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Achtzehntes Kapitel

Nur unter Aufbietung seiner ganzen Willenskraft war es Damian gelungen, nach den zermürbenden Vorgängen während seines Genesungsurlaubs, dem tragischen Ende der Mutter Sessis und den ihm unbegreiflichen Exaltationen, die er in diesen Wochen an seiner aus einem nächtelangen mänadischen Sinnestaumel zur nonnenhaften Büßerin verwandelten jungen Frau erleben mußte, jene äußere Haltung zu bewahren, in der er sich von den Seinigen verabschiedet hatte, um zum zweiten Male aus dem heimatlichen Frieden, der ihm zerstört worden war, hinaus in das Toben der Schlachten zu fahren, in das er sich hineinstürzen wollte, um sich von ihrem Dröhnen betäuben zu lassen. In dieser desparaten Verfassung seines Inneren meldete er sich in den folgenden Wochen und Monaten immer von neuem freiwillig zur Teilnahme an gewagten Erkundungen und Stoßtruppunternehmungen, aus denen er wie durch ein Wunder stets unversehrt in den Graben zurückkehrte, so daß er bald in den Ruf eines kugelsicheren Draufgängers kam. Noch während der letzten großen deutschen Offensive, die mit Frühlingsbeginn im Westen losbrach, wurde er für seinen mitreißenden, heldenhaften Einsatz unter Verleihung mit dem Eisernen Kreuz Erster Klasse zum Offizier befördert.

Anfänglich war dieses todesmutige Draufgängertum, das der im Grunde weichen und sensiblen Natur Damians durchaus nicht angeboren war, wohl mehr eine Art selbstmörderischer Reaktion auf die grausame Zerstörung seiner hochgespannten Erwartungen von der Erfüllung seines männlichen Daseins durch die Liebesmacht Sessis, wie er sie in jahrelangen Träumen in sich genährt hatte. Aber allmählich gewann er inmitten seiner Männer, die ihrem jungen Leutnant und von nun an Kompanieführer nicht nur wegen seines Wagemutes, sondern mehr noch wegen seiner unbedingten Gerechtigkeit und stets kameradschaftlichen Haltung mit wahrer Liebe anhingen, ein bisher noch nie erlebtes Gefühl selbstbewußter Sicherheit und zugleich Geborgenheit. Es trug ihn gleichsam über sich selbst empor, und schließlich verblaßten die zermürbenden Vorstellungen, von denen er in den ersten Wochen nach seiner Rückkehr an die Front unablässig gepeinigt wurde, mehr und mehr. Als er Sessis Brief mit der Nachricht von ihrer Schwangerschaft empfing, war dieser Prozeß seiner inneren Gesundung bereits so weit fortgeschritten, daß er darüber und vor dem selig-jubelnden Ton ihrer Zeilen in ein zwar noch zaghaftes, ihn aber doch schon beglückendes Hoffen geriet, ihre Sinnes- und Gemütsverwirrung sei eben nur eine Nervenattacke nach dem Tod der Mutter gewesen und würde sich durch ihre Mutterschaft vollends verlieren. Doch sei es, daß seine einstige, ihn ganz erfüllende Liebe zu Sessi durch die auf seine Hochzeit folgenden Ereignisse, ihm selbst unmerklich, Schaden genommen hatte, sei es, daß sich die soldatische Bewußtheit, zu der er in eben diesen kampfdurchtobten Wochen erwachte, stärker vor die Sphäre seiner persönlichen Lebenswelt schob, als es sonst der Fall gewesen wäre er empfand alles, was von Sessi und den Seinigen an ihn herangetragen wurde, nur wie am Rande seines eigentlichen Daseins, etwa gleich einem Menschen, der, am Steuer seines Wagens konzentriert auf die Straße vor sich blickend, nur im Unterbewußtsein weiß, daß er zugleich auch für andere zu sorgen hat, die mit ihm darin fahren.

