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Am folgenden Tage machte ich verschiedene Besuche in Reykjavik.
Viktor vergnügte sich unterdessen mit Radfahren in der Umgebung der Stadt und mit Photographieren; denn er wollte eine reiche Sammlung von Photos mit nach Hause bringen.
Einer meiner Besuche galt dem anerkanntermaßen größten Maler und Bildhauer Islands, Einar Jónsson. Er wohnte mitten unter seinen Werken in dem Museum, das der isländische Staat gebaut hat und wo seine Schöpfungen aufbewahrt sind.
Als ich im vorhergehenden Jahre mich einige Monate in Wien aufhielt, hörte ich von mehreren der dortigen Künstler und Kenner, daß Einar Jónsson vielleicht der größte jetzt lebende Bildhauer der Welt sei, vielleicht ebensogroß, vielleicht noch größer als Thorwaldsen. Relata refero. Ich erzähle hier nur, was mir gesagt wurde. Diese Behauptung aber freute mich sehr. Ein Urteil hierüber steht mir indes nicht zu.
Viele Jahre früher, da er noch als junger Mann am Anfange seiner Künstlerlaufbahn stand, habe ich ihn schon gekannt und bewundert.
Es war in Kopenhagen. Er befand sich in größter Not, arbeitete aber mit Begeisterung an einem seiner ersten Werke: Der Geächtete.
Er war damals unbekannt. Jetzt ist er in der ganzen Welt bewundert und geehrt.
In allen seinen Werken, sagte er mir, verfolge er den einen Gedanken, den Kampf zwischen Gut und Bös, Licht und Finsternis, Reinheit und Unreinheit, Freiheit und Unfreiheit einigermaßen darzustellen.
»Alles, was ich schaffe, entspringt meinen eigenen Ideen, Gedanken und Vorstellungen. Ich lehne mich an keine Muster an. Ich wünsche auch nicht, daß andere sich an mich als Muster anlehnen. Deshalb will ich keine Schüler haben und habe nie solche angenommen. Jeder muß sein, was er ist. Ich habe meinen Geschmack und richte mich nicht nach dem Geschmack anderer. Das erkläre ich immer ausdrücklich, wenn eine Arbeit bei mir bestellt wird. Ich will volle Freiheit haben.«
In diesem Zusammenhange erzählte er mir eine hübsche Episode aus seinem Künstlerleben:
Als ich vor einigen Jahren von der amerikanischen Regierung gebeten wurde, eine Kolossalstatue des ersten Entdeckers Amerikas, unseres Landsmannes Leif des Glücklichen, zu machen, nahm ich an, aber wie immer unter meinen Bedingungen, die Sie kennen. Ich wurde also gebeten, mit meiner Frau nach Amerika zu kommen. Wir reisten nach New York und wurden dort in einem erstklassigen Hotel einlogiert und wie Fürstlichkeiten behandelt. Man ließ uns zuerst zwei Monate in New York verbleiben. Wir wurden herumgeführt, um die Sehenswürdigkeiten der Stadt und des Landes kennenzulernen. Es war ein Aufenthalt und ein Umherreisen, das viel Geld kostete. Wer das alles bezahlte, wußten wir nicht und wissen es heute noch nicht, haben auch nie danach gefragt.
Nach zwei Monaten wurden wir nach Philadelphia berufen, wo ich mein Werk schaffen sollte. Auch dort wurden wir schön untergebracht. Ich bekam eine große Werkstätte und alles, was ich brauchte, um die Statue herzustellen.
Es wurde mir gemeldet, daß ein Komitee, ein großer Ausschuß von amerikanischen Künstlern gebildet worden sei, um meine Arbeit zu überwachen und über sie zu urteilen. Ich erklärte sofort, daß dies überflüssig sei, da die Statue mein Werk werden solle und nicht das des amerikanischen Ausschusses. Während der Arbeit kamen zuweilen Besuche von Mitgliedern des Komitees und schauten sich das entstehende Werk an. Ich hatte nichts dagegen einzuwenden.
Eines Tages aber kam einer der Herren und machte einige tadelnde Bemerkungen über die Arbeit. Ich hörte ihn geduldig an. Er sagte unter anderem: »Diese geraden Linien, die Sie hier und dort haben, gefallen uns Amerikanern nicht so gut.« Ich antwortete ihm: »Das macht nun nicht gerade viel aus, denn mir gefallen sie.« Seit dieser Zeit, so schloß Herr Einar Jónsson, wurden mir keine Bemerkungen mehr gemacht. –
Die kleinen Abendunterhaltungen bei dem großen Künstler und seiner lieben guten Frau werden mir mein ganzes Leben lang unvergeßlich bleiben.
Nun etwas von den isländischen Kindern. Sie haben mir oft Freude gemacht. Sie waren so frisch, so natürlich und oft so eigenartig putzig.
Einmal fuhr ich im Auto durch die Stadt Reykjavik, weil ich mehrere dringende Besuche machen mußte. Der Chauffeur wartete jedesmal auf der Straße mit dem Auto. Als ich nach einem dieser Besuche wieder auf die Straße trat und in den Wagen steigen wollte, saß ein kleines, etwa vierjähriges Mädchen darin auf dem Sitz. Ich sagte der Kleinen freundlich guten Tag und bat sie nun wieder auszusteigen.
»O nein«, sagte sie, »ich will mitfahren.«
»Das geht nicht, mein liebes Kind. Ich fahre weit weg von hier. Du wirst den Weg nicht zurückfinden.«
Das Kind blieb ruhig sitzen. Mit größter Rücksicht wollte ich ihm aus dem Wagen helfen. Da schrie es laut auf: »Nein, nein. Ich will mitfahren.«
Ich war in Verlegenheit. Eine aufregende Szene mit dem schreienden und weinenden kleinen Ding wollte ich auf der Straße vermeiden. Das Kind klammerte sich fest an die Vorhänge und weigerte sich entschieden aus dem Wagen zu gehen.
Was sollte ich machen? Da kam mir plötzlich ein rettender Gedanke: Ich hatte ein paar Tage vorher die kochende Springquelle Grýla gesehen. Grýla bedeutet aber Hexe, und wird oft gebraucht, um kleinen Kindern bange zu machen, wenn sie nicht gehorchen wollen. Jedenfalls haben alle Kinder großen Respekt vor der Grýla.
Ich versuchte es also mit der Grýla, indem ich freundlich sagte:
»Mein gutes Kind, ich habe neulich die Grýla gesehen. Wenn du nun mit mir fährst, wer weiß, was da alles geschehen kann!«
Das Kind ließ mich nicht weiter sprechen, sondern rief erschreckt aus:
»Die Grýla? Hast du sie gesehen?«
»Ja, Kind.«
Mit einem Sprunge war das Kind aus dem Wagen …
Tags darauf gingen ein paar Holländer, die mit mir im gleichen Hause wohnten, hinaus zu einem Spaziergang. Sie rauchten beide große Zigarren. Auf einmal kommt ein kleiner, etwa achtjähriger Junge zu ihnen heran, stellt sich mitten auf den Weg und fragt den einen von ihnen:
»Bist du ein Isländer?«
»Nein, ich bin ein Holländer.«
»Ein Holländer! Wie muß das aber spaßig sein, ein Holländer zu sein! – Bist du reich?«
»O nein, ich bin gar nicht reich.«
»Wie! Du bist nicht reich? Das kann aber nicht stimmen, wenn du eine so große Zigarre rauchst.«