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14. Aufs Atlantische Meer hinaus. Mächtige Grundwellen.

Die große Dampfmaschine des Schiffes hatte ihre schwere Arbeit angefangen. Ächzend drehten sich unten im Maschinenraum die gewaltigen Räder. Der ganze Schiffskörper zitterte und bebte, indem er sich langsam vom Kai entfernte.

Ich schaute nach diesem hin. Da war alles voll von Menschen, welche mit Hüten und Taschentüchern zu uns herüber winkten.

»Gute Reise! Auf Wiedersehen! Bleiben Sie gesund!« hörte man in verschiedenen Sprachen vom Lande her rufen.

Langsam und vorsichtig bahnte sich die »Brúarfoß« ihren Weg aus dem Hafen hinaus, mitten durch die vielen Schiffe hindurch, die da vor Anker lagen.

Es dauerte eine geraume Zeit, bis wir aus dem Knäuel der vielen Schiffe herauskamen. Endlich aber hatten wir so viel freien Raum, daß wir etwas schneller fahren konnten. Und als zuletzt alle Hindernisse verschwunden waren, da ertönte von der Kommandobrücke her der Befehl: »Volldampf!«

Sofort setzte sich die Schiffsmaschine in volle Tätigkeit. Mit mächtiger Kraft und rasender Schnelligkeit drehten sich die großen, stählernen Räder im Kreis. Gewaltige Hebel und Kurbeln und Kolben gingen auf und nieder und hin und her. Die Maschine raste und hämmerte wie ein wütender Titan. Es war ein ohrenbetäubendes Sausen und Knirschen.

Wie ein Spielzeug wurde das Schiff vorangetrieben, immer schneller und schneller, und vorn am Bug spritzte der schneeweiße Schaum hoch in die Luft.

»Es schneit! Es schneit!« riefen die Kinder, indem sie nach vorne deuteten. Und sofort stürmten sie alle vorwärts in das »Schneegestöber« hinein. Denn der hochgeschleuderte Schaum fiel Schneeflocken gleich unaufhörlich auf das Deck nieder.

 

Unsere große Meerfahrt hatte begonnen.

Nach geraumer Zeit drehte ich mich um und warf einen Blick zurück, auf Edinburg zu.

Von der Stadt war nicht mehr viel zu sehen. Und auch die Küste schien allmählich unter den Horizont hinuntertauchen zu wollen.

Vor uns war nur der Himmel zu schauen und das große, gewaltige Meer.

Kein Lüftchen regte sich, und die Meeresoberfläche erschien ganz glatt. Man merkte aber doch, daß das Schiff sich in regelmäßigen Zwischenräumen ruhig und sanft in die Höhe hob, um dann ebenso ruhig und sanft in ein Wellental niederzusinken.

»Ob diese Ruhe wohl noch lange dauern wird?« fragte ich einen isländischen Matrosen, der an mir vorüberging.

Er blieb einige Augenblicke stehen, warf einen forschenden Blick in die Ferne und erwiderte: »Das ist schwer zu sagen. – Übrigens ist es jetzt nicht so ganz ruhig, wie es den Anschein hat. Wir fahren über eine bewegte und unruhige Hügellandschaft.« Dann ging er weiter.

Jetzt warf auch ich einen forschenden Blick auf das Meer und beobachtete aufmerksam die Oberfläche.

Der Matrose hatte recht. Trotz der spiegelglatten Meeresoberfläche glitten wir sozusagen über eine unruhige, wellenförmige, hügelige Landschaft dahin. Unter der Oberfläche wurde das Meer durch gewaltige, breite Grundwellen bewegt.

Unser Dampfer fuhr sehr rasch und hielt sich fortwährend gerade, ohne sich nach den Seiten zu neigen. Es war kein Schlingern da. Aber immerfort hob und senkte er sich in der Richtung der Fahrt.

Je weiter wir aufs hohe Meer hinauskamen, desto höher wurden die Wellenhügel und desto tiefer wurden die dazwischen liegenden Wellentäler.

