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Zwanzigstes Kapitel

Die Freiherren von Schillingkhoff stammten aus einem alten, aber armen evangelischen Geschlecht, das auf Kriegsgäulen durch die Jahrhunderte getrabt war und sich endlich dem Banner der Brandenburger verschworen hatte. Eine berserkerliche wilde Familie, die sich mit Lunten durch verrammelte Nächte leuchtete, in Lagerzelten Hochzeit hielt, am wohligsten auf Pferderücken träumte, aber eher sich an Schrotkörnern die Zähne ausbiß, als aus Feigheit oder Eigennutz etwas über die Zunge zu lassen, das wider ihre Überzeugung und Ehre war, wenn sie von dem ererbten wilden Blute nicht eben in Tollheit vollkommen erblindeten. In dem Freiherrn Franz von Schillingkhoff, dem Vater Sessis, funkelte das letzte Paar Männeraugen des Geschlechts in eine paukenselige Zeit, in die es ihrem Wesen nach so gar nicht paßte. Schon auf der Kadettenanstalt nannte er mutig jede Art menschlicher Anmaßung, Überhebung, Dummheit, Lächerlichkeit, Verlogenheit, Streberei und unnötiger Devotion mit einem einzigen Namen »Schorf«, das ein Hannoveraner in neckischer Selbstverhöhnung »S-chorf« aussprach, weswegen man ihm den Spitznamen »Korff« beilegte, den er sich lachend gefallen ließ. Später im Regiment, war er beliebt, ja geradezu verhätschelt von seinen Kameraden wegen seiner mutigen, eleganten Ritterlichkeit, ausgezeichnet und zugleich gefürchtet von seinen Vorgesetzten wegen seines Schneids, seiner kriegswissenschaftlichen Beschlagenheit und seines Scharfsinns. Er stellte sein Licht nie unter den Scheffel, war aber auch nie ein eitler Blender. So kam es, daß er mit dreißig Jahren in den Großen Generalstab kommandiert und nach einiger Zeit persönlicher Adjutant des Chefs, Grafen Schlief, wurde.

Seine Tätigkeit im Generalstab fiel in die Zeit, in der der Kaiser Wilhelm II. schon rettungslos im Schwanken und Schlingern seines labilen Wesens verlorengegangen war und in der Eitelkeit, Prahlsucht und Soldatenspielerei die Stetigkeit eines mächtigen Komödianten gefunden hatte.

Korff, den der ernsteste Ehrgeiz trieb, die reinste Vaterlandsliebe trug, edelste Königstreue erfüllte, erlitt eine immer krassere Enttäuschung seiner ererbten Ideale, ein Zerbrechen seiner militärisch-feudalen Welt-, Staats- und Menschenanschauung. Als genialisch vielfältig-leidenschaftlicher Geist ertrug er dieses Gaukelbild von Größe, diese ewige Souveränitätsfexerei nicht anders als erst durch sarkastisches Lächeln und dann durch bitterlustige Witze im Kreise seiner intimsten Freunde. Immer fand er begeisterte Zuhörer. Sobald sie aber die Tür hinter ihm zugemacht hatten, blähten sie sich wieder beglückt in dem eitlen Pomp. Ihn aber belasteten diese Zustände ernster. Das heillose Durcheinander im Militärkabinett, die Lakaienbeflissenheit und Würdelosigkeit der Generäle dem Monarchen gegenüber schnürte ihm geradezu die Kehle ein. Es verlor sich die Freude an seinem Fortkommen und Beruf. Dazu bedrückte ihn fortwährend der Schmerz des Patrioten, der den sicheren Untergang des Systems voraussah und doch keinen Ausweg erblickte, sich von der Mitschuld an diesem prunkvollen, langsamen Verfall des Bismarckschen Staates zu retten. Indessen drängten auch persönliche Erlebnisse zu einer Entscheidung. Auf einem Hofball, zu dem er als vorzüglicher Tänzer kommandiert wurde, fiel ihm eine blonde, schlanke Erscheinung auf, ein Fräulein, die wohl so vornehm wie die andern in Kleidung und Haltung war, aber doch sich durch Einfachheit, ja durch eine Schüchternheit unterschied, über die sie immer siegte und die sie nie ganz unterdrücken konnte, voll Sanftmut und fast kindhafter Ergriffenheit, ganz Dame und junges Mädchen zugleich, voll einfacher Heiterkeit und unterirdischer Leidenschaft. Er erfuhr, daß es die Komteß Eleonore von Shayn-Winternitz sei, deren Mutter eine geborene Fürstin Boitzenburg-Mallenhoven wäre. Der alte Graf Winternitz saß zu Hause auf dem Schloß Brackhusen im Fahrstuhl, in den ihn seine tolle Jugend geschoben hatte.

