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Drittes Kapitel

Am anderen Morgen verfiel Jochen Maechler jedoch gleich nach dem Aufwachen aufs neue der instinktiven Abneigung gegen diesen Alexander Neefe und versank während des Ankleidens so lange in den lebendigen tiefen Brunnen seiner Vergangenheit, bis aus dem zeitverschwommenen Grunde die Erinnerung an Worte heraufklang, die sein Vater einst im Gespräch mit der Mutter über den alten Schlosser Neefe, den Vater des Inspektors, gebraucht hatte. Einen luderhaften Hämling, einen grundschlechten, gemeinen Menschen hatte er ihn damals genannt. Mit der Erinnerung an diese Worte seines Vaters stieg etwas von dem Abscheu, den er damals als Junge empfunden hatte, wieder in das gealterte Herz Jochen Maechlers, so daß er mit dem Anziehen seiner Kleider nicht zurechtkommen konnte, sondern fortfuhr, die Hosenträger immerfort an- und loszuknöpfen ... na ja, vielleicht ... wahrscheinlich hat mein Vater den Kerl ... den alten Hund ... ja, ins Wasser gestoßen ... wer weiß ... So trieb es der Gerber vor dem Fenster stehend, hörte seine Frau am Herd hantieren, mit dem Geschirr wirtschaften, nach ihm rufen, und kam doch aus dem Brunnen der Vergangenheit nicht ganz herauf in das Licht der Bewußtheit, bis Christine die Tür aufstieß und in heiterem Unwillen rief: »Heda, Jochen, los! Ziehst du wieder mal mit den Hosen die halbe Welt an? Komm Kaffeetrinken und laß das Kegelschieben im Kopf.« Dabei nahm ihn die handfeste Frau lachend unter den Arm und bugsierte ihn in die Wohnküche an den Frühstückstisch. Dort rückte er sich auf dem Stuhl zurecht und arbeitete versunken seine Portion in sich hinein. Christine aber langte mit keinem Finger nach der geheimen Innentür Jochens, die, das fühlte sie, noch immer offenstand. Als der Gerber mit seiner Mahlzeit ans Ende gekommen war, schob er Töpfchen und Schneidebrett von sich, stützte die Ellenbogen auf die Tischkante und sah nach einigem Sinnen sein Weib hell an.

»Weißt du, Christel, was du die Nacht von dem Inspektor gesagt hast, mag alles seine Richtigkeit haben. Aber das ist sicher, zwischen meinem und seinem Vater, dem alten Schlosser Neefe, müssen verfaulte Häute gelegen haben. Und wie ich vorhin am Fenster gestanden habe, ist mir von da sozusagen der Gestank in die Nase gestiegen.«

»Du meinst, es hat zwischen den beiden Krach gegeben.«

»Sicher. Aber genau weiß ich das nicht. Denn als ich auf die Welt gekommen bin, war der alte Neefe längst vom Heidewasser verschluckt und seine Frau mit dem Jungen, eben dem Inspektor, über alle Berge.«

Christine schloß nach den Darlegungen ihres Mannes einen Augenblick überlegend die Augen, schüttelte dann mit beiden Händen ihren eigenen Kopf und fragte dabei auflachend:

»Jochen, Jochen! Ha! und deswegen stinkt es in dir, wenn du an den Inspektor denkst?«

Maechler ließ seine Frau auslachen, erwiderte vorderhand nichts, erhob sich und ging wie suchend in der Stube umher, während Christine hinter ihm drein alles Lobenswerte wiederholte, was sie gestern abend von dem Inspektor gesprochen hatte. Ihre leidenschaftliche Einrede endete mit der Frage:

»Und wenn dein und sein Vater, ehe du geboren warst, feindselig gegeneinandergerannt sind, was könnt ihr beiden dafür, du und er?«

Maechler ließ darauf die Türklinke fahren, die er schon erfaßt hatte, um hinaus an die Arbeit zu gehen, wandte sich zu seiner Frau herum, sah eine Weile unschlüssig zu Boden, zuckte die Achseln und sagte dann fast wie entschuldigend:

»Na ja, Christel, ich tret' ihm ja auch nicht auf die Stiefel. Fällt mir nicht ein. Aber was kann ich dafür, wenn es von weit her in mich hineinstinkt? Von einem dreckigen Dache kommt halt kein reines Wasser. – Christel, Christel! Und wie der Inspektor dem dicken Witschel das Haus abgeluchst hat, das ist meiner Seele auch keine Honiglecke. Nein!«

Damit ging der Gerber energisch durch die Tür.

