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Fünfzehntes Kapitel

Der wilde Wettereinbruch, der über den Rehberger Kessel niedergegangen war, hatte das Land schwerer, verderblicher getroffen als alle früheren Verwüstungen, die seit unvordenklichen Zeiten, wie eine feststehende Schicksalsentladung, ungefähr jedes Jahrzehnt, diese Gegend heimsuchten. Das war kein Ungewitter, das war ein höllisches Rasen gewesen. Alle Teufel der Luft schienen sich verbündet zu haben, dem südlichen Teile des Kreises den Untergang zu bereiten. Durch den Sturm war der Hochwald zwischen der Tumpsahütte und der Bösen Pfütze hoch im Gebirge richtig umgerodet worden, und nach diesem Toben hatten sich die Wettermassen, als stürze ein großer See aus dem Himmel, auf die Erde gegossen, daß jedes Tropfenfädlein zu einer Springflut, jeder Bach zum donnernden Fluß, und das Heidewasser, in dem sich all diese Flutenwildnis gesammelt hatte, zu einem verheerenden Wogenuntier geworden war. Am schlimmsten hatte das Wetter in Grandorf gehaust. Ganze Gehöfte waren verschwunden, Häuser mitten durchgerissen, die Felder weithin verschlammt, die Gärten in Steinhalden verwandelt. Ja, von dem Vernichtungstumult angefeuert, waren hundertzentnerschwere Felsblöcke, aus ihrer weltalten Lethargie aufgerüttelt, in ein bacchantisches Sintfluttanzen gekommen und hatten sich beim Dranggesang der Flut hüpfend zu Tal gewälzt. Wilkau war wohl auch arg mitgenommen worden, da und dort ein Haus eingestürzt, Ufer waren unterwaschen und fortgespült, Gärten in der Flut verschwunden, Brücken und Stege davongetragen; aber weil der Zacken, der breitere Fluß, mit seinem Zulaufgeflecht nicht im Gebiet des Wolkenbruches gelegen hatte, war der größte Teil dieser dörflichen Stadt von der Katastrophe verschont geblieben.

In Grandorf lagen acht Leichen in der Kirche, die blau angelaufenen Gesichter mit branntweingetränkten Leinentüchern bedeckt. In Wilkau hatte das Wasser, außer dem Schlosser Neefe, kein Menschenopfer gefordert. Aber seine Leiche war nicht aufzufinden. In Unterscherichsdorf fischte man nach Tagen einen abgerissenen Männerarm aus einer Uferhöhle und scharrte ihn in den dortigen Friedhof ein. Die Witwe des Umgekommenen saß wie entgeistert in ihrer Küche, noch mehr zusammengeschrumpft, noch schiefer, noch weltverscheuchter. Als man ihr die Nachricht von dem aufgefundenen Männerarm überbrachte und in sie drang, sich durch den Augenschein zu überzeugen, ob es nicht doch das Glied ihres Mannes sei, schüttelte sie erst stumm den Kopf und sah die Sprecher lange aus großen tränenlosen Augen an, deren Verzweiflung auch etwas wie kalten Triumph enthielt. Dann, nach einer unheimlichen Versunkenheit, schüttelte sie den Kopf und antwortete gegen die Diele hin:

»Nein, nein! Was soll ich mich einmischen? Gott hat ihn genommen. Da wird es wohl recht sein.«

