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30. Die erste Nacht in Reykjavik. Eine Jugenderinnerung.

Es war spät geworden. Aber nicht Nacht; denn in Island kommt im Sommer die Nacht so spät und der Tag so früh, daß sie beide ganz nahe beisammen liegen. Obwohl von dem langen Ritt müde geworden, blieb ich doch, nachdem ich vom Pferde abgesprungen war, noch eine Zeit lang in der herrlichen nordischen Sommerdämmerung draußen stehen, um den feenhaften Glanz zu bewundern, den die untergegangene Sonne am westlichen Himmel zurückgelassen hatte. Es war das Abendrot, welches bald ins Morgenrot übergehen sollte. Da leuchtete alles in Purpur und Gold: ein unbeschreibliches Naturschauspiel!

Während ich so allein vor dem Bischofshause stand und den wundervollen Anblick genoß, fühlte ich mich auf einmal in die Zeit meiner Jugend zurückversetzt.

Ich erinnerte mich lebhaft an jenes herrliche Erlebnis des Jahres 1870, als ich, damals ein zwölfjähriger Junge, mitten in der Nacht von meinem Bette aufstand, aus dem Hause hinaustrat und auf meinem treuen Reitpferd Grani an die einsame Bergeshalde hinaufritt, die westlich von der kleinen Stadt Akureyri am Eyjafjördur ansteigt. Da sah ich, wie das Abendrot sich nach und nach in ein über alle Maßen glanzvolles Morgenrot verwandelte – und wie dann endlich die Sonne über dem Rande der Bergkette Vadlaheidi aufging.

Diese nächtliche Szene und diesen herrlichen Sonnenaufgang habe ich in dem Buch »Nonni« als ein unvergeßliches Erlebnis aus meiner Jugendzeit beschrieben.

Das jetzige Schauspiel war dem damaligen einigermaßen ähnlich, nur mit dem Unterschiede, daß wir hier am Anfang der Nacht, damals aber uns an deren Ende befanden. Meine Stimmung von damals kam wieder in mir auf, und ich wäre gern die ganze Nacht im Freien geblieben. Das ließ sich aber nicht gut machen, denn ich wußte, daß der folgende Tag reich an Erlebnissen sein würde. Deshalb durfte ich nicht zu spät zur Ruhe gehen.

Ich wurde auch tatsächlich daran gemahnt; denn auf einmal, während ich dastand, ging ein Fenster im oberen Geschoß auf, und von oben her rief mir jemand zu: »Ich glaube, wir sollten uns bald zur Ruhe begeben, denn morgen müssen wir ziemlich früh auf sein.«

Es war der Herr Bischof selber, der mir diese Mahnung gab.

»Ich werde gleich hineingehen«, rief ich. »Aber darf ich fragen, was morgen unser wartet?«

»Es wird viel zu tun geben«, erwiderte er. »Ich habe zwei wichtige Einladungen für uns beide auf meinem Tisch gefunden. Die eine ist vom Ministerpräsidenten Tryggvi Thorhallsson. Er lädt uns für übermorgen mit vielen andern Gästen zum Tee ein. Die andere ist vom Kommandanten des französischen Kriegsschiffes »Suffren«, das draußen auf der Reede liegt. Es würde ihn freuen, wenn wir einen Besuch auf dem Schiffe machten.

Wir müssen uns auch darauf gefaßt machen, daß wir im Laufe des Tages Besuche bekommen werden. Denn heute Nachmittag sind mehrere fremde Dampfer eingelaufen. Sie sind alle voll von Festgästen aus aller Herren Ländern. Morgen vormittag wird sich die Zahl der Schiffe noch bedeutend vermehren. Sie wissen ja, in zwei Tagen beginnt die Tausendjahrfeier.«

Ich dankte dem Herrn Bischof für seine Aufklärungen und wünschte ihm gute Nacht.

Bevor ich ins Haus hineinging, konnte ich es nicht unterlassen, ein paar Augenblicke noch unsern treuen Reittieren zu opfern. Ich ging rasch auf die Wiese hinaus, die das Haus umgab und wo die drei Pferde eifrig grasten. Ich machte mich an sie heran und gab ihnen einige freundliche Klapse, wie ich es in der Jugend meinem Reitpferd Grani zu tun pflegte. Sie waren aber so hungrig, daß sie kaum auf mich achteten. Sie grasten weiter, ohne sich durch meine Freundschaftsbezeigungen stören zu lassen. Nur das feurige Pferd des Herrn Bischofs, das mich so eigenmächtig, ganz gegen meinen Willen, weit vom Wege ab in das mit Lavablöcken bedeckte Feld getragen hatte, hörte einige Augenblicke mit seiner Beschäftigung auf, erhob den schönen Kopf und schaute mich mit seinen großen klaren Augen an, wie wenn es mich fragen wollte, ob ich ihm für den kleinen Streich noch böse sei. Ich ließ es deutlich merken, daß ich ihm nichts nachtrage.

Dann verließ ich die Ponys und eilte ins Haus hinein.

Viktor hatte sich gleich nach der Rückkehr vom Ausfluge in sein Schlafzimmer begeben. Als ich daran vorbeiging, merkte ich an gewissen regelmäßigen Lauten, die von drinnen hörbar wurden, daß der Junge schon einen gesunden, wohltuenden Schlaf genoß.

Kurz darauf lag auch ich ruhig und still in meinem ausgezeichneten Gastbett. Ich schlief einen tiefen, ungestörten Schlaf bis in den Vormittag des andern Tages hinein.


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