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Dreizehntes Kapitel

Was Jochen Maechler ein beklommenes Vorausgefühl als dunkle Möglichkeit nahegebracht hatte, daß die Faust eines unabänderlichen Entschlusses doch von einem Stärkeren aufgebrochen werden könne, als er selber war, das traf nun wirklich ein, wenn auch derjenige, durch den diese Niederlage des Gerbers eingeleitet wurde, nicht der Stärkere, sondern nur der Gewalttätigere war, ja, daß gar nicht eigentlich dieser Mann, sondern sein Kind, ein kleines Mädchen, eine Wendung über das Maechlerhaus brachte, die sogar das Leben des Meisters und seiner Frau überdauerte.

Es ist der Besuch des Freiherrn Franz von Schillingkhoff, genannt Korff, und seines Töchterchens Susanne gemeint, die allgemein Sessi gerufen wurde. Sieht man genauer zu, so war das gar kein Besuch, sondern eigentlich der Einbruch des Herrn von Schillingkhoff in das Gerberhaus auf der Feldgasse.

Diesen ehemaligen Hauptmann im Großen Generalstab, der durch einen schicksalhaften Zusammenprall seines leidenschaftlichen Rechtsbewußtseins mit staatlichen Gewalten aus einer glänzenden Laufbahn geschleudert worden war, hatte es mit seiner Familie nach Wilkau verschlagen, wo er verbittert und tief verschuldet in einer Etagenwohnung des Fremdenheims »Bazar« lebte. Nur mühsam hielt er sich durch eine seiner Frau Eleonore von deren Eltern ausgesetzte Monatsrente über Wasser, die pünktlich einging und auf Bitten Eleonorens dann und wann um einige Hundert erhöht wurde. An solchen Glückstagen goß er sich im »Goldenen Greif« den Hals bis zum Drosselknoten voll Wein. Auf Stunden vermochte er so wohl durch verzweifelte Tollheit der Not zu entrinnen, die aber nach überstandenem Rausch um so fahler in sein Fenster sah. Da hörte seine geängstigte Frau durch ihr Dienstmädchen von dem Wilkauer Gerber, einem einfachen, gütigen Mann, der im Rufe großen Reichtums stehe und schon vielen in der Not geholfen habe.

Kurz entschlossen warf sich Baron Korff, um zu imponieren, in einen gewissen Staat, steckte eine kostbare Halskette seiner Frau in die Tasche und machte sich auf den Weg zu Maechler, dessen Wohnung er von dem Mädchen ganz unverdächtig und beiläufig erkundet hatte.

Beim Überschreiten des Kurplatzes traf er sein kleines Töchterchen Sessi im Spiel mit ihren Freundinnen und nahm das Kind zu diesem ärgerlichen Gang mit, weil er hoffte, der Anblick des lieblichen Wesens könne den »Manichäer«, wie er den braven Maechler nannte, seinem Anliegen gegenüber günstiger stimmen. Korff befand sich im Zustand gereizten Mißvergnügens, daß er genötigt war, mit solch kläglichen Manövern um die Gunst eines »bürgerlichen Lausekerls« zu werben, und ging aufgereckt, drohenden Gesichts wie zum Sturm durch den nahenden Abend die Rehberger Straße hin und bog, der Weisung gemäß, vor der Sandbrücke in die Feldgasse ab.

Jochen Maechler hatte einige Eintragungen in die Geschäftsbücher besorgt und war darüber her, die Klappe des Schreibschranks zu schließen, als er auf dem Pflaster starke, wie marschierende Männerschritte hörte, daß ihn die kleinstädtische Neugier schnell ans Fenster trieb. Da sah er eben einen hochgewachsenen, vornehm gekleideten Herrn mit einem etwa sechsjährigen Mädchen an der Hand in sein Gartenpförtchen einbiegen. Deswegen ging der Gerber an den Tisch, setzte sich auf einen Stuhl und nahm eine behagliche Haltung ein. Kaum war das geschehen, so knallte das Klopfen an die Tür, und, ohne das »Herein« abzuwarten, trat der Besucher, sein Töchterchen vor sich herschiebend, herrisch über die Schwelle, dem Gerber entgegen, der sich höflich erhoben hatte.

»Bleiben Sie ruhig sitzen«, schnarrte Korff, »Meister, äh, ja, wie ist doch Ihr Name?«

»Maechler«, ergänzte der Gerber ruhig.

