Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

37. Immer näher an der Tausendjahrfeier. – Ich treffe einen jungen Koblenzer in den Straßen von Reykjavik. – Zum Tee beim isländischen Ministerpräsidenten.

Der folgende Tag, Mittwoch der 25. Juni, war der Tag, an dem wir spät abends mit den andern Festteilnehmern in einem endlos langen Autozug von Reykjavik nach der märchenhaften Zeltstadt auf der Thingebene befördert werden sollten. Schon das für sich allein versprach ein Erlebnis zu werden.

Eine sehr gemischte, internationale Gesellschaft hatte sich ja in Reykjavik gesammelt.

Noch mehr als an den vorhergehenden Tagen war jetzt die kleine isländische Hauptstadt überfüllt von frischfröhlichen Menschen, viele in den malerischen Trachten ihrer Heimatländer.

Natürlich gingen Viktor und ich auch an diesem Tage mehrere Male in die Stadt hinunter, um das außerordentlich eindrucksvolle Schauspiel anzusehen.

 

»Die Welt ist klein!« ruft man zuweilen aus, wenn man in fremdem Land plötzlich und unerwartet einen alten Bekannten trifft.

Ich mußte daran denken, als auch ich plötzlich und unerwartet in einer Straße von Reykjavik mitten unter vielen wildfremden Menschen, die hin und her fluteten, einem jungen Gymnasiasten begegnete, mit dem ich ein paar Monate vorher in der berühmten Studienanstalt von Einsiedeln in der Schweiz zusammengekommen war.

Ich hatte nämlich in Einsiedeln der dortigen studierenden Jugend einige Vorträge über Island gehalten. Es wohnten etwa 600 Gymnasiasten und Lehrer diesen Vorträgen bei. Und nun kommt da plötzlich, während ich einen Gang durch Reykjavik mache, aus dem Menschengedränge heraus ein lebhafter junger Gymnasiast auf mich zu.

»Guten Tag, Nonni!« ruft er freudig aus, indem er seine Schulmütze abnimmt und mir freudig lächelnd die Hand reicht.

»Aber wer sind Sie?« fragte ich ihn erstaunt.

»Ich bin einer Ihrer Zuhörer aus Einsiedeln. Sie haben uns dort vor einigen Wochen soviel Schönes von Island erzählt, daß ich ein unwiderstehliches Verlangen bekam, Ihr Vaterland mir anzusehen. So bin ich denn zur Tausendjahrfeier des isländischen Althings gereist.«

Wir unterhielten uns eine Weile, und da erfuhr ich auch, daß der unternehmende Junge zwar in Einsiedeln studierte, aber doch kein Schweizer, sondern ein gemütlicher, frischer Rheinländer aus Koblenz war. Natürlich stellte ich ihn auch dem etwa gleichaltrigen Viktor vor. Echte Jungens freuen sich immer, mit gleichaltrigen und gleichartigen Jungen bekannt zu werden.

Von seiner Islandreise war er in höchstem Grad befriedigt. Eine kurze Zeit unterhielten wir uns weiter zusammen und trennten uns dann.

»Auf Wiedersehen morgen auf dem Festplatz von Thingvellir!« rief er mir lachend zu, als er weiterging.

 

Da ich für den Nachmittag dieses Tages gleich bei der Ankunft in Reykjavik eine offizielle Einladung zum Tee beim Ministerpräsidenten Tryggvi Thorhallsson erhalten hatte, begab ich mich zur festgesetzten Zeit zu seiner Wohnung.

Der erste Mann des etwa 100 000 Einwohner zählenden isländischen Staates empfing mich mit der größten Liebenswürdigkeit, und weil noch viele andere Gäste gleicherweise eingeladen waren, so daß die Empfangsräume seines Hauses sie kaum fassen konnten, und er mit mir zunächst allein sprechen wollte, führte er mich in seine Bibliothek und ließ mich auf einem Sofa Platz nehmen.

Ich kann kaum mit Worten schildern, wie angenehm mir die ungestörte Unterhaltung gerade mit diesem Herrn war.

Meine alten Leser werden dies verstehen, wenn ich sie daran erinnere, wer der Herr Ministerpräsident Tryggvi Thorhallsson war.

Er war der Sohn des kleinen Thorhall, den ich im ersten Kapitel des Buches »Nonni« erwähne.

Dieser kleine Thorhall, der spätere Vater des Tryggvi, war der prächtige Knabe, der 1870 eingeladen wurde, mit mir von Island nach Frankreich zu reisen, um in Avignon das Gymnasium zu besuchen. Thorhall selbst nahm die Einladung sofort an, sein Vater auch; nur die Mutter wagte es nicht. So blieb also der Junge in Island, während ich mit einem andern Knaben, Gunnar Einarsson, nach Frankreich fuhr.

Der junge Thorhall, der ein außerordentlich begabter Junge war, machte seine Gymnasialkurse in Island, studierte dann Theologie und wurde später Bischof in Reykjavik. Er war, wie mit seltenen Ausnahmen alle Isländer, evangelisch. Seine Freundschaft bewahrte er mir bis zu seinem Tode.

Bischof Thorhall hatte also einen Sohn, der Tryggvi Thorhallsson genannt wurde. Dieser warf sich auf die Politik und wurde isländischer Ministerpräsident.

Während wir in der Bibliothek zusammensaßen, erzählte mir der Ministerpräsident Verschiedenes aus seiner Jugend, und da er ein bedeutender Geschichtsgelehrter und Genealoge war, gab er mir nicht nur mündlich, sondern auch schriftlich einige für mich sehr wertvolle Aufschlüsse über unsere gemeinsame Abstammung und Geschlechtsfolge. Wir waren nämlich noch verwandt.

Er machte mir auch die große Freude, nachher mich dem Justiz- und Unterrichtsminister Jónas Jónsson, einem der bedeutendsten Männer Islands, vorzustellen.

Auch dieser sprach eine Weile mit mir und setzte mir die Pläne auseinander, die er für die geistige Hebung des isländischen Volkes gemacht hatte. Da erfuhr ich, daß auf seine Initiative hin eben jetzt etwa fünf große Volkshochschulen im Lande für die breiten Schichten der Bevölkerung errichtet würden.

Natürlich machte ich an diesem Tage noch andere wertvolle Bekanntschaften.

So habe ich bei dieser Zusammenkunft ausländischer und einheimischer Gäste Gelegenheit gehabt, mit hochstehenden und hochgebildeten Herren zu sprechen und ihre interessanten Ausführungen zu vernehmen.

Die Wohnung des Ministerpräsidenten war eine hübsche, schön gelegene Villa. Die innern Räume waren so geschmackvoll eingerichtet, daß ich nicht umhin konnte, der Gemahlin des Hausherrn meine Anerkennung auszusprechen.

Die Frau Minister, die wie ihr Gemahl fortwährend mit größter Liebenswürdigkeit sich unter den eingeladenen Gästen bewegte, zeigte sich als eine hochgebildete, vornehme Dame, die es außerordentlich gut verstand, den Gästen den Aufenthalt in dem Hause angenehm zu machen.

Zu lange konnte die Gesellschaft nicht beisammen bleiben, denn am selben Abend noch sollte ja der allgemeine Aufbruch nach dem großen Zeltlager auf der Thingebene zur dreitägigen Festfeier stattfinden, und da galt es, nicht zu spät zu kommen.


 << zurück weiter >>