus, sprang auf uns los, riß uns fast dabei um und erhob ein Freudengebell, daß die ganze Gasse erdröhnte. Dann jagte er alle Katzen, die ruhig vor ihren Türen saßen, verfolgte sie in ihre eigenen Häuser, so daß wir gar nicht Zeit hatten, uns über Mutters Kommen zu freuen, da wir genug zu tun hatten, das ungezogene Tier festzuhalten und ihm sein unvernünftiges, ganz unpassendes Betragen vorzuhalten.

Mutter sah sehr übel aus und war still und traurig. Sie erzählte, welche Bestürzung in Hamburg herrsche, daß Belagerungszustand erklärt sei, und daß man binnen drei Tagen auf sechs Monate verproviantiert sein müsse, widrigenfalls man aus der Stadt gewiesen würde, daß diese strenge Maßregel viele Einwohner vertrieben, und daß auch sie und der Vater beschlossen hätten, auszuwandern.

»Auswandern,« wiederholte ich mir. Dieses Wort verjagte mir sogleich alle Angst und Sorge; ich mußte mich ordentlich in acht nehmen, um mein Entzücken nicht zu zeigen, und lebte in Gedanken schon die schönsten Abenteuer einer Auswanderung durch.

Spät am Abend hörten wir ferne Tritte in dem Gäßchen; sie kamen näher, dann pochte es an der Tür, und zugleich rief Vaters Stimme: »Ich bin es!« Der Alte lief hinaus und öffnete. Vater kam sehr niedergeschlagen und bedrückt. »Ich bin nun fertig,« sagte er, »alle Anstalten zu unserer Reise sind getroffen, übermorgen früh kommen die Wagen.«

»Aber Ludwig und Mine, wo sind sie?« schrie Mutter vor Angst.

»Ludwig hat nach reiflicher Überlegung beschlossen zu bleiben; er kann nicht so schnell das Geschäft verlassen. Es ist ihm gelungen, so viel Kapital, als zur Proviantierung nötig ist, zusammenzubringen. Ein einzelner junger Mann kann das auch leichter. Er läßt euch tausendmal grüßen!«

Mutter weinte, wir mit ihr. »Und Mine, aber Mine?« frug die Mutter.

»Du kennst sie ja,« erwiderte Vater traurig lächelnd; ›morgen abend um sechs Uhr ist der Termin um,‹ sagte sie, ›so lange bleibe ich bei Ludwig, richte sein Haus und besorge ihm alles. Habt um mich keine Angst, ich komme ganz gewiß zur rechten Zeit.‹ Dabei blieb sie und war durch nichts zu bewegen, mit mir zu gehen, dagegen drängte sie mich fort; du könntest dich ängstigen, meinte sie.«

Den ganzen folgenden Tag hatte Vater so viele Briefe zu schreiben, Rechnungen durchzusehen und zu ordnen, daß wir, um ihn nicht in dem engen Stübchen zu stören, nur miteinander flüstern durften. Wohl tausendmal liefen wir an die Straßenecke, nach Mine auszusehen, und kehrten immer ohne sie verstimmt zurück. Endlich gegen Abend kam sie. Ich werde den Anblick nie vergessen. Sie hatte erfahren, daß die Franzosen die Tore der Stadt sperren und niemand, der nicht einen Schein vom Gouvernement vorzuweisen hätte, hinauslassen würden. Da folterte sie der Gedanke, sie könne ganz von uns getrennt werden, mit solcher Macht, daß sie in unbeschreiblicher Angst Abschied nahm und fortstürzte, dem Altonaer Tore zu. Noch einige Frauen und Kinder waren ihr gefolgt. Als die französischen Soldaten die Flüchtlinge kommen sahen, löste einer die Haken des Gittertores los und war im Begriff zu sperren. Wie von Sinnen schrie Mine und jammerte, man möchte sie hindurch zu ihren Eltern lassen. Der Soldat lachte, und sie, von Verzweiflung und Zorn übermannt, stieß ihn heftig zurück und drängte sich hindurch, die Weiber und Kinder ihr nach. Sie verlor ihr Tuch, ließ einen Schuh im aufgeweichten Boden stecken, und so kam sie atemlos und ganz außer sich bei uns an.

Am anderen Morgen sehr früh hielt ein Reisewagen vor dem Hause, ein anderer, mit Kisten und Koffern beladen, an der Ecke der Straße. Wir nahmen unter Tränen Abschied von den lieben, braven Gastfreunden.

Im Wagen war es eng, und Cäsar lag schwer auf unseren Füßen. So rumpelten wir durch das Gäßchen. Die Alten standen vor ihrer Tür und wehten und winkten, so lange sie uns sehen konnten.

Aus: Therese Devrient, Jugenderinnerungen. (Stuttgart. Carl Krabbe.)


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