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9. Drei Tage in London.

Viktor und ich begaben uns nun eiligst nach unserem Absteigequartier in Mount-Street, in nächster Nähe des berühmten Hydeparks.

Wir wurden daselbst von guten englischen Freunden herzlich empfangen und richteten uns dort für ein paar Tage ein.

Da ich schon öfters in London gewesen war und vieles dort gesehen hatte, und da ich außerdem einige private Sachen besorgen mußte, zog ich es vor, während unseres Aufenthalts in London zu Hause zu bleiben, statt Ausflüge durch die Stadt zu machen.

Anders aber verhielt es sich mit meinem jungen Freund. Er war natürlich sehr darauf gespannt, möglichst viel von der Riesenstadt zu sehen.

»Ich möchte am liebsten«, sagte er, »den ganzen Tag draußen sein und in der Stadt herumwandern und herumfahren.«

Da ich diesen Wunsch vernünftig und berechtigt fand, so entschloß ich mich sehr bald, auf das ruhige Zuhausebleiben zu verzichten und ihn selber durch die Stadt zu führen.

Auf einmal aber fand diese Frage unerwartet eine andere glückliche Lösung.

Kurz nach unserer Ankunft in Mount-Street, während ich in meinem Zimmer saß, wird plötzlich kräftig an die Türe geklopft.

Auf mein »Herein« stürmt ein jüngerer Herr ins Zimmer. Ein freundlicher Deutscher, den ich sofort erkannte, obwohl ich ihn seit vielen Jahren nicht mehr gesehen hatte.

Er hieß Bruno Bitter und war vor mehr als 20 Jahren unter meinen Schülern gewesen im dänischen St. Andreas-Gymnasium bei Kopenhagen, wo ich damals als Gymnasiallehrer tätig war.

»Aber, mein lieber Bruno!« rief ich nach der ersten herzlichen Begrüßung aus, »wie kommt es, daß wir uns hier treffen?«

»Und wie kommt es, daß mein lieber alter Lehrer plötzlich nach London gekommen ist?«

Wir setzten uns und gaben einander gegenseitig die notwendigen Aufschlüsse. Als Bruno hörte, wie es mit meinem jungen Reisebegleiter stand, bot er sich gleich mit der größten Freude an, ihn in seine Hut zu nehmen und während der zwei zur Verfügung stehenden Tage kreuz und quer durch ganz London herumzuführen.

Viktor, den ich auf der Stelle rufen ließ, befreundete sich sofort mit seinem Landsmann und nahm mit Begeisterung den Vorschlag an.

Dann flogen die beiden nur so durch die mächtige Weltstadt, und Viktor bekam so viel Großartiges und Schönes zu sehen, daß er am Abend kaum Zeit genug fand, um mir auch nur einen kleinen Teil vom Gesehenen und Erlebten zu erzählen.

Am dritten Tage mußten wir London wieder verlassen, um eilends Edinburg zu erreichen.

Beim Abschied baten uns unsere Freunde in Mount-Street dringend, auf der Rückreise von Island wieder nach London zu kommen und dann länger bei ihnen zu bleiben.

Mit großer Freude nahmen wir die edelmütige Einladung an, dankten herzlich für die so angenehme Gastfreundschaft und fuhren dann mit unserem deutschen Freund Bruno Bitter nach Kingscroß-Station.


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