Wirklich, sie fühlte sich bedrückt durch das Leben im elterlichen Hause, in dem von früh bis in die Nacht der Tag eine einzige Schaustellung der Exklusivität und äußerster Vornehmheit war, und hatte sich auf diesen ersten Hofball wie ein Vogel gefreut, der aus seinem engen goldenen Käfig in die hohe, große, vielfältige Freiheit der Welt fliegen durfte. Doch trotz allen kaiserlichen Glanzes, trotz verwirrender Pracht, die sie anfangs unsicher gemacht hatte, bedrängt und schüchtern, fand sie in ihrer Sehnsucht nach natürlicher überragender Menschenweite in den Sälen der Majestät wieder, was sie zu Hause so bedrückte, nur den Pomp noch zeremoniös übertriebener, die Adligen wie Lakaien, kommandierte Heiterkeit, Ehrfurcht als schöne stilisierte Maske. Am meisten war sie entsetzt über die Behandlung des alten schlesischen Grafen Kospoth durch den Kaiser. Sein Schneider hatte ihn im Stich gelassen, und so mußte er statt in der großen Galauniform eines Kammerherrn in der kleinen erscheinen. Als Majestät ihn erblickte, rief er:

»Na, Kospoth, wie sehen Sie denn aus? Nächstens werden Sie wohl im Sweater kommen.«

Standhaft lächelte der Greis, wankend defilierte er, drückte sich in die hinterste Reihe und sank ohnmächtig auf einen Stuhl.

Ihre weißblauen Augen bekamen davon einen harten Glanz. Aber als Freiherr von Schillingkhoff, der Generalstabsoffizier, in seiner kühnen, wilden Schönheit sie zum Tanz holte, atmete sie auf und fühlte sich in den Armen ihres Befreiers. Eleonore selbst war eine erlesene Tänzerin, daß alle dem schönen Paar nachsahen. Und als sie elegant und sicher über die halsbrecherisch gefährliche Stelle des Parketts vor dem Thron mit dem eingelassenen preußischen Adler schwebten, winkte der Kaiser sprühenden Auges beiden zu. Wie ein Blitz schlug das in ihre Herzen, und auf der Heimreise kam die blutjunge Komtesse nicht von einem heimlichen, blühenden Rausch los, daß dieser schöne, kühne Generalstäbler, der sie aus dem Gemütsverdunkeln auf dem Hofball in einen geradezu herrlichen Tanz befreit hatte, wohl der rechte Mann sein könne, der sie aus der starren, feierlichen Langeweile ihres Elternhauses in ein vielfältiges, buntes Leben hoher Menschenfreiheit retten könne.

Schillingkhoff fand Zutritt in das Winternitzsche Schloß, und nicht lange, so blühte zwischen ihm und Eleonore eine heimliche Liebe, die sie sorgfältig vor allen verbargen, und an die sie sich doch immer unverbrüchlicher gebunden fühlten, obwohl beide den sich immer mehr verstärkenden Widerstand von Vater und Mutter bei verschiedenen Gelegenheiten zu schmecken bekamen.