Auch die Nachricht von der Geburt seines Kindes nahm Damian in dieser Weise auf, wohl freudig und dankbar bewegt, doch weder erschrocken über den Unfall Sessis und deren dadurch verursachte vorzeitige Entbindung, noch übermäßig besorgt um die Lebensfähigkeit des unausgetragenen Menschenwesens, höchstens ein wenig belustigt in dem Gedanken, daß es der Sohn darin dem Vater gleichtat. Nur mit der Marotte Sessis, den Knaben Gerhart taufen zu lassen, vermochte er sich nicht sogleich abzufinden. Aber durch seine Saumseligkeit, sich nicht schon zu Beginn von Sessis Schwangerschaft über den Namen geäußert zu haben, den er seinem Kinde hätte geben wollen, war Sessi in seinen Augen bald so gut wie entschuldigt. Wenn er es sich jetzt nachträglich überlegte, so hätte er sein Kind, wurde es ein Junge: Erdmann, wurde es ein Mädchen: Erdmuthe heißen wollen im Gedanken daran, daß sein Vater Jochen ihn mit dem Zunamen Erdmann taufen ließ, um damit jede Todesgefahr von ihm fernzuhalten.

*

Ende August wurde die Division, zu der Damians Regiment gehörte, völlig abgekämpft und ruhebedürftig, aus der Front herausgezogen und nach Auffüllung der dezimierten Mannschaftsbestände in einen der Abschnitte der lothringischen Front eingegliedert, die seit langem außerhalb der Brennpunkte der Zermürbungsschlachten lagen.

Kurz darauf erhielt Damian zu seiner Verwunderung und zunächst nicht besonders davon angetan, seine Abkommandierung vom Regiment zu einem Offizierskursus ins Hauptquartier der Armeegruppe des Generals von Mudra, zu der sie jetzt gehörten, und zwar nach St. Avold. Hier fand er eine größere Anzahl Offiziere aller Waffengattungen versammelt, die nach Ablauf des Kursus als sogenannte Unterrichtsoffiziere bei ihren Truppenteilen über die allgemeine Kriegslage im Sinne eines ehrenhaften Friedens wirken sollten, den man mit dem Wort »Hindenburgfriede« umschrieb. Diese Maßnahme hatte sich als notwendig herausgestellt, nachdem sich seit einem Jahr die Anzeichen einer Kriegsmüdigkeit bei der Truppe mehrten, zum nicht geringen Teil hervorgerufen durch die immer desolater werdenden Zustände in der Heimat, von denen beeindruckt die Urlauber wieder an die Front zurückkehrten.

Hier in St. Avold erst erfuhr Damian, der sich seit seiner Rückkehr an die Front als völlig unpolitischer Grabenkämpfer weder um Zeitungen noch um sonstige Nachrichten aus der Heimat gekümmert hatte, aus den dargebotenen Vorträgen von der gärenden Unzufriedenheit weiter Schichten in der Heimat, von der großen Streikbewegung, die Ende Januar von Berlin aus durch das Reich gegangen war und zum Teil nur durch Verhängung des Belagerungszustandes erstickt werden konnte, sowie von dem Kampf der Mehrheitsparteien im Reichstage um die Änderung des bisherigen Wahlrechts und die Einführung des sogenannten parlamentarischen Regierungssystems – Forderungen, unter denen sich, fadenscheinig verhüllt, bereits revolutionäre Wünsche und Absichten ankündigten.

Damian nahm diese Eröffnungen mit den widersprechendsten Empfindungen in sich auf. Aufs heftigste verurteilte er die Versuche der Arbeiterschaft, durch Streiks mitten im schwersten Ringen an der Front gegen irgendwelche, möglicherweise sogar vorhandene politische, Lohn- oder Ernährungsmißstände zu demonstrieren und dadurch das Durchhalten an den Fronten zu gefährden. Andererseits konnte er sich der Berechtigung der Wünsche des Volkes zur Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts mit dem Ziele der Beseitigung des Klassenstaates auf dem Wege einer gerechten und verantwortlichen Mitbeteiligung seiner gewählten Volksvertreter an der Regierung nicht entziehen.

