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Viertes Kapitel

Als sich Meister Jochen, wenn auch ganz gegen seine innersten Wünsche, nach Damians Abitur erst einmal mit dessen Berufswahl abgefunden hatte, stand es für ihn außer Frage, daß sein Sohn in den Stand gesetzt werden mußte, seinem Studium unbelastet von allen Geldsorgen nachgehen zu können. Er setzte ihm einen monatlichen Wechsel aus, der nach seiner gewissenhaften Berechnung Damian zwar nicht dazu verführen konnte, über die Stränge zu schlagen, es ihm aber dennoch erlaubt hätte, so flott wie ein Korpsstudent aufzutreten. Nicht, daß er dergleichen Wünsche bei Damian vermutete oder gar fördern wollte. Denn wenn es im Gebälk des deutschen Staatswesens bereits gefährlich knisterte, so rührte das, wovon Jochen überzeugt war, davon her, daß nicht mehr nur ehrliche, fleißige, nüchterne und vor allem uneigennützige Hände am großen und hohen Bau des Reiches arbeiteten. Es hatten sich vielmehr Holzwürmer eingeschlichen, die, nur bedacht auf Privilegien und gegenseitiges Zuschustern von einträglichen Posten und Pöstchen, eifrig daran nagten und bohrten und wie Pech und Schwefel in gegenseitigem Standesdünkel zusammenhielten, ein Unwesen, das Gott sei Dank im Handwerkerstand noch keinen Nährboden gefunden hatte.

Als Damian während der ersten Semesterferien daheim verlauten ließ, daß er das Getreibe der Füchse und Leibfüchse, Renommisten und Haudegen, das ihn anwidere, nicht mitzumachen gewillt sei, äußerte sich Meister Jochen zum ersten Male seit langer Zeit in ein paar anerkennenden Worten über Damian. Blut sei eben dicker als Wasser, und die Pupille, aus der Damian in die Welt sähe, vielleicht weniger von der seiner Väter verschieden, als er selbst ahne.

Wenn Jochen auch nicht davon sprach, was ihn im Grunde dazu bewog, Damian mit einem so reichlichen Wechsel auszustatten, so war er doch mit sich selbst ernstlich darüber zu Rate gegangen. ›Ein Maechler ist halt kein Neefe‹, grübelte er oben in der sorgfältig verschlossenen Mutterkammer, während er aus den goldstückgefüllten Strümpfen jene Summe zusammenzählte und beiseite legte, die Damian nach seinen geheimen Erkundigungen beim Direktor des Rehberger Gymnasiums für vier Studienjahre benötigen würde. Neefe, der Grubeninspektor a. D., dieser scheinheilige Wichtigtuer, hatte es doch wahrhaftig aus purer, galliger Eifersucht fertiggebracht, seinen Sprößling Reinhard, den sich Damian unverständlicherweise zum einzigen Freunde erwählt hatte, nicht nur durchs ganze Gymnasium zu hetzen, bis er, wenn auch arg gerupft, zugleich mit Damian durchs Examen gekommen war, sondern ihn nun auch noch dank gräflicher Unterstützung, in Breslau »auf geistlich« studieren zu lassen. Er kostete dem Vater keinen Pfennig.

›Na schön‹, meditierte Jochen weiter, ›soll der junge Reinhard in Gottes Namen Theologie studieren, vielleicht schlägt es ihm zum Guten aus. Eine patente Mutter hat er ja, die Agnete. Aber mit dem, was ihm der Großvater, der Schlosser, und der Vater, der Inspektor, als Gepäck mit in die Wiege gelegt haben, wird er sich böse herumschlagen müssen.‹

Nur um des lieben Friedens und der gütigen Agnete willen, an der auch Christel hing, hatte es Jochen, der von seinem Wesen her nichts so sehr wie Streit und Händel haßte, in der großen wie in der kleinen Welt, unterlassen, diesem Widersacher seines Hauses, dessen ölig anschmeißerisches Wesen ihm widerwärtig war, Wilkau endgültig zu verleiden. Im Schutze seiner erschlichenen Ehrenämtchen beging er, wofür Jochen seit langem Beweise genug hatte, fortdauernd finanzielle Unterschlagungen, durch die allein es ihm gelang, seinen Haushalt aufrechtzuerhalten. Zwar hatte Agnetes verstorbener geistlicher Onkel ihr auf Lebenszeit die Nutznießung seines nicht unbeträchtlichen Vermögens vermacht, aber die umsichtige Agnete war damit, wie sie Christel einmal erzählte, eine Versicherung für Reinhard eingegangen, die erst ausbezahlt werden würde, wenn er volljährig war. Von seiner Überzeugung, daß es besser um alle Menschen stehen würde, kehrte ein jeder nur vor seiner eigenen Tür, wollte Meister Jochen jedoch auch in diesem Falle nicht abgehen. Und hatte nicht jene unbeirrbare Sachwalterin des Gerichts, deren schleierlosen Augen nichts verborgen bleibt, schon einmal, kurz vor Damians und Reinhards Geburt, zugeschlagen und den Inspektor aufs Siechenbett geworfen, von dem er sich nur als ein für immer Gezeichneter erheben konnte?

›Nein, nein, wir Menschen haben es nicht nötig, ja es wäre vermessen von uns, dem Rollen der Schicksalsräder vorzugreifen‹, beendete Jochen sein Sinnieren über diesen Mann, den er doch schon längst endgültig aus dem Lebenskreis seiner Familie gestrichen hatte. Nun konnte er nur noch hoffen, daß die Macht des schicksalshaften Blutstromes, der den Inspektor von den Ahnen her in sein Leben gespült hatte, auch von dessen Sohne Reinhard her keinen Fug mehr über Damian haben würde.

Was Damian anging, so hatte er von seinem einzigen Schulfreunde Reinhard seit jenem mißtönigen Erlebnis mit ihm auf der Gansertbrücke beim Heimgang von der Rehberger Abschiedskneipe nichts mehr gehört, geschweige denn gesehen. Er wußte nur, daß er ins bischöfliche Konvikt aufgenommen worden war, und Damian hielt es für unter seiner Würde, den ersten Schritt zu tun und etwa dort nach ihm zu fragen. Dennoch hätte er gewünscht, mit Reinhard wieder ins reine zu kommen, und war auch entschlossen, ihm bei einer zufälligen Begegnung herzlich entgegenzukommen. Allein Reinhard schien das von ihm verschuldete Zerwürfnis mit Damian aufrechterhalten zu wollen oder sich dessen vielleicht zu schämen. Wie dem auch sein mochte, er entzog sich Damian offensichtlich. Denn als ihn dieser ein paarmal in der schwarzen Tracht der Alumnen in den Straßen der Stadt von ferne sah und seine Schritte beschleunigte, zu ihm zu gelangen, verschwand Reinhard flüchtend um die Ecke. Dieses Verhalten seines einstigen Freundes traf Damian jedesmal wie ein Stoß vor die Brust, bis ihm eines Tages Bertel Mielke aus Gersdorf, der Zwillingsbruder jenes Wenzel, der vergeblich versucht hatte, Damian für seine Verbindung zu keilen, über den Weg lief, als Damian, von der Universitätsbibliothek herkommend, über die Dominsel heimwärts ging. Auch Bertel war als Stipendiat ins Konvikt gekommen, denn für das Studium beider Söhne hätte ihre verwitwete Mutter nicht aufkommen können.

Damian ließ sich von Bertel möglichst viel vom Leben der Alumnen erzählen, um ihn auf diese Weise unauffällig über Reinhard ausholen zu können, mit dem Bertel als Schlafgenosse zusammenhauste. Reinhard mußte sich offenbar charakterlich völlig gewandelt haben, da seine geradezu heiligmäßige Abtötung und Frömmigkeit sogar im Alumnat allgemein auffiel. Und wenn er auf dem Gymnasium immer nur mit Ach und Krach das Klassenziel erreicht hatte, so bekundete er jetzt einen so bienenemsigen Fleiß, daß er wegen seines Wissens nicht nur ohne Widerspruch unter seinen Mitzöglingen, sondern auch seitens der Konviktleitung bereits als der Begabteste, ja als Zierde des ganzen Alumnats angesehen wurde. Jetzt erst ging Damian eine Ahnung dessen auf, was Reinhard bewogen haben mochte, sich seinem Freunde so hartnäckig zu entziehen, wenn er ihn auch keineswegs völlig begriff. Denn er hatte von Jugend auf niemals verstanden, wie jemand Gefallen daran finden konnte, sein Leben ausschließlich jenseitigen Sehnsüchten zu weihen, wie es die katholische Kirche von ihren Dienern verlangt. Aber Reinhards radikale Entschlossenheit zu einem asketischen und ganz verinnerlichten Leben, das jeden Einfluß von außen als Störung empfindet, zumal wenn durch ihn unliebsame Erinnerungen an den eigenen minderen Lebenszustand von einst heraufbeschworen werden, nötigte ihm nun doch eine Achtung ab, die ihn wieder mit Reinhards erst so befremdlichen Verhalten ihm gegenüber versöhnte.


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