Dem alten Grafen Winternitz, der als protestantischer Ultrakonservativer, nicht anders wie seine Tochter, entsetzt auf den Verfall des eigentlichen alten Preußentums des Adels unter der Herrschaft Wilhelms II. blickte, mißfiel Korff. Denn er sah in dessen überlegenem Geist und genialisch beschwingten Wesen die Abkehr des militärischen Nachwuchses von der altpreußischen, puritanischen Lebens- und Dienstauffassung. Im tiefsten war es aber der gallige Neid dieses vorzeitig Gebrechlichen einem jungen strotzend-kühnen Manne gegenüber, der mit lächelnder Beiläufigkeit an den großen Chancen vorüberglitt, von denen der alte Winternitz wohl erfahren hatte. Korffs offensichtlich schon stark fortgeschrittene Annäherung an seine Tochter behagte ihm um so weniger, als er sich vorgenommen hatte, Eleonore mit dem Grafen Zesewitz zu verehelichen, der in jeder Beziehung die Gewähr eines dem Hause Winternitz wahrhaft standesgemäßen Schwiegersohnes bieten würde. Denn Graf Winternitz, der der Ansicht war, daß, wenn schon Majestät den Geist des alten preußischen Adels aufgäbe, dieser Stand von sich aus die alten Traditionen aufrechterhalten müsse, schätzte an dem geistig zwar beschränkten Grafen Zesewitz gerade das als Vorzüge, was er an Korff vermißte. Zesewitz erschien ihm als der einzig zuverlässige Führer Eleonorens durch die Lebenswirbel, da er allein vom »Worte Gottes« geführt wurde, das heißt ganz wie er selbst, einer sentimentalen Frömmelei ergeben war, durch die er sich ungeachtet seines lutherischen Bekenntnisses zu dem romantischen Gepränge der katholischen Kirche hingezogen fühlte, um so mehr, als er stark unter dem Einfluß seiner aus dem katholischen Hause der Fürsten Boitzenburg-Mallenhoven stammenden Frau stand. Hierin wandelte er höchst unkonsequent ganz in den Fußstapfen seines kaiserlichen Herrn, nach dessen Vorbild in jener Zeit überhaupt diese katholisierende romantische Frömmelei unter einem großen Teil des Adels grassierte, während der Generalstäbler nach allem, was er erkannt und gehört hatte, durchaus keine Gedanken oder Gefühle dieser Art in sich trug. Zudem bot der vielbegüterte Zesewitz alle Sicherheit für eine adlige Existenz.

Seiner Gemahlin aus dem hochadligen Hause war der Adel. Schillingkhoffs sowieso etwas anrüchig, wenn auch gegen dessen Alter nichts einzuwenden war. Vor allem aber störten sie seine Armut und seine freien, ja betont freigeistigen Allüren, die bei aller Vornehmheit wie eine überlegene Verhöhnung der Vornehmheit wirkten.

Korff merkte wohl seine ungünstige Situation im Winternitzschen Hause. Weil er aber der geliebten Eleonore durchaus sicher war, verrannte er sich dergestalt in seine Leidenschaft, daß er eines Tages in aller Form um die Hand Eleonorens anhielt. Mit beleidigendem Herauslachen wurde er abgewiesen und gebeten, die Schwelle des Brackhusenschen Schlosses nicht mehr zu betreten.

Als Liebender gescheitert, als Soldat verbittert, obwohl er zum Hauptmann im Großen Generalstab befördert worden war, als Patriot verzweifelt, ließ er sich in allerhand Intrigen ein und war eine Zeitlang sogar geheimes Bindeglied zwischen dem Kanzler von Bülow und von Holstein, der damals in der alten Geroldschen Weinstube manche Abende einsam verbrachte. Im Innern aber, trotz aller Ablenkung, war er ein Vulkan, dessen Ausbruch nur dadurch verhindert war, daß er mit aller Kraft seine Hand auf den Krater drückte und sich immer wieder fragte, wie lange wohl sein zum Bersten geladenes Naturell diesen ganzen Schwindel noch aushalten werde.

Da platzte die Bombe in dem Kaisermanöver, an dem Korff im Stabe des Generalstabschefs teilnahm. Es war wieder nur eine militärische Schaustellung. Im Gefecht wurden die modernen Anforderungen außer acht gelassen. Man bemühte sich nur, schöne Bilder zu zeigen. Von Feuervorbereitungen hielt man nichts. Die Stäbe ritten, die Artillerie fuhr in die Schützenlinien, und die Kavallerie attackierte so harmlos, als ob die Infanterie noch mit Feuerschloßgewehren ausgerüstet sei.

Nachdem der Kaiser die unsinnigsten, den ganzen Manöverplan über den Haufen werfende Anordnungen getroffen hatte, war die Kritik in einem Rübenfelde. Dort faßte Majestät die Manövervorgänge unter dem Gesichtspunkte erleuchteter Strategie zusammen, ließ seinen krassen, verletzenden Urteilen die Zügel schießen und überschlug sich in seiner bekannten Schönrednerei. Niemand wagte ein Sterbenswörtchen einzuwenden, nicht einmal der Generalstabschef Graf Schlieffen. Stumm, ernst und teilnahmslos nahm er alles ohne Mucken entgegen mit den Worten: »Zu Befehl, Majestät.«

Da wurde Korff von der blinden Wut seines wilden Geschlechts überfallen und rief laut: »Aber Exzellenz!«

Der Kaiser schrak auf und durchbohrte ihn mit flammendem Blick. Schlieffen aber suchte die Sache zu verdecken, wandte sich um und sagte mit väterlich verweisendem Lächeln: »Nein, nein, Hauptmann von Schillingkhoff, ich weiß, es hat mit der Brigade seine Richtigkeit. Melden Sie es sofort.«

Nach dem Manöver war er mit schlichtem Abschied entlassen.

