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33. Erwartung des Festes. – Zeitungsjungen. Isländisch-amerikanische Schutzleute.

Als wir in das Stadtinnere zurückkehrten, bemerkten wir, daß das Menschengedränge immer größer wurde. Man konnte schließlich auf den Straßen kaum mehr vorankommen.

Es liefen ja, wie gesagt, immer neue Schiffe ein, und von den schon im Hafen und auf der Reede liegenden kamen immer mehr und mehr Fremde ans Land.

»Das Tausendjahrfest wird aber gut besucht werden«, sagte Viktor, »wenn alle diese Menschen mitmachen werden.«

»Man spricht von dreißig- bis vierzigtausend Festteilnehmern.«

Während des Weitergehens gab ich ihm dann, nachdem wir einmal auf das Thema gekommen waren, allerlei Aufschlüsse über Fest und Festplatz, soweit ich durch Zeitungen und Gespräche unterrichtet war. Daß der Platz, wo die dreitägige Feier begangen wurde, in einer Entfernung von 50 Kilometer von Reykjavik liege. Daß es die berühmte Thingebene sei, zwischen den Bergen an den Ufern des Thingvallasees gelegen. Daß am folgenden Abend alle die Menschenmassen würden dorthin befördert werden.

»Da bin ich aber gespannt, wie das gehen wird«, warf Viktor dazwischen. »Es ist ja keine Eisenbahn da.«

»Sie werden in Autos hingebracht. Die Regierung hat großartige Vorbereitungen dafür getroffen. – Warten wir nur bis morgen abend, dann werden wir selber sehen, wie das alles vor sich geht.«

»Das wird höchst interessant werden«, meinte Viktor.

Ich fuhr in meinen Darlegungen fort und erklärte ihm, daß auf der Thingebene sich nur ein paar Häuser befinden und ein kleines Hotel. Um dreißig- bis vierzigtausend Menschen unterzubringen, habe man eine große Zeltstadt gebaut, und zwar eine Zeltstadt mit Wasserleitung und Kanalisation. Und alles sei sehr gut eingerichtet.

»Das wird ja fast wie ein Märchen sein« …, sagte der Junge. »Ich freue mich mächtig auf morgen und auf die drei Festtage.«

»Mir geht es ebenso. Jedenfalls stehen wir vor spannenden Begebenheiten.«

Viktor wollte etwas hinzufügen, wurde aber von einem winzig kleinen isländischen Jungen daran gehindert. Der Junge rannte auf ihn zu, indem er mit voller Kehle und kräftiger Stimme den Namen einer isländischen Zeitung ausrief und Viktor ein Exemplar hinstreckte.

Der kleine Zeitungsjunge schrie mit seiner Kinderstimme so laut, daß er ein halbes Dutzend andere größere Knaben, die auch Zeitungen feilboten, übertönte.

Da Viktor die Zeitung nicht haben wollte, nahm ich sie dem kleinen Verkäufer aus der Hand und fragte nach dem Preis.

» Tuttugu aurar« (»Zwanzig Aurar«, ungefähr zwanzig Pfennig), rief mir der Knabe zu. Während ich das Geld in seine Kinderhand legte, fragte ich ihn, wie alt er sei.

» Fimm ára« (»Fünf Jahre«), erwiderte er.

»Fünf Jahre nur! Und du kannst schon Zeitungen verkaufen!«

»O ja, das kann ich sehr gut«, sagte er lachend.

»Aber, Kleiner, du bist zu jung, du wirst das Geld verlieren.«

»Ich habe noch nie meine Aurar verloren«; und dann lief er weiter mitten ins Gewühl hinein. Seine erstaunlich kräftige Kinderstimme drang noch lange zu uns her.

Ich warf einen Blick auf die Zeitung. Es war eine der vielen Festnummern, die überall auf den Straßen von Kindern feilgeboten wurden. Sie enthielt allerlei Winke, Ratschläge und Aufklärungen für die Festteilnehmer.

Von überall her hörten wir Kinder ihre Zeitungen ausrufen: » Tíminn, Tíminn!« (»Die Zeit«), rief eine kräftige Knabenstimme gerade vor uns.

Es war die Regierungszeitung.

» Ísafold! Ísafold!« (Isafold ist ein poetischer Name für Island), klang es von einer andern Seite her.

» Ísafold« war die Zeitung der Opposition.

