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58. Quer über Island hin im Flugzeug.

Der Pilot schaute auf die Uhr. »Jetzt ist es aber Zeit zum Start.«

Wir schlossen Türe und Fenster unseres Verschlags und machten es uns auf den gepolsterten Sitzen bequem.

Der Führer und sein Gehilfe nahmen ihre Plätze ein gerade vor uns. Eine große, dicke Glasscheibe trennte uns von ihnen.

Nun drückte der Pilot auf einen Hebel. Sofort reagierte das Flugzeug. Ein starkes Zittern und Beben ging durch den ganzen Körper der »Súlan«. Der Propeller drehte sich rundum immer schneller und schneller. Das Flugzeug glitt mit zunehmender Geschwindigkeit aus dem Hafen hinaus, das Wasser furchend. Der Hafen lag bald hinter uns. Dann raste es weiter auf dem Wasserspiegel durch die große Reede. Weißer Schaum spritzte hoch. Das surrende Geräusch wurde immer stärker.

Auf einmal hob sich die »Súlan« aus dem Wasser empor und bewegte sich nun in der Luft. In spiralförmigen Kurven stieg es höher und höher. Stadt, Hafen und Schiffe lagen nach wenigen Minuten tief unter uns. Das Flugzeug gewann immer noch an Höhe. Jetzt aber mußten wir hoch genug hinaufgekommen sein, denn nun flogen wir in gerader Linie über das Meer hin in die Ferne über den fast 100 Kilometer breiten Faxafjördur direkt auf den weltberühmten Vulkan Snaefell mit seinem Gletscher zu.

Viktor war so entzückt, daß er anfing laut und andauernd zu singen oder, richtiger gesagt, zu jubilieren. Doch der Lärm des immer lauter schwirrenden und tosenden Propellers war so stark, daß man kein Wort miteinander reden konnte.

So flogen wir voran in nordwestlicher Richtung mit rasender Schnelligkeit hoch oben im Luftraum.

Das Wetter war wundervoll, alles in Sonnenschein gebadet, kein Wind beunruhigte die Luft. Trotz der blitzschnellen Fahrt saßen wir ruhig und bemerkten gar keine Bewegung. Wir waren ganz vom Blick auf die unter uns liegende Erde in Anspruch genommen. Links das große, blaue Meer, zur Rechten aber und unter uns das Land mit zahlreichen spiegelblanken Seen und auch Flüssen, die sich wie Silberfäden durch weite Flächen hinzogen. Weite nackte, felsige Flächen sowie schöne grüne Landschaften, mit vielen Bauernhöfen besät, waren zu sehen, dann hohe, mit Schnee und Eis überzogene Berge.

Zahllose Vögel flogen durch die Luft rund um uns.

Jetzt sehen wir Täler und Schluchten. Vulkane, Lava- und Aschenfelder, auch Krater, große und kleine Feuerschlünde.

Dann kommt ein weites flaches Land, aber auch besät mit Seen.

Ich schaue auf diese Seen erstaunt hinab, denn ich bemerke an ihnen etwas, was mir in meinem Leben noch nicht begegnet ist. Sie haben nämlich verschiedene Farben: die einen sind blau, andere grünlich schillernd, andere aschgrau oder auch dunkelrot.

Diese Gegend ist eine Hochebene. Es rinnen von ihr nach allen Seiten eine große Menge silberhelle Bäche hinunter, und unten fließt das kristallklare Wasser durch saftige Wiesen, in deren Nähe wieder Bauernhöfe zu sehen sind.

Nach kurzer Zeit kommt eine flache und weit ausgedehnte Landschaft und darauf wieder so viele große und kleine Seen, daß es mir vorkommt, wie wenn auf der ganzen Fläche das Wasser mehr Raum einnähme als das Land. Es ist eine erstaunliche »Seenlandschaft«. Ich dachte an Finnland, welches »das Land der tausend Seen« genannt wird. Es würde mich nicht wundern, wenn man auch hier tausend Seen zählte.

Kurz darauf folgte eine neue Überraschung: das Gegenstück zu den tausend Seen. Das Flugzeug bog nämlich auf einmal mehr nach links ab. So flogen wir da eine Zeit lang am Meere dahin. Zu meinem Erstaunen waren in der weit ausgedehnten Meeresfläche eine solche Unzahl von Inseln zu sehen, daß ich wiederum meinen Augen kaum trauen konnte. Statt der tausend Seen waren hier die tausend Inseln. Ein überaus seltsames Schauspiel: Insel an Insel, soweit das Auge reichte.

