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8. Landung in England. – Von Harwich nach London.

Der Dampfer war eben in Harwich an der englischen Küste angelangt und wurde nun an der Landungsstelle festgelegt.

Hier wartete ein Extrazug auf die Reisenden, die nach London wollten.

Rasch machten wir uns in unserer Kabine fertig – schlaftrunken, wie wir noch waren, und gingen auf Deck.

Da war große Bewegung. Die zahlreichen Reisenden drängten sich mit ihren Koffern und Päcken nach der Landungsbrücke, denn es galt jetzt, schnellstens durch die Zollrevision hindurchzukommen, um sich dann einen guten Platz in dem wartenden Londoner Zuge zu verschaffen.

Viktor und ich mischten uns in den Menschenstrom, der nach der Zollhalle flutete.

Vermutlich haben unsere ehrlichen Gesichter den Zollbeamten Vertrauen eingeflößt, denn sie ließen uns durch, ohne den Inhalt unserer Reisekoffer anzuschauen.

Kurz darauf saßen wir beide in einem freien Abteil des langen Londoner Zuges. Eine einfach gekleidete junge Engländerin kam noch zu uns herein und nahm uns gegenüber Platz. Das war unsere ganze Reisegesellschaft.

Der Zug setzte sich bald in Bewegung, und nach einigen Minuten sausten wir in interessanter Fahrt auf London zu.

Ich machte Viktor auf die schönen blühenden Weiden und Wiesen, auf die Äcker und Felder, die Blumen und Obstbäume aufmerksam.

Doch das alles zog ihn nicht sonderlich an.

»Es ist im Schwabenland doch schöner«, meinte er, »und die Natur viel üppiger. Allerdings sind wir dort auch viel südlicher.«

Nach einer Weile wandte sich das junge englische Fräulein an mich und fragte in überraschend gutem Deutsch:

»Wissen Sie, mein Herr, um wieviel Uhr unser Zug in London eintrifft?«

»Ich werde es Ihnen gleich sagen können, Fräulein«, erwiderte ich, indem ich in meinem Fahrplan nachschaute.

Sie dankte nach erhaltener Auskunft und fügte dann gleich die Frage hinzu: »Sie sind wohl beide Deutsche?«

»Der Junge ist aus Süddeutschland, ich aber bin Isländer.«

»Isländer! Sie sprechen aber Deutsch, gerade wie wenn Sie ein geborener Deutscher wären.«

»O, so gut nun gerade nicht. – Ihnen dagegen kann ich ohne Übertreibung dasselbe Lob spenden wie Sie mir, denn Sie sprechen ein tadelloses Deutsch, gerade wie wenn Sie eine Deutsche wären. Sie sind aber eine Engländerin, nicht wahr?«

»O nein, ich bin keine Engländerin. Ich bin aus Hamburg.«

»Da muß ich Sie um Verzeihung bitten. Ich habe Sie bestimmt für eine Engländerin gehalten. – Wahrscheinlich wohnen Sie aber in England?«

»Ja, ich bin in einem englischen Institut in London zu meiner Ausbildung.«

»So, so. Und Sie kommen gut mit den Engländern aus?«

»O ja, sehr gut. Ich fühle mich ungemein wohl und glücklich in England. Die englische Lebensweise gefällt mir. Und dazu kommt, daß die Engländer uns Deutsche außerordentlich gern haben. Das hat schon zur Folge gehabt, daß außer mir noch mehrere andere Hamburger junge Mädchen in dasselbe Institut gekommen sind. Wir sind jetzt ein halbes Dutzend deutsche Mädchen dort. Und alle fühlen sich sehr wohl bei den Engländern.«

Wir unterhielten uns über diese erfreuliche deutsch-englische Freundschaft, bis der Zug in der Londoner Liverpool-Station hielt. Dann ging die kleine Reisegesellschaft auseinander.


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