Die Leute waren erschüttert von der Härte ihres Herzens, erinnerten sich aber der lebenslangen Demütigung und Unterjochung, die sie von ihrem Manne erduldet hatte, und als sie erfuhren, daß der Schlosser sich noch an dem todgeweihten Wennrich vergriffen hatte, erblickten die meisten in dem grauenvollen Ende Neefes die gerechte Richterhand Gottes, der seinen Körper in der donnernden Steinhöhle der Unwetterflut so zerrieben hatte, wie von ihm selbst bei Lebzeiten unendlich viel Verwüstung in die Welt getragen worden war. Und weil ein großes allgemeines Ungemach den Scheelsuchtspanzer um die Menschenherzen aufreißt, wurde ganz Wilkau von dem schmerzlich-schönen Ende des Gerbers Wennrich ergriffen, der unschuldig den Fluch seines Todfeindes gebüßt hatte, ohne je die Hand zur Wiedervergeltung zu erheben, trotzdem sein Herz so unbändig immer nach Rache verlangt hatte. Ja, gerade diese Empörung seines Innern, gegen die er nie zu ringen aufgehört hatte, hob das Bild des so lange vereinsamten Mannes fast in die Höhe eines Märtyrers christlicher Liebe, und die schrankenlose Rechtfertigung, nach der der Schrei seines Herzens jahrelang verlangt hatte, wurde ihm nach dem Tode wohl zu spät, aber desto reicher zuteil, daß sein Begräbnis fast einem Triumphzuge glich. Ganz Wilkau war auf den Beinen. Die Hacken und Schaufeln bei den Aufräumungsarbeiten ruhten, die Stuben der Handwerker leerten sich für ein paar Stunden, in den Geschäften war es eine Zeitlang still, die vielen Ackerbürger zogen ihr Vieh nicht aus dem Stall, und selbst aus den umliegenden Dörfern eilten viele herbei, um dem so lange verkannten, ehrverschütteten Meister das letzte Geleit zu geben. Aller Streit und Aufruhr schien verschwunden, denn das Ahnen vereinigte und erfaßte alle, daß in der Teilnahme an dem Ende dieses unscheinbaren, stets lauteren Mannes Zeugnis abgelegt werde für den Glauben an den hohen Wert eines reinen Herzens, eines untadeligen Wesens und schuldlosen Dulders. Kaum einer von den Hunderten, die drei Tage nach dem Ableben Wennrichs die Kleine Feldgasse zum Erdrücken füllten, war ganz frei von einem Giftlein, einem hämischen Gedanken oder einem verdächtigenden Zunderwort gegen den Entseelten und fühlte sich gedrängt, sein heimliches oder offenes Unrecht wiedergutzumachen.

Die Höhe schimmerte, von keinem Wölkchen versehrt, wie blaue Seide. Die reine Luft bebte in leisem Wind, die Bäume bewegten wie glückvoll ihre Kronen, das Heidewasser trudelte wieder versonnenen Lautes seine geruhigen Wellen in dem zerwühlten Bett: als habe sich auch Himmel und Erde vereinigt, den letzten Gang des so lange schwer und dunkel Umdrängten mit Licht und Schönheit zu segnen.

Maechler hatte ein einfaches Begräbnis bestellt und erschrak ebenso wie Lotte, als er den katholischen Pfarrer Kelvel im großen Ornat zwischen den beiden Kaplänen ins Haus treten sah, denn er wußte nicht, daß Graf Schilling diese Feier auf seine Kosten verlangt hatte. Die Singschule und der ganze Kirchenchor waren erschienen, und durch das stille Haus auf der Feldgasse brauste der volle, ehrwürdige Trauerpomp, als handele es sich um die Ehrung eines großen Herrn, nicht um den Tod eines kleinen Gerbers.

Lotte, die keine Verwandten hatte, ging zwischen den beiden Schwestern Niedenführ hinter dem Sarg, blaß, gebeugt, aber nicht gebrochen, noch im Schmerz anmutig, noch in der Trauer aufrecht.

Allgemein hatte man erwartet, daß Maechler das erstemal an ihrer Seite erscheinen werde, weil er von dem Sterbenden als Schwiegersohn bezeichnet worden war. Aber der Gesell wie Lotte hatten, ohne sich erst mit den Augen zu fragen, diesem Drängen kein Gehör geliehen. Und so schritt Maechler, wenn auch in der ersten Reihe, unter den Männern hoch und ernst hinter der Leiche, an seiner rechten Seite der dämmerig-feiste Gemeindevorsteher Schlicker, an seiner linken der erste Schöffe.

Als der Trauerzug in den Schloßplatz einbog, fiel in das volle Geläut der katholischen Glocken das Gedröhn vom Turme der evangelischen Kirche, und aus dem Tor des Schlosses fuhr der Wagen des Grafen, der mit seiner Gemahlin sich dem Trauerzug anschloß.

