Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

 

b. Kulturboten und Kulturstätten.

Die Kolonisten.

Aus Petersen Lesebuch

Der Druck, den die Nachfolger Hermann Billungs auf die Wenden ausübten, und die Strenge, womit die Geistlichkeit den Zehnten eintrieb, reizte die Wenden zum Abfall vom Christentum und zu fortwährenden Raubzügen in Holstein und Stormarn. Alles Christentum wurde ausgerottet, die Priester zu Tode gemartert, wenn sie nicht flüchteten, die Einwohner erschlagen, gefangen, ihre Habe geraubt oder verbrannt und zerstört, so daß 600 Familien aus Holstein auswanderten. Helmold, Priester zu Bosau und Schüler Vicelins, schreibt von dieser Zeit: »Man findet noch Spuren jenes frühern Wesens, zumeist in dem großen Wald, der von Lütjenburg bis Schleswig sich erstreckt: so wüst und einsam und fast undurchdringlich der Wald, man findet doch hin und wieder noch Gräben, durch die das Ackerland abgeteilt war; da sind noch Trümmer alten Gemäuers und Erdwälle, die erraten lassen, daß hier ein menschlicher Wohnplatz gewesen, und an den Bächen erkennt man noch die Dämme, durch die das Wasser für die Mühlen einst gestauet war.« Kein Wunder; ein Verheerungskrieg von 1066 bis 1138 war es von beiden Seiten gewesen. Gestanden doch die Deutschen selbst, ihr Zweck sei, die Wenden zu vertreiben oder wenigstens zu Christen zu machen. Der Zweck war erreicht; aber jede wendische Kultur war dabei zugrunde gegangen und erstand nicht wieder.

Als nun Adolf II durch seine Klugheit Wagrien erworben hatte, suchte er das wüste Land wieder anzubauen und deutsche Kultur an die Stelle der untergegangenen wendischen zu setzen. »Deshalb sandte er«, wie Helmold erzählt, »Boten aus in alle Gegenden nach Flandern und Holland, Utrecht, nach Westfalen und Friesland, daß die, welche Mangel an Land hätten, mit ihren Familien kommen möchten; sie sollten ein sehr schönes Land erhalten, geräumig, reich an Früchten, das Überfluß an Fischen und Fleisch habe und herrliche Viehweiden. Zu den Holsaten und Stormarn sagte er: Habt ihr nicht das Slavenland unterwürfig gemacht? Habt ihr es nicht durch den Tod eurer Söhne und Verwandten erkauft? Warum kommt ihr denn zuletzt, es zu besitzen? Seid die ersten und wandert in das erwünschte Land, bewohnt es und werdet teilhaftig seiner Freuden. Euch gebührt das beste desselben, weil ihr es den Händen der Feinde genommen habt. Auf dieses Wort hin machte sich auf eine unzählige Menge aus allerlei Volk, nahm mit sich Familie und Habe und kam in das Wagrierland zu dem Grafen Adolf, um das Land zu besitzen, das er ihnen verheißen hatte. Und zuerst empfingen die Holsaten ihre Sitze in den sichersten Örtern der westlichen Gegend von Segeberg an dem Fluß Trave und das Land Zwentifeld (Bornhöved) und was von dem Bach Schwale bis Agrimesau (Tensfelder-Au) und an den Plönersee sich erstreckt. Die Westfälinger erhielten den Distrikt Dargau (Amt Travental und Stadt Segeberg), die Friesen bekamen Süsel, die Holländer Eutin. Die Plöner Gegend blieb noch wüste. Oldenburg aber und Lütjenburg und die übrigen am Meer belegenen Lande gab er den Slaven zu bewohnen, und sie wurden ihm untertan. Und so begannen die Wüsten Wagriens bebauet zu werden, und die Zahl der Bewohner vervielfältigte sich.«

Bevor Adolf noch daran denken konnte, Wagrien durch Anbauen zu bevölkern, hatte er schon holländische Kolonisten ins Land gerufen und ihnen Wohnsitze an der Elbe angewiesen, wo des wüsten Sumpfes viel war. Dabei hatte er erfahren, daß die Eingewanderten nicht allein seinen Holsten in der Landwirtschaft weit voraus waren sondern sich auch besonders gut auf die Bedeichung der Marsch wie auf die Austrocknung und Urbarmachung der Sümpfe und Moore verstanden. Wie nun Wagrien besetzt war, wandte sich seine Sorge wieder den Elbgegenden zu; zuerst der Kremper und Wilster Marsch. Waren die höher liegenden Plätze daselbst auch schon von Sachsen bewohnt, so gab es doch Bruch- und Sumpfland daselbst genug, und dieses wies er den Holländern zum Wohnsitz an. Sein Beispiel fand bald Nachahmung. Das Kloster Neumünster ließ seine Besitzungen in der Wilstermarsch von holländischen Kolonisten anbauen; ebenso die Gegend zwischen der Pinnau und der Krückau. Das Kloster Preetz rief Ansiedler nach der jetzigen Probstei, die bis 1216 nur von Wenden bewohnt war. – Holländer bauten die Herrschaft Herzhorn und die Bülowsche Wildnis an. – In das Kirchspiel Brunsbüttel wanderten Friesen ein und gründeten das Kirchspiel Neuenkirchen.

