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28. Wie wir in Landakot empfangen wurden. Die ersten Stunden im Bischofshaus.

Als die beiden Wagen die Höhe von Landakot erklommen hatten, fuhren sie an dem schönen Dom vorbei und hielten bei dem nächsten Haus, der Wohnung des Bischofs und seiner Priester. Wir stiegen aus und gingen ins Haus hinein.

Der Bischof selber führte mich und meinen Reisegefährten in die für uns bestimmten Räume hinein.

»Ich bitte Sie«, sagte er, »mit den Zimmern des Erdgeschosses fürliebzunehmen.«

Das ganze Erdgeschoß seines Hauses stellte er uns in seiner Liebenswürdigkeit zur Verfügung. Da war alles aufs schönste für uns hergerichtet. Schlafzimmer, Empfangszimmer usw., alles nett ausgestattet und mit Teppichen belegt. Ich protestierte. Doch umsonst. So war es, und so sollte es bleiben.

Zwei Monate lang haben wir in diesen Zimmern bei Monseigneur Meulenberg gewohnt!

Als er uns alle Räume im Erdgeschoß gezeigt hatte, führte er uns wieder hinaus.

»Das ist nun also meine Wohnung«, sagte er, »auf der höchsten Stelle der ganzen Stadt Reykjavik.«

Und in der Tat, von hier aus hatten wir die ganze Stadt zu unsern Füßen.

Die Aussicht war wunderschön. Zunächst nach allen Seiten hin die Stadt, und geradeaus der mit Schiffen dicht besetzte Hafen, die prachtvolle Reede, und dann weithin das große Meer.

»Hier links ist unser Spital«, erklärte der Bischof. »Der französische Orden der Schwestern von St. Joseph von Chambery besorgt den Krankendienst.« Nach dem Dom war das Spital der stattlichste Bau hier oben.

Um all die Gebäude dehnte sich eine saftig grüne, blühende Wiese aus. Auf einem umzäunten Teil der Wiese erblickten wir drei allerliebste kleine isländische Pferde, die am Grasen waren.

»Solange Sie hier sind«, sagte der Bischof, »werden die drei Pferde da sein, und zwar immer zu Ihrer Verfügung, damit Sie hinausreiten können mit dem Jungen, wann Sie nur wollen. – Und sollten Sie einen Führer brauchen auf Ihren Ritten ins Land hinein, bitte, lassen Sie es uns nur wissen, denn es ist leicht, sich einen Führer zu verschaffen. Und gerade deshalb ist das dritte Pferd da.«

Ich war so erstaunt über alle diese Aufmerksamkeiten des gütigen Herrn Bischofs, daß ich kaum wußte, wie ich ihm danken sollte.

»Ich weiß aus Ihren Büchern«, bemerkte er lachend, »wie sehr Sie solche Ritte lieben. Deshalb habe ich die drei Pferde bestellt. Und nun will ich Sie in Ruhe lassen bis gegen Mittag. Dann werden Sie abgeholt zum Essen.«

siehe Bildunterschrift

Photo Scherl. Feierliche Eröffnung der Althingssitzung

siehe Bildunterschrift

Glima (isländischer Ringkampf) auf einem Platz von Reykjavik

siehe Bildunterschrift

»Die Hölle« (Víti), Kratersee in Südisland

siehe Bildunterschrift

Phot. Magnússon Die Grýla, springende heiße Quelle (Geysir)

Er führte uns in unsere Zimmer hinein, und nach einem kräftigen Händedruck sagte er noch: »Ich bitte Sie, tun Sie, wie wenn Sie zu Hause wären. Ja, Sie müssen sich hier wie zu Hause fühlen. Mein Haus ist das Ihrige. Und wenn Ihnen etwas fehlt, müssen Sie es sofort melden … sonst haben Sie es mit mir zu tun. – Also, auf Wiedersehen um 12 Uhr!« Er schüttelte uns noch einmal kräftig die Hand und ging dann auf sein Zimmer oben im ersten Stock.

Nun waren wir beide allein, Viktor und ich.

Wir packten unsere Sachen aus und richteten uns in unsern Zimmern ein.

Während wir bei dieser Beschäftigung waren, bekamen wir einen kurzen Besuch von einer älteren Ordensschwester aus dem gegenüberliegenden Spital. Sie wollte wissen, ob uns etwas fehle.

»Ich bin«, sagte sie, »vom Herrn Bischof beauftragt, für Sie zu sorgen, solange Sie hier wohnen.«

Als sie sich nach einer kurzen Besichtigung unserer Zimmer verabschiedet hatte, sagte Viktor zu mir:

»Daß wir hier in Island so empfangen würden, und daß man so für uns sorgen würde, das hätte ich nie gedacht.«

»Ich bin auch auf das höchste überrascht«, erwiderte ich ihm. »Ich dachte nicht anders, als daß wir in einem Hotel wohnen würden.«

Kaum hatten wir uns in unsern Zimmern eingerichtet, da schrieben wir rasch einige Postkarten an Freunde und Bekannte auf dem fernen europäischen Kontinent. Sie fingen alle so an:

»Island. Reykjavik, am nördlichen Polarkreis, 23. Juni 1930.«

Draußen war warmes, herrliches Wetter, blauer Himmel, strahlender Sonnenschein.

»Komisch!« rief Viktor aus, »nun glauben alle unsere Freunde daheim, wir sitzen hier in Eis und Schnee, von Eskimos und heulenden Eisbären umgeben! Und müssen Seehundfleisch essen und Lebertran trinken!«

»Gewiß, das werden wohl einige denken. Übrigens um 12 Uhr werden wir sehen, was es hier im fernen Island zu essen und zu trinken gibt.«

»Ja, darauf bin ich gespannt«, sagte Viktor.