»Ganz recht, Maechler, ja. Sie haben's ja fabelhaft gemütlich. Wirklich, Sessi, sieh dir's alles genau an. Na, so geh doch. Guck bloß die schönen Pelargonien am Fenster.«

Aber das betretene Kind wich nicht von der Seite des Vaters.

»Na gut, denn nicht«, setzte Korff hinzu und brach in Gelächter aus. Dann stellte er sich überheblich vor: »Freiherr von Schillingkhoff.«

Jochen Maechler schloß überlegend die Augen. »Soso, danke«, sagte er dann langsam mit seinem tiefen Baß. »Ich bitte, nehmen Sie Platz. Womit kann ich Ihnen dienen?«

Korff folgte umständlich der Einladung, zog sinnend die Handschuhe aus und legte sie auf den Hut, den er über den Tisch geschoben hatte. »Hm, hm«, machte er dann, weil er nicht wußte, wie er den Angriff einleiten sollte, denn die ruhige Sicherheit des Gerbers, der ihn ungescheut von Kopf bis zu Fuß musterte, hatte ihn aus dem Geleise gebracht. Jochen Maechler aber wandte sich, um die beladene Pause auszufüllen, an das Mädchen, fragte sie nach ihrem Namen und Alter, und Sessi gab auf diese und andere Anregungen überlegt und besonnen Antwort, daß der Gerber ganz beglückt wurde und Korff sie mit beifälligem Kopfnicken zu weiterer Aufgeschlossenheit ermunterte. Sowie die etwas dunkle, aber weiche, wohlklingende Sopranstimme des Mädchens in der Stube aufzutönen begonnen hatte, war die Schlafstubentür lautlos aufgegangen, und Damian, der nebenan über seinem Schul- und Traumkramen hergewesen war, steckte neugierig den Kopf herein, immer weiter und weiter, hingenommen, daß er endlich, ohne es zu wissen, ganz in der Stube stand. Den schlanken Körper staunend aufgerichtet, die blauen, großen Augen voll bewundernden Glanzes, so stand er an der Tür und horchte gespannt auf Sessis Stimme, die ihm in der Unterhaltung mit seinem Vater den Rücken zukehrte.

Korff nahm den Knaben zuerst wahr.

»Ist das Ihr Junge, Herr Maechler?« fragte er schroff.

Der Gerber glaubte aus Korffs Stimme Unwillen herauszuhören, bejahte die krasse Frage des Besuchers etwas zögernd und forderte Damian auf, dem Herrn guten Tag zu sagen. Und während der kleine Maechler das sehr manierlich, sogar mit einer Art Verbeugung, fertigbrachte, entschuldigte der Gerber die Zudringlichkeit seines Jungen, der doch sonst sehr zurückhaltend, ja sogar etwas scheu sei.

Korff lachte auf.

»Nein, nein, Herr Meister! Das find' ich im Gegenteil richtig. Recht gemacht hast du das, Junge. Immer 'rein, wenn dich's piekt. Und nun, Sessi, wenn du den kleinen Maechler magst, geh mit ihm einen Augenblick nebenan, während wir Männer sprechen.« Das dunkle Mädchen legte gern ihre Hand in die des blonden, schlanken Knaben, und die beiden verschwanden hinter der Schlafstubentür.

Dort zeigte der ehrfürchtig bewegte Knabe dem schönen Mädchen all seine heimlichen Schätze, erst mit zitternden Händen und mit manchem Versagen seiner sanften Stimme. Als er aber das Interesse Sessis wahrnahm, glühte der verborgene Rausch in der Tiefe seiner durchsichtigen Augen auf, und die Erklärungen seiner Bilder gerieten so begeistert, daß Sessi ganz hingenommen wurde und nicht wußte, solle sie nur auf den Gesang dieses Knabenredens hören, in dieses zarte Jungengesicht mit den unwirklichen blauen Augen oder auf die vielen bunten, selbstgemalten Bilder sehen.

Indes die beiden Kinder, der achtjährige Damian und die sechsjährige Sessi so engelhaft ihre Wesen austauschten, rückte das Geschäft der Männer in der Wohnküche laut und ungestört weiter, weil Frau Christine auf ihrem Einkaufsgange abwesend war.