» Morgunblaðið! Morgunblaðið!« rief ein großer Junge hinter uns. Das »Morgenblatt«, eine zweite Zeitung der Opposition.

» Fálkinn! Fálkinn!« (»Der Falke«), schrie wieder ein ganz junger Knabe, der wie ein geschmeidiges Eichhörnchen durch die Menge hin und her huschte. »Der Falke« ist eine unabhängige Zeitung.

So ging es weiter überall, wo wir hinkamen.

Vor einem etwas größeren Haus erblickten wir acht bis zehn Zeitungsjungen, die mit ihren Zeitungen unter dem Arm sich ein wenig ausruhten. Ich ging zu ihnen hin und grüßte sie freundlich. Sie erwiderten frisch meinen Gruß. Dann fragte ich sie:

»Wieviel könnt ihr mit dem Zeitungsverkauf im Tag verdienen?«

»An gewöhnlichen Tagen zwei, drei oder vier Krónur«, antworteten einige. (Eine isländische Króna ist ein wenig mehr als eine deutsche Mark.)

»Aber an Tagen wie heute, wo so viele Menschen da sind?«

»O, da können wir zwanzig bis dreißig Krónur verdienen«, sagte einer der ältesten Knaben. »Und während der Tausendjahrfeier werden wir noch mehr verdienen.«

Als ich weitergehen wollte, platzte der größte Junge heraus:

»Wir kennen Sie.«

»Wie! Ihr kennt mich? Wer bin ich denn?«

»Sie sind der Nonni«, riefen alle auf einmal.

»Aber woher wißt ihr das?«

»Aus Ihren Büchern. Da ist auch Ihr Bild drin. Und zudem weiß ja jedermann, daß Sie hier sind. Wir haben Ihre Bücher gelesen.«

Und nun wiederholte sich das gewöhnliche Gespräch über die Nonnibücher. Und ich wurde wieder gefragt über den Kapitän Foß, über Owe, Valdemar, Harald, Emil und Karl, über die Zigeuner, und wie es mir als Junge in Frankreich ergangen sei und vieles andere.

Die Knaben fragten mich auch, wo ich in Reykjavik wohne. Und als sie hörten, daß ich auf Landakot sei, sagten sie, sie würden mich dort besuchen.

Endlich gab ich all den frischen, guten Jungen die Hand und wünschte ihnen gute Geschäfte, und um ihnen meine freundliche Gesinnung nicht durch Worte allein, sondern auch durch die Tat zu beweisen, kaufte ich schließlich noch jedem eine Zeitungsnummer ab.

So trennten wir uns dann als gute Freunde. Die kleinen Zeitungsverkäufer hielten ihr Wort und besuchten mich später einmal in Landakot.

Bei der Fortsetzung unserer Wanderung kamen Viktor und ich an einen kleinen Marktplatz mitten in der Stadt. Dort schien der Menschenverkehr noch größer zu sein als in den Straßen, durch die wir bis jetzt gegangen waren.

Mitten auf dem Platze stand ein Verkehrsschutzmann. Er war ein Riese von Gestalt und sah stattlich und schön aus in seiner schmucken Uniform. Mit großer Sicherheit und Geschicklichkeit verstand er es, sich seiner Pflichten zu entledigen. Ich freute mich, in Island so tüchtige Schutzleute zu finden. Da der Weg uns an ihm vorbeiführte, benützte ich die Gelegenheit, um eine Frage an ihn zu richten. Ich fragte ihn, welches der nächste Weg zum innern Hafen sei. Er antwortete in gutem Isländisch, aber doch mit auffälliger englischer Betonung:

»Gehen Sie hier zuerst geradeaus und nehmen Sie die erste Straße links. Dann sehen Sie den Hafen vor sich.«

»Sie sind doch wohl ein Isländer?«

»Ja, ich bin in Island geboren. Ich kam aber als Kind nach den Vereinigten Staaten und habe dort mein ganzes Leben zugebracht.«

»Aber jetzt wohnen Sie in Island?«

»Ja, aber nur vorübergehend. Ich bin sonst Schutzmann in Chicago.«

Ich machte große Augen, als ich das hörte. Der Mann fuhr fort:

»Ich wurde nur für die Althingsfestlichkeiten hierher bestellt mit mehreren andern isländisch-amerikanischen Polizisten. Wir sollten die isländische Polizei während des Festes unterstützen.«

Ich verstand jetzt, warum der Schutzmann so großstädtisch seines Amtes waltete.


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