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50. Der erste Tag des Ausflugs. – Die Grýla. Schotten und Iren im Streit. Ein isländisches Gefängnis. – Hotel Drosselhain.

Am frühen Morgen des 8. Juli fährt das Auto in Landakot vor mit einer kleinen Reisegesellschaft, der freundlichsten, die ich mir denken konnte, unter Führung des Radiodirektors Jónas Thorbergsson. Es waren noch zwei Plätze frei, einer für mich und einer für Viktor.

Wir steigen ein und rollen rasch voran auf der ausgezeichneten Landstraße, wie sie in der Nähe der Hauptstadt vorhanden sind. Etwas weiter drinnen im Lande sollten die Wege ab und zu allerdings etwas anders werden!

Wir fahren mit einer Geschwindigkeit von 70 Kilometer in der Stunde. Herrliches Wetter, kein Lüftchen regt sich, alles ist in goldenem Sonnenschein gebadet.

Einmal sehen wir einen auffälligen Hügel vor uns zur Rechten. Das Auto hält.

»Was ist da zu sehen?« frage ich.

»Es ist Víti, ein schöner Krater.«

Die Krater sind eine Eigentümlichkeit Islands. Es gibt deren etwa zweitausend dort.

Wir verlassen das Auto und gehen auf den Hügel hinauf.

Ein herrliches Schauspiel bietet sich uns: ein runder Krater, angefüllt mit reinem, durchsichtigem Wasser. Wir sehen uns den jetzt so unschuldig erscheinenden Feuerschlund kurz an, Viktor macht eine photographische Aufnahme, und dann geht es weiter.

Wundervolle, eigenartige Landschaften links und rechts.

Ich nenne nur einige wenige der vielen Sehenswürdigkeiten, und so, wie sie mir einfallen, ohne mich viel um die zeitliche Reihenfolge zu kümmern.

Eine der größten Sehenswürdigkeiten des ersten Tages war der regelmäßig »springende« Geysir Grýla, das heißt »die Hexe«.

Vorher war unser Auto auf einen hohen Berg hinaufgeklettert und dann auf halsbrecherischen Zickzackwegen wieder hinuntergefahren zu der fruchtbaren, saftig-grünen Flóa-Ebene.

Unser Auto hält in der Nähe der Grýla. Wir steigen aus und gehen noch fünf Minuten zu Fuß bis zu dem berühmten kochenden Springbrunnen.

Bei unserer Ankunft daselbst fanden wir eine ganze Versammlung von schottischen Reisenden und unter ihnen einen einzigen Irländer. Sie standen alle in der Nähe der Grýla und warteten auf den nächsten Ausbruch.

Wir wurden auf unsere Frage nach der Grýla sofort zu einem ein Paar Fuß breiten Loch im felsigen Boden geführt. Aus dem Loch kam heißer Dampf, und man hörte ein kräftiges Kochen und Sieden wie von einem Kessel kochenden Wassers.

»Wann springt sie?« fragte ich.

»Nach einer halben Stunde.«

»Springt sie denn immer zu ganz regelmäßigen Zeiten?«

»Ja, auf die Minute.«

Einer der Touristen schaute auf die Uhr.

»Nach 24 Minuten fängt die Vorstellung an.«

Es war also noch Zeit.

Wir sahen uns unterdessen die Umgebung an. Da lagen mehrere Bauernhöfe, von schönen Wiesen umgeben. Es waren auch viele andere heiße Quellen rund herum, aber sie sprangen nicht hoch auf, sondern quollen nur aus dem Boden. Bei den Höfen bildete das heiße Wasser kleine runde Teiche.

In einer dieser natürlichen Waschküchen war eine Frau beim Waschen. Wäschestücke hingen nebenan zum Trocknen an Seilen.

Die schottisch-irische Reisegesellschaft stellte sich um die Grýla herum auf und fing bald an heftig zu streiten.

Alle Schotten waren gegen den einen Irländer und der Irländer gegen alle andern. Aber er stritt und kämpfte tapfer gegen die große Übermacht.