Während wir so dasaßen und miteinander plauderten, wurde plötzlich an der Türe geklopft.

»Herein!« rief ich.

Die Türe ging auf, und die gute Schwester, die für uns sorgen sollte, kam wieder herein.

»Verzeihen Sie«, bat sie, »daß ich wieder störe, ich hatte vergessen, diese Flasche hereinzustellen.«

Mit diesen Worten ging sie in eine Ecke des Zimmers und stellte dort auf einen kleinen runden Tisch eine Flasche und ein Glas.

Der immer schelmisch heitere Viktor konnte eine Bemerkung nicht unterlassen: »Aber was bringen Sie da, Schwester? Es ist wohl Lebertran?«

Die Schwester lachte auf und sagte: »Du Schelm, diese Flasche ist für den Nonni. Du kannst ihn selber fragen, was drin ist. Auf dein Zimmer werde ich vielleicht auch eine Flasche bringen. Und wer weiß, vielleicht wirst du darin einen feinen Lebertran finden.«

»Nein, nein, Schwester, tun Sie lieber etwas anderes hinein«, bat Viktor reumütig. »Lebertran habe ich nicht so gern. Aber bei uns in Süddeutschland glauben viele, daß die Isländer statt Bier Lebertran trinken.«

»Das habe ich auch gedacht, bevor ich hierher kam.«

»Sie? Sind Sie denn keine Isländerin?«

»O nein, ich bin eine Deutsche.«

»Eine Deutsche!« rief Viktor aus. »Aber da sind wir ja Landsleute. Ich bin aus Schwaben.«

»Und ich aus Westfalen«, sagte die Schwester. »Die meisten von den Schwestern hier sind Deutsche. Auch unsere Oberin ist eine Deutsche. Andere Schwestern sind aus Dänemark, andere aus Frankreich.«

»Und wie gefällt es den Schwestern hier?«

»Ganz ausgezeichnet. Keine möchte von hier wieder Weggehen.«

»Aber leidet man nicht viel unter der Kälte?«

»Keine Spur. Das hiesige Klima ist verhältnismäßig mild und auch sehr gesund.«

»Und man trinkt hier keinen Lebertran und ißt kein Seehundefleisch?«

»Davon habe ich noch nie was gemerkt.«

»Und mit den Isländern können Sie auskommen?«

»O ja, sehr gut. Die Isländer sind gescheite und brave Leute. – Aber jetzt müssen Sie mich entschuldigen. Ich muß wieder nach dem Spital zurück.«

»Ich danke Ihnen, Schwester, für die Aufklärungen«, sagte Viktor, indem er höflich der Schwester die Türe öffnete. »Und vielen Dank auch für den Lebertran.«

Die Schwester lachte und drohte ihm mit dem Finger, während sie aus dem Zimmer hinausging.

Als Viktor die Türe wieder zugemacht hatte, meinte er: »Das hätte ich aber nicht gedacht, daß ich hier im hohen Norden auch Landsleute finden würde, und das sogar unter den Schwestern!«

Dann warf er einen Blick nach dem Tisch, auf dem die Flasche stand, und sagte: »Ich hätte doch Lust, den Lebertran mir anzusehen, den die Schwester Ihnen gebracht hat.«

»Schau nur nach«, erwiderte ich lachend.

Er sprang hin und holte die Flasche. Als er den aufgehefteten Zettel gelesen hatte, sagte er: »Gegen diesen Lebertran hätte ich nichts. Er kommt von Spanien und scheint nicht übel zu sein.«

»Es ist wohl ein leichter spanischer Wein. Vielleicht hat die Schwester dir auch so was Ähnliches gebracht. Sie verwöhnen uns ja beide.«

»Nun, ich werde ja sehen.«

Wir wandten uns jetzt wieder den Postkarten zu, und als wir damit fertig waren, verließen wir beide das Haus und brachten sie zur Post.

So wie in den verschiedenen Handelsstädtchen, wo unser Schiff angelegt hatte, so erkannte man mich auch hier, als wir durch die Straßen gingen. Was mich aber einigermaßen vor den neugierigen Blicken schützte, das war der verhältnismäßig große Verkehr, der in den Straßen der Stadt herrschte.

Viele fremde Festteilnehmer waren schon angekommen. Meine jungen Leser werden ja nicht vergessen haben, welcher festliche Anlaß mich gerade zu dieser Zeit nach Island führte. Diese Fremden waren überall zu sehen und trugen dazu bei, einen guten Teil der Aufmerksamkeit von mir abzulenken.

Nachdem wir von der Post weg einen Gang durch den Hafen und einige der Hauptstraßen der sauberen Stadt gemacht hatten, gingen wir wieder nach Landakot hinauf und erreichten unsere Wohnung einige Minuten vor Mittag.

Um 12 Uhr wurde das Zeichen zum Essen gegeben. Einer der jungen Geistlichen holte uns ab und geleitete uns zum Speisezimmer.

Der Herr Bischof war da mit seinen Priestern und einigen Herren aus der Stadt.

Ein feierliches Gastmahl war uns zu Ehren veranstaltet, und zwar ohne die von Viktor gefürchteten Gerichte und Getränke.

Wir wurden wahrhaftig wie Prinzen behandelt, und die ganze Tischgesellschaft war außerordentlich liebenswürdig gegen uns.


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