Doch nun kam die Schillingkhoffsche Tollheit erst recht über ihn. Er fuhr nach Brackhusen, und weil ihm das Betreten des Schlosses verboten war, ließ er durch ein ihm ergebenes Stubenmädchen Eleonore ein Billett zuschmuggeln, in dem er sie um eine nächtliche Zusammenkunft in dem entlegenen Gartenhäuschen bat.

Dort besiegelten die beiden Unglücklichen den Seelenschwur ihrer Liebe mit den Leibern.

Als es sich herausstellte, daß Eleonore schwanger sei, willigten die Eltern in die Heirat mit »dem nichtswürdigen Kujon«, verstießen die Tochter und setzten ihr eine kleine Monatsrente von einigen hundert Mark aus.

Die ersten Wochen verbrachte das junge Paar in Schierke am Harz. Dann zogen sie nach Wilkau im Riesengebirge und mieteten eine kleine Villa. Korff, ganz zum leidenschaftlichen Frondeur geworden, wählte dieses kleine Badestädtchen als Sitz des Grafen Schilling, mit dem seine Familie, allerdings Jahrhunderte zurück, verwandt war. In der ersten Zeit des Luthertums waren die zwei Brüder von Schilling, die in Österreich begütert waren, zur neuen Lehre übergetreten. In der Gegenreformation wurden sie ihres ketzerischen Glaubens wegen der Güter für verlustig erklärt. Der eine von ihnen, der leidenschaftlich Härtere, beharrte in der Gefolgstreue des Gottesmannes Luther, ging außer Landes, nahm Kriegsdienste und nannte sich von da an von Schillingkhoff, um die vollkommene Trennung von seinem Bruder der ganzen Welt sichtbar zu machen. Die Brüder waren in offener Feindschaft geschieden, weil der ältere von ihnen, zum katholischen Glauben zurückgekehrt, von der Wiener apostolischen Majestät wieder in Gnaden aufgenommen wurde. In der Folge erhielt er alle Güter zurück und neue dazu. Als einer der reichsten Magnaten wurde er sogar in den Reichsgrafenstand erhoben. Er und seine Nachkommen sahen überheblich und mit Bedauern auf die feindlich getrennte Bruderlinie herab, die, durch alle Kriegshändel gejagt, heldenhaft aber arm, Gift und Galle gegen die Sippe der Eidesbrüchigen, Seelenverkäufer und Erbschleicher spie, eine Generation um die andere. Sogar in dem entlassenen Generalstabshauptmann Freiherrn von Schillingkhoff war diese Feindseligkeit, allerdings zur Abneigung gemildert, noch nicht ganz gestorben. Dennoch wählte er Wilkau zu seinem ständigen Wohnsitz, weil er wußte, daß das gräfliche Haus seitdem treu zum österreichischen Kaiserhaus gestanden, das Preußen Friedrichs des Großen nur gezwungen anerkannt hatte und selbst gegen das Bismarcksche Deutsche Reich immer in Reserve verharrte. Vielleicht wurde Korff von der vagen Hoffnung nach Wilkau gezogen, daß es ihm gelinge, den Grafen Schilling zu seiner feindseligen Stellung gegen die Regierung Wilhelms II. zu bekehren. Er wurde enttäuscht. Sein Besuch auf dem Schloß war eine frostig aufgenommene Zeremonie. Man kümmerte sich weiter nicht mehr um ihn. Korff lachte ingrimmig über den dummen, schafsmäßigen Geldsack, daß ihm die Ohren knackten, schwor sich, den deutschen Schwindel ganz alleine aus den Angeln zu heben, und ging daran, unter Pseudonym militärische Abhandlungen zu schreiben, die von den Zeitschriften gern angenommen und sehr gut honoriert wurden, weil sie in Fachkreisen hohe Beachtung fanden. Nach diesen vorbereitenden Veröffentlichungen gab er, nun unter seinem vollen Namen, ein großes Werk unter dem Titel »Unter dem Preußenadler« heraus, das wie eine blendende Rakete in den vernebelten politischen Himmel des damaligen Deutschland platzte, weil es das alle altpreußischschlichte Tradition verleugnende kaiserliche Regierungssystem mit profundestem Wissen auf die geistreichste Weise anprangerte. Binnen weniger Wochen waren von dem Werk zehntausend Exemplare verkauft, und auf den jubelnden Korff prasselte ein goldener Regen.

