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25. Der Dampfer fährt in mehrere Fjorde hinein. Begegnung mit isländischen Kindern. Eine Verwechslung.

Es wurde weiterhin der eine Fjord nach dem andern besucht und an den dortigen Handelsplätzen haltgemacht.

Überall, wo wir hinkamen, gingen die Reisenden ans Land, besichtigten die Hafenorte und machten kleinere oder größere Spaziergänge und Fahrten. Viktor und ich gingen von nun an gewöhnlich miteinander.

Und überall wurde ich als der Nonni der Nonnibücher erkannt, herzlichst gegrüßt und zu Kaffee und Kuchen in die Häuser eingeladen. Eine unglaubliche Anzahl Kaffeetassen mußten wir in diesen Tagen bei den lieben guten Leuten leeren.

Über die Begegnungen mit meinen Landsleuten in den verschiedenen Fjorden könnte ich hier allerlei Interessantes berichten. Es würde aber zu weit führen. Ein paar typische Einzelheiten mögen daher genügen.

An einem der Plätze, wo wir haltmachten, passierte mir mit den dortigen Kindern etwas für mich außerordentlich Liebliches und Interessantes. Es war, wenn ich mich recht erinnere, in der Nähe des Golfes Vopnafjördur.

Ich war wie gewöhnlich ans Land gegangen – diesmal allein – und spazierte langsam durch die Straßen des dortigen Küstenstädtchens. Etwa vier kleine Jungen kamen bald auf mich zu und betrachteten mich gespannt. Aber nicht nur genug damit, sondern sie blieben einige Augenblicke seitwärts stehen, sprachen leise miteinander, indem sie immer aufmerksamere Blicke auf mich warfen. Als ich dann langsam weiter ging, folgten sie mir, während sie fortwährend miteinander zu disputieren schienen.

Auf einmal machte der kleinste unter ihnen dieser Verfolgung dadurch ein Ende, daß er rasch entschlossen auf mich zulief, sich mitten auf der Straße vor mich hinstellte und mich so zum Stehen brachte. Sobald ich stehen geblieben war, schaute ich den kleinen Jungen scharf, aber freundlich an. Er schien sehr geweckt, intelligent und entschlossen zu sein. Er hielt meinen scharfen Blick tapfer aus, und ohne die Augen zu senken, schaute er mir fest und unentwegt ins Gesicht. Dann erhob er die rechte Hand, deutete mit dem Finger auf mich und fragte mit lauter Stimme:

»Wie heißt du?«

»Ich heiße Jón Svensson.«

»Wie wurdest du aber genannt, als du klein warst?«

»Da wurde ich Nonni genannt.«

Da wandte sich der Kleine rasch zu seinen Kameraden und rief ihnen mit lauter, silberheller Stimme zu, indem er noch immer mit gestrecktem Arm auf mich deutete:

»Es ist so, wie ich sagte: Das ist der Nonni. Es ist der Nonni von der ›Stadt am Meer!‹« (» Það er hann Nonni frá ›Borginni við sudið‹!«)

Kaum hatten die andern das gehört, da waren sie wie der Blitz verschwunden. Der Kleine aber, der mich angesprochen hatte, blieb ruhig stehen und schaute mich fortwährend an.

»Wie heißt denn du, kleiner Freund?« fragte ich ihn schließlich.

»Ich heiße Hördur.«

»Wie alt bist du?«

»Acht Jahre.«

Jetzt aber kamen schon die andern Kinder mit wenigstens zwanzig weiteren zurück.

Da hätte man hören sollen, wie es die verschiedenartigsten Fragen regnete:

»Was ist aus dem Owe geworden?«

»Ach, der arme Owe! Wollt ihr es wirklich wissen?«

»Ja!« antworteten alle im Chor.

»Es ist aber etwas sehr Trauriges … Soll ich es wirklich sagen?«

»Oh ja! Sagen Sie es doch«, kam es ungeduldig bittend von all den Kindern zurück.

»Nun gut, ich will es euch sagen: Der Kapitän Foß blieb nur einige Tage in Kopenhagen mit seinem Schiff. Dann segelte er weiter nach Bornholm. Auf dieser kurzen Strecke wurde dem Owe eines Abends befohlen, die Schiffslaternen aufzuhängen. Da auf einmal fiel er ins Meer und ertrank …«

Die Kinder schauten einander sehr traurig an. In vielen Augen standen Tränen.

»Konnte man ihn denn nicht aus dem Wasser herausziehen?« fragte schüchtern ein kleines Mädchen.

»Man hat es natürlich tun wollen, aber es war ziemlich hoher Wellengang … Man fand die Leiche nicht mehr. Owe war spurlos im Wasser verschwunden.«

Es entstand eine kleine Pause. Ich sah immer mehr Tränen in den Augen der Kinder. Doch bald schüttelten sie die Traurigkeit ab und fuhren mit den Fragen fort:

»Können Sie jetzt Äpfel essen?« fragte ein lebhafter kleiner Junge.