Auch hier fragte ich mich, welches der beiden Elemente wohl mehr Flächenraum einnehmen würde, das Wasser oder das feste Land.

Doch bald war auch diese Gegend überflogen, und nun erschienen wieder Vulkane, Krater, Lavafelder und, wenn wir über der Küste flogen, Meeresbuchten und hohe Felswände, die senkrecht aus dem Wasser emporstiegen.

Plötzlich sehe ich vor uns schneeweiße Wolkenballen. Das Flugzeug stürzte sich mitten darauf und durchschnitt die Wolkenmassen in kurzer Zeit; aber solange wir in der Wolke waren, wurde es in unserem Raum halbdunkel. Als wir aus der Wolke hervordrangen, war die Landschaft völlig verändert: Es lagen mächtige, hohe Berge vor uns. Wir mußten höher gehen, um über die höchsten Spitzen hinüberzukommen. Auf die andere Seite der Berge gelangt, erblickten wir dann das blaue Meer und wieder hohe Berge zur Linken und zur Rechten. Die Bergkolosse spiegelten sich mit wunderbarer Klarheit im blauen Meer. Ein entzückendes Bild!

So ging es nun weiter, immer blitzschnell, über Berge und Täler, über Gletscher und Vulkane, über liebliches Weideland und über Seen, Flüsse und Bäche, über Buchten und Fjorde und das unermeßliche, majestätische Meer.

Keine Spur von der Krankheit zeigte sich bei uns, die auf den Schiffen »Seekrankheit«, in den Flugzeugen aber »Luftkrankheit« genannt wird. Wir fühlten uns beide ausgezeichnet wohl auf der ganzen Fahrt.

Ich schaute auf die Uhr. Es war 6 Uhr geworden. Also mußten wir schon Nordisland, meine engere Heimat, erreicht haben. Ich hätte gern die Namen der Landschaften gewußt, über denen wir dahinschwebten.

Merkwürdig! Gerade während ich daran dachte, drehte sich der Pilot um und schaute mich verständnisvoll an. Dann öffnete er das Fenster, das zwischen uns war, und warf mir freundlich lächelnd eine Landkarte zu. Dann schloß er das Fenster rasch wieder und fuhr fort, seines Führeramtes zu walten.

»Das sieht ja aus, wie wenn er ein Gedankenleser wäre«, dachte ich im stillen.

Ich faltete die Karte auseinander und suchte nach dem Weg, den wir schon zurückgelegt hatten. Ich fand sofort die Namen.

Da war zuerst Faxafjördur bei Reykjavik, dann der Vulkan Snaefell, der im Roman »Die Reise zum Mittelpunkt der Erde« von Jules Verne eine so große Rolle spielt, hierauf Breidifjördur, Stykkishólmur. Dort herum hatten wir wohl die »tausend Inseln« gesehen. Und die Post mußte auch schon abgeworfen sein. Davon hatten wir aber nichts bemerkt. Dann waren wir ein Stück übers Land geflogen und hernach zu dem kleinen Bitrufjördur gekommen und von da zu der ungeheuer breiten Meeresbucht Húnaflói. Dann ging es wieder eine gute Strecke über das Land hin bis zu dem majestätischen Skagafjördur. Gerade jetzt, während ich die Karte studierte, mußten wir in der Nähe des Skagafjördurs sein

Im entfernteren Teil dieses breiten Golfes lag nach dem Ausweis der Karte die stark aufblühende Stadt Siglufjördur, wo wir landen und eine gute Viertelstunde bleiben sollten. Und wirklich, als ich wieder durch das Fenster hinausschaute, sah ich, daß wir wieder über dem Wasser schwebten nach einer Küste hin, die noch in ziemlicher Entfernung vor uns lag. Bald konnte ich an der Küste eine kleine Hafenstadt genau erkennen, in deren Hafen viele Schiffe lagen. In der Stadt schienen mehrere Fabriken zu sein. Die Schornsteine entsandten viel Rauch und Qualm in die Luft hinauf.

Das mußte Siglufjördur sein.

Kurz darauf befanden wir uns gerade über der Stadt. Der Propeller hörte plötzlich auf zu schwirren, die Fahrt verlangsamte sich mehr und mehr, das Flugzeug beschrieb spiralförmige Kreise und senkte sich allmählich abwärts, bis es endlich ganz ruhig die Wasseroberfläche im Hafen von Siglufjördur berührte.

