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Elftes Kapitel

So floß die Zeit hin, und wie Christine immer schwerer wurde, konnte sie den Dienst in der Lederausschnittstube nicht mehr versehen, entzog sich der Verbindung mit der Außenwelt immer mehr, saß in bänglicher Einsamkeit viel in der Schlafstube und lebte erst auf, wenn Agnete, Neefes Frau, heimlich zu ihr hineinschlüpfte. Eigentlich waren die beiden merkwürdigerweise gerade durch die Kluft zusammengeführt worden, die ihre Männer weiter und weiter auseinander brachte: Ihre ganz verschiedene Wesenheit band sie immer freundschaftlicher zusammen, und weil sie wahrscheinlich in der gleichen Nacht empfangen hatten, waren sie durch das Glück, das sie erwarteten, und die Not, der sie entgegengingen, in engste, fast geschwisterliche Nähe gerückt worden. Jochen Maechler war machtlos gegen die Gemütsverdunkelungen, von denen sein Christel dann und wann befallen wurde, keine Zärtlichkeit, keine Liebe, keine ausgeklügelte Überraschung vermochte die Schatten zu vertreiben, durch die sie von Zeit zu Zeit eingemauert wurde, höchstens, daß sie mit einem müden, seligen Lächeln dankte, indes ihr die Augen voll Tränen liefen.

Deswegen atmete der Gerber jedesmal erleichtert auf, wenn er die Haspe des Gartenpförtchens leise gehen hörte und an den schüchternen, langen Schritten über den Flur hin die Ankunft Agnetes erkannte, für die er vom ersten Augenblick eine lebhafte Sympathie empfand. Aus natürlichem Takt hielt er sich freilich sehr zurück, um sie ihrem scheelsüchtig-feindlichen Mann gegenüber nicht in einen Gewissenskonflikt zu bringen. Denn er hatte wohl beobachtet, daß sie in aller Heimlichkeit das Haus auf der Feldgasse aufsuchte. Nie kam sie von der breiten Rehberger Straße her, sondern auf Schrimsteigen und kleinen Gartengäßlein betrat sie von hinten das Grundstück der Glaeserschen Gärtnerei und verließ es, immer mit einem Blumenstrauß in der Hand, durch das vordere schmiedeeiserne Tor, um schnell die paar Schritte hin ungesehen durch das Maechlersche Pförtchen zu schlüpfen. Sobald sich die Schlafstubentür zu Christine, von Agnetes Hand achtsam bewegt, öffnete, klangen die Stimmen der Frauen beglückt ineinander. Aber bald wurde das Gespräch der beiden leiser und leiser, ja sank bis zum Flüstern herab, wie etwa nahe Sträucher ihr Laub ineinandertuscheln. Dann machte Jochen sich davon und schüttelte den Kopf, was für seltsam wunderliche Geschöpfe doch Frauen seien, vor allem, wenn sie auf ihre Stunde zugingen. Allein, so ist es eben, die Männer, die im tiefsten von einem anderen Stern als die Frauen stammen, vermögen das Wesen des verliebten Geschlechts nicht zu begreifen, vor allem in der krisenhaftesten Zeit ihres Daseins nicht, wo sie in zwei Leben gespalten, in Liebe und Sorge mehr von jenem anderen regiert werden, das sich in ihnen bildet, als von ihrem eigenen. Christine und Agnete tauschten die Beobachtungen über den Wechsel ihrer Zustände aus, berieten sich über die Vorbereitungen zur Niederkunft und versanken dann im Ahnen jenes unausdenkbaren Glückes, das ihnen nach der Überwindung der Finsternis in den Armen liegen werde. Dann kam es vor, daß das Kind in Agnetes Leib, auch den Augen Christines bemerkbar, zu hüpfen begann und die eigene Mutter in verhaltenem Schmerz und doch auch seligem Lächeln das Ungebärdige beruhigen mußte. Dabei stieg in Frau Maechler jedesmal ein geheimer Neid auf, denn ihr Kind lag still in seinem Gefängnis, und wenn es sich rührte, waren seine Bewegungen schwach und sanft, ja wie machtlos, daß die arme Christine an seiner Lebensfähigkeit zweifelte und in eine Bangnis versank, aus der sie keinen Ausweg wußte. Auf diese Weise wurden die beiden werdenden Menschen schon vor ihrer Geburt durch die Mütter verbunden, und das Merkwürdige dabei war, daß Agnete, die früher Schüchterne und Gedrückte, die verzagte Freundin nun mit ihrer sicheren Hoffnung aufrichtete, wie die sonst so fade, unschöne Eckige in Fülle aufgeblüht war, manchmal sogar in Glanz und Strahlen. Dieses Wunder des Wandels, der mit Agnete vorgegangen war, konnte Christine durchaus nicht fassen, weil sie aus ihren beiläufigen Bemerkungen und schonenden Worten wußte, daß der krumm geschlagene Inspektor sie noch mehr als in gesunden Tagen unterjochte, an ihr herumnörgelte und ihr sogar die Hilfe aus dem hinterlassenen Vermögen des Pfarrers Kelvel als ausgeklügelte Entrechtung seiner Person hämisch vorwarf. Alles das aber ertrug Agnete in ihrem felsenfesten Gottesglauben mit fast heiterer Geduld und bat sich aus dem mitgebrachten Strauß jedesmal einige Blumen für ihren Mann aus, der, von Natur beladen und von dem Unfall geschlagen, ein wohl bemitleidenswerter, aber im tiefsten Grunde lieber Mensch sei. Allein auf ihrem heimlichen Nachhauseweg verfärbte sich ihr Gesicht doch in Trauer, vor allem wenn sie, etwa beim Durchschreiten des Vorgärtchens, zufällig den friedevoll sicheren, gütigen Meister Maechler traf, der das schlau so eingerichtet hatte, und sich an seiner herzlichen Liebenswürdigkeit erfreute. Dann fielen sogar einige Tränen in die Blumen, die sie ihrem Alexander mitbrachte, während sie geneigten Kopfes in ihr Haus zurückkehrte.

Die Besuche Agnetes wurden indes seltener und hörten endlich ganz auf, weil die beiden Frauen Fruchtbäume waren, an denen der Herbstwind immer stärker zu rütteln begann und man keine Stunde sicher war, daß der Sturm losbrach. Die Wehmutter Christines war bestimmt, und Jochen machte mit der Uhr in der Hand zweimal zur Probe den Weg auf die Zackenau, wo sie wohnte, um im Ernstfalle keinen Augenblick zu verlieren. Kurzbeinig und langschrittig eilte der Meister im Schutz der Dunkelheit vor die Haustür der weisen Frau und trieb seine Vorsorge so weit, sogar die drei Stufen hinaufzusteigen und den Zeigefinger auf den elektrischen Klingelknopf zu legen. Dies alles tat er mit einer unbestimmten Bedrängnis in der Brust, aber auch mit einem Gefühl beginnenden Aufatmens, am Ende der wochenlangen, drohenden Unsicherheit angelangt zu sein. Denn die letzte Unstimmigkeit mit Christine war, wenn auch nicht nach seinem Willen, aber doch Gott sei Dank überwunden. Der Taufname des Jungen, ein solcher war es nach der Überzeugung beider selbstverständlich, stand fest. Er, Jochen, hätte ihn für sein Leben gern Dietrich geheißen. Christine bestand auf dem Namen Damian. Im zweiten Ehejahr, also noch zu Lebzeiten des alten Nathanael, war sie nämlich in andere Umstände gekommen und hatte auf den Rat ihres verehrten Schwiegervaters für den zu erwartenden Stammhalter den Namen Damian schön gefunden. Aus Liebe zu dem Verstorbenen faßte sie diese Wahl als ein Versprechen auf, dem sie über das Grab hinaus die Treue halten mußte. Damals hatte sie ein Übergang um die Erfüllung und nach dem Urteil des Arztes sogar wahrscheinlich überhaupt um die Aussicht auf Mutterschaft gebracht. Und Jochen, der sich dagegen wehrte, den Erwarteten in die Wesensnähe seines glücklosen Vaters zu bringen, bemühte sich vergeblich, Christine davon zu überzeugen, daß es gefährlich sei, dem Kinde den Namen jenes Wesens zu geben, von dem das Schicksal durch seinen vorgeburtlichen Tod zu erkennen gegeben habe, es nicht im Leben zu dulden. Der wohlbegründete Einspruch nützte dem Gerber nichts. Er belud die arme Mutter nur mit neuen Ängsten. Sie brach endlich in ein schreiendes Weinen aus und schwor, lieber auf der Stelle zu sterben, als von dem Namen zu lassen, der ihrem Söhnchen von dem Verewigten, also gleichsam vom Himmel selbst, zugedacht sei. Darum gab ihr Mann endlich nach, beruhigte sie auf das liebreichste und schmeichelte ihr noch die Einwilligung ab, dem Ankömmling außerdem den Namen Erdmann zu geben und damit jede Todesgefahr von ihm fernzuhalten.

Dann ging er aus der Stube. Als er aber drüben in der Werkstatt angekommen war, ergriff er ein zweihändiges Schermesser, hieb es wild in den Schabbaum und schwor hoch und heilig, den Jungen heimlich doch Dietrich zu heißen, weil er aus ihm einen Menschen zu machen gedachte, dem es gelinge, alle Schlösser zum Glück dieser Erde zu öffnen.

Während auf diese Weise im Maechlerhause um das Wohl des Nachkommen gekämpft wurde, noch ehe er geboren war, mühte sich der Inspektor Neefe um das gleiche Ziel; aber der Unterwendige, Schleichfüßige tat das auf seine besondere Manier, von der er natürlich niemandem auch nur mit dem leisesten Zungenwetzen etwas zu kosten gab, da er es sich in den Kopf gesetzt hatte, den Grafen Schilling selbst als Paten für seinen heranrückenden Sohn zu gewinnen. Also speichelte und schleimte er sich auf den ausgeklügelten Wegen an den alten Grafen heran und hatte es endlich so weit gebracht, daß der milde Schloßherr bekümmert äußerte, dem armen, vom Mißgeschick verfolgten Neefe könne wohl nur auf christlich-seelische Weise wieder in das alte rührige Lebensvertrauen geholfen werden. Als der Inspektor so alles ins Lot geschoben hatte, kam es einzig und allein auf seine Frau Agnete an, daß sie ihrerseits fest bei der Stange bleibe und es sich nicht in heimlicher Widersetzlichkeit etwa in den Kopf setze, ein Mädchen zu gebären; denn in solch unsinnige Verranntheiten geraten nicht nur dumme, sondern sogar weltsichtige, zynische Männer, wenn sie durch eine instinktive Leidenschaft, wie Neefe von seinem Haß, blind gemacht werden.

In einer stürmischen Neumondnacht der letzten Augusttage, in der das Riesengebirge bis ins Tal herunter von Wolken zugemauert war und ein Regen auf die Bäume peitschte, als wolle er die Erde ersäufen, klingelte es ängstlich bei der alten Wehmutter auf der Zackenau, die angezogen auf dem Lehnstuhl eingeschlummert war, und als sie eilig mit ihrer Tasche an der Tür erschien, stand der massige Gerber da, keuchte ohne zu grüßen: »Schnell, Frau Mirander, sofort auf der Stelle! Meine Christine stirbt sonst!« und lief im nächsten Augenblick schon wieder zurück, daß das Pfützenwasser nur so um ihn klatschte. Während die Alte sorgsam die Haustür verschloß, lächelte sie hinter dem Davonstiebenden her.

»Jaja, die Männer! Erst können sie nicht genug kriegen, dann kocht ihnen die Angst die Hosen voll. Alte Geschichte!« knurrte sie und steuerte vorsichtig um die Lachen dem Gerber nach.

Aber es war wirklich höchste Zeit und schlimm dazu. Christine lag blaß, wie entseelt, und stieß dann wieder einen schrillen, messerscharfen Schrei aus. Der Mann aber stand steif da wie ein erfrorener Baum, mit Augen wie starre Steine. Die Wehmutter wies ihn barsch aus der Stube und hieß ihn draußen warten, bis sie ihn rufe. Jochen Maechler stand lange regungslos mitten im finsteren Hausflur. Als ihm die Beine vor Müdigkeit einzuknicken drohten, setzte er sich auf die unterste Treppenstufe. Jedesmal, wenn die Kreißende aufschrie, packte Jochen voll Wut das Treppengeländer und rüttelte es wild zum Zerbrechen. So ging es stundenlang.

Endlich, der Morgen brach schon mit unwirscher Helle durchs Fenster, stand Frau Mirander unvermutet vor dem Zusammengesunkenen, nahm seine Hand und sagte leise: »Na, nu können Sie 'reinkommen, Meister. Es ist zwar ein Junge; aber viel ist nicht dran.«

Christine lag wie tot und schlief mit unhörbarem Atem. Das Knäblein, ein kümmerliches Bündel, lag in Watte verpackt im erwärmten Ofenrohr. Als die Wehmutter es herausnahm, war es sterbensblau. Deswegen gab ihm die Hebamme, in Übereinstimmung mit dem Vater, die Nottaufe und nannte ihn nach Jochens Weisung: Damian Erdmann.

Einige Tage nachher wurde auch Agnete unter das Deckbett getrieben. Ein Wirbel beutelte sie; aber noch unter dem Schmerzensgriff der Wehen verschwand nicht ganz die selige Verklärung aus ihrem Gesicht. Noch ehe die Hebamme recht zugreifen konnte, feuerte es das Neugeborene wie mit einem Schuß aus dem mütterlichen Schoß, daß die Hände der verblüfften Wehhelferin zurückgestoßen wurden. Ein kräftiger Junge saß im nächsten Augenblick stracks und aufrecht auf dem Laken, blinzelte mißtrauisch und schnobernd in die Welt und brach dann in ein Zäken aus, das wie ärgerliche Enttäuschung klang.

Neefe schlug sich lachend auf die Oberschenkel. Denn diesen beispiellosen Triumph über Maechler hatte er sich, auch im Traume nicht einfallen lassen. Bei ihm ein solch sieghafter Einmarsch! Im Gerberhaus so ein Menschenbröcklein, das gleichsam auf dem Leichenbrett in die Welt geschoben worden war! Schon am nächsten Tage zeigte er die Geburt eines gesunden, kräftigen Knaben im »Wilkauer Kurier« an und schickte die Nummer der Zeitung an den Gerbermeister Joachim Maechler auf der Feldgasse.

Und wenn auch nicht alles nach Neefes Willen ging, da seine kühnste Erwartung, die gräfliche Patenschaft sich nicht erfüllte, weil der Schloßherr zur Rebhühnerjagd auf seine österreichischen Güter verreist war, ganz gnadenleer ging der Inspektor auch in dieser Hinsicht nicht aus, denn acht Tage darauf erhielt er vom Kameralamt zweihundert Mark ausgezahlt. So kam sich Neefe wenigstens im Vestibül des Schlosses angesiedelt vor und war entschlossen, daraus für die Zukunft seines Söhnchens, das er auf den Namen Reinhard taufen ließ, allerhand Erfreuliches zu erlangen.

Jochen Maechler aber ging lange in einem Zustand halber Niedergeschlagenheit und furchtsam-bedrückter Freude umher, und auch Christine konnte sich der Tränen nicht enthalten, wenn sie mit ihrem zerbrechlichen Knäblein allein war. In Gegenwart ihres Mannes jedoch würgte sie jeden Gram hinunter, und als sie erst einmal von dem Kinde aus seinen großen, blauen Augen tief und klar, noch wie himmelsichtig, angeschaut worden war, entschwand alle Furcht aus ihr. Die unergründliche Mutterseligkeit schlug ganz über ihr zusammen, und sie fand in ihre alte Tapferkeit zurück. Nach diesem Umschwung fing auch das lebenszaghafte Damianlein an zu gedeihen, weil es aus der Brust seiner Mutter nicht mehr Gram und Angst, sondern freudige Zuversicht und Hoffnung zu trinken bekam. Als Mutter und Kind so in immer zunehmenderen Schimmer gerückt wurden, bekam auch Jochen seinen alten Lebensplan wieder fest in die Hand und ergriff beherzter als je die Zügel des Geschäftes, die er wochenlang in halber Benommenheit hatte am Boden schleifen lassen. Denn da es offensichtlich mit seinem lieben Damian länger dauern würde, bis er in selbständiger Kraft sich dem Leben stellen konnte, mußte er als Vater ihm den Lebensgrund noch fester und breiter bauen. Darum bemühte sich Jochen, den Kreis seiner Kunden noch weiter zu ziehen, grub noch zwei neue Tonnenungetüme neben die alten, stellte abermals einen Gehilfen ein und war hinter seinem Rechnen noch schärfer und umsichtiger her. Nie legte er seine Ersparnisse auf Zinsen an. Nie vertraute er einer Bank auch nur einen Pfennig an, entging so der Steuer und schien nie flüssiges Vermögen zu besitzen, obwohl im Gerberhaus das Leben gemächlich, wenn auch nicht prahlerisch hinlief. Aber seitdem Maechler durch die Notgeburt Damians einen solch schweren Stoß erhalten hatte, war das Lebensmißtrauen des Meisters doch etwas gemildert worden, daß er sich anfangs spärlich und zögernd, später öfter der Not der Mitmenschen annahm und diesem und jenem mit einem Sümmchen unter die Arme griff. Allein, auch auf diesem Wege ging der Gerber merkwürdig, ja richtig unbegreiflich vor.

War er nämlich nach genauem Überlegen innerlich unabweislich genötigt, jemand eine Summe Geldes zu borgen, so geschah das ohne Schuldschein und Zinsen, nur auf Handschlag für eine ausgemachte Zeit. Für sich schrieb Jochen den Betrag in seinen Büchern auf das Verlustkonto. Zahlte der Schuldner die Summe zurück, so strich der merkwürdige Mann den Betrag in der Verlustreihe und verzeichnete ihn buchmäßig als Eingang eines Geschenks. Auf diese komische Weise, deren Sinn nicht einmal Jochen selbst durchschaute, kam er mit der Zeit in den Ruf einem weisen Menschenfreundes, der, nur stiller und unauffälliger, die Bahn verfolgte, auf der einst sein Vater in den Jahren des Glanzes durchs Leben gegangen war. Denn nie ereignete es sich, daß ein Redlicher, der aus unverschuldeter Not seine Hilfe anrief, unerhört wieder nach der Türklinke greifen mußte. Aber auch kein gerissener Hallodri brachte es vor Maechlers unbestechlichen, ein wenig überglasten Augensternen fertig, mit Erfolg das bedauernswerte Opfer hinterhältiger Schicksalstücke oder der Gemeinheit böser Nebenmenschen zu spielen. Mit solchen Geldsuchern machte der Gerber höflichen, aber kurzen Prozeß, mochten sie immerhin beim Davongehen dann wütend über das Gartenpförtchen zurückspucken.

So konnte es nicht ausbleiben, daß man sich erst von ungefähr an Jochen Maechler heranfühlte, ob er nicht in den Gemeindevorstand eintreten wolle und, weil er nur lächelnd an solcherlei ungelegten Eiern vorbeiging, dann in sozusagen amtlicher Aufmachung ihm einen Schöffensitz antrug. Da schüttelte er energisch diese ihm zugedachte Würde ab.

»Was soll ich mich mit ander Leut's Lasten beladen«, fragte er, »da ich an meinen eigenen schwer genug zu tragen habe? Wenn jeder den Platz vor seinem Hause rein hält, wird die ganze Straße sauber sein. Und kutschiert jeder seinen Wagen besonnen und umsichtig, kommt es nie zu Zusammenstößen oder Unglücken. Ich hab' es nie fertiggebracht, andere zu kratzen, wenn es mich selber juckte.« Ohne Geltungssucht und Ehrgeiz, weder nach rechts noch nach links hörend oder gar eifernd, verfolgte er den Weg seiner Überzeugung, pflegte seinen eigenen Nutzen und bemühte sich, niemand zu schaden.

Darum gedieh sein Leben wie ein gut gehaltener Baum, der genug Goldfrüchte abwarf, daß an dem Strick in der Schlitzkammer die Reihe der gefüllten Strümpfe stetig wuchs.

Im Frühjahr begegneten sich Christine und Agnete öfters mit den Kinderwagen und merkten gegenseitig an dem warmen Strom, der aus ihrem Herzen aufstieg, daß das Seil freundschaftlicher Verbundenheit keinen Schaden erlitten hatte, obwohl sie sich lange Monate nicht nahegekommen waren. Sie zeigten sich ihre Knaben, lobten ihre Schönheit und ihr Gedeihen und gerieten immer wieder in einen lieblichen Streit, weil jede an dem anderen Kinde Vorzüge entdeckte, die dem eigenen fehlten. Ja, die mütterlich gütigen Frauenherzen hielten sogar nach dem Auseinandergehen an ihrer Meinung fest, Agnete, daß der zarte Damian schönere, seelentiefere Augen habe, und Christine, daß Reinhard ein wilderer, festerer Kerl, mit einem Wort, ein rechter Junge sei. Neefes Frau war bald wieder ein stets gern gesehener Besuch im Gerberhaus, und mit den Jahren wurden auch die beiden verschiedenartigen Knaben Gespielen.

Jochen Maechler und Neefe, die beiden Männer, blieben getrennt, wie durch einen luftleeren Raum voneinander geschieden.

Der Inspektor ritt mit Gewinn und Nutzen weiter seine schlau ergatterten Geschäfts- und Ehrenamtspferdchen. Der Gerber bereicherte sich an den Geschenken, die ihm Hilfsbereitschaft und Wohltun einbrachten.


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