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44. Das isländische Althing gibt den Landesgästen zu Ehren ein feierliches Bankett. Ein kleines Erlebnis zuvor. – Verlauf des Banketts. Das »Champagnerwasser«.

Die Gäste des Landes waren von dem isländischen Althing zu einem Festessen, einem offiziellen, feierlichen Bankett in dem großen Zelt eingeladen. Es wurde überhaupt an jedem der drei Festtage den Gästen des Landes ein Bankett gegeben.

Am ersten Tag war, wie gesagt, das Althing der Gastgeber, am zweiten und dritten Tag waren es die Regierung und die Herren Minister.

Ich wollte mich nach meinem Zelt begeben, denn es war noch mehr als eine Stunde Zeit übrig. Aber da traf ich wieder die Vertreter Frankreichs mit dem Schiffskommandanten. Man konnte sich also die Zeit mit Plaudern vertreiben. Aber bald gab es eine Unterbrechung.

Es kam ein kleiner, etwa zwölfjähriger isländischer Junge vorbei. Da er den Eindruck eines geweckten und wohlerzogenen Knaben machte, baten mich die französischen Herren, mit ihm eine Weile isländisch zu sprechen, damit sie die schöne Sprache der alten Normannen in Ruhe und aus nächster Nähe hören könnten. Ich ging gern auf ihren Wunsch ein und rief sofort meinen kleinen Landsmann heran. Er ließ sich nicht lange bitten. Zuerst schaute er uns etwas betroffen an, dann nahm er seine Mütze vom Kopfe und fragte mich bescheiden, was wir von ihm wünschten.

»Diese Herren«, antwortete ich ihm, »sind von einem fernen fremden Land. Sie kennen unsere isländische Sprache nicht und wollen sie gern genauer kennen lernen. Deshalb möchte ich, daß wir zusammen vor ihnen ein wenig plaudern.«

»So?« sagte der Kleine. »Dieser Wunsch ist leicht zu erfüllen. Ich habe schon Zeit. Aber von welchem Land sind diese Herren?«

»Aus Frankreich.«

»Aus Frankreich? Ich bin oft mit Franzosen zusammen gewesen. Es kommen viele französische Schiffe hierher. Aber ihre Sprache verstehe ich nicht.«

»Ähnlich war es auch mit mir«, erwiderte ich. »Als ich klein war, wohnte ich in Akureyri am Eyjafjördur. Da kamen auch öfters französische Schiffe in den Hafen. Ich ging dann zu ihnen an Bord und wurde immer gut empfangen.«

Der Kleine lachte und erwiderte mir: »Darüber habe ich in der Geschichte ›Nonni und Manni‹ gelesen. Übrigens tue ich hier in Reykjavik dasselbe, was Sie in Akureyri taten. Auch ich gehe zuweilen an Bord der fremden Schiffe und werde auch immer gut von den Fremden behandelt.«

»Ich wußte nicht, daß du mich kanntest.«

»O, die Leute wissen alle, daß Sie hier sind.«

»Hast du sonst noch Franzosen hier beim Fest gesehen?«

»Ja. Ich habe die französischen Redner am Lögberg gesehen und gehört. – Es sind auch zwei Franzosen hier beim Fest, die überall herumgehen und Bilder aufnehmen. Der eine hat einen Filmapparat.«

Ich übersetzte das den französischen Herren.

»Ja das ist ganz richtig«, sagte der Kommandant. »Die Pariser illustrierte Zeitung ›Excelsior‹ hat einen Filmoperateur mit der ›Suffren‹ nach Island geschickt. Er soll für dieses Blatt viele Bilder aufnehmen, Photographien und Filme. Es soll dann ein großer Islandfilm besonders mit Szenen von der Althingsfeier zusammengesetzt werden. Die Zeitung hat die Absicht, den Film nachher an Island zu schenken.«

Jetzt frug der Kleine unvermittelt: »Wollen Sie nicht die Herren bitten, mit mir zu kommen? Ich werde Ihnen eine Sehenswürdigkeit zeigen.«

»Ist diese Sehenswürdigkeit weit von hier?«

»O nein«, sagte er. »Sie ist in nächster Nähe. Es sind kaum fünf Minuten zu gehen.«

Ich erklärte den Herren, was der Kleine wollte.

»Da gehen wir mit«, sagten sie.

