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56. Johannes Jósefsson, der Wirt des Hotel Borg. Das isländische Jiu-Jitsu.

Bevor ich Reykjavik verlasse, um nach meiner engeren Heimat Nordisland zu reisen, will ich die Geschichte eines Mannes erzählen, die meine jüngeren Leser sicher interessieren wird.

Es ist die Geschichte von Johannes Jósefsson, dem Besitzer und Direktor des Hotels Borg in Reykjavik.

Das Hotel Borg ist ein hochmodernes Hotel und würde überall, auch in Berlin, Paris oder London als erstklassiges Hotel gelten.

Johannes Jósefsson ist ein eigenartiger und interessanter Mann.

Er ist in Akureyri geboren, in der Stadt, in der ich als kleiner Junge jahrelang gelebt habe. Ich habe die Geschichte dieses Mannes seit vielen Jahren verfolgt, und zwar nicht nur, weil er mein engerer Landsmann ist, sondern auch, weil mich seit mehr als zwanzig Jahren sehr häufig Zeitungsberichte in verschiedenen Sprachen dazu angeregt haben.

Wie ist er in die Zeitungen gekommen?

Als kleiner Junge fiel er in Akureyri seiner ungewöhnlichen Körperkräfte halber auf. Er übte sich von Kindsbeinen auf in dem isländischen Ringkampf, der Glima, und das mit solchem Erfolg, daß er schließlich in dieser Kampfart unüberwindlich wurde. Er war so stark und geschmeidig, daß nicht einmal Erwachsene den Jungen zu Fall bringen konnten.

Als er zwanzig Jahre alt geworden war, reiste er ins Ausland und besuchte ein paar Jahre lang eine Schule. Während dieser Zeit hatte er oft Gelegenheit, sich in seiner Kunst zu üben, und da er in allen Kämpfen Sieger blieb, wurde er allmählich berühmt.

Ein englischer Edelmann, der ein großer Islandfreund war, hörte von ihm, lud ihn zu sich ein und wurde so für ihn eingenommen, daß er ihn bat, einige tüchtige junge isländische Ringkämpfer auszubilden und die isländische Glima öffentlich bei den olympischen Spielen in London zu zeigen. Es war im Jahre 1907. Johannes nahm an; der reiche Engländer aber wollte alle Kosten tragen.

siehe Bildunterschrift

Sonnenuntergang in Húsavik

siehe Bildunterschrift

Munkathverá (»Mönchsfluß«), typisches isländisches Flußtal

siehe Bildunterschrift

Phot. Magnússon Isländischer Gletscher

Unter der Leitung von Johannes wurde der Glima-Ringkampf in London zu einem vollen Erfolg. In diesen Jahren erfand er eine neue Kunst, indem er die verschiedenen Kunstgriffe der Glima vereinigte und daraus ein erstaunliches System von Selbstverteidigung ersann. Es war dies eine Kampfesweise, die dem japanischen Jiu-Jitsu in etwa ähnlich ist, aber noch komplizierter und wirksamer.

Durch diese Selbstverteidigungsmethode wurde Johannes Jósefsson in der ganzen Welt bekannt und gefeiert.

Die von ihm erfundene Kunst, sich mit sicherem Erfolg auch gegen einen stärkeren, und sogar bewaffneten Angreifer verteidigen zu können, war ja nicht bloß ein interessantes Spiel, sondern viel mehr eine wichtige, ernste, nützliche Sache.

Johannes wurde nun von allen Seiten eingeladen, sein vortreffliches System zu zeigen. Er bereiste 19 Jahre lang, von 1908 bis 1927, fast alle Länder Europas und Amerikas. In den meisten größeren und großen Städten zeigte er seine Kunst und bewährte sie in fortwährenden öffentlichen Kämpfen.

Es erregte großes Aufsehen, und überall wurde er auch von den Polizeibehörden gebeten, den Polizisten diese erstaunliche Kampfesmethode beizubringen, damit sie imstande wären, gegen bewaffnete Verbrecher sich wirksam zu verteidigen. Die Polizei bot jedesmal hohe Geldsummen für diesen Unterricht, der oft mehrere Wochen dauerte. Johannes wollte solches Geld aber nie annehmen. Er begnügte sich mit dem, was er in öffentlichen Veranstaltungen verdiente.

Und wie führte er seine Kunst vor?

In allen großen Städten, die er besuchte, bot er sich an, gegen jeden, auch den stärksten bewaffneten Gegner öffentlich auf einer Bühne zu kämpfen unter folgenden Bedingungen: Auf der einen Seite sollte Johannes Jósefsson gänzlich unbewaffnet zum Kampfe antreten, auf der andern Seite durfte sein Gegner entweder mit einem Messer, dessen Klinge ein Fuß lang sein durfte, oder mit einer Keule von beliebiger Größe oder endlich mit einer geladenen Pistole bewaffnet sein.

Er war auch bereit, gänzlich unbewaffnet, ohne Boxerhandschuhe gegen jeden Boxer oder Ringkämpfer anzugehen, während der Gegner mit Boxerhandschuhen ausgerüstet sein durfte.

Johannes versprach bei jedem dieser Kämpfe, dem bewaffneten Angreifer 1000 Mark auszuzahlen, wenn er ihn nicht innerhalb fünf Minuten besiege. Neunzehn Jahre lang hat er unzählige Kämpfe ausgefochten, aber niemals wurden die 1000 Mark von jemandem gewonnen. Fast immer lag der bewaffnete Angreifer nach ein oder zwei Minuten auf dem Boden.

Im Jahre 1927 kam Johannes Jósefsson nach Island zurück mit 300 000 Mark in der Tasche. Mit diesem Geld baute er das Hotel Borg, das aber weit über eine Million kostete (genau 1 250 000 Mark). Das fehlende Geld wurde durch Anleihen beschafft.

Ich habe ihn in seinem Hotel besucht. Er war sichtlich erfreut darüber und erzählte mir vieles aus seinem Wanderleben.

Die Zeitungsberichte über ihn hat er gesammelt. Sie füllen einen großen Folioband, den er mir in seinem Büro zeigte.

Jedesmal, wenn ich an meinen lieben Landsmann Johannes Jósefsson denke, kommen mir die Erinnerungen an die kriegerischen, isländischen Wikinger, die in alter Zeit in die weite Welt auszogen, viele Kämpfe bestanden und Heldentaten ausführten.


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