Das Land gewann aber durch diese Kolonien einen ganz anderen Anblick. Dörfer entstanden in der verödeten Gegend, und alles wandte sich der friedlichen Beschäftigung des Ackerbaues und der Viehzucht zu. Denn die Wenden waren von der Sachsen Grenze zurückgedrängt, und wohl jedem Dorfe war zum Schutze eine Militärperson, ein Adliger, beigegeben, der seinen Besitz durch Wall und Graben befestigte und so Schutz gegen die Räubereien der Sachsen wie der Wenden gewährte. Selbst die Wenden mußten sich zum Ackerbau bequemen, da sie zum Teil zwischen den Deutschen wohnten, neben dem deutschen Dorfe ein wendisches bestand, und sie an die Holsten-Fürsten Abgaben bezahlen mußten, die wahrscheinlich in Korn und Vieh bestanden. In den Marschen aber wurden Deiche erbaut weit hinaus an dem Ufer des Stroms, und dieser wurde in ein bestimmtes Bett gewiesen. Die alten Sommerdeiche wurden verstärkt, daß sie auch den Winterfluten Trotz bieten konnten, und die vielen durch das Land laufenden Flußarme wurden abgedämmt, da sie doch schon mehr oder weniger zugeschlämmt waren; Sümpfe, Brüche, Moore, die nicht den Fuß des Wanderers tragen konnten, wurden ausgetrocknet und in fruchtbares Weide- und Wiesenland verwandelt. Freilich gehörte die Arbeit von vielen Jahren dazu. Die Einwanderer standen aber auch auf einer viel höheren Stufe der Landwirtschaft als die Eingeborenen und sind daher ihre Lehrer geworden. Als die Früchte ihrer Arbeit sich zeigten, nahmen die Einwohner die Weise der Fremden an. So wurden die Probsteier Lehrer im Ackerbau wie die Holländer im Deichbau und der Urbarmachung der Flußmarschen und Moore. Von diesen lernte man den Schleusenbau, die Schöpfmühlen, die Entwässerung des Landes, selbst des Ackers durch Gräben; die Kunst, Klinken zu den Schleusen zu brennen, brachten die Holländer mit. Noch nach 1520 mußte man von ihnen lernen, Butter und Käse zu machen. Neben neuem Ackergerät mochten sie auch andere Kornarten einführen, namentlich Weizen und Gerste. Wenigstens lesen wir, daß das Kloster Lübeck vom Acker der deutschen Kolonisten sechs Scheffel Gerste, hingegen vom Acker der Wenden in demselben Dorfe zwei Scheffel Roggen an Zehnten erhielt. Umgekehrt mögen die Sachsen den Flachsbau von den Wenden gelernt haben, da diese ihn sehr gut verstanden.

Nicht minder standen die Kolonisten auf einer viel höheren Stufe der politischen Bildung als die Eingeborenen und ließen sich erst im Lande nieder, als ihnen große Freiheiten verbrieft waren. So ließen die Holländer ihr heimisches Recht sich zusichern und ihre heimischen Gewohnheiten, und es galt das holländische Recht 250 Jahre in der Kremper- und Wilstermarsch. Erblich wollten sie ihren Besitz; unter keiner andern Bedingung wollten sie die wüsten Ländereien anbauen, als wenn sie Sicherheit hätten, daß ihre Kinder die Früchte ihrer Arbeit genießen könnten. Frei endlich wollten sie selbst sein, denn sie verabscheuten die Leibeigenschaft, und frei sollte auch ihr Besitz sein. Nur eine Abgabe an den Landesherrn übernahmen sie, zum Zeichen, daß sie ihn als ihren Oberherrn anerkannten. So ist durch sie die Zahl der freien Bauern unseres Landes vermehrt; selbst der Sachse mochte von ihnen lernen, den Wert der Freiheit höher schätzen und fester halten. Wirklich hat weder das schleswigsche Festeverhältnis noch das lauenburgische Meierwesen in Holstein je festen Fuß gefaßt.

Aus Petersens Lesebuch


 << zurück weiter >>