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22. Der Kapitän 48 Stunden beim Steuer. Noch einmal »die in der Sonne gebratenen Fische«.

Als der freundliche Däne uns geweckt hatte, erfuhren wir, daß der Nebel noch immer so dicht sei wie vorher und daß der Kapitän die ganze Nacht oben auf der Kommandobrücke beim Steuer habe wachen müssen.

»Warum geht er nicht zu Bett?« fragte Viktor.

»Das darf er nicht«, erwiderte der Kellner. »Solange es neblig ist, darf der Kapitän die Kommandobrücke nie verlassen.«

»Dann danke ich Gott, daß ich kein Kapitän bin«, meinte Viktor.

»Es ist schon vorgekommen«, fuhr der Kellner fort, »daß wir drei Tage und drei Nächte hintereinander im dichten Nebel haben fahren müssen. Diese ganze Zeit mußte der Kapitän oben auf der Kommandobrücke bleiben.«

»Das ist aber unmenschlich«, bemerkte Viktor. »Wie kann es jemand so lange ohne Schlaf aushalten?«

»Es ist hart. Aber es gelingt schon – und es muß gelingen; denn sollte ein Unglück geschehen, so ist der Kapitän allein verantwortlich. Übrigens braucht er nicht selber die ganze Zeit am Steuer zu sein. Er kann es natürlich einem zuverlässigen Matrosen übergeben. Aber er muß in der nächsten Nähe sein und immer oben bleiben.«

»Und die Mahlzeiten?«

»Er darf nicht in den Speisesaal hinuntergehen«, fuhr der Oberkellner fort. »Das Essen und Trinken wird ihm auf die Kommandobrücke gebracht.«

Als der Oberkellner sich verabschiedet hatte, bemerkte Viktor noch: »Das sind aber harte Vorschriften.«

»Es ist wahr, Viktor«, erwiderte ich. »Die Aufgabe eines Kapitäns ist aber auch sehr groß. Er allein ist für das Leben der ganzen Schiffsbevölkerung verantwortlich. Und wenn ein Schiff am Versinken ist, darf der Kapitän nicht daran denken, sein Leben zu retten, bis alle andern gerettet sind. Er muß der letzte sein, der das Schiff verläßt, – und das auch in der äußersten Lebensgefahr.«

»In solchen Fällen ist es kein Spaß, Kapitän zu sein«, sprach Viktor weise.

Als wir uns angekleidet hatten, gingen wir auf Deck. Auch diesmal war es fast ganz leer oben. Das Meer aber war unsern Blicken durch den Nebel verborgen. Man konnte nur einige wenige Meter weit sehen.

Die starken Grundwellen waren jetzt verschwunden. Ruhig und ohne Schwankungen glitt das Schiff auf der spiegelglatten Meeresfläche vorwärts.

Wir gingen wiederum auf dem Deck auf und ab. Als wir an der Kommandobrücke vorbeischritten, schauten wir hinauf; da entdeckten wir den Kapitän. Auch er ging auf und ab, wie immer in seinen großen Mantel eingehüllt. Am Steuer stand ein Matrose.

Allmählich belebte sich das Schiff. Trotz des Nebels herrschte auch an diesem Tage große Munterkeit unter den Reisenden.

Beim Lunch erlebte ich – durch die freundliche Aufmerksamkeit des Kapitäns – eine niedliche Überraschung. Während wir da bei Tische saßen, kam ganz unerwartet der dänische Kellner zu mir her. Er hielt eine Platte in der Hand, auf der ein zierlicher kleiner Teller zu sehen war. Den Teller stellte er vor mich hin mit den Worten: »Der Herr Kapitän sendet Ihnen dieses Gericht. Er hat es eigens für Sie zubereiten lassen.« Ich schaute auf das mir angebotene Gericht, konnte aber nicht gleich herausfinden, was es eigentlich sei. Ich sah nur schneeweiße längliche kleine Streifen, die nebeneinander auf dem Teller lagen.

Da fragte ich den Kellner.

