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Winning.

Von Asta Heiberg.

Eine Begebenheit, die wir später erlebten, erweckt noch immer meine Empörung, wenn ich daran denke; sie zeigt, wie die Willkürherrschaft von dem Fanatismus ausgenutzt wurde.

Wir waren mit zwölf jungen Mädchen und älteren Bekannten im Boot nach Winning gefahren. Meine Tochter hatte Besuch von zwei Freundinnen aus Kiel, ihnen zu Ehren war die Fahrt unternommen. Wir tranken den Kaffee im Schatten der großen Bäume neben dem Wirtshause. Als der Kaffee und der Kuchen verzehrt war, ging die Jugend in den Wald. Es war ein hübsches Bild, die frischen, fröhlichen Mädchen in ihren hellen, vielfarbigen Sommerkleidern unter dem Grün verschwinden zu sehen. Drei, die besten Freundinnen, hielten sich eng umschlossen. Wir freuten uns über ihre Jugendlust und lauschten ihrem Geplauder und Lachen, bis es in der Ferne verschwand. Wir Alten schwatzten sehr vergnügt, und so mochte eine halbe Stunde vergangen sein, da hörten wir Männertritte, die eilig näher kamen, und zugleich laute und heftige Stimmen.

Dann traten acht betrunkene dänische Unteroffiziere auf uns zu. Sie sahen widerwärtig aus, ihr Bemühen, eine martialische Haltung zu zeigen, gelang nicht, allen aber lag der Ausdruck von Erregung auf den erhitzten Gesichtern. Der eine redete meinen Mann an und sagte in dänischer Sprache, die ihm nicht geläufig war, ihnen wären junge Mädchen begegnet, die wären angeführt von Dreien, die mit ihren Kleidern die schleswig-holsteinischen Farben dargestellt hätten; blau, rot und weiß sei verboten. Die drei jungen Mädchen müßten bestraft werden; man würde sie festnehmen, damit sie nicht desertierten und sie dann in ihrem Boot nach Schleswig bringen und der Behörde ausliefern. Mein Mann sah den Menschen erstaunt an; er hatte nicht ganz verstanden, was der vor Wut Bebende gesagt hatte, aber er wußte genau, daß es etwas Feindseliges war. Ich erhob mich und trat mit brüsker Miene dem Haufen entgegen. Ich wußte schon damals, daß Menschen in dem Zustande feige sind. »Sie nehmen die Damen nicht mit in ihr Boot, desertieren werden sie nicht, dafür verbürge ich mich. Die Damen sind von mir eingeladen, sie stehen unter meinem Schutz; ich dulde es nicht, daß irgend jemand sie belästigt. Wenn es ein Verbrechen ist, daß drei Damen zufällig unsere Farben tragen, dann wird Ihre Behörde auf Ihre Anklage hin die Sache untersuchen und entscheiden. Das kann morgen geschehen; heute befehle ich, die Frau Doktor Heiberg, daß sich alle entfernen. Gehen Sie!« wiederholte ich sehr entschieden. Die Helden gingen, diese meine Entschiedenheit hatte sie eingeschüchtert. Dann erschienen die jungen Mädchen, die so fröhlich fortgegangen waren, bleich und zitternd mit der Frage, was denn eigentlich geschehen sei. Sie begriffen nicht, daß man einen Vorwurf gegen sie erheben könne. Hätten sie von solcher Auslegung eine Ahnung gehabt, dann wären sie jenen ausgewichen. Sie erzählten nun, daß die betrunkenen Militärpersonen ihnen Furcht verursacht hätten. Sie hätten sie angegrinst, sie mit zärtlichen Blicken betrachtet und lebhaft gesprochen. Infolgedessen seien sie umgekehrt und eilig weitergegangen; dadurch wären die Leute wohl beleidigt worden.

Heute würden wir uns über das Auftreten der betrunkenen Soldaten beschweren können. Damals waren sie die Herren, denen selbst die besser gesinnten Zivilbeamten sich fügen mußten; so verlangte es der Minister Wolfhagen. Er erklärte einem Schleswiger Geistlichen: »Man kann auch durch Mienen und Gebärden Opposition treiben und sich aufrührerisch benehmen; die Regierung kann und will das nicht dulden.« Unsere jungen Mädchen – teilweise waren sie noch nicht erwachsen – hatten die verbotenen Farben vereinzelt getragen, aber durch einen Zufall, oder in einer übermütigen Stimmung sie zusammengestellt, und wie der Puterhahn durch die rote Farbe zur Wut gereizt wird, so erging es der trunkenen Soldateska.

Wir fuhren in sehr gedrückter Stimmung wieder heimwärts; wir hatten dem Feind eine Waffe in die Hand gegeben, und wir wußten, daß er sie gebrauchen werde. Am folgenden Tage erhielten die drei Damen eine Vorladung.

Der Hardesvogt, Kammerjunker Ries, sonst ein sehr gutmütiger, friedliebender Mann, hatte die Anklage angenommen; ein Verhör mußte stattfinden, ehe das Urteil gesprochen werden konnte.