Der Streit ging um die Vortrefflichkeit der beiden Länder Schottland und Irland. Die Schotten schrieen:

»Irland ist nur eine armselige Insel, die auch keine großen Männer hervorgebracht hat. Schottland dagegen ist ein herrliches, reiches Land mit großen, berühmten Männern, zum Beispiel Walter Scott …«

Der Irländer erwiderte, indem er noch viel stärker schrie als alle andern zusammen:

»Schottland ist nur ein elendes Anhängsel von England. Die grüne Erin dagegen ist das schönste Land der ganzen Welt, und sie hat die berühmtesten Männer aufzuweisen. Wer ist berühmter als Sankt Patrick? Was ist Walter Scott gegenüber Sankt Patrick?«

Ein Schotte entgegnete mit Donnerstimme:

»Wo wurde Sankt Patrick geboren? In Schottland. Von Schottland kam er nach Irland.«

Der Ire wieder: »Er mußte nach Irland kommen, um das zu werden, was er wurde. Sonst wäre nie etwas aus ihm geworden. Nur in Irland wurde er groß, heilig und berühmt.«

Schließlich schien der Ire die Oberhand zu bekommen. Übrigens waren anscheinend alle doch im Grunde gute Freunde.

Unversehens fing der Irländer an, ganz allein das Patrickslied zu singen. Alle hörten andächtig zu.

Als er fertig war, sangen die Schotten im Chor die schottische Nationalhymne. Natürlich wollten die Isländer nicht zurückstehen und stimmten nun ihrerseits nach der schottischen Nationalhymne das isländische Nationallied an.

Kaum waren sie fertig, da rief einer:

»Jetzt nur noch drei Minuten, dann kommt es. Also alle ruhig und still!«

Die meisten von der internationalen Gesellschaft lächelten und kicherten, alle hielten sich aber still.

Das Sieden und Kochen in dem kleinen Felsenloch wurde wirklich mit einem Male viel stärker. Alles stand atemlos da.

»Noch eine halbe Minute«, rief einer, und kurz darauf wurde »die Hexe« plötzlich lebendig. Sie fing an zu zischen und zu fauchen, und gleichzeitig spie sie einen kochend heißen Wasserstrahl 8-10 Meter hoch in die Luft hinauf. Das Schauspiel war seltsam und hochinteressant. Es dauerte aber nur wenige Minuten, und alles war fertig. Jetzt wurde von der ganzen Gesellschaft noch ein Lied gesungen. Dann wünschte man sich gegenseitig mit freundlichen Grüßen gute Reise und stieg in die Autos.

Die schottisch-irische Gesellschaft fuhr nach Reykjavik zurück, wir aber setzten unsere rasche Fahrt fort nach dem uns unbekannten Innern des Landes.

Zuerst ging es durch die ausgedehnte, fruchtbare Flóa-Ebene etwa 50 Kilometer weit. Es lag in dieser Entfernung ein von dem Justizminister Jónas neu aufgeführtes Gefängnis. Dieses wollten wir kurz besichtigen.

Nach einstündiger Fahrt waren wir am Ziel. Wir bewunderten den Gedanken des Ministers, die Gefangenen in die große, weite Natur hinauszubringen und sie dort für das Land arbeiten zu lassen. So war für ihre Gesundheit und ihre moralische Hebung besser gesorgt, als wenn sie in der Stadt in dunklen Zellen ihr Dasein gefristet hätten.

Es befand sich an diesem Tage ein einziger Gefangener in der Anstalt; alle andern waren weit weg bei Wege- und Brückenbauten beschäftigt. Sie blieben den ganzen Tag draußen bei der Arbeit, und an jedem Abend wurden sie mit Autos nach dem Gefängnis zurückgebracht.

Der einzige anwesende Gefangene war ein Schreiner. Er arbeitete im Gefängnis drinnen. Wir waren nicht wenig überrascht, als der Gefängnisdirektor uns sagte:

»Dieser Gefangene ist im Grunde ein braver Mann. Er hat seine Strafe schon seit ein paar Wochen verbüßt. Als er dann entlassen werden sollte, bat er, noch einige Wochen hier bleiben zu dürfen. Er ist also Freiwilliger und arbeitet fleißig.«

»Warum wollte er denn nicht nach Hause?« fragten wir den Herrn Direktor.

Mit einem Lächeln erwiderte er: »Er fürchtet sich vor seiner Frau und wollte nicht aus dem Gefängnis direkt zu ihr zurückkehren.«

Wir verließen die Anstalt und fuhren weiter durch die große, wunderbar fruchtbare Ebene.

