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46. Der zweite und dritte Festtag. Ein rührendes Erlebnis.

Da ich über den ersten Festtag schon so vieles geschrieben habe, will ich von dem, was an den beiden folgenden Tagen geschah, nur das Wichtigste erzählen. Meine lieben Freunde werden mir darum nicht böse sein.

Am zweiten Festtage versammelten sich die Festteilnehmer wieder am Lögberg. Es wurde dort nach einigen Begrüßungsreden öffentlich vor aller Augen eine Althingssitzung gehalten, damit man sehen könne, wie es in dem modernen isländischen Althing unserer Tage zugeht.

Dann wurden die Vertreter der verschiedenen isländischen Niederlassungen in Amerika von der isländischen Regierung offiziell bewillkommnet, worauf die Amerikaner die Grüße der isländischen Ansiedler Amerikas sowie auch der dortigen Parlamente an Island überbrachten.

Am Nachmittag trug sich etwas besonders Merkwürdiges zu; es wurde am Lögberg die berühmte historische Sitzung wiedergegeben, welche vor tausend Jahren von den ersten normannischen Fürsten, die sich in Island angesiedelt hatten, an derselben Stelle abgehalten wurde.

Die Reden, die jene kriegerischen Recken damals hielten, sind in den alten Sagas wörtlich aufbewahrt. Sie wurden jetzt wörtlich wieder gehalten. Auch die Trachten und Waffen waren denen nachgemacht, welche die ersten Ansiedler damals trugen.

Diese überaus interessante, herrliche Vorstellung hatte begreiflicherweise alle Festteilnehmer ohne Ausnahme herbeigelockt. Viele Filme und unzählige Lichtbilder dieser Althingssitzung wurden aufgenommen.

Auch das Festessen am zweiten Tage verlief glänzend und wurde von einer Menge inhaltreicher Tischreden gewürzt.

Am Abend spät fand im Stadion ein Schauturnen statt, das den größten Beifall aller Anwesenden erntete. Es war ein Turnen ganz eigener Art, welches dort im Lande erfunden worden ist.

Die Darstellung dieser neuen Leibesübungen wurde geleitet von dem Erfinder selber, Herrn Björn Jakobsson, der sein neues Turnsystem schon öfters im Ausland mit größtem Erfolg gezeigt hat.

Die Festfolge des dritten und letzten Festtages war gleicherweise sehr reichhaltig.

Gelegentlich der Feier wurden an diesem Tage öffentlich im Althing am Lögberg Schiedsgerichtsverträge zwischen Island und den andern nordischen Staaten unterzeichnet.

 

So schloß das schöne, würdige Fest des tausendjährigen Bestandes des isländischen Althings.

 

Ich hatte mir während des letzten Festtages eine leichte Erkältung zugezogen. Als der isländische Gesandte in Kopenhagen, Herr S. Björnsson, den ich wohl kannte und dem ich zufällig gegen Abend begegnete, dies gewahr wurde, sagte er zu mir:

»Sie dürfen diese Nacht nicht in ihrem Zelt schlafen.«

»Aber eine andere Unterkunft habe ich nicht.«

»Ich werde dafür sorgen.«

Und der liebenswürdige Herr bat mich, mit ihm zu gehen. Er führte mich nach dem einzigen, kleinen Hotel auf der Thingebene. Dort ließ er den Wirt rufen und sagte zu ihm:

»Sie kennen doch die Nonnibücher, nicht wahr?«

»Ja, gewiß.«

»Dann sorgen Sie bitte dafür, daß Nonni, den ich hier mitbringe, für diese Nacht ein gutes Zimmerchen und ein gutes Bett in Ihrem Hotel bekommt. Die Rechnung senden Sie mir.«

»Aber, Herr Gesandter«, erwiderte der Wirt, »ich habe leider kein einziges Zimmer und kein einziges Bett frei.«

»Gut, dann werden wir die Sache schon sonst in Ordnung bringen«, sagte Herr Björnsson.

Ich bat den Herrn Gesandten, sich doch keine weitere Mühe machen zu wollen.

»Ich gehe jetzt nach meinem Zelt«, schloß ich, »und werde dort die Nacht zubringen.«

»Nein«, sagte der energische Herr Björnsson. »Jetzt gehen Sie in das Restaurant des Hotels und bestellen sich etwas Warmes. Dann warten Sie dort, bis ich Sie abhole.«

Da war jeder Widerstand unnütz. Ich ging in das Restaurant und führte den gegebenen Befehl aus.

Nach einer guten halben Stunde kam er zurück und sagte:

»Es ist Zeit, daß Sie sich zur Ruhe begeben.«

»Zu Befehl, Herr Gesandter!«

Ich stand auf und wollte ins Freie hinaus.

»Das ist nicht der richtige Weg. Ich will Sie führen.«

Er führte mich nach einer Treppe des Hauses. »Hier müssen wir hinauf.«

Wir stiegen zum ersten Stock hinauf und machten oben einige Schritte durch den Gang. »Halt!« rief dann Herr Björnsson. »Hier ist Nr. 5. Das ist Ihr Zimmer.«

Wir gingen hinein.

»Sie sind ein Zauberer!« rief ich aus.

Herr Björnsson lachte. Ich ergriff seine Hand und dankte ihm.

»Um Gottes willen! Lassen Sie das. Wenn Sie in dieser Nacht Ihre Erkältung los werden, ist mir das Dank genug.«

»In so einem guten Bett werde ich meine Erkältung sicher los«, sagte ich, indem ich seine Hand noch einmal drückte.

»Aber jetzt mache ich noch einen kleinen Spaziergang nach meinem Zelt und hole meinen Handkoffer.«

»Warten wir erst einen Augenblick«, sagte Herr Björnsson, »das eilt doch nicht so.«

Er stellte zwei Stühle zurecht, und wir setzten uns nieder.

Ich hatte den Herrn Gesandten viele Jahre vorher als jungen Herrn in Kopenhagen kennengelernt, als er an der dortigen Universität studierte. Wir fingen an, über die alten Zeiten zu plaudern.

Auf einmal wird an der Türe geklopft. Ich rief: »Herein!« Die Tür geht auf, und ins Zimmer tritt ein Pfadfinderknabe mit meinem Koffer. Herr Björnsson lachte wegen meiner Überraschung. Dann verließ mich der liebenswürdige Zauberer … Ich habe ihn seither nicht mehr gesehen.

Am folgenden Morgen war ich von meiner Erkältung vollständig geheilt.

Als ich aufgestanden war, eilte ich zum Autopark, stieg in ein Auto und fuhr nach der Hauptstadt Reykjavik zurück.


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