Auf dem Kirchhof hub dann der Pfarrer Kelvel zu einer gewaltigen Rede an. Er war ein Eiferer und großer Dröhner, und die unerhörte Anmaßung entzündete das Feuer seiner Rechtgläubigkeit zu Flammen, daß die Ketzerglocken der evangelischen Kirche es gewagt hatten, sich mit dem Trauergeläut des alleinseligmachenden Glaubens zu vermischen. Aber zwischen den Gräbern sah er so viele Angehörige der lutherischen Aberchristen stehen, daß er nur in der Einleitung einige Redewendungen von dem einzig wahren Weg des Menschen durch das »Sündengetümmel dieser Erde zu der dreimal seligen Pforte des ewigen Jerusalem« riskierte.

Diese stichelnden minierenden Worte sprach er mit abgeschlagener Stimme, in abgezwungener Sanftmut und Güte. Dann wandte er sich bei der Schilderung des Lebensganges des Entschlafenen erst der »minniglich gesegneten Liebe« zu, die mit magisch-heiliger-Gewalt ihn aus dem fernen Thüringen in dieses Tal gezogen, zu dem wahren himmlischen Dienst am Leben in einer vorbildlich christkatholischen Ehe, an der nur Böswilligkeit einen Makel habe finden können.

»Aber, wen Gott liebhat, den züchtigt er«, mit diesen wie aus den Schauern inbrünstigen Glaubens herausgedonnerten Worten sprang der Redner in die Ausmalung der Finsternisse, mit denen die Vorsehung nach dem unerforschlichen Ratschluß Gottes das Leben des Gerbers bedrängte bis zu seinem Tode. Er nannte ihn einen zweiten Hiob und zeigte in allen Phasen die Ähnlichkeit seines Lebens mit dem Schicksale des alttestamentlichen Dulders. Er verglich ihn mit Stephanus und machte aus ihm einen Blutzeugen christlicher Liebe. Seine Halsadern schwollen an, seine Augen sprühten, sein Gesicht wurde blaß und geriet in Zuckungen. Der Fanatismus packte ihn, an dem er immer wie an einer heiligen Krankheit litt. Er blieb aber beherrscht und kraftvoll in der Bildhaftigkeit seiner Ausdrucksweise. So wurde der Kampf des Gerbers gegen sein Schicksal in seinem Munde wirklich zum Ringen des Menschen mit der Bosheit der Welt und dermaßen ergreifend, ja erschütternd, daß die Hunderte, von der Gewalt dieses stürmenden Geistes erfaßt, wie gebannt waren.

Lotte, die ihm gegenüberstand, hielt sich wie mit immer angehaltenem Atem aufrecht, fast gereckt. Ihr Gesicht war sehr blaß und trug für genaue Beobachter eine Falte des Unwillens über der Stirn. Während die meisten Frauen und Mädchen sich der Wohltat ungehemmten Weinens überließen, flossen nur stumme Tränen über ihre Wangen, und die Schultern zuckten nur unmerklich von verhaltenem Schluchzen.

Vielleicht war der Pfarrer Kelvel ergriffen von dem Kampf des Mädchens gegen ihren Schmerz und wollte auch ihr zur Erlösung in dem allgemeinen Trauerrausch verhelfen, oder er empfand Lottes Beherrschung als nicht ganz christlichen Menschenstolz.

Er ließ ein Weilchen seine grauen durchdringenden Augen auf ihrer hochgewachsenen Gestalt ruhen, die in einer rätselhaften Einsamkeit an dem offenen Grabe stand, und begann dann von den Helfern zu sprechen, die dem geduldigen Lebensringer von Gott zum Beistand gesandt worden seien, von Lotte, dieser starken, klugen und sehr guten Tochter, die bereiten, liebenden Herzens alle Nöte des Verkannten mit auf sich genommen und überwunden habe, und von dem Manne, der wie ein Sohn für seinen Vater mit allen seinen Kräften eingetreten sei zum Segen des Hauses und zum Besten von ganz Wilkau.

Diese Worte rüttelten wohl stärker an Lotte, überwanden sie aber nicht, sondern gruben die Falte über ihrer Nasenwurzel noch ein wenig tiefer. Maechler senkte den Kopf und verdeckte mit seiner großen Hand das etwas erschrockene Gesicht.

