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32. Gute Entwicklung Reykjaviks. – An der Reede. Unterhaltung mit fremden Seeleuten.

Wir setzten unsere Wanderung durch die von Menschen überfüllten Straßen fort und schauten uns das eigenartige Straßenleben an.

Das vorige Mal, als ich in Island war, zählte Reykjavik etwas über 4000 Einwohner und sah aus wie ein Fischerdorf. Das war im Jahre 1894. Jetzt war die Einwohnerzahl auf 28 000 gewachsen, und die Stadt selbst hatte sich so sehr geändert, daß für mich sozusagen alles neu war. Damals war ein gewöhnlicher Wagen dort eine Seltenheit. Jetzt sausten mehrere hundert hochmoderne Autos durch die Straßen. Und fast alle andern modernen Einrichtungen waren ebenfalls eingeführt. Die Stadt hat Wasser- und Elektrizitätswerk, gut gepflasterte Straßen, ansehnliche Häuser, darunter einige Großbauten, einen geräumigen, modern gebauten Hafen und ein bewunderungswertes Zentralheizsystem durch die Zufuhr von Wasser aus den heißen Quellen.

Während ich die großen Fortschritte bewunderte, bemerkte ich in der Halle eines größeren Automobilgeschäfts eine automatische Waage. »Da gehen wir hinein und wiegen uns«, äußerte Viktor. »Wenn wir mehrere Monate in Island bleiben wollen, müssen wir doch feststellen, ob wir an Gewicht zu- oder abnehmen.«

»Du hast recht«, antwortete ich, »wir gehen hinein.«

»Ich schlage vor, daß wir jede Woche einmal unser Gewicht kontrollieren«, fügte Viktor hinzu.

Wir stellten uns der eine nach dem andern auf die Waage und, nachdem wir die erforderliche Münze in den Mechanismus hineingeworfen hatten, fiel sofort ein weißes Kärtchen heraus, das unser Gewicht angab. Die Rückseite war durch ein nettes isländisches Landschaftsbild geziert. Gleich jetzt will ich das Resultat der regelmäßigen wöchentlichen Gewichtskontrolle mitteilen: Die Kärtchen ließen feststellen, daß wir beide jede Woche um ein Pfund an Körpergewicht zunahmen.

Daraus meinten wir entnehmen zu können, daß das isländische Klima sowie auch unsere Lebensweise auf der Insel gesund sein mußten.

Wir setzten unsere Wanderung fort und befanden uns bald am Meeresufer. Von den großen Kriegsschiffen, die auf der Reede vor Anker lagen, kamen fortwährend Schaluppen mit fremden Matrosen ans Land. Sie hatten offenbar die Erlaubnis, sich einige Stunden in der Stadt aufzuhalten. Da sahen wir nun Deutsche, Franzosen, Engländer und Dänen, alle in tadellosen, schönen Marineuniformen. Ich sprach grüßend einige von ihnen an. Sie waren alle sehr höflich und ließen sich gern in eine Unterhaltung ein.

Die Franzosen, mit denen ich sprach, waren alle aus der Bretagne. Sie hatten früher schon öfters auf ihren bretonischen Fischerschiffen Island berührt. Jetzt dienten sie als Marinesoldaten auf dem Kriegsschiff »Suffren«. Mehrere von ihnen waren auf der Suche nach einer Kneipe und fragten mich, ob es denn hier keine » buvettes« gebe. Sie hatten Durst, denn es war ein heißer Tag. Leider mußte ich ihnen den Bescheid geben, daß Island ein »trockenes« Land sei; sie könnten nur alkoholfreie Getränke bekommen.

»Das ist aber nichts für den Durst«, meinte einer von ihnen lachend.

Ich kam auch ins Gespräch mit englischen Marinesoldaten von dem Dreadnought »Rodney«. Auch sie waren recht höflich und plauderten gerne. Als praktische Briten stellten sie Fragen über Sitten und Gebräuche des Landes. So wollten die ersten, mit denen wir sprachen, wissen, woher es käme, daß man in Reykjavik nirgendwo einen Hund sehe.

»Das hängt mit der Fischerei zusammen«, erwiderte ich.

»Mit der Fischerei! Wie ist das zu verstehen?«

»Hier in Island werden große Mengen von Fischen gefangen«, erklärte ich ihnen. »Viele dieser Fische werden am Lande getrocknet. So z. B. gibt es hier außerhalb der Hauptstadt weit ausgedehnte felsige Ebenen, wo die Fische unter offenem Himmel an der Sonne getrocknet werden. Wenn Hunde da sind, laufen sie gern über die ausgelegten Fische hinweg, und da kann es vorkommen, daß sie sich nicht immer anständig aufführen … Darum hat man hier in Reykjavik und überall, wo Fischtrockenplätze sind, alle Hunde getötet.«

» We understand«, sagten die Engländer lächelnd. »Das war eine vernünftige Radikalkur.«


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