In diesen Widerstreit verstrickt, schien er aus dem am übernächsten Tag endenden Kursus wieder zur Front zurückkehren zu müssen, als ihm der letzte Tag noch eine gänzlich unerwartete Gelegenheit zur Klärung seiner durcheinandergeratenen inneren Situation bescherte. Vor Beginn des Schlußvortrages stellte General von Mudra seinen Offizieren zur größten Überraschung Damians einen älteren Herrn in Zivil vor, der im Auftrage der Obersten Heeresleitung zu ihnen sprechen werde. Es war Professor Methner, sein verehrter Lehrer, der erst nach dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten zusammen mit dem diplomatischen Personal der Mittelmächte in die Heimat zurückgekehrt war und sich seit Monaten in den Dienst der Heeresverwaltung gestellt hatte, um an den Fronten wie in der Heimat vor Offizieren und Mannschaften in aufklärenden Vorträgen von seinen amerikanischen Eindrücken und Einsichten sowie über allgemeine Kriegsfragen zu sprechen. Mit derselben zündenden Beredsamkeit, mit der dieser idealistische deutsche Gelehrte sonst von seinem Katheder herab den Studenten antike und deutsche Philosophie oder deutsche Geistesgeschichte vermittelte, sprach Professor Methner jetzt vor seiner feldgrauen Hörerschaft, die bald völlig im Bann seiner einstündigen Rede stand. Der Professor sprach vor diesem Gremium nur kurz über seine amerikanischen Eindrücke, ging vielmehr bald mit größtem Freimut auf die angespannte und prekäre Situation im Inneren über, wie sie sich eben jetzt zu Beginn des fünften Kriegsjahres, unter der Auswirkung der Hungerblockade, der wachsenden Kriegsmüdigkeit, den Streiks und der auch von der Reichsregierung erkannten Notwendigkeit zur Umgestaltung der bisherigen Formen des deutschen staatlichen Lebens, zu der sie sich durch den vorjährigen kaiserlichen Ostererlaß bekannt habe, für jeden patriotischen und unparteiischen Deutschen von einer höheren Warte aus darstellen mußte. Aus einem nach wie vor unerschütterten Glauben an den deutschen Sieg wandte er sich mit allem Nachdruck gegen alle jene Kleinmütigen, die daran zu zweifeln begonnen hätten und blind für den abgründigen Haß der Feinde und ihre laut genug verkündeten Eroberungsziele, die einer Zerstückelung Deutschlands gleichkämen, einem Verständigungsfrieden das Wort redeten. Wörtlich fuhr er mit erhobener Stimme fort:

»Wer verzweifelt, hat nur noch einen einzigen rettenden Ausweg: den Tod durch Selbstvernichtung. Die Ungerechtigkeit mag gegenwärtig in der Welt herrschen, regiert wird sie doch von der Gerechtigkeit. In jedem Sturm scheinen sogar die Sterne des Himmels zu schwanken, zu flackern, als ob sie am Auslöschen wären, so fest sie auch auf der alten Stelle in Bahnen verharren, die wir ewig nennen. Die Magnetnadel zittert immer, immer weicht sie nach unten und nach den Seiten ab, und trotzdem, ja gerade deswegen zeigt sie unverrückbar nach Norden und Süden.

Wahrheit und Wahrhaftigkeit ist der Gipfel des Menschseins. Gerechtigkeit ist ihre Anwendung auf die Lebensverhältnisse, und wie alle individuellen Naturen in einer Stufenleiter geordnet stehen nach dem Grade der Reinheit, in der diese Elemente sich finden, so muß sich das auch bei Völkern verhalten, der Summe von Einzelwesen. Allerdings im Lichte ewiger Augen, die durch keine Scheinheiligkeit über den wahren Wert betrogen werden können und darüber wachen, daß Lüge, Gemeinheit und Bosheit jedes Dasein zerstören, für das sie tätig sind.

Denn im Reich des Sittlichen, im Reich des Menschen- und Völkerschicksals walten dieselben Gesetze wie im Kosmos der Natur, von denen diese nur Symbole jener sind.

Wir können wohl einen Stein für einen Augenblick in die Luft werfen, aber kein noch so wilder Wurf vermag ihn in der Höhe festzunageln. Es bleibt doch wahr, daß alle Steine zur Erde fallen. Und wie viele Beispiele von unbestrafter Lüge, der Rache entgangenen Diebstahls, von Raub und Betrug auch aufgezählt werden mögen: sie sind, wenn wir unbeirrten Auges die Hüllen von dem inneren Zustande solcher scheinbar Entwischten abstreifen, doch nur Lüge, Diebstahl und Raub an der unumstößlichen Wahrheit der immanenten Gerechtigkeit, die das Weltall der Natur nicht nur, sondern ebenso das Weltall der Menschheit regiert.