Jetzt begann nach Korffs schäumender Einbildung sein blendender Aufstieg. Er stürzte sich Hals über Kopf in den Lebensstil eines ganz großen Herrn und residierte als anerkannter Alleinherrscher im Kreise der adligen Tischgesellschaft des »Goldenen Greif«, die bei billigem Krätzer den Glanz hoher Vornehmheit mühselig, doch immer noch bedeutsam aufrecht hielt. Als aber Franz von Schillingkhoff, der grell berühmt gewordene Korff, wie ein sprühender Meteor in ihre Mitte gefallen war, arteten solche Trinkereien oft geradezu in Orgien aus. Prunkende Ausfahrten schlossen sich an, alles von dem »fabelhaften Korff« lachend gestiftet, daß ganz Wilkau vor Staunen der Mund offen stehenblieb. Doch der glitzernde Hexentanz des Korffschen Triumphes dauerte nicht lange. Der beispiellose Erfolg seines Werkes, von der Linkspresse gefördert und regierungsfeindlich ausgeschaltet, artete in einen Skandal aus. Freiherr von Schillingkhoff wurde aufgefordert, das Werk mit Bedauern aus dem Buchhandel zurückzuziehen, und als er mit Hohn darauf reagierte, konfiszierte man das Buch, stieß ihn aus dem Heere aus, und der Staatsanwalt fing an, sich mit der Angelegenheit zu befassen. Da erwachte Korff aus seinem Taumel, und nun zeigte es sich, daß sein blendender Siegesanlauf nichts als ein Sprung in den Zusammenbruch gewesen war. Er, der als kühner Held auf den Plan gesprungen war, duckte sich als Schwächling in den Winkel, kroch demütig zu Kreuze, schwor sein Werk als Verirrung eines krankhaften Patriotismus ab und erreichte so die Einstellung des Prozesses wegen Hochverrat und Majestätsbeleidigung. Wie ein Adler, der sich selbst mit wilden Schnabelhieben im Fluge die Schwungfedern ausgerissen hatte, stürzte er jäh aus der Höhe und taumelte tiefer und tiefer in seine Lebenszerstörung. Sein prahlerischer Reichtumstrubel hatte nicht nur seine Bucheinnahmen vollkommen verschluckt, sondern ihn in solche vielfältige, schwere Schuldenverwickelungen gehetzt, daß er nicht aus noch ein wußte. Aber er biß die Zähne zusammen, demütigte sich heimlich vor seinen Gläubigern, mäßigte jedoch sein äußeres Auftreten kaum und zog nur verbittert aus der Villa in eine Etagenwohnung des Fremdenheims »Bazar«. Sonst trieb er sich auf Jagden in der Umgebung umher, zu denen er sich zuletzt selbst einlud und anfangs gern gesehen, dann aber nur geduldet wurde, weil man ihn als Schützen bewunderte, der das Licht von der Kerze knallte und durch seine glänzende Erzählergabe auch die dumpfeste Gesellschaft fortzureißen imstande war.

Seine Gemahlin hatte ihren wilden Mann, der sich bei seinem Sprung in die öffentliche Arena als Cromwell fühlte, zu Anfang seines rebellischen Aufschäumens wohl zur Mäßigung gemahnt. Allein all ihre Hinweise auf die Folgen des unnützen Wagnisses eines Bruches mit allem, auf das Verbrechen am Staat und dem Adel, ja auf die Zerstörung der Grundlagen und Voraussetzungen ihrer eigenen Ehe, wenn er sein Leben und seinen reichen Geist nicht zur Verwirklichung seiner hochfliegenden Pläne verwende, hatten keinen anderen Erfolg als den, daß er am Schluß der gemessenen Vorhaltungen seiner Gemahlin wohl in tiefes, bedachtsames Schweigen versank, zustimmend mit dem Kopfe nickte, ein »Na ja, warum nicht« oder ein »Gar nicht übel« brummelte, dann aber regelmäßig toll herauslachte, aufsprang, durch die Zimmer raste, und mit schmetternder Kommandostimme schrie: »Nein, nein und tausendmal nein! Ich trete diesem Klunkerwagen alle Speichen aus den Rädern, aber auch alle!«

Es gelang Eleonore nach dem erfolgten Zusammenbruch auch nicht, ihn aus den Zeiten leerer Müdigkeit und den abwechselnd auftretenden Anfällen turbulenter Tatraserei zu retten, die meistens in zynischem Gelächter endeten und zuletzt in Schwelgerei begraben wurden.