Er führte uns zwischen unzähligen Lavablöcken hindurch, und nach ein paar Minuten kamen wir an eine breite, tiefe Lavaspalte, die von azurblauem Wasser angefüllt war. Es sah aus wie ein Kanal. Wir gingen der Spalte entlang einige Schritte weiter, bis wir eine Brücke vor uns sahen.

»Sie müssen hierher kommen«, rief uns der Junge zu, indem er vorauslief und sich mitten auf die Brücke stellte, mit der Hand auf das Wasser hinunterdeutend.

Wir gingen alle auf die Brücke.

»Jetzt schauen Sie hinunter«, sagte er.

Wir lehnten uns über das Geländer und schauten ins Wasser. Und was sahen wir? Tief unten lag eine Menge kleiner, runder Dinge, die in den wundervollsten Farbentönen glänzten und leuchteten. Sie sahen aus wie kleine Tabletten aus Perlmutter.

»Was sind das für runde Dinger?« fragte ich den Jungen, »und wie sind sie hier ins Wasser hineingekommen?«

Zu meinem Erstaunen antwortete er:

»Es sind goldene und silberne Münzen. Das Wasser in der Lavaspalte hat die Eigentümlichkeit, die Münzen so farbig glänzend zu machen.«

»Aber wer hat sie hineingeworfen?« fragte ich weiter.

»Das tun die Fremden, und sie tun es schon seit langer Zeit. Darum sind so viele Münzen da.«

»Und sie bleiben da ruhig liegen? Gibt es denn keine Diebe im Land?«

»Nein, das gibt es nicht. Die Münzen nimmt niemand fort.«

Ich übersetzte den Herren dieses Gespräch ins Französische.

»Merkwürdig«, sagten sie; »bei uns auf dem Kontinent wäre so etwas unmöglich.«

»Es gibt noch mehr goldene und silberne Münzen in dem Surtshellir«, erzählte der Kleine weiter.

»Surtshellir!? Was ist das?« fragten die Franzosen.

Obgleich ich den Surtshellir kannte, wiederholte ich unserem Führer die Frage auf isländisch und bat ihn, darauf antworten zu wollen.

»Der Surtshellir ist eine sehr große Höhle«, sagte er, »oder eher ein sehr langer, unterirdischer Gang in der Lavawüste, ungefähr eine Tagereise von hier entfernt, wenn man zu Pferde reist. Am Ende des Ganges, tief unter der Erde, etwas über tausend Meter vom Eingang weg, ist ein Altar aus Steinen. Man weiß nicht, von wem er errichtet worden ist und wann. Auf diesem Altar liegen auch viele, viele goldene und silberne Münzen aus allen Ländern. Die werden auch von den Fremden hingelegt.

Ich gab wieder die Übersetzung des Erzählten.

»Nun, dann wollen auch wir einige ›Souvenirs‹ hier zurücklassen«, sagten die französischen Herren.

Sie nahmen jetzt aus ihren Geldbeuteln eine Anzahl Silbermünzen und warfen sie zu den andern ins Wasser. Augenblicklich fingen auch sie an, in wunderbaren Farbtönen zu glänzen und zu glitzern.

Während ich das eigentümliche Spiel betrachtete, kam mir auf einmal eine Reiseerinnerung in den Sinn.

Ich war einige Jahre vorher auf Capri bei Neapel gewesen und bei dieser Gelegenheit in die berühmte »Blaue Grotte« ( Grotta azzurra) hineingefahren. Dort hatte das Wasser eine ähnliche Farbe wie hier in der Lavaspalte. Und auch dort bekamen alle Gegenstände, die man ins Wasser hineintauchte, einen ganz ähnlichen Glanz. »Hineintauchte«, sage ich, »denn in der italienischen Grotte ist das Wasser so tief, daß man sich begnügen muß, das Experiment mit den Händen und den Bootsrudern zu machen. Wenn man die Hand ins Wasser taucht, glänzt sie gleich unter dem Wasserspiegel wie die Münzen hier unten am Boden.«

 

Es war bald Zeit, daß wir uns auf das Bankett fertig machten. Darum kehrten wir mit unserem kleinen Führer in die Zeltstadt zurück. Dort dankten wir ihm für seine Freundlichkeit, und meine Begleiter wollten ihm zum Dank Silbermünzen schenken.

»O nein«, rief er aus. »Für so etwas nehme ich kein Geld an.«

» Ah, c'est gentil ça« (»Das ist aber nett«), meinten die Franzosen, als ich ihnen diese Worte übersetzte.