»O ja. Das lernte ich schon sehr bald in Kopenhagen.«

»Aber wie kam es, daß Sie hier in Island niemals Äpfel gegessen hatten, bevor Sie nach Dänemark fuhren?«

»Damals wurden hier keine Äpfel verkauft. Es kamen auch damals viel weniger Schiffe nach Island. Jedenfalls hatte ich nie einen Apfel gesehen.«

»Ist der Emil ein guter Junge geworden? Hat er nicht mehr gestohlen?«

»Ich glaube, daß er sich gebessert hat.«

»Und was ist aus der Bogga geworden?«

»Sie ist später nach Kopenhagen gekommen und ist da gestorben.«

»O die arme Bogga …«, kam es von einigen zurück.

So fuhren die Kinder noch lange mit ihren Fragen fort. Und als ich meinen Gang durch das kleine Städtchen fortsetzte, gingen sie alle immerfort fragend und plaudernd mit mir.

»Hier wohne ich!« rief plötzlich einer der Jungen, als wir an einem der kleinen Häuser vorbeigehen wollten – und hurtig sprang er in das Haus hinein und holte seine Mutter. – Ich hörte ihn im Hause drinnen laut rufen: »Mutter, der Nonni ist da!«

Bald erschien die Mutter, die Hände an ihrer Schürze trocknend, in der Türöffnung.

Ich mußte zu ihr hin und ihr die Hand drücken. Sie schaute mich freundlich lächelnd an und fragte:

»Ist es wahr, daß Sie der kleine Nonni von Akureyri sind?«

»Ja, sicher!« riefen alle Kinder auf einmal. »Wir haben lange mit ihm gesprochen.«

»Dann müssen Sie unbedingt hereinkommen und eine Tasse Kaffee trinken«, bat mich lebhaft die gute Frau.

Ich entschuldigte mich, ich hätte gerade auf dem Schiff Kaffee getrunken.

»Dann bitte doch einen Augenblick«, sagte rasch die Frau. »Ich muß Ihnen etwas zeigen.«

Sie lief schnell ins Haus hinein und kam nach ein paar Minuten zurück mit fünf bis sechs Büchern in den Händen.

»Das sind die Nonnibücher«, sagte sie lächelnd. »Wir haben sie alle.«

»Und ich habe sie alle gelesen!« rief ihr kleiner Junge dazwischen.

Die Mutter lachte und sagte zu mir, indem sie auf ihr Söhnchen deutete: »O der! … Er kann sie alle beinah auswendig.«

Nachdem wir noch ein wenig zusammen geplaudert hatten, gab ich der guten Frau die Hand zum Abschied, und zusammen mit all den Kindern setzte ich meinen Spaziergang fort.

Es dauerte aber nicht lange, da ertönte vom Schiff her das erste Zeichen zur Abfahrt.

Wir mußten also umkehren und den nächsten Weg zum Hafen einschlagen.

Als wir die Anlegestelle unseres Dampfers erreichten, fragte ich die Kinder, ob sie Äpfel essen könnten.

»O ja!« lautete die freudige Antwort.

»Dann wartet ein wenig hier am Strand; ich hole einige auf dem Schiff und komme gleich zurück.«

Ich sprang auf das Schiff hinüber, eilte zum Oberkellner und bestellte bei ihm so viel Äpfel, wie Kinder da waren.

Alle Taschen vollgepfropft mit den schönsten rotgelben Äpfeln, lief ich zu den frischen Jungen zurück und teilte sie unter ihnen aus. Dann nahm ich Abschied von den kleinen Freunden, eilte wieder auf das Schiff und begab mich in meine Kabine hinunter.

Bald darauf ertönte das letzte Zeichen zur Abfahrt, und während ich noch immer unten in meiner Kabine saß, wurde der Dampfer freigemacht.

Auf einmal drangen durch das kleine Fenster der Kabine starke Hurrarufe zu mir hinein. Es schien mir sogar, daß ich meinen Namen hörte … Was war das? Ich schaute durch das Fenster und entdeckte nun am Ufer eine Gruppe von Kindern und Erwachsenen, die alle laut schrieen: »Nonni lebe hoch! Hurra!«

Was war geschehen? Die Kinder hatten den Erwachsenen, die am Ufer waren, erzählt, daß der Nonni an Bord sei.

Unter den Passagieren aber befand sich ein älterer dänischer Herr aus Kopenhagen, der Theil hieß.

Herr Theil war ungefähr von meiner Größe und trug einen kleinen Bart, ähnlich wie ich.

Während das Schiff sich langsam vom Ufer entfernte, ging Herr Theil auf dem Verdeck auf und ab.

Die Erwachsenen, die am Ufer standen, meinten, daß der dänische Herr kein anderer sei als der Nonni. Und nun schwenkten sie die Mützen und riefen Herrn Theil fortwährend zu: »Nonni lebe hoch! Hurra!«

Herr Theil merkte bald zu seinem höchsten Erstaunen, daß die Rufe zu ihm hin gerichtet wurden. Er konnte aber nicht verstehen, warum.

Indes war nichts anderes zu machen, als sie anzunehmen. Er zog also seinen Hut ab und erwiderte lächelnd die Grüße und Hurrarufe durch Schwenken des Hutes und durch freundliches Kopfnicken nach allen Seiten.

Von meiner Kabine aus beobachtete ich den komischen Vorgang und hatte nicht wenig Spaß daran. Nachher mußte aber Herr Theil viele kleine Neckereien über sich ergehen lassen.


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