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27. Ankunft in Reykjavik. – Bischof Meulenberg. Gunnar Einarsson.

Mit großen Erwartungen für den folgenden Tag gingen Viktor und ich an diesem Abend zur Ruhe.

Rasch, unter Volldampf, durchpflügte die »Brúarfoß« am Nachmittag und während der darauffolgenden Nacht die breiten Grundwellen, die für ein mäßiges, angenehmes Schaukeln der zahlreichen Reisenden sorgten.

Am folgenden Morgen stand ich früh auf. Ich wollte den Anblick der Natur genießen.

Als ich auf das Deck hinaufkam, wurde ich von den herrlichen, wunderbaren Naturschönheiten, die sich da vor meinen Augen aufrollten, geradezu bezaubert.

Die Sonne war schon längst aufgegangen und goß nun ihr goldenes Licht über die isländische Küste zu unserer rechten Seite, mit ihren saftiggrünen, blühenden Wiesen und den blendend weißen Gletschern.

Wir waren gerade bei Reykjanes angekommen und konnten nun die weite Bucht Faxaflói, an deren innerem Ende Reykjavik liegt, im strahlenden Sonnenschein bewundern.

Gerade vor uns, in einem Abstand von etwa hundert Kilometer, vom blendenden Sonnenlicht umstrahlt, hob sich der berühmte Gletschervulkan Snaefell hoch empor. Wegen der außerordentlichen Reinheit der isländischen Luft konnte man ihn trotz der großen Entfernung deutlich sehen.

Rechts hin lag Reykjavik, aber ebenfalls noch in ziemlich weiter Ferne.

Jetzt bog unser Schiff in den großartigen Faxaflói hinein.

Die Passagiere wurden geweckt, und sie beeilten sich, ihre Morgentoilette zu machen und dann aus ihren Kabinen auf Deck zu gehen. Sie wollten alle den Snaefell sehen, die herrliche Bergkette Exja, die Reykjavik teilweise umrahmt, und last not least die Reede von Reykjavik, eine der großartigsten Reeden, die es in der Welt gibt.

Das Deck wimmelte von Menschen, und es war schwer, sich zu bewegen. Die meisten der alten Passagiere stiegen die Treppen hinauf zu der höheren Plattform und dem Oberdeck des Schiffes. Von dort aus hatte man die beste Aussicht.

Endlich fuhren wir in die prächtige Reede von Reykjavik hinein.

Vor uns in kurzem Abstand lag der Hafen mit einer großen Menge von Schiffen. Die meisten waren am Kai befestigt.

Jetzt fuhren wir durch den Hafeneingang hindurch und näherten uns langsam der Anlegestelle.

Da hatten wir nun die hübsche Hauptstadt Islands mit ihren 28 000 Einwohnern vor uns.

Mitten in der Stadt erhebt sich ein breiter Hügel, der sie überragt. Oben auf dem Hügel erblickten wir eine große, schöne Kirche, im normannischen Stil gebaut. Von allen Bauwerken der Stadt, die man erkennen konnte, war sie weitaus das schönste und imposanteste. Allen Passagieren fiel sie auf, sie sprachen davon und fragten, was es für eine Kirche sei.

Einer der isländischen Reisenden erklärte, es sei die römisch-katholische Kirche. Sie sei das schönste und größte Gotteshaus von ganz Island. Papst Pius XI. habe eine bedeutende Summe für den Bau gespendet. Isländische evangelische Architekten hätten die Kirche gebaut, und als der Turm fertig gewesen sei, ihr große, schöne Glocken geschenkt.

Man wunderte sich allgemein sehr über die religiöse Toleranz der protestantischen Isländer.

Jetzt waren wir am Kai. Das Schiff wurde festgemacht und die Landungsstege ausgeworfen.

Am Ufer stand eine große Menge Menschen. Ich suchte nach bekannten Gesichtern in dem Gedränge, konnte aber keines entdecken.

Hunderte von Händen schwenkten unablässig Hüte oder Taschentücher.

Als das Schiff an der Ufermauer befestigt war, strömten die Reisenden ans Land.

Ich ging jetzt auch mit Viktor auf das Deck hinunter, um ebenfalls mit unserem Gepäck das Schiff zu verlassen.

»Soll ich nicht zuerst allein ans Land gehen«, fragte mich Viktor, »und schauen, daß ich ein Auto bekomme? Denn es ist niemand da, um uns zu empfangen.«

»Das wird wohl das Beste sein«, sagte ich zu ihm. »Ich bleibe solange hier bei unserem Gepäck. Also hole ein Auto, dann fahren wir in eines der nächsten Hotels.

Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, da kommt vom Ufer her über die Landungsbrücke aufs Schiff ein sehr freundlich aussehender Herr mit frisch-fröhlich lächelndem Gesicht. Er schritt auf mich zu mit den Worten: »Willkommen in Island, Nonni!« Dann ergriff er meine Hand und schüttelte sie aufs herzlichste.