Als Lotte das kleine Holzschäuflein aus der Hand des Pfarrers nahm, um die geweihte Erde auf den Sarg ihres Vaters zu werfen, ruckte es Maechler, einen halben unauffälligen Schritt neben sie zu treten, aber sein sichernder Blick fing einen Ausdruck ihres Auges auf, in dem Hingabe und Abweisung so verwirrend gemischt waren, daß er seine Absicht aufgab.

In der Nacht, die diesem Tage folgte, lag er in seiner Kammer und übersann alles, was wie ein undurchdringlicher Wirbel über ihn hergefallen war. Durch das Unwetter, das die ganze Umgebung umrodet hatte, waren auch für ihn alle Straßen verrammelt worden, die ihn vor Tagen noch aus Wilkau gelockt hatten. An Fortgehen war nun nicht mehr zu denken. Die leise, sterbensmatte Stimme des lieben Meisters verpflichtete ihn, an der Stelle zu bleiben, wohin ein unbegreifliches Geschick ihn gestellt hatte. Nein, nicht um Lottes willen wollte er ausharren. Die Mahnung des Verscheidenden an die beiden, sich zu lieben, durfte ihm nicht das Recht auf sie geben. Das lag allein bei ihrem Herzen, das sich allein nach seiner Willkür entscheiden solle. Und wenn ihr undurchsichtiges, geheimnisvolles Wesen auf einen Weg gelockt würde, der ihn nötigte, davonzugehen, so nahm er neben dem Geschmack eines wundersamen Glaubens, den ihm ihre Art geschenkt hatte, die Sicherheit mit, auch in Wilkau nicht umsonst gelebt und gewirkt zu haben. Und als Maechler in seinem Sinnen bis hierher gekommen war, hörte er ganz deutlich die Stimme Kelvels die Worte sprechen, die ihn auf dem Kirchhofe genötigt hatten, sein Gesicht mit der Hand zu bedecken: »Hier, verehrte Leidtragende, offenbart sich das rechte Christen- und Menschentum, das Beste seines Wesens und Lebens im Dienst für das Beste des anderen zu suchen.« Diesen Ausruf des Pfarrers, der niemand als ihm gegolten hatte, brachte er nicht aus den Ohren. Es erregte ihn so, daß er aus dem Bett springen und in der Kammer hin und her gehen mußte.

Als alles wieder still um den merkwürdigen Gerbergesellen und nichts zu hören und zu sehen war als das Brausen der Baumkronen in dem Gärtlein der Schwestern Niedenführ und das stille Licht aus den beiden Fenstern ihres kleinen Hauses, blieb eine stille Sicherheit, aber auch ein nicht ganz genügsamer Friede in dem Manne zurück, daß er das Fenster öffnete, um durch die Nachtluft vollkommen aus der Berückung, die er an sich kannte, in das besonnene Leben zurückgeführt zu werden. Aber die Bäume brausten eben nur schwach in dem leisen Nachtwind, und das rötliche Licht stand noch immer still und gewöhnlich hinter den Fenstern des Hauses der alten Jungfrauen. Dort saßen die beiden guten eisgrauen Wesen und beruhigten Lotte, die zu ihnen geeilt war, mit der Güte und Kraft ihrer greisen, immer aufgeschlossenen Herzen.

Maechler beugte sich weit hinaus, als könne es seiner Überhörigkeit gelingen, einen Ton, vielleicht gar einen Klang der Stimme Lottes zu erlauschen, und wie er so angestrengten Ohres in die Nacht hinausspähte, fing er wirklich Laute auf, die aber nicht wie aus einem Gespräch, sondern wie leises, fernes Singreden klangen, das bald stärker einsetzte, bald vollkommen verhauchte, daß nichts als das leise Traumbrausen der Bäume und das erschöpfte Wellenspiel des Heidewassers zu vernehmen war.

Vielleicht, sann Maechler, stehen die beiden Niedenführ mit Lotte noch einen Augenblick vor der Tür ihres Hauses und reden dem trauernden Mädchen vor ihrer Rückkehr in das einsame Haus Mut zu.

Nein, was er da hörte, dieses leise Auf- und Abschwellen einer monotonen Singstimme rührte nicht von einem Gespräch her.