Korff sprach leidenschaftlich auf Jochen Maechler ein und erzählte ihm prunkend von seinem Leben, prahlend, um den Gerber zu ducken und sturmreif zu machen. Seine großen, grauen Augen, die von den Lidern wie von glühenden Deckeln gefangengehalten wurden, waren selbst trocken vor innerer Hitze und gingen in den tiefen Höhlen beim überstürzten Sprechen immer unruhig hin und her, wie eingesperrte, wilde, aber edle Tiere.

Der Gerber hörte dem merkwürdigen Manne zu, dessen exaltiertes Wesen ihn verblüffte und zugleich abstieß, denn noch während Korff ihm den Honig seines Selbstlobes mit den ersten einleitenden Sätzen zu reichen angefangen hatte, wußte Jochen Maechler Bescheid, daß er einen Pumpversuch vor sich habe und daß das ein zwar gut angezogener, vornehmer, aber eben ein Hallodri war, wie so viele andere, die er zum Zurückspucken abgewiesen hatte. Er streckte sich nach dieser Einsicht unauffällig auf dem Stuhl, holte den Atem etwas tiefer aus seiner breiten Brust und horchte mit entschlossenem Blick auf die hinpolternden Darlegungen Korffs. Dieser las in der veränderten Haltung des Gerbers, die er beobachtete, daß er von ihm überzeugt worden sei und daß nun die Feuervorbereitung abgebrochen werden müsse.

Also los! kommandierte er sich innerlich, holte aus der Tasche die Halskette seiner Frau, ein altes, schwergoldenes Familienstück erlesenster Goldschmiedearbeit mit Brillanten und Saphiren und breitete sie vor Jochen Maechler auf dem weißgescheuerten Tisch aus, der sie mit eingekniffenen Augen, aber gleichgültig musterte und nur da und dort mit seinem lohbraunen Zeigefinger darauf tippte.

»Nun, was sagen Sie nun«, rief triumphierend, aber mit unterdrücktem Zorn über so viel blöde Unkenntnis der Freiherr. »Zehntausend Mark hat diese wunderbare Kette gekostet. Ich aber verlange von Ihnen auf sechs Wochen tausend Mark, verzinse die Summe, wenn Sie wollen, mit zehn Prozent und lasse die Kette als Pfand in Ihren Händen.«

Seine Stimme war rauh und unschön geworden, klang wie Bellhusten, gereizt und überheblich. Mißtönig, wegwerfend und abgerissen stieß er die kurzen Sätze wie Kommandos heraus, daß die ganze Stube von seiner Stimme erfüllt wurde.

Aber die beiden Kinder nebenan hörten bei ihrem lieblichen Spielhandel nichts von diesem Lärm. Sessi war in eines der Damianschen Bildchen ganz verliebt, das einen in ein rotes und blaues Gewand gekleideten Propheten darstellte, mit einem Heiligenschein um das blonde Haupt, der in seinen erhobenen Händen eine rote und eine lila Blume hielt, und Damian bat überglücklich die erglühende Sessi, das Bild als Geschenk anzunehmen.

Während das Mädchen noch bestürzt zögerte, wuchs der Lärm in der Stube der Männer zum Geschrei, denn der Gerber hatte den Geldhandel verletzend abgelehnt und die Kette verächtlich über den Tisch geschoben.

Korffs Stimme zischte in höchstem Zorn. Er sprang auf, daß der Stuhl polternd umfiel, raffte die Kette an sich, riß die Schlafstubentür auf und schrie in Wut:

»Sessi, aber schnell aus dieser Lausekaschemme. Schnell, sage ich!« packte wild den Arm des aus allen Himmeln gefallenen Mädchens, und während er mit großen Schritten über die Stube schritt und das Kind rücksichtslos mitzerne, schrie er dem Gerber, der fassungslos am Tisch stand, zu: »Wie, Sie gerben auch Hundefelle? Da rate ich Ihnen, auch mal die eigene Haut unters Messer zu nehmen.«

Damit hieb er die Tür zu und war draußen.

Auf dem Vorgärtchen schnauzte er sein Mädchen an:

»Sessi, was hast du in der Hand? Wirf das sofort weg!«

Sessi steckte, da es schon dunkel geworden war, das Bild des geliebten Heiligen schnell unter ihr Miederchen und zeigte dem Vater die leeren Hände.

»So, gut, mein liebes Kind. Nun aber im Galopp fort«, sagte Korff befriedigt und strich Sessi über das gelockte Haar.


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