Und diese Gerechtigkeit wird, darauf vertraue ich blind, den Geist der Völker für die Wahrheit umgestalten, nachdem er sich hat von der Lüge betäuben lassen, Deutschland sei der allein Schuldige am Weltkrieg und habe darum die Pflicht, allein die Wiedergutmachung aller verursachten Schäden zu tragen.

Die Gerechtigkeit und Wahrheit, ich wiederhole es, sind in der Welt des Menschen allmächtig wie die Naturgesetze des Kosmos. Daran sollen und müssen wir Deutschen glauben; nach diesen Sternen müssen wir unser Vertrauen richten; auf diesen außerzeitlichen Boden müssen wir treten, um die Ruhe, Klarheit und unerschütterliche Festigkeit zu gewinnen, die nötig ist, um diese schwere Zeit sowohl militärisch wie moralisch siegreich zu bestehen. Es gilt in dieser zweifellos gefahrvollen Stunde nur eines: Durchhalten! Geben wir uns in dieser Stunde auf, so waren alle Leiden, alle Opfer verloren. Halten wir aber nur noch diese Stunde aus, so werden uns alle künftigen Geschlechter der Deutschen segnen. Es gilt mit einem Wort: eine letzte moralische Offensive gegen das Gift der Zersetzung in der deutschen Kriegsseele. Diese Offensive aber darf, um wirksam zu sein, nicht allein mit geistigen, sondern muß ebensosehr mit den Waffen der Zucht, in der Rüstung eines wahrhaft sozialen Ethos geführt werden.

Der vergiftende Bruderkampf der Stände muß aufhören, der Gedanke an die Alleinherrschaft einer Volksschicht über die andere muß als Verbrechen an der Gesamtheit eingesehen werden. Das deutsche Volk darf künftig weder mehr dem Feudalismus der Landmagnaten noch einem anderen Feudalismus zum Opfer fallen, weder dem Feudalismus des Großkapitals noch der Großindustrie, noch der Ochlokratie, der Herrschaft der Arbeiter. Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit sollen die Götter jeder Brust und jedes Hauses, Pflichttreue muß der Wertmesser aller Arbeit sein. Denn weder der Achtstundentag noch der Kapitalismus sind eine Ungerechtigkeit an sich, nur ihr Mißbrauch macht sie dazu, dort die Trägheit und hier die betrügerische Profitgier.

Mit diesem Rüstzeug versehen, werden wir die innere Zwietracht besiegen und die Gesundung unseres sozialen und wirtschaftlichen Lebens herbeiführen, dessen Not von außen her auf der mörderischen, verblendeten Politik der Feinde, im Inneren auf dem ebenso verblendeten Zustand unserer Moral beruht. Erzwingen wir hier einen radikalen Umschwung zum Besseren, so werden wir auch nach außen hin unser Ansehen wiedergewinnen.

Jeder einzelne ruhe nicht eher, bis er ein Held dieser sittlichen Ideen geworden ist, von denen ich eben gesprochen habe. Dann erst ist das neue Deutschland geboren. Das beginnt also nicht in den Faktoreien des Handels, in den Schreib- und Rechenstuben der Banken, in den Industriekontoren, den Gruben und Hütten, und nicht mehr in den Waffenlagern der Gewalt: sondern in der Brust jedes einzelnen, dort nur wird das neue Deutschland geboren, durch eine sittliche Wiedergeburt, und dort auch würde es sterben durch sittlichen Verfall.

Nicht das Schwert der Feinde gräbt Völkern das Grab und zertrümmert Reiche, die Völker selbst zerstören ihre Staaten und scharren sich ein.

Ob uns das Schicksal Maß genommen hat zu einem neuen Krönungskleide oder zu einem Sarg, kommt auf niemand als uns selber an.

So wie wir die Glocke der Stunde läuten, genau so wird die Zukunft klingen. Die Glocke des Schicksals aber wird von dem Herzen und Geiste des Menschen geläutet, und was der Herzschlag hineinzuckt, das dröhnt ehern das Schicksal wider.

Läutet ihr Lieblosigkeit, so klingt euch Haß aus der Welt der Menschen wider, für Habsucht, Feindschaft und Betrug, Verachtung für Würdelosigkeit; aber auch Vertrauen um Treue, Aufopferung und Hingabe um Güte. Ihr könnt Gott betrügen, er wehrt sich nicht, er wird nur töten, wenn euer Maß voll ist. Denn Ursache und Wirkung sind die Kanzler seiner ewigen Macht: unbestechlich, allgegenwärtig, zeitlos.