Maechler schloß das Fensterchen, zog sich schnell einige Sachen über und stieg bloßfüßig in den Flur hinunter. Die Haustür war unverschlossen, und der Schlüssel steckte innen. Er drückte die Tür auf und ging durch das Vorgärtchen, immer in die Nacht horchend, bis an das Pförtchen. Die Sterne in der Höhe blitzten und flimmerten, wie grell gefeilt von erdfernem Sturm, indes der leise Wind der Erde sanft in den Bäumen wühlte, daß es war, als rühre sich ein Schlafender in seinem Bett, und das Heidewasser murmelte fast unhörbar zwischen den Steinen. Nach langem Spähen und Lauschen glaubte Maechler auf dem Werkplatz an dem Rande des Unwettereinbruchs einen kleinen Schatten wahrzunehmen. Er war niedriger als ein winziger Strauch, obwohl Maechler wußte, daß dort, wo die Mauer eingerissen worden war, nichts stehen konnte. Im Begriff, das Pförtchen aufzuklinken, sah er wie der kleine Schatten jetzt hin und her pendelte, und nach einigem Auf- und Abschwenken hub dieses Singreden wieder an, erst leise, daß nichts zu verstehen war. Als es aber dann stärker und stärker anschwoll, war für Maechler kein Zweifel mehr möglich, daß die Stimme des wahnsinnigen Ignaz Wildner von da drüben klang, der sich seit der Züchtigung durch den Schlosser Neefe vor zwei Jahren nicht mehr hatte in Wilkau sehen lassen. Nun aber, von dem Tode seines Feindes angelockt, stand er im Finstern da drüben an der Stelle, wo der Unhold das Ende gefunden hatte, und sang ihm eine grauenvolle Totenmesse: »Verfluchter, Verfluchter, dreimal Verfluchter, hundertmal Verfluchter! Der sandige Schoß der Erde hat dich einstmals ins Leben gespien«, psalmodierte er lauter und lauter, »und, angeschwollen von Gemeinheit und Missetat bist du von den Fluten Gottes hinabgerissen worden in die Hölle, Verfluchter, dreimal Verfluchter!«

Maechler packte ein Grauen bei dem Haßgesang des Verrückten. Er schrie ein empörtes »Hallo!« und riß das Pförtlein auf, um sich hinüberzustürzen. Aber da warf Wildner die Arme in die Höhe und huschte wie ein Schattenwisch am Heidewasser gegen die Rehberger Straße zu hinauf, wo er verschwand.

Im Nebenhaus ging die Tür, und er hörte die Stimmen der Schwestern erregt und ängstlich durcheinandersprechen, die Lotte von der Rückkehr in ihr Haus abhalten wollten. Da eilte Maechler durch die lautlos bewegte Haustür in sein Bett zurück.

Nach einer Weile hörte er drunten das große Schloß einschnappen. Lottes schwebende Schritte gingen über den Flur. Die Wohnstubentür wurde bewegt und dann die Schlafstubentür. ›Jetzt legt sie sich nieder bei dem Schatten des Toten‹, sann Maechler, und eine mitleidsvolle Trauer überfiel ihn. So lag er lange in einer Wolke der Schwermut und wehrte sich gegen den Schlaf, damit Lotte nicht schutzlos sei. Aber obwohl er sich aufsetzte, um wach zu bleiben, die leere Lautlosigkeit, die dem Schlaf vorauszugehen pflegt, breitete sich mehr und mehr in ihm aus. In dieser weltweiten Stille hörte er federleichte Schritte die Stiege heraufkommen und den kleinen Flur herschleichen, deutlich und doch traumhaft. Dann wurde die Tür zu dem Giebelstübchen neben seiner Kammer vorsichtig geöffnet und geschlossen.

Lotte hatte sich in dem Fremdenstübchen schlafen gelegt, sie war in seinen Schutz geflüchtet.

In Maechlers Brust begann bei diesem Gedanken eine solch heiße, glückhafte Gewalt zu arbeiten, daß er, um nicht aufschreien zu müssen, das Bettkissen sich so fest um den Kopf wickelte, als wolle er sich ersticken.


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