So kam es, daß seine Frau sich ganz von ihm zurückzog, ohne ihn zu verlassen.

In diese Zeit fiel die Kindheit und erste Jugend Sessis.

*

Eleonore Gräfin von Shayn-Winternitz – als solche fühlte sie sich auch als Freifrau von Schillingkhoff noch immer – richtete sich mit ihrem Wesen, im Gegensatz zu ihrem rebellierenden Mann, wieder in dem streng konservativen Geist ein, der in dem elterlichen Schloß Brackhusen geherrscht hatte. Jahr um Jahr kehrte sie tiefer in ihre Kindheit zurück und wendete alle Umsicht und Sorge auf, ihr einziges Töchterchen Sessi von der Überzeugung der geborenen Höherbeschaffenheit aller uradligen Menschen zu durchdringen, ihr ganzes Gehaben und Leben, selbst ihre Gefühle, Empfindungen und Gedanken, wie auf einer öffentlichen Bühne zu leben, deren Zuschauer die ganze Welt der übrigen niedrig gestellten Menschen und deren Richter einzig und allein die höchsten und blutreinsten Vertreter ihrer Klasse seien. Ihr Vater aber trage schwer an bitteren Erfahrungen, die ihn zerbrochen und zu einem von innen her kranken, bemitleidenswerten Mann gemacht hätten.

Sessi wagte weder zu widersprechen noch sich aufzulehnen. Sie ging unter dem Andringen gegensätzlicher Kräfte, den abgelebten Träumen und Einbildungen einer großen Vergangenheit ihrer Mutter und dem ererbten ritterlichen Landsknechtstum ihres Vaters betroffen und erschüttert durch ihr junges Dasein. So glich sie einer tief Gläubigen, die von der rätselhaften Helle, aber oft auch Dunkelheit ihrer Liebe wie von einer unbegreiflichen Offenbarung ergriffen ist. Aber die Sonnenwolken der mütterlichen Erzählungen vom Glanz des preußischen Adels formten ihr schönes Gesicht zu einer still-süßen Feierlichkeit und klangen wider in den edlen Bewegungen ihres schlanken, wohlgebauten Körpers. Doch fehlte ihrem herrenhaften Wesen jede Kälte und Anmaßung. Ihr Stolz sah aus wie die Zurückhaltung eines reinen Gemüts, das vor jeder unedlen Lebensgebärde zurückschreckt. So erschien sie auch, in vielen Stunden, wie eine entrückte Heilige, die den Namen des Heiligen geheimhält, dem ihr einsames, abgewandtes Mädchenherz seit früher Kindheit gehört.

Als sechsjähriges Kind war sie von ihrem Vater rücksichtslos zu seinem Darlehnsgesuch in das kleine Gerberhaus auf der Feldgasse mitgenommen worden. Die saubere, wohlgerichtete Bürgerlichkeit des engen Raumes, die breite Behäbigkeit des gütigen Meisters hatten einen tiefen Eindruck auf ihr Herz gemacht. Unauslöschlich lebendig lebte aber die Erinnerung an den scheuen, verträumten Jungen des Gerbers, der ihr das bunte, selbst gemachte Bildchen geschenkt hatte. Seitdem bewahrte und hütete Sessi es wie einen Schatz, von dem niemand etwas wissen durfte. Im Laufe der vielgeschüttelten Zerrissenheit ihrer Eltern fand sie in dem heimlichen Anschauen des Bildchens einen unbeschreiblichen, traumhaften Trost. Denn in diesem heiligen Manne, der in jeder der beiden erhobenen Hände eine blaue Blume hielt, sah sie die bildhafte Ausdeutung jener Vorzüge, die nach den Lehren ihrer Mutter den adligen Menschen auszeichnen sollten.

Ja, so wollte sie selber leben und sein: alles, was sie fühlte, dachte und tat, aus dem Höchsten, aus dem Himmel herunterholen, daß es in ihrer Hand, durch sie selber schön blühe, wie eine Blume. Das kleine Gerberhaus in der Feldgasse aber erschien ihrer seligen Wesensverwunschenheit als das unscheinbare Mirakulum, in dem alles in Wahrheit lebte, was ihre Mutter von adligen Menschen lehrte und was sie selbst ersehnte. Darum hatte sie nie mehr die Feldgasse betreten und floh jeden Gedanken an den Knaben Damian.


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