Er antwortete schmunzelnd: »Der Herr Kapitän sagte zu mir, ich solle Ihnen mitteilen, es seien einige Reste von den kleinen Fischen, die Sie mit Valdemar auf der Insel Fünen einmal aus dem Wasser geholt und an der Sonne gebraten haben …«

Jetzt wurde mir mit einem Schlag alles klar.

Das Ganze war ein außerordentlich liebenswürdiger Einfall des Kapitäns. Er hatte offenbar mein Buch »Abenteuer auf den Inseln« gelesen, in dem ich erzähle, wie ich mit meinem kleinen Freund Valdemar bei unserem Ausflug auf der Insel Fünen kleine Fische fing, um mit ihnen unsern Hunger zu stillen, nachdem wir sie an der Sonne gebraten hatten.

Dies war also dem Kapitän bekannt, und da auch er einen Vorrat an der Sonne gebratener Fische für seinen eigenen Bedarf an Bord hatte, sandte er mir eine kleine Portion davon. So machte ich mir den Hergang zurecht. Ich war gerührt von der Freundlichkeit meines Landsmannes und sprach nun auch sofort der isländischen Delikatesse tüchtig zu.

Mit frischer Butter genossen, gehört aber auch ein auf diese Weise zubereitetes Fischgericht zu den kräftigsten und gesündesten Speisen, die man sich denken kann.

Daß ich mich in meiner Annahme nicht getäuscht hatte, das erfuhr ich gleich nach Tisch vom Oberkellner. Ich suchte ihn nämlich auf, um ihn auszufragen und ihm meine Vermutung mitzuteilen.

Er sagte: »Es ist genau so, wie Sie es sich gedacht haben. Der Kapitän nimmt auf allen seinen Reisen sonnengebackene Fische von Island mit. Sie werden nur ihm aufgetragen, denn es ist dies ein ausschließlich isländisches Gericht. – Heute morgen, als ich ihm auf der Kommandobrücke sein Frühstück brachte, trug er mir auf, auch Ihnen etwas von seinem Lieblings- und Leibgericht beim Lunch aufzutragen. Er hat in einem Ihrer Bücher gelesen, daß Sie es gut kennen und auch gern essen.«

Er fügte noch bei, daß auch er selber einige Male von diesem Gericht genossen und daß es ihm schließlich ausgezeichnet geschmeckt habe. Solche Fische seien auch besonders deshalb so gesund, weil sie alle ihre Vitamine noch hätten. Diese gingen sonst durch das Kochen verloren.

Natürlich machte ich dem Kapitän auf der Kommandobrücke einen kleinen Besuch, um ihm für seine Freundlichkeit zu danken.

Da er etwas angestrengt aussah, fragte ich ihn, ob er solche Wachen wie die der letzten Nacht gut aushalten könne.

»O ja«, erwiderte er, »man gewöhnt sich daran. Übrigens«, fügte er hinzu, »werde ich diesen ganzen Tag und auch noch die kommende Nacht hier oben zubringen, denn so lange werden wir noch durch den Nebel fahren müssen.«

Das hatte er durch telegraphische Nachrichten erfahren. Im ganzen mußte er dieses Mal 48 Stunden oben beim Steuer bleiben!

Da ich merkte, wie müde er war, wollte ich ihn nicht durch lange Gespräche noch mehr ermüden. Ich stellte ihm nur noch ein paar Fragen über unsere Reiseroute nach Reykjavik.

»Wir werden nicht direkt nach Reykjavik fahren«, erklärte er, »sondern zuerst in einige Fjorde hinein, um bei den dortigen Küstenstädten anzulegen. Auf diese Weise werden Sie Gelegenheit bekommen, die kleinen Handelsstädte im Seydisfjord, Eskifjord, Borgarfjord, Vopnafjord und Nordfjord und andere zu besichtigen. Sie werden auch Zeit genug haben, um von diesen Fjorden aus einige kleinere Autoausflüge ins Land hinein zu machen, denn in einigen der Städte werden wir einen Aufenthalt von mehreren Stunden nehmen.«

Nach diesen Aufschlüssen dankte ich dem Schiffsherrn und stieg von der Kommandobrücke wieder auf das Verdeck hinunter.


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