Es blieb mir keine Zeit, auch nur ein Wörtchen zu sagen, denn er fuhr gleich fort, mit der Hand nach dem Ufer deutend: »Können Sie sehen? Dort mitten unter den Leuten ist eine kleine Gruppe von Freunden, ungefähr ein halbes Dutzend. Sie warten alle auf Sie. Und weiter zurück stehen zwei Autos. Die werden uns alle nach meiner Wohnung bringen, oben in Landakot, denn selbstverständlich werden Sie bei mir wohnen, und nirgendwo anders, solange Sie in Island sind. Und jetzt du da«, er wandte sich zu einem kräftigen jungen Burschen, der hinter ihm stand, »nimm schnell das ganze Gepäck und bringe es in das zweite Auto, wir fahren sofort hinauf nach Landakot.«

Ich versuchte einige Worte zu erwidern. Aber der überaus lebhafte Herr achtete kaum darauf. Er faßte wieder meine Hand und zog mich mit sich über die Landungsbrücke fort. Viktor folgte.

»Jetzt ist keine Zeit zu weiterem Sprechen«, sagte er. »Wir müssen aus diesem Gedränge fort.«

Ich ließ mich willenlos führen, und ohne recht zu wissen wie, drangen wir rasch durch die Menschenmenge hindurch bis zu den beiden Autos.

Ich mußte in das erste hineinsteigen, der Herr schob Viktor durch die Türöffnung nach und stieg dann selber zu uns hinein. Die übrigen Herren verteilten sich in die beiden Wagen, wie es am besten ging.

Dann setzten sich die Autos in Bewegung und fuhren rasch durch die Straßen der Stadt.

Wer war dieser Herr? Und wie war alles das gekommen?

Dieser außerordentlich liebenswürdige, lebhafte, frisch-fröhliche Herr war kein Geringerer als der römisch-katholische Bischof von Island – Monseigneur Martin Meulenberg.

Viele Jahre vorher, als ich noch in Dänemark lebte, hatte ich ihn kennengelernt. Er war damals als einfacher Geistlicher aus Nordafrika nach Dänemark gekommen. Wir wurden gute Bekannte und verkehrten dann auch öfters freundschaftlich miteinander. Später zog er nach Island, arbeitete dort rüstig, baute in Reykjavik die sehr schöne katholische Kirche auf der Höhe von Landakot und wurde dann im Auftrag des Papstes von Kardinal van Rossum zum Bischof geweiht. Er stammte aus Norddeutschland, ließ sich aber in Island naturalisieren und war somit jetzt isländischer Bürger.

Vor meiner Islandreise hatte ich ihn von meinem Kommen unterrichtet.

Natürlich hatte ich die Absicht, ihn in seiner bescheidenen bischöflichen Wohnung zu besuchen. Mich aber bei ihm niederzulassen, zumal da ich nicht allein war, sondern noch den Jungen bei mir hatte, das war mir nicht in den Sinn gekommen.

Doch der liebenswürdige Herr dachte darüber anders als ich. Für ihn war es eine abgemachte Sache, daß ich samt meinem Begleiter in seinem Hause wohnen sollte, und zwar solange ich in Island bleiben würde.

So war es also gekommen, daß der hochwürdigste Herr Bischof mit seinem ganzen Hausstand und einigen Freunden in zwei Autos sich nach der Landungsstelle begeben hatte, um mich zu empfangen.

Während wir durch die Straßen der Stadt fuhren, konnte ich endlich in aller Ruhe den Bischof und diejenigen von seinen Begleitern, die in unserem Wagen Platz genommen hatten, begrüßen.

Außer den geistlichen Herren war auch ein Laie da, der sich im Auto neben mich gesetzt hatte. Ich muß ihn eigens vorstellen.

Es war mein alter Freund Gunnar Einarsson.

Die Leser der Nonnibücher werden ihn, wenigstens dem Namen nach, kennen. Sie werden sich noch erinnern, daß ein kleiner isländischer Junge im Jahre 1870 mit mir nach Avignon in Südfrankreich reisen sollte. Er verließ Island einige Wochen vor mir. Ich traf ihn dann in Kopenhagen und wohnte zusammen mit ihm mehrere Monate lang im Grüderschen Hause, Bredgade 64. Vor dem Ende des deutsch-französischen Krieges 1870/71 verließ er aber Kopenhagen und kehrte nach Island zurück. Und nun, sechzig Jahre später, traf ich ihn hier wieder, und zwar als einen kräftigen, kerngesunden, frohgestimmten Greis von beinahe achtzig Jahren.

Man kann sich denken, mit welcher Freude wir uns gegenseitig begrüßten.

Mehrere seiner Kinder und Kindeskinder wohnten in Reykjavik. Einer seiner Söhne, Johannes Gunnarsson, war Geistlicher geworden und wohnte bei dem Bischof. Die andern hatten verschiedene Ämter und Stellungen inne und waren alle hochgeachtete Leute.


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