Trotzdem nahm sich Frau Maechler fest vor, von ihrem Friedenstiften nicht abzulassen.

Während ihr Jochen an den Loh- und Weißgartonnen fleißig werkte, betrieb sie die sonnabendliche Generalreinigung des ganzen Hauses, und ihre braunen Augen glänzten dabei vor lauter Entschlossenheit noch blanker. Wahrend sie schrubberte, wischte und rückte, trällerte und summte sie Lieder durcheinander, hielt aber in ihrem jagenden Fleiß dann und wann plötzlich inne und horchte in das Haus hinein nach ihrem Jochen, der in der Walkkammer droben polternd werkte. Und jedesmal, wenn sie so seiner habhaft geworden war, lachte sie hellauf. »Jaja, mein Lieber«, sagte sie dann übermütig vor sich hin, »immer rumor'. Raus mußt du doch in die Welt, ins Helle. Nein, Jocherlein, das hilft dir alles nichts.«

Als der Meister nach dem Walken über die Bodentreppe herabkam und die Tür öffnete, fand er alle Stuben blank und festlich geordnet, aber von seinem lieben Weibe war keine Spur zu entdecken. Na ja, der Vogel war ausgeflogen, wohl in den Ort zum Einholen. Merkwürdig, daß alle Frauen der Erde den Sonnabend um des Sonntags willen erwürgen. Jeder Tag muß übrigens des nächsten halber umgebracht werden. So bleibt die Welt bestehen.

Solches einen Augenblick bedenkend, begab sich der Meister in die Werkstatt zurück, von einer Hoffnung licht übernebelt, für die er keinen Grund wußte.

Zur gleichen Zeit ging Christine, den Einkaufskorb am Arm, die Rehberger Straße hinauf und ließ ihre flinken, dunkelbraunen Augen fleißig umhergehen, teils nach den besten Einkaufsmöglichkeiten zu spähen, teils unauffällig das Betragen der Leute zu beobachten. Kein bedrücktes Vorübergehen, kein Scheelsehen, kein Zurückweichen ins Haus bei ihrem Nahen war mehr wahrzunehmen. Die dicke Frau Kaufmann Stiller rief ihr über die Straße einen neckischen Gruß zu, der Wirt der »Preußischen Krone« machte hinter dem Fenster einen ergebenen Diener, dem Photographen Anders, der eben aus dem Hause trat, als sie auf dem Bürgersteig federnd und frisch herankam, flog helle Bewunderung über das bartlose Gesicht. Geschmeichelt und etwas verwirrt eilte sie weiter, der engen Hospitalgasse zu, die vom Gemeindeamt auf den Schloßplatz führt. »Das ist ja wie sonnenverhext«, dachte Christine, als sie plötzlich den ganzen Schloßplatz im Lichte zittern sah. »Jaja, mein lieber Jochen«, sinnt sie, »in Wilkau gibt es auch anderes als stinkende Häute zwischen den Menschen. – Nun fehlt bloß noch, daß mir Neefe in den Weg läuft«, spinnt sie den Gedanken zu Ende und lacht sich verspottend aus.

Und wirklich, die geheimnisvolle Führung gebraucht manchmal so scheinbar absichtslos zur Förderung ihrer Ziele das Maskenspiel des Daseins, kaum hatte Christine ein paar Schritte auf der engen Hospitalgasse getan, sah sie den Inspektor auf sich zukommen.

Er kam in seiner gewohnten Stößigkeit, mit gefurchter Stirn vor sich hinsinnend, die Gasse herauf und lenkte, ohne aufzusehen, nach der linken Seite, um an ihr vorbeizuhasten, als er wie berührt aufsah und Christine erkannte. Mit eins war sein Sinnen fortgeblasen, und seine wasserblauen Augen strahlten in einer tieferen Wärme als jene gutmütige Heiterkeit war, durch die sich die meisten Wilkauer von ihm gewinnen ließen.

