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Fünftes Kapitel

Am andern Morgen sprang Christine ins Erwachen, wie ein gefangener Vogel aus der Hand in die freie Luft geworfen wird. Sie lächelte glücklich und verwundert über dieses plötzliche Losfahren ins Leben, blieb aber liegen, schloß die Augen und dehnte die Arme über den Kopf, um das etwas nachzuschmecken, was ihr geträumt hatte. Doch es gelang ihr nicht, in den Traum zurückzufinden. Sie kam da nur in ein unermeßliches Lichtwogen hinein, in dem allerhand Wunderliches mit ihr geschehen war, so Wunderliches, als hätte sie mit ihrem ganzen Leibe glücklich gesungen. Ja, er bebte jetzt noch davon, daß sie versucht war, dieses geheimnisvolle Traumlied, das sie noch durch ihren Körper fast unerträglich wollustvoll vibrieren fühlte, mit wacher Stimme hinauszusingen. Allein, es wurde nur eine Art inbrünstiger Jubelschrei, daß Christine über ihre unbegreifliche Verrücktheit erschrak, die Arme herunterriß und sich mit einem Ruck im Bett aufsetzte.

Mein Gott, da war sie ja in ihrer Stube, die schon von dem hellsten Sonnenschein ganz erfüllt war, und drüben, das Bett ihres Mannes war leer. So mußte sie ihn doch irgendwo im Hause werkeln hören. Es war ganz still. Nur draußen vor den Fenstern sang der Wind in den entlaubten Bäumen, gemächlich und in sich versunken. Da erinnerte sie sich, daß ja gestern Sonnabend gewesen war und also heute Sonntag sei, sprang aus dem Bett und lief, wie sie war, in die Wohnküche, wo sie an dem auf dem Tisch stehenden Krug, der Tasse und dem Brot erkannte, daß Jochen sich das Frühstück selbst bereitet hatte, wohl weil der Gute sie aus dem tiefen Schlaf nicht hatte wecken wollen. Sonst hätte sie wohl über den komischen Mann ein wenig weiblich überheblich gelächelt, der stockstill sich selber hausfraulich bedient und dann irgendwohin verschwunden war. Aber nach dem Ereignis des gestrigen Abends fand sie sich in diese Überheblichkeit nicht mehr zurück. Denn dieser gutmütige, pflaumenweich wehrlose, geheimnisvoll verschlungene Jochen hatte sich in dem Kampf mit dem Inspektor als ein kluger, wehrhafter Mann erwiesen, vor dem der plärrende, von Hinterhältigkeit geschwollene Neefe fast aller Vorzüge entkleidet schien, die sie ihm in einer Verblendung zugesprochen hatte, die sie jetzt nicht mehr begriff. Und während Christine emsig durch das Haus wirtschaftete, um die vertrödelten Schlafstunden wieder einzubringen und allem den schuldigen Sonntagsglanz zu geben, sann sie über das merkwürdige unbegreifliche Rätsel nach, wieso sie von einem noch nie gefühlten sicheren Glück erfüllt sei, obwohl der ganze mit Neefe ausgeheckte Plan fast vollkommen gescheitert war. Am Ende wurde sie an die Ahnung geführt, sie habe die ganzen sieben Jahre ihrer bisherigen Ehe nur so mit Jochen wie mit einem vertrauten Fremden hingelebt, seit gestern aber sei ihr Wesen von der Tiefe her richtig mit ihm verbunden und in der Nacht Hochzeit gefeiert worden. Als Christine von diesem Gedanken berührt wurde, erschrak sie anfangs bis ins Herz. Sie mußte sich setzen, die Augen schließen, und die Stube, ja ihr ganzes Leben taumelte um sie. Denn das Leben spielt in abgründiger Härte mit uns, auch wenn wir schuldlos sind. Dann aber rettete sie ihr singend wogender Leib wieder in den Glanz, aus dem sie am Morgen so jäh ins Erwachen gerissen worden war, und mit einemmal wußte sie, daß der Traum sie die ganze Nacht fliegend durch eine unendliche Lichtwelt geführt habe und vielerlei mit ihr geschehen sei, an das sie sich aber nicht mehr erinnern konnte.