Es entsprach unserer Erwartung; wir wußten, daß unsere Gegner sich die günstige Gelegenheit, uns etwas anzutun, nicht entgehen lassen würden. Auf Geldstrafe ward für Vergehen, die nicht mit Gefängnis bestraft werden konnten, mit Vorliebe erkannt.

Heibergs Protest erleichterte seinen Geldbeutel, aber zugleich hatte er auch sich erleichtert, indem er den Mißbrauch der Beamten rücksichtslos darlegte. Ein Kopenhagener Blatt brachte einen weitläufigen Bericht mit Illustrationen. Die jungen Damen, die dem Befehl der Regierung öffentlich mit unerhörter Frechheit Trotz boten, waren Töchter des Doktor Heiberg; der war bekannt genug. Der Redakteur fand es pikant, auch Mutter und Töchter bildlich darzustellen. Ich habe nicht erfahren, wer uns photographierte, auch nicht, ob unsere Porträts schön, häßlich oder erkennbar dem Text eingefügt waren. Ich erfuhr nur durch einen dänischen Leutnant die Tatsache.

Jetzt, wo ich auf diese Begebenheit mit dem Gefühl der Sicherheit zurückblicke, frage ich mich, ob die Ehre, im »Flüveblad« besprochen und abkonterfeit zu sein, zu teuer bezahlt wurde. Ja, mancher wird berühmt, dekoriert, ohne Anspruch darauf erhoben zu haben. Es ist eine Schicksalsbestimmung, der er sich fügt – so auch nahmen wir die Auszeichnung mit Humor und Würde hin.

Den Ausgang dieser Begebenheit aber illustriert der nachstehende klassisch formulierte Erlaß vom 5. Oktober 1852, den ich den Lesern nicht vorenthalten will:

Namens Seiner Königlichen Majestät.

Auf die am 23. August d. J. hieselbst eingegangene Vorstellung und Bitte von Seiten des Dr. juris Heiberg in Schleswig um Aufhebung des Erkenntnisses der Struxdorff-Hardesvogtei vom 9. August d. J., durch welches Clara Witthöft und Agathe Friederike Brunhilde Schröder, beide aus Kiel, so wie Nanni Elisabeth Henriette Heiberg aus Schleswig schuldig erkannt worden, jede eine Brüche von 10 Thlr. an die Königliche Kasse zu erlegen und die etwaigen Unkosten dieser Sache zu tragen,

wird hierdurch nach eingezogenem Bericht der Struxdorff-Hardesvogtei, und bei Wiederanschließung der Original-Anlagen des Gesuchs,

in Erwägung:

daß die von dem Supplicanten gegen die Competenz der Struxdorff-Hardesvogtei und die Statthaftigkeit des von derselben beobachteten Verfahrens erhobenen Beschwerden für begründet nicht zu erachten, da in dem zur Frage stehenden Fall eine nach Maaßgabe der auf solche Vergehen, für welche Brüchen gesetzlich angedroht sind, sich beziehenden Verordnung vom 16. Februar 1798 zu beurtheilende Sache nicht vorlag und die Zuziehung von Actuar und Gerichtsbeisitzern bei der Erledigung von Polizeisachen den Hardesvögten im Amte Gottorff nicht vorgeschrieben ist,

daß ferner, was die Sache anlangt,

zwar sämmtliche obgenannte uniformirte Mädchen auf eine ihren Verhältnissen wenig entsprechende Weise bei Gelegenheit ihrer Belustigung an einem öffentlichen Vergnügungsorte anwesenden älteren Personen durch ihr Betragen ein Ärgernis gegeben, daß jedoch eine desfällige öffentliche Rüge in Beziehung auf Clara Witthöfft und Agathe Schröder aus Kiel den Umständen nach auf sich beruhen kann, wogegen die Ertheilung eines gerichtlichen Verweises an Nanni Heiberg als angemessen erschienen ist,

zum Bescheide ertheilt, daß das angefochtene Erkenntniß dahin abzuändern, daß der unconfirmirten Nanni Elisabeth Henriette Heiberg wegen ungeziemenden Betragens an einem öffentlichen Belustigungsorte gerichtsseitig ein Verweis zu ertheilen.

Zugleich hat der Dr. Heiberg als Verfasser der obrubricirten, hierselbst eingereichten Vorstellung mit Rücksicht auf die in derselben enthaltene, zur Beurtheilung der vorgebrachten Beschwerde unnöthige und an sich unangemessene Critik der öffentlichen Zustände im Herzogthum Schleswig eine Königliche Brüche von 50 Thaler Cour. zu erlegen.

Urkundlich unterm vorgedruckten Königlichen Insiegel.

Gegeben in dem Königlichen Appellationsgericht für das Herzogthum Schleswig in Flensburg den 5. Oktober 1852.

Aus: Asta Heiberg. Erinnerungen aus meinem Leben.
(Berlin. Carl Heymann.)


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