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54. Besuch bei Herrn Eggert Briem, »Landlord« von Videy. – Der zwölfjährige Kapitän und der vierzehnjährige Steuermann.

Eines Tages bekam ich in Reykjavik eine Einladung zu einem interessanten Besuche.

Der Herr, der mich einlud, hieß Eggert Briem. Das Briemgeschlecht ist sehr angesehen in Island. In meiner Jugend habe ich mehrere Mitglieder dieser Patrizierfamilie gekannt; einige von ihnen wohnten auf dem ansehnlichen Gute »Grund« im Eyjafjördur.

Herr Eggert Briem, ein feiner, akademisch gebildeter Mann, ist ein bekannter Gutsbesitzer.

Draußen im Meer, der Stadt Reykjavik gegenüber, liegt eine fruchtbare kleine Insel. Sie heißt Videy. Mitten auf der Insel steht ein schöner Hof. Da wohnt Herr Eggert Briem mit seiner Familie als glücklicher »Landlord« und Alleinbesitzer des ganzen kleinen Eilandes.

Es waren außer mir und Viktor wenigstens noch ein halbes Dutzend Eingeladene. Zur angegebenen Stunde stand die kleine Gesellschaft am Meeresufer. Herr Briem hatte versprochen, ein Motorboot zu schicken, das uns nach der Insel bringen sollte. Das Motorboot kam auch pünktlich von der Insel herüber und legte am Ufer, wo wir warteten, an.

Ich konnte meinen Augen kaum trauen, als ich den »Kapitän« und den »Steuermann« des Bootes sah. Es waren nämlich zwei Knaben, und der Kleinere war der Kapitän. Ihnen sollten wir unser Leben auf dem Meere anvertrauen, wenn auch nicht für weite Entfernung. Herr Briem mußte ja wissen, was er tat. Die seetüchtigen jungen Isländer stiegen bedeutend in meiner Achtung.

Das Meer war nicht ruhig. Es herrschte ziemlich starker Wellengang. Und durch diese aufgeregte See sollte der kleine Kapitän uns bis zu der Insel Videy hinüberführen!

Er stand am Motor und lud uns höflich ein, ins Boot zu steigen. Dabei streckte er den Gästen seine kleine Hand entgegen und half ihnen ins Boot hinein.

Sein Untergebener, der Steuermann, saß am Steuer und hatte nur die Befehle des Kapitäns auszuführen.

Ich war ein wenig neidisch auf die beiden Knaben, denn, obwohl ich als kleiner neun- bis zwölfjähriger Junge oft in meinem Boot aufs Meer hinausgefahren war, so viele Passagiere hatte ich nie gehabt.

Mit Hilfe des jungen Bootführers stieg auch ich ein, nahm aber gleich mein Notizbuch aus der Tasche, wandte mich an ihn und bat ihn, mir seinen Namen zu nennen.

»Ich heiße Bjarni Kristinn Björnsson«, sagte er.

»Wo wohnst du?«

»Auf Videy.«

»Und wie alt bist du?«

»Zwölf Jahre.«

Dann ging ich zum kleinen Steuermann und stellte ihm dieselben Fragen. Seine Antwort war:

»Ich heiße David Ólafsson, bin vierzehn Jahre alt und wohne auf Videy.«

Viktor seinerseits nahm sofort seinen Apparat heraus und knipste die beiden kleinen Schiffsführer zusammen mit einem Teil der Reisegesellschaft. Meine Leser finden die Aufnahme als erstes Bild in diesem Buche.

Nun stießen die Knaben das Boot vom Ufer. Der Bootsführer trieb den Motor an, und sofort begann dieser zu arbeiten, und das Boot schoß hinaus auf das aufgeregte Meer. Wie zwei echte Seebären walteten die beiden Knaben ihres Amtes.

Als wir uns der Insel näherten, gab der kleine Kapitän dem Steuermann ein Zeichen. Dieser änderte sofort den Kurs des Bootes, welches jetzt – weg von der Landungsstelle – der Küste entlang weiterfuhr.

Einer der Passagiere, ein Herr aus Reykjavik meinte, daß der Kapitän sich täusche, und rief ihm zu, indem er nach der andern Richtung zeigte:

»Du fährst nicht den richtigen Weg. Du mußt dorthin fahren, denn dort ist die Landungsstelle.«

Der Kleine nahm keine Notiz von dieser Bemerkung, sondern behielt ruhig den Kurs bei. Er wußte Bescheid, und nur er hatte hier zu befehlen.

Ein anderer sagte zu ihm:

»Du täuschest dich. Du mußt umdrehen.«

Der Kleine stand unbeweglich da und ließ sich nicht beirren.

Kurz darauf legten wir an einer Stelle der Küste an.

Einige der Passagiere sagten: »Das ist doch nicht die richtige Stelle. Der Kleine weiß ja nicht Bescheid.«

Der aber sprang vom Boot aufs Ufer, drehte sich zu uns um und rief fest und bestimmt mit seiner hohen Knabenstimme: »Alle im Boot bleiben!«

Dann lief er fort, verschwand für einige Augenblicke, kam dann wieder zurück mit einer großen Blechkanne in der Hand. Damit stieg er ins Boot, öffnete den Benzinbehälter und schüttete Benzin aus der Kanne hinein.

»Ich mußte Benzin holen«, sagte er dann ganz ruhig und setzte darauf den Motor wieder in Gang. Jetzt befahl er dem Steuermann, das Boot nach der alten Richtung zu lenken, und brachte uns kurz darauf an den richtigen Landungsplatz.

Hier wartete der Herr der Insel auf uns und hieß uns herzlich willkommen. Während er die andern Gäste begrüßte, ging ich rasch wieder zum Boot und drückte den beiden tüchtigen Bootsführern die Hand.

»Heute abend spät«, sagte der zwölfjährige Kapitän, »führen wir Sie nach Reykjavik zurück.«

Die Wohnung des Herrn Eggert Briem war im Innern elegant und hochmodern eingerichtet. Ich brauche nicht besonders zu bemerken, daß wir von dem Hausherrn und der Hausherrin aufs liebenswürdigste behandelt und bewirtet wurden.

Bei Tisch und während des ganzen Aufenthaltes unterhielt uns Herr Briem aufs anziehendste. Ich war erstaunt, zu hören, wie er im Gespräch mit Zitaten aus den alten römischen Klassikern, Cicero, Tacitus und andern, nur so um sich warf.

Nach Tisch lud er uns zu einem Spaziergang ein und führte uns von einem Ende der Insel zum andern. Wenn ich mich recht erinnere, brauchten wir etwas über eine halbe Stunde, um die Insel der ganzen Länge nach zu begehen. Ein kleines Königreich draußen im Meer!

Am Abend spät wurde die Gesellschaft wieder der Führung des kleinen Kapitäns anvertraut. Er und der junge Steuermann brachten uns glücklich nach Reykjavik zurück.


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