*

Der Mittag war längst vorüber, da erblickte Christine, die wegen ihres gefährdeten Mittagessens schon unzähligemal nach Jochen Ausschau gehalten hatte, ihren Mann, von der Heidewasserbrücke herkommend, auf der Feldgasse, den Kopf sinnend geneigt, auf nichts um ihn her, nicht einmal auf seine eigenen Schritte achtend, fast wie ein Lebensverirrter dahingehend, dem es gleich ist, wo er sich in der Welt befindet. Kaum daß er vor den Augen der ungeduldig Wartenden aufgetaucht war, machte sich Christine eilig an den Herd, fachte das Feuer frisch an und rückte den verkühlenden Sonntagsbraten an die heißeste Stelle. Ihr Jochen, der indes das Gartenpförtchen umständlich öffnete und wieder schloß und dann bedrückt sich übern Zaun lehnte und Ausschau in die Welt hielt, in der für ihn Nabe und Rad sich voneinander gelöst hatten, ihr Jochen schlug sich ganz wie sie mit den Folgen des gestrigen Abends. Aber während sie durch eine traumweiße Nacht in ein neues Lebensglänzen gehoben worden war, hatten die verjährten Schattengewalten aus der Reihe seines Vatergeschlechtes wieder Gewalt über ihn bekommen, daß sein Sieg über den scheinheiligen Inspektor gestern abend und die Glut der verspäteten, wahren Hochzeitsnacht scheinbar spurlos an ihm vorübergegangen waren. Und während er das Vorgärtchen langsam hinschritt, immer wieder stehenblieb und die Stockzwinge tiefsinnig in den Sand bohrte, wurde es ihm zur quälenden Sicherheit, daß sein stundenlanges Schweifen um die Grandorfer Teiche bis an den Schwarzhofer Wald wenig, ja fast gar nichts genützt habe.

In dieser Woge bitteren Mißmutes stand Jochen endlich unter der Wohnküchentür.

Christine, die eben den Braten begoß, rief: »Endlich!« und nickte ihm glühenden glücklichen Gesichtes zu, weil sie alle Hände voll zu tun hatte. Dem beschatteten Jochen fuhr davon ein Schein übers Herz, er trat zu ihr an die Herdglut, legte streichelnd seine große braune Gerberhand auf ihren Scheitel und wollte ihr eigentlich etwas Zärtliches sagen. Beim besten Willen wurde aber nichts daraus. »Jaja, Christel«, sagte er nach einem Stocken mit tiefer, zäher Stimme, »es hat lange gedauert«, nichts weiter, so daß sein Weib betroffen den Kopf wendete und prüfend in sein Gesicht sah, in dem gar nichts von Sieg und Segen, sondern die alte ratlose Gutmütigkeit zu lesen war, nur um den Mund und im Licht der eingekniffenen Augen etwas bitter gewürzt. Frau Christine schob schnell die Pfanne an ihre alte Stelle und legte den Löffel auf den Braten, um durch eine herzliche Umarmung den umschatteten Mann in ihr Glück zu reißen. Als sie sich aber umdrehte, war Jochen schon leise von ihr getreten, lehnte den Stock in die Ecke und hing sein Jackett sorgsam und umständlich an den Kleiderrechen neben der Schlafstubentür, versunken, abseitig, verschollen wie immer. Christine tat wohl einen Schritt zu ihm hin, ließ aber lächelnd von dem beabsichtigten Zärtlichkeitsüberfall ab, ›denn ich kann mich doch nicht auf seinen Rücken hocken‹, sann sie ein wenig schmollend, wendete sich um und fuhr fort, den Tisch zu beschicken.

Nicht anders ging es während des Essens zu. Mit Behagen widmete sich der Gerber der sonntäglichen Mahlzeit, trat aber aus seiner unnahbaren Versunkenheit nicht heraus, mochte das Zünglein der Frau auch auf allen Registern spielen. Nur als sie ihn mit seiner Frühflucht aus dem Bett und seiner hinterhältigen Kocherei neckte, blickte er sie aufleuchtenden Auges an and sagte lächelnd: »Jaja, liebe Frau, ich weiß, was sich gehört.« »Nach einer solchen Nacht«, hätte er, nach dem Gefühl der erfüllten Frau, hinzusetzen müssen. Statt dessen glitt nur ein glückhafter Widerschein über sein großes Gesicht, der auch wie von fern noch lange darin hängenblieb, daß das Herz der lieben Frau wieder ganz hochzeitlich aufblühte und sie mit ihrer Hand innig die seine umschloß. »Du lieber, lieber Jochen«, sagte sie dabei verschämt und errötete bis in ihre schwarzen Haare hinauf.