Beim Abschied fügte der Schiffskommandant noch bei:

» Si un jour vous venez à Paris, venez me voir« (»Wenn du eines Tags nach Paris kommen solltest, dann besuche mich«). Gleichzeitig gab er dem Jungen seine Karte mit seiner Pariser Adresse.

Der Knabe stand diesen Worten natürlich ratlos gegenüber, bis ich sie ihm ins Isländische übersetzte. Da erglänzte sein Gesicht. Er streckte dem Kommandanten die Hand hin und dankte ihm für die Einladung. Dann gab er auch den andern Herren und mir die Hand und verschwand in der nächsten Straße der Zeltstadt.

»Jetzt müssen wir uns aber bereit machen«, sagte der Kommandant.

»Wissen Sie übrigens«, fragte er mich dann, »ob der König und die Königin am Bankett teilnehmen werden?«

»Gewiß werden sie das, und auch der Kronprinz von Schweden, und nicht nur heute, sondern auch an den zwei andern Tagen. Der König von Dänemark und der Kronprinz von Schweden werden heute auch eine Rede halten. Noch eines will ich hinzufügen: Achten Sie auch auf die Festtracht der Königin. Sie wird nämlich, um den Isländern Freude zu machen, die altisländische Festtracht tragen, die ihr von den Frauen Islands vor einigen Jahren geschenkt worden ist. Diese Tracht ist mit großer Kunst verfertigt worden. Sie hat ungefähr 40 000 isländische Kronen gekostet.«

Jetzt mußten wir die Unterhaltung abbrechen, wenn wir vor Beginn des Banketts noch Toilette machen wollten.

Als ich dann mit meinen Vorbereitungen fertig war, begab ich mich nach dem großen Zelt.

Am Eingang wurde jedem Gast eine Karte in die Hand gegeben mit der Einladung zum Bankett des folgenden Tages, das von der isländischen Regierung gegeben werden sollte.

Jeder neue Ankömmling wurde von einem Diener sofort nach seinem Platz geleitet. Um ½7 Uhr waren alle Gäste vollzählig anwesend, aber noch nahm niemand Platz an der Tafel. Eine feierliche Stille herrschte in dem großen Raum. Alles wartete ehrerbietig auf den Eintritt des Königspaares und des Kronprinzen von Schweden.

Endlich traten die königlichen Personen in das Zelt ein, begrüßt von einer brausenden Musiksalve.

Nach links und rechts grüßend schritten die hohen Personen durch den Saal zum Ehrentisch. Links und rechts von ihnen nahmen die Abgesandten der verschiedenen auswärtigen Parlamente ihre Plätze ein.

Dieses erste große Festmahl verlief, wie nicht anders erwartet werden konnte, in voller Ordnung und bester Stimmung. Die Speisen waren erstklassig. Was aber die Getränke angeht, war die Schwierigkeit groß. Island ist nämlich ein »trockenes« Land, d. h. alkoholische Getränke sind gesetzlich verboten. Aber einfaches Wasser konnte man bei einem Bankett den Gästen doch nicht vorsetzen. Was war nun zu machen? Wie sollte man sich helfen?

»Was gerade diese Schwierigkeit angeht«, hatte mir – ein wenig boshaft – ein Isländer gesagt, »so werden wir es wie die Türken machen. Nach dem Koran dürfen die Türken keine alkoholischen Getränke genießen. Sie helfen sich aber dadurch, daß sie – besonders bei festlichen Gelegenheiten – ein ausgezeichnetes Getränk genießen, das sie ›Champagnerwasser‹ nennen. Das wird bei ihnen als erlaubt angesehen. Hier im ›trockenen‹ Island werden wir dasselbe tun. Wir werden unsern Gästen Champagnerwasser anbieten.«

Und tatsächlich: Bei den feierlichen Banketten floß auch hier wie bei den Türken zur größten Zufriedenheit der Gäste das liebliche Champagner-»Wasser« reichlich.

Das Festessen wurde auch gewürzt durch Musikstücke und Trinksprüche. Von diesen wurden mit besonderer Aufmerksamkeit der Trinkspruch des Königs von Dänemark als des Landesherrn von Island und der des Kronprinzen von Schweden angehört.

Bei jedem Gedeck lagen auf dem Tisch kleine Geschenke, welche die Gäste als Erinnerung an das Tausendjahrfest nach Belieben mitnehmen konnten.

Es war zwischen 8 und 9 Uhr abends, als die Teilnehmer das Zelt verließen.


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