An der Landungsstelle am Ufer wurde es mit dicken Tauen festgebunden. Der Pilot sprang ans Land, öffnete die Türe unseres Abteils, und wir stiegen aus.

Eine Anzahl Leute standen am Ufer und schauten sich das Flugzeug und die Luftreisenden an.

Ein kleiner, etwa zehnjähriger Junge kam auf mich zu, schaute mich schweigend an und gab mir die Hand. Ob er mich erkannt hat, weiß ich nicht; aber um ihn für seine Freundlichkeit zu belohnen, reichte ich ihm eine Apfelsine, die ich in der Tasche hatte. Er nahm sie an.

Viktor und ich gingen eine kleine Strecke vom Ufer weg in die Stadt hinein. Wir warfen einen Blick auf die verschiedenen Fabriken, in welchen die zahllosen in der Umgebung gefangenen Fische für die Ausfuhr zubereitet werden. Jedes Jahr werden hier mit Fischen Millionen verdient. Eine dieser Fabriken gehört einer deutschen Gesellschaft, andere gehören Norwegern und wieder andere den Isländern selber.

Als wir nach der Landungsstelle zurückkamen, war unser Flugzeug zur Abfahrt bereit. Der Pilot sagte zu mir: »Jetzt geht es direkt nach dem Eyjafjördur und nach Akureyri.«

»Wie lange brauchen wir dazu?« fragte ich ihn.

»Eine halbe Stunde nur. Wir werden pünktlich um 7 Uhr dort landen.«

Während wir einstiegen, fügte er noch bei:

»Gerade habe ich den Auftrag bekommen, auf dem Flug durch den Golf Eyjafjördur nach Fischen zu sehen.«

»Wie machen Sie das?«

»Einfach so, daß ich sehr tief fliege, nur einige Meter über dem Wasserspiegel. Dann sieht man die Fischbänke und Fischzüge ganz gut. Auf diese Weise werden wir den Eyjafjördur in seiner ganzen Länge durchfliegen.«

Das Flugzeug nahm die Fahrt wieder auf. Es fuhr wie im Hafen von Reykjavik eine gute Strecke im Wasser aufs Meer hinaus. Dann löste es sich vom Wasserspiegel los und stieg wie immer in Kurven in die Luft hinauf.

Nun ging es wieder mit höchster Geschwindigkeit auf die Mündung des Eyjafjördurs zu. Nach kurzer Zeit war die Bucht erreicht. Das Flugzeug senkte sich bis auf einige Meter zum Wasserspiegel hinab und flog nun so in den großen Fjord hinein.

 

Tiefe innere Bewegung überkam mich, als ich diese Stätte wiedersah, die ich vor so langer Zeit als zwölfjähriger Junge verlassen hatte.

Ich erkannte die ganze Gegend, die hohen Berge rechts, wo ich mit Manni von dem Geächteten gerettet worden war, die Vadlaheidi links. Ich sah die kleine Insel Hrísey, wo mich der große Fisch beinahe zu sich in die Tiefe gezogen hätte.

Rechts lag der Hof, wo ich geboren wurde, Mödruvellir im Hörgártal und nahe dabei der Hof Skipalón, wo ich beim Weihnachtsbesuch mit den Bären zusammengetroffen war. Es war mir, wie wenn das alles erst vor einem Tage geschehen wäre. Die sechzig Jahre kamen mir jetzt vor wie ein Traum.

Ich schaute nach vorn. Da sah ich schon die kleine Landzunge Oddeyri. Früher standen nur ein oder zwei Häuser darauf; jetzt aber sah ich dort ein kleines Häusermeer. Die Stadt Akureyri hatte sich gerade nach jener Richtung erweitert; denn sie war viel größer geworden gegen damals.

Das Flugzeug erhob sich jetzt rasch in die Höhe, um die Häuser auf der Oddeyri überfliegen zu können. In einem Nu war das geschehen.

Dann aber stellte der Propeller sein Wirbeln ein. Wir schwebten noch eine Weile über dem Hafen und ließen uns schließlich ganz langsam und bedächtig aufs Wasser nieder nahe bei der Küste. Die Strecke bis ans Ufer war bald durchfahren, und das Flugzeug legte an der Landungsstelle an. Es wurde festgemacht, und wir gingen ans Land.


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