»Schön, daß ich Ihnen begegne, liebe Frau Maechler«, sagte er, ihre freie Hand ergreifend, »wirklich schön. Sie sehen so glücklich aus. Da geht's zu Hause auch gut. Wie?« Neefe sprudelte alles ungeduldig heraus, rückte den Kragen am Hals herunter, als kämpfe er gegen ein Würgen, und plauzte ein glückliches Auflachen aus seinem breiten Munde. Und ehe sie antworten konnte, jächten seine Worte schon weiter: »Na, und wie geht's Ihrem Herrn Gemahl? Er soll doch mal 'rauskriechen aus seiner Feldgasse. Das Wetter wird mit jedem Tage besser für ihn. Aber Mühe macht's, das können Sie mir glauben, liebe Frau Christine. Ja ...« Er mußte sich unterbrechen, denn ein Brettwagen bog in die enge Gasse, und Neefe zog mit einem festeren Griff um den vollen Oberarm, als es nötig war, die Frau an die Hauswand, und im Rattern des vorbeifahrenden Wagens redete er weiter von Widerständen, die er eben für Maechler im Gemeindeamt überwunden habe und sog bei dem überhasteten Sprechen mit leisem Schlürfen den Speichel herauf, der ihm aus den Mundwinkeln zu treten drohte.

Endlich kam Christine doch dazu, ihm zu sagen, daß das Mißtrauen Jochens gegen den glücklichen Umschwung in Wilkau nun ganz geschwunden sei, und daß es jetzt an der Zeit sei, an den Besuch zu denken, von dem Neefe das vorige Mal mit ihr gesprochen habe.

»Gut, gut«, erwiderte Neefe immer noch im Galopp. »Ja, ich komme, heute, Sonnabend, da wird's gehen, gegen Abend. Ja, es hat außerdem noch was Wichtiges, sozusagen Weites zu reden. Ich will noch nicht sagen was. Aber ich komme eben vom Gemeindevorsteher und gehe direkt zum Grafen.«

Christine konnte ein Lächeln über diese, wie ihr vorkam, unechte Ekstase Neefes nicht unterdrücken und fragte:

»So etwas Wichtiges ist es?«

Neefe sah sie groß an, strich ernst mit ausgestrecktem Arm alle Luft weg und sagte dann:

»So was. Ganz Deutschland geht es an, die ganze Welt. Und Maechler muß mit, jawohl, muß.«

»Freilich, freilich«, sagte bereitwillig Frau Christine. »Aber vorderhand machen meinem Mann die Begräbniskosten noch Sorge.«

Neefe kniff die Augen ein und schüttelte lächelnd überlegen den Kopf.

»Ach, der liebe, gute Kelvel! Lassen Sie gut sein, wenn ich bloß mit dem kleinen Finger bei ihm antippe, daß der Sohn seines Freundes sich deswegen Kopfzerbrechen macht, wird aus der ganzen Geschichte ein Pappenstiel.«

Er hob den Kopf und platzte ein geringschätzig fröhliches Lachen heraus, verstummte aber plötzlich, trat einen Schritt zur Seite und verbeugte sich in ehrerbietiger Devotion fast bis zur Erde, wobei er Christine scheu zuflüsterte: »Der Herr Graf ... auf dem Balkon.«

Frau Maechler, die mit dem Rücken gegen das Schloß gestanden hatte, wandte sich um und grüßte auch durch Kopfneigen, denn wirklich, Graf Schilling stand droben und nickte mit jovialem Lächeln zu den beiden herunter, während ein anderer fremder Herr neben ihm, breitschultrig, mächtig, mit kahlem Vorderhaupt und einem grauen Vollbart, der die ganze Brust bedeckte, von dem Vorgang keine Notiz nahm, sondern ernsten Gesichtes auf den Schloßplatz niedersah.

Neefe flüsterte: »Das ist der Graf Harrach«, und setzte laut fort: »Nun muß ich aber gehen, ich werde erwartet. Leben Sie wohl, grüßen Sie Maechler, heute nachmittag komme ich also.« Er drückte ihr die Hand zum Schreien und stob, daß die Absätze auf dem Katzenkopfpflaster klapperten, eilig davon.


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