Vielleicht wäre dieser Abglanz den ganzen Sonntag in dem Gerberhaus auf der Feldgasse zu Wilkau geblieben, wenn Christine nicht am Ende der Mahlzeit von dem gestrigen Streit zwischen Maechler und Neefe zu reden angefangen hätte. Sie tat es in dem Bestreben, die glückhafte Erhellung ihres Mannes zu befestigen und zu vertiefen. Allein, kaum hatte sie von der Überlegenheit Jochens angefangen, mit der er des Inspektors Wichtigtuerei abgefertigt hatte, als aus Maechlers Gesicht jeder Schimmer verschwand.

»Wie denn Wichtigtuerei?« sagte er bitter auflachend. »Für dich war er doch wochenlang der wahre Heiland. He, ist es nicht so?«

»Gut, mag sein, Lieber!« entgegnete sie mit freier Stirn. »Ist dir nicht auch schon eine Mücke ins Auge geflogen, Jocherlein, Hand aufs Herz? Aber seit gestern, wo du ihn vollkommen zugedeckt hast, ist er es nicht mehr, kann es nicht sein.«

»Na, na, Christel! Zugedeckt sagst du?«

»Nicht bloß das, liebster Mann, total erledigt, der schamlose Mensch.«

»Falsch, falsch, sag' ich, Christel!« erwiderte er erregt, riß sich von dem Stuhle, trat an das Fenster und, leer hinaussehend, atmete er schwer wie unter einer Last. Dann drehte er sich um, lachte ihr grell ins betroffene Gesicht und sagte spöttisch:

»Vielleicht willst du gar noch sagen Sieg, haha! He?«

Ein Nachklang von dem leidenschaftlichen Aufbrausen des gestrigen Abends war in seiner Stimme, aber nun nicht triumphierend, sondern messerscharf, höhnisch, daß Christine bedrückt war.

»Jawohl, gesiegt hast du, Jochen. Das mußt du doch selbst zugeben«, antwortete sie unsicher, weil sie nicht wußte, was in ihren Mann gefahren war.

Jochen lachte abermals, aber nun sehr verbissen.

»Nennt sich das Sieg, Weib, wenn es mich auf meinem stundenlangen Gang um die Teiche immer wieder wie ein Wolf anfiel, über die Wiesen geradenwegs nach Wilkau hineinzurennen und vor allen Leuten dem hinterläufigen Kerl, dem ... dem Neefe, die Larve vom Gesicht zu reißen, und so einer zu werden, wie mein unglücklicher Vater war, einer, der erst mit der Linken, zuletzt mit beiden Händen die Straßenmaschine dreht. Nennst du das Sieg, Christel? Nein, eher hat mir der Inspektor mit seinem Giftwühlen und großtuerischen Bellen Schaden gebracht, daß ich an meiner lieben Mutter vorbei wirklich in dieses Klugreden verfallen bin, das meinen Vater endlich im Berggarten um den letzten Atem gebracht hat.

Mach doch die Augen auf, Christel! Hat er nicht selber gesagt, ich habe den Schritt des großen Nathanael an mir? – Ihr Weiber, ihr lieben Weiber, fliegt wie die Vögel durch die Luft. Eines richtigen Mannes Wagen aber kutschiert es in der Tiefe. Jawohl, mit Gedanken beladen, mit einfachem Tun, aber nicht mit Worten.«

Christine saß mit gesenktem Kopfe da und hörte erstaunt und ergriffen ihrem Manne zu. Als sie aufschaute, war sein Platz am Fenster leer. Er hatte immer ruhiger und leiser gesprochen und war dann lautlos aus der Stube geschlichen. Die Tür stand noch auf, und sie hörte ihn schwer über die Stiege gehen, brachte es aber nicht fertig, ihn zurückzurufen oder ihm nachzufolgen.


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