Für kurze Zeit stiegen wir ab bei einer hochmodern eingerichteten Meierei.

Der Direktor derselben war ein Däne, der in isländischen Diensten stand. Er sagte uns unter anderem, daß diese ganze Gegend alle Bedingungen habe für die Erreichung eines blühenden Wohlstandes. »Da könnten Tausende von Kühen gehalten und eine Menge Meiereien eingerichtet werden.«

Er zeigte uns ganze Berge von Käse und Butter erster Qualität, die eben in den letzten Tagen hergestellt worden waren.

»Das alles wird nach England ausgeführt«, sagte er, »und bringt dem Lande ungeheuer viel Geld ein; denn Käse und Butter sind erstklassig. Das einzige, was in Island fehlt, sind die Arbeitskräfte.«

Bei diesen Worten dachten wir an die Hunderttausende von Arbeitslosen auf dem europäischen Kontinent.

Freundliche Worte des Dankes an den Direktor von unserer Seite, gute Wünsche für uns von seiner Seite, und weiter ging es in rascher Fahrt durch die Flóa-Ebene.

Die ganze Gegend war unvergleichlich schön.

»Wäre ich hier in meiner Jugend gewesen«, dachte ich still bei mir, »was für Ritte und Ausflüge hätte ich da machen können!«

Um uns lag die große, herrliche Ebene mit den vielen weidenden Kühen und Schafen und den wohlhabenden Höfen. Mitten durch die blühenden Wiesen trieb ein großer Fluß seine Fluten dem Meere zu. In dem Flusse wimmelte es von Lachsen und Forellen, und eine Menge Eidergänse hatten ihre Nester auf den vielen kleinen Inseln im Flußbett angelegt.

Über die Ebene hinaus aber, welcher Anblick! Auf der einen Seite das Atlantische Meer, auf der andern hohe, majestätische Berge. Ein Landschaftsbild so wundervoll, daß Viktor nur das eine, für ihn alles sagende Wort »Fabelhaft« herausbrachte.

Wir fuhren eine Zeit lang dem großen Flusse entlang und kamen an eine Brücke.

»Hier müssen wir hinüber«, sagte der Chauffeur. »Es ist Zeit zum Mittagessen. Wir werden es bereit finden im Hotel Þrastalundi (d. h. Drosselhain), wo wir schon angemeldet sind. Gleich sind wir dort.«

»Wie ist das Hotel?« fragte Viktor.

»Es ist klein, aber das am modernsten eingerichtete Hotel, das es auf Island in ländlicher Gegend gibt.«

Wir rollten rasch über die Brücke und hielten nach ein paar Minuten vor dem schönen Hotel »Drosselhain«. Es war ein netter, mittelgroßer Bau. Einige Stufen führten zu einer Terrasse vor dem Gebäude, und auf dieser öffnete sich eine Türe ins Innere. Wir traten ein und blieben einige Augenblicke erstaunt stehen.

Der Raum war der Speisesaal. Er war nicht groß, aber hochfein eingerichtet und ausgestattet, wie ich es in Island noch nicht gesehen hatte, wenn ich das Hotel Borg in Reykjavik ausnehme. Doch wie noch fast überall in Island war auch hier das Feine, Elegante mit ganz einfachen Dingen gemischt.

Ein Kellner und ein Pikkolo empfingen uns. Beide trugen tadellos saubere Uniformen mit blank polierten goldenen Knöpfen: zwei hübsche, nette, feinfrisierte Kellnertypen, wie man sie nur in den besten Hotels findet.

Wir nahmen an einem weißgedeckten Tische Platz, wo schon ein Teil unseres Essens aufgetragen war.

Da wir uns beeilen mußten, um unser Nachtquartier zeitig erreichen zu können, waren wir mit der Mahlzeit bald fertig.

Während wir zu Tisch saßen, kamen zwei reisende englische Herren in den Saal herein. Auch sie blieben einige Augenblicke am Eingang stehen, warfen rasche Blicke auf die Ausstattung des Raumes und konnten dabei ein befriedigtes Lächeln nicht unterdrücken.

Sobald wir mit dem Essen fertig waren, bestiegen wir wieder unsern Wagen.


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