Seit Jahren predigt uns das so gut der Kirchhof als die Kanzel. Und wenn die Alten mit dem Glauben recht hatten, daß der Aufenthalt unter Zypressen heile und stärke, so haben wir diese Kur leicht. Gehen wir nur im Geiste auf die schon Millionen Gräber unserer Gefallenen, so kommen wir zur rechten Kraft, zum großen, reinen Willen, zur wahren Gesinnung. Sie setzten ihr Leben für das Deutschland ein, wie Sie, meine Zuhörer, es noch jetzt jederzeit einzusetzen bereit sind. Diese Gefallenen aber werden die leuchtenden Grundsteine des neuen, schon heraufdämmernden siegreichen Deutschland sein.

Sie starben für die Freiheit, so seid frei von jeder Niedertracht des Geistes und des Herzens; sie fielen für die Macht des Reiches, wohlan, werdet mächtig im guten reinen Willen; sie vergossen ihr Blut für die Größe Deutschlands, so erhebt euch zur menschlichen Größe. Wartet nicht immer auf den Staat! Ihr selbst seid der Staat! Ihr seid seine Ursache, er ist nur eure Wirkung.

Jeder einzelne von Ihnen gehe darum hin und wirke in seinem Kreise gegen jeden Streit zwischen Deutschen und Deutschen. Wer sich in dieser Stunde diesem Auftrag entzieht, erniedrigt und zertrümmert mit seinem Leben zugleich das Leben des Deutschen Reiches, reißt die Gräber unserer Helden auf und besudelt ihre zerfetzten Gebeine.

Dieses Ringen um das wahre Deutschtum ist gleichbedeutend mit hohem Menschentum. So kämpft! Entzündet die Fanale unserer hohen Kultur, und wo die Feuer verschüttet sind, grabt sie auf! Je weniger von oben reglementiert und regiert wird, desto besser. Aber aus dem Himmel unserer großen Vergangenheit beschwört die unabsehbare Reihe großer Geister: die Angelus Silesius und Eichendorff, die Dichterfürsten von Weimar, den Weisen von Königsberg! Beschwört sie in euch hinein, beschwört sie in ein neues Leben!

Und sollte die Not aufs höchste steigen, dann wißt auch, daß ihr ebenso dem Volke der Gneisenau, Scharnhorst, York von Tauroggen und Blücher von Leipzig angehört, für das Gott auch Eisen wachsen ließ.

Es komme wie es wolle: Nie, nie dürfen wir kapitulieren, nie, solange sich noch ein Arm bewegt und noch ein deutsches Herz schlägt!«

Hingerissen lauschte Damian diesem glühenden Aufruf der Geister und Herzen. Wie drängte es ihn, Professor Methner gegenüberzutreten und ihm zu danken, sich gar vielleicht mit ihm allein noch über manchen Punkt aussprechen zu können. Leider bot sich dazu keine Gelegenheit mehr, denn gleich nach Beendigung des Vortrags verabschiedete der General die Kursusteilnehmer und nahm den Professor nebst den Herren seines engsten Stabes im Kraftwagen mit sich ins Hauptquartier zur Mittagstafel.

Da Damian von der Ansprache des Professors innerlich viel zu aufgewühlt war, als daß ihm der Sinn danach stand, jetzt noch lange in der Gesellschaft der Kameraden von den verschiedenen Regimentern zu verweilen und zu debattieren, mit denen er bald darauf im großen Offizierskasino zum letzten Male ebenfalls beim Essen zusammensaß, brach er kurz entschlossen vorzeitig auf und machte sich auf die Rückfahrt zu seinem Regiment. Unterwegs überdachte er noch einmal alles, was in diesen zehn Kursustagen zur Sprache gekommen war, und ihn beschließen trotz ihres erhebenden Ausklangs düstere Ahnungen von einer wie durch einen geborstenen Damm auf ihn und jeden einzelnen Deutschen unabwendbar heranstürmenden Flutwelle, die alles mit Vernichtung bedrohte, wenn sich nicht genug beherzte Männer finden würden, sich ihr entgegenzuwerfen, um das Schlimmste zu verhüten.


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