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47. Wieder in Reykjavik. – Mein Bruder Fridrik. Erinnerungen an Manni.

Alle Hausgenossen waren jetzt im Bischofshaus wieder beisammen. Für mich und meinen jungen Reisegefährten fing nun ein neuer Zeitabschnitt an. Er dauerte gute drei Wochen, vom Ende Juni bis zum 22. Juli. Nachher zogen oder flogen wir mehrere Male durch das ganze Land, blieben einige Wochen in Nordisland, meiner engeren Heimat, und verließen schließlich die Insel von Reykjavik aus im Monat September.

Überall, wo wir waren, verlebten wir herrliche Tage. Die ganze Zeit hindurch wurden wir mit der liebenswürdigsten Aufmerksamkeit behandelt und sozusagen auf den Händen getragen, und das nicht nur von dem edlen Bischof Meulenberg, unserem Hausherrn, sondern auch von allen andern, mit denen wir in Berührung kamen.

Alles, was uns begegnet ist, kann ich nicht erzählen. Ich will mich darauf beschränken, die merkwürdigsten Züge und Erlebnisse aus diesem unserem langen isländischen Aufenthalt darzustellen.

 

Am zweiten Tage nach meiner Rückkehr ging ich, diesmal allein, in die Stadt hinunter, um einen kleinen Spaziergang zu machen.

Die Straßen waren noch voll von Menschen.

Ich kam auch an den Hafen und schaute auf das Meer hinaus. Eine Menge fremder Schiffe, große und kleine, Kriegsschiffe und Touristendampfer lagen noch immer da. Dazwischen bewegte sich eine Menge kleinerer Schiffe. Ich sah das dänische Kriegsschiff »Niels Juel«, auf dem der König und die Königin von Dänemark gekommen waren. Das war also das Königsschiff, wohin ich am folgenden Tage zum Feste des Königs an Bord gehen sollte.

Etwas weiter draußen lagen ein paar mächtige amerikanische Touristendampfer. Auf diesen waren die Isländer aus Kanada und den Vereinigten Staaten nach Island gefahren.

»Ob mein Bruder Fridrik wirklich mitgekommen ist, wie der Herr Bischof es vermutete?« dachte ich bei mir selbst. Ich habe schon erwähnt, daß ich ihn seit 1870 nicht mehr gesehen hatte. Ich nahm mir vor, bei der ersten Gelegenheit zu den amerikanischen Dampfern hinauszufahren, um nach meinem Bruder zu suchen. Doch das konnte ich erst nach dem Feste auf dem dänischen Königsschiff tun.

Wie ich so am Meeresufer stand, sah ich große Schaluppen von den amerikanischen Schiffen nach der Landungsstelle kommen. Sie waren alle voller Menschen. Vielleicht war Fridrik dabei … Ich blieb am Ufer stehen und sah die Amerikaner ans Land gehen.

»Wo wollen die wohl hin?« fragte ich einen Mann, der neben mir stand.

»Sie wollen in der Stadt Sight Seeing machen, wie die Amerikaner sich ausdrücken.«

»Sie meinen, daß sie sich in der Stadt umsehen wollen?«

»Ja, das meine ich.«

Ich schaute mir die Amerikaner eine Weile an.

Doch was hatte es für einen Wert, nach meinem Bruder zu schauen, da ich ihn ja nicht mehr kannte?

Ich verließ deshalb bald den Hafen und setzte meinen Spaziergang in den Straßen der Stadt fort.

Als ich die Hauptstraße erreicht hatte, kam mir eine Schar Amerikaner entgegen. Sie waren leicht an ihrer Tracht, ihren Manieren und an ihrer Sprache zu erkennen.

Als wir aneinander vorbeigehen wollten, bewegte sich ein älterer Herr von der Gruppe auf mich zu. Er grüßte höflich und blieb vor mir stehen. Ich grüßte wieder, wußte indes nicht, was ich ihm sagen sollte, da er mir gänzlich unbekannt war. Er aber schaute mich eine kleine Weile an und sagte dann auf einmal zu mir:

»Verzeihen Sie, mein Herr: Sind Sie nicht der Schriftsteller Jón Svensson?«

»Jawohl«, erwiderte ich.

»Und ich«, fuhr schmunzelnd der fremde Herr fort, »ich bin dein Bruder Fridrik.«

Man denke sich meine Überraschung und meine Freude. Ich brauche hier nicht hinzuzufügen, daß wir unsern Spaziergang gemeinsam fortsetzten, und daß wir in den wenigen Tagen, die wir in Reykjavik zusammenblieben, oft beisammen waren.

Seine Frau war mit ihm nach Island gekommen. Sie wohnte bei einer befreundeten Familie in der Stadt. Fridrik lud mich gleich zu einem festlichen Mittag in dieser Familie ein.

Auch besuchte er mich in Landakot. Wir erzählten uns gegenseitig unsere Lebensgeschichte.

Wir sprachen auch miteinander von unserem lieben kleinen Manni. Manni war eine Künstlernatur. Er hatte von ganz klein an ein sehr merkwürdiges Zeichentalent gehabt. Wenn er an unsere Mutter schrieb, die ja auch in Kanada wohnte, hatte er die Gewohnheit, seine Briefe mit Zeichnungen von den Dingen, über die er ihr berichtete, zu illustrieren. Viele der Zeichnungen waren erstaunlich gut gelungen. Nun hatte Fridrik eine kleine Sammlung davon mit nach Island gebracht. Er hatte sie dem Konservator des Nationalmuseums in Reykjavik gezeigt. Dieser war dermaßen von der Schönheit der Bilder aus der Hand eines kleinen Knaben, der nie in seinem Leben Unterricht im Zeichnen bekommen hatte, überrascht, daß er Fridrik bat, sie ihm für das Museum zu überlassen. Ich konnte meinem Bruder mitteilen, daß ich selber ebenfalls mehrere kleine Zeichnungen von Manni in meinem Besitz bewahrte.

Diese Begegnung mit Fridrik ist eine der größten Freuden, die mir während meiner ganzen Islandreise zuteil wurden.


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