Nachdem ich noch eine Weile auf dem Deck gestanden und das große, herrliche Meer betrachtet hatte, ging ich die Treppe hinunter, welche nach meiner Kabine führte. Ich wollte mich ein wenig ausruhen.

Als ich die Türe der Kabine aufmachen wollte, kam gerade das isländische Schiffsfräulein dort vorbei.

Weil ich ein paar Aufschlüsse, unter anderem über die Tagesordnung auf der »Brúarfoß«, wünschte, benützte ich die Gelegenheit, mir dieselben gleich bei dem Fräulein zu verschaffen, und redete es an.

»Wenn Sie Zeit haben, möchte ich ein paar Fragen an Sie stellen.«

»Gerne. Ich habe gut Zeit«, antwortete sie.

»Können Sie mir sagen, wo ich die Tagesordnung auf dem Schiff finden kann?«

»Sie ist leicht zu finden«, erwiderte sie; »sie hängt an der Wand gerade am Eingang zum Speisesaal.

Eigentlich gibt es aber keine andere Tagesordnung hier als nur die Ordnung für die verschiedenen Mahlzeiten. Und das ist leicht zu behalten. Es sind fünf Mahlzeiten täglich: morgens von 8 bis 10 Uhr das erste Frühstück. Um 11½ Uhr Lunch. Um 4 Uhr nachmittags Kaffee. Um 5½ Uhr Diner und um 8½ Uhr Tee.

Bei den Mahlzeiten, mit Ausnahme des Lunches und des Diners«, fügte sie hinzu, »kann jeder Reisende bestellen, was er zu haben wünscht, ohne daß der Preis erhöht wird. Nur Getränke werden extra bezahlt.«

»Fünf Mahlzeiten täglich!« sagte ich. »Da wird aber reichlich für uns gesorgt.«

»Es ist nicht zu reichlich«, meinte sie, »denn hier im Norden zehrt die Seeluft stärker als im Süden.«

»Ist die ganze Schiffsbesatzung isländisch?« fragte ich weiter.

»Ja, wir sind alle von Island, mit Ausnahme des Oberkellners und des ersten Maschinisten. Diese beiden sind Dänen.«

»Und wie heißt der Kapitän?«

»Julius Juliusson, und was Sie vielleicht noch mehr interessieren wird: er ist wie Sie von Akureyri.«

»Das interessiert mich allerdings sehr«, sagte ich zu ihr. »Aber woher wissen Sie, daß auch ich von Akureyri bin?«

»Das weiß doch jedermann. Es steht ja in Ihren Büchern.«

»Ich wußte nicht, daß Sie meine Bücher gelesen haben.«

»Oh, wenn man aus Island ist, kennt man Ihre Bücher!«

Ich dankte dem Schiffsfräulein für ihre Aufschlüsse und freute mich über die Verbreitung meiner Bücher auf meiner Heimatinsel.

Bevor sie mich verließ, machte sie mich noch darauf aufmerksam, daß das erste Zeichen zum Diner schon gegeben worden sei. Nach einer Viertelstunde würden alle Reisenden sich im Speisesaal einfinden.

Ich machte mich also in meiner Kabine für das Diner bereit und ging dann wieder auf Deck.

Ich warf wieder einen Blick über die Meeresfläche. Land war nirgends mehr zu sehen, mit Ausnahme der Küste Schottlands, die in weiter Ferne als schmaler dunkler Streifen eben noch über dem Meeresspiegel zu unterscheiden war.

Unermüdlich und in schneller Fahrt durchpflügte unser Dampfer die salzigen Fluten.

Während ich da stand und das Meer betrachtete, kam auf einmal die fröhliche Kinderschar vom Schiffsheck her wie ein Sturmwind herangesaust, mit Viktor an der Spitze, der sich ihnen zugesellt hatte. In einem Nu waren sie aber vorübergestürmt und vorn am Deck hinter den